Forever Magazine 46

Neil Clarke

In seinem Vorwort spricht Neil Clarke über die nächsten Projekte seines Verlages, während die Herbstfrühwinterausgabe von „Forever“ wieder zwei längere Kurzgeschichten und eine Novelle präsentiert.

 Neal Ashers Novelle „The Other Gun“ stammt aus dem Jahr 2013, es handelt sich um einen Nachdruck aus „Isaac Asimov´s Science Fiction Magazin“. Es ist der älteste Nachdruck dieser Ausgabe. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, auf entweder ältere Texte zurückzugreifen und sie einer neuen Lesergeneration vorzustellen oder auf Geschichten aus Anthologien kleinerer Verlage. Wie fast alle anderen Neal Asher Texte spielt sie in seinem „Polity“ Universum. Es ist nicht notwendig, die Hintergründe ausführlicher zu kennen. Wer die meisten seiner Romane gelesen hat, wird einige Querverweise entdecken, die aber handlungstechnisch nicht relevant sind.

 Wie fast alle seiner Geschichten bestimmt das Tempo die Handlung. Dabei droht sich selbst der routinierte Neal Asher manchmal zu überschlagen. Hinzu kommt seine Affinität für überdimensionale Technik. Manche sprechen von einer Art Fetischismus bis zu Technoporn. Dabei spielt die Symbiose zwischen Mensch und intelligenter Maschine immer eine Rolle. Nicht selten ist es für den Leser schwierig, die Grenze zwischen Mensch und Maschine eindeutig zu erkennen. Neal Asher macht sich zusätzlich ein Vergnügen draus, diese Grenzen zu überschreiten.

 Die im Titel angesprochen andere Kanone – es sind immer mindestens Kanonen, niemals kleinere Waffen wie Pistolen – steckt im „Körper“ des Protagonisten. Es ist nur ein Bestandteil eines fast gänzlich künstlich hergestellten Körpers. Bei den verschiedenen Operationen hat er auch einen relevanten Teil seines Gedächtnisses vergessen. Hinzu kommt, dass er moderner Sklave einer Art Entity ist, deren Charakterzüge Neal Asher bewusst ambivalent beschreibt. Die Originalveröffentlichung zeigt seinen Sidekick: einen Raptor aus der Dinosaurierzeit, wie es sich für Asher gehört allerdings ordentlich aufgemotzt und dadurch doppelt so gefährlich. Der Companion kann sprechen. Aber es gehört zu Neal Ashers besonderem Humor, dass die Kreatur über einen kleinen Sprachfehler verfügt, der sie manche Worte nicht passend aussprechen lässt. Es sind diese Szenen, in denen subtil und subversiv aufgezeigt wird, wie genau Neal Asher seine Geschichten unabhängig vom hohen Tempo und einigen Zufälligkeiten im Vorwege plant.

 Dabei impliziert Neal Asher an einigen Stellen, das die Nebenfiguren deutlich mehr wissen als der getriebene Protagonist. Der Leser steht dabei zwischen den beiden Stühlen. Er ahnt auch mehr als Neal Ashers nicht selten tragische Antihelden, aber er kennt dieses Stilmittel zu oft aus anderen Werken des britischen Autoren, um noch wirklich nachhaltig genug mit dieser Figur Mitleid zu empfinden. Dabei wäre wahrscheinlich weniger mehr gewesen und einige Überraschungsmomente hätten anders platziert werden können, damit der ganze Plot überzeugend genug erscheint. 

 Wie bei einigen anderen seiner Geschichten, aber vor allem seiner Romane kann Neal Asher das hohe Tempo nicht bis zum Ende gehen und seine Storys enden nicht mit einer finalen Konfrontation, einem großen Showdown, sondern überschlagen sich und bleiben dann irgendwie, manchmal auch zusätzlich irgendwo im imaginären Nichts hängen. Zwar werden alle offenen roten Fäden erläutert, aber die Erklärungen wirken nicht konsequent genug.  Zurückbleibt eine weitere Achterbahnfahrt, an deren Ende man ohne Frage während der Lektüre eine gute bis großartige Zeit verbracht hat, aber man fühlt sich irgendwie inzwischen nicht mehr satt mit einer seiner Geschichten.      

