Gegen Unendlich 14

Awe, Fieberg und Pack (Hrsg.)

Mit „Gegen Unendlich“ 14 präsentieren die drei Herausgeber Awe/ Fieberg und Pack eine inzwischen positiv routinierte Mischung aus neuen Geschichten und Nachdrucken. Im Gegensatz zu den letzten Texten mit einem Schwerpunktnachdruck, der nicht selten von einem entsprechenden Essay begleitet worden ist, greifen die Herausgeber auf unterschiedliche Genres zurück und versuchen das präsentierte phantastische Spektrum zu erweitern. Den gleichen Ansatz fahren sie auch bei den neuen Texten, so dass mit den insgesamt zwölf Geschichten inklusiv zweier Miniaturen für jeden Geschmack etwas dabei ist.

 Mit „Unter der Sonne von Cela 14“ eröffnet Michael J. Awe auch gleichzeitig die vierzehnte Ausgabe von „Gegen Unendlich“. Umfangtechnisch ist es eine der längsten Geschichten dieser Ausgabe. Ein Terraner landet auf einer abgeschiedenen traumhaften Welt und verlebt in diesem wenig bevölkerten, ein wenig an die Südsee erinnernden Paradies wunderbare erholsame Tage. Michael J. Awe nimmt sich Zeit, die Atmosphäre stimmig zu beschreiben und gleichzeitig über die Handlungen der Protagonisten auch einen Hauch des Zweifels an diesem Paradies beim Urlauber sowie im übertragenen Sinne dadurch dem Leser zu wecken. Das Paradies hat natürlich seine Schattenseiten, wobei diese nur mittelbar mit dem Urlauber zu tun haben. Dank dieser Vorgehensweise werden einige Klischees umschifft. Stilistisch ansprechend und ruhig entwickelt stellt „Unter der Sonne von Cela 14“ einen zufrieden stellenden Auftakt dieser Anthologieausgabe dar.

 Andreas Fieberg setzt mit „Der Stoff, aus dem die Schatten sind“ die Qualität der hier gesammelten Geschichten nahtlos fort. Eine seltsame und doch vertraute Zivilisation, in welcher der mystische Begriff des Schattenmachers wörtlich zu nehmen ist. Die Versuchung, eine perfekte Schöpfung sein Eigen zu nennen und der Drang, dabei über die gesetzlichen Grenzen zu schauen, bilden abschließend eine überzeugende Symbiose. Der Leser kann dem fast wie eine Sucht erscheinenden Drang nahtlos folgen. Die vielen kleinen Details zeigen auf, wie viel Mühe sich Andreas Fieberg bei der Konzeption der Welt gegeben hat und der leicht ironische Untertön trägt zum Lesevergnügen bei.

 Auch Kurt Tichys „Schwarze Hügel“ macht aus einer bekannten Idee – einer Zeitreisender, verloren in der Vergangenheit – eine unterhaltsame, selbstironische Geschichte. Der Ich- Erzähler ist ein FBI Agent für die normalerweise schweren Fälle. Er soll einen Mann befragen, der aus dem Nichts heraus hinter dem amtierenden amerikanischen Präsidenten erschienen ist. Es stellt sich heraus, dass er angeblicher ein Zeitreisender ist. Der fast lakonische Tonfall, die einzelnen Beschreibungen entschädigen für