 Aus dem Jahr 2016 stammt Nick Wolvens „The Metal Demimonde“. In knapp einhundert Jahren gibt es nur noch wenige Jobs für Menschen. Tipper arbeitet in einem automatisierten Karneval und verliebt sich in einen Jungen. Luke gehört zu der kleinen Gruppe, die illegal an Maschinen arbeiten. Sein Traum  ist es, ein Autor wieder zum Laufen zu bringen.

 Auch wenn Tipper die Identifikationsfigur der  Leser sein soll, handelt es sich vor allem um die Geschichte Lukes, der erstens über die umfassendere und damit auch zugänglichere Persönlichkeit verfügt und zweitens auch so etwas wie eine Vergangenheit sowie eine visionäre, wenn auch illegale Zukunft aufweisen kann. Luke benutzt Tipper, um einen kleinen Schlag gegen die Dominanz der Maschinen auszuführen, auch wenn er gegen die Gesetze verstößt. Seine Motivation ist klar umrissen und der Leser kann zumindest mitfühlen.  Tipper hat einen der wenigen bedeutenden Jobs, auch wenn nicht gänzlich klar definiert worden ist, warum eine Maschine ihn nicht ausüben kann. 

Das Ende ist fatalistisch und die einzelnen Aspekte der Gesellschaft sind  weniger hintergründig als eher plakativ herausgearbeitet worden. Wenn ein Leser  diese nicht akzeptiert, hilft auch der sehr detailliert herausgearbeitete Hintergrund der Geschichte mit dem stimmungsvollen, zeitlosen Karneval nicht  viel.  Die größte  Stärke der Novelle liegt wahrscheinlich in der Tatsache begründet, dass Nick  Wolven trotzdem als  Autor überzeugen kann, weil er sich auf die zwischenmenschliche Beziehungen in einer funktionellen Gesellschaft konzentriert und auf ein zuckersüßes Happy End verzichtet.

 Der kürzeste Beitrag dieser „Forever“ Ausgabe stammt aus dem Jahr 2008 und vor allem aus „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“, was angesichts der vielen reinen Science Fiction Geschichten auf den ersten Blick seltsam erscheint. James L. Gambias “Balancing  Acounts“ ist aber der Höhepunkt dieser Nachdruckausgabe.  In den Tiefen des Sonnensystems verrichten vor allem künstliche Intelligenzen ihren Dienst an Bord der Raumschiffe und Frachter.  Menschen finden sich wie in Nick Wolvens Novelle kaum.  Die meisten künstlichen Intelligenzen agieren untereinander und haben so eine Art Nebengesellschaft entwickelt.  Die K.I. Annie hat ein Netzwerk von Partnern,  mit denen sie handelt.  Als  ein besonderes Angebot auf den Tisch flattert, macht sie im Grunde einen menschlichen Fehler. Vielleicht der einzige Bruch im Handlungsfaden,   denn James L. Gambia  begründet zu wenig, warum sie plötzlich ohne Rückgriff auf reine Logik und dementsprechend auch ein wenig Vorsicht agiert. 

 Vielleicht  weil ihre Fracht menschlich ist und sie es mit Menschen zu tun.

 Von Beginn an zeichnet die Kurzgeschichte ein hohes Tempo immer begleitet von teilweise erstaunlich subversivem Humor aus. Die einzelnen Herausforderungen sind originell beschrieben und vor allem präsentiert der Autor keine vorgefertigten Lösungen.  Auch wenn wie erwähnt die Ausgangsprämisse die Glaubwürdigkeit ein wenig  beugt, wird man vom hohen Tempo und den interessanten meistens nicht menschlichen Protagonisten positiv mitgerissen, so dass am Ende die Pointe mit einem Augenzwinkern hingenommen wird. 

 Wie die  letzten „Forever“ Ausgaben handelt es sich um die Novembernummer um eine überzeugende Zusammenstellung dreier inhaltlich auf der einen Seite unterschiedlicher, aber im Kontext Mensch/ Maschine auch vergleichbarer Geschichten,  wobei nicht zum ersten Mal der kürzeste Text im Grunde die beste Arbeit ist. 

Forever Magazine Issue 46 ebook by Neil Clarke,Neal Asher,Nick Wolven,James L. Cambias

E Book, 88 Seiten

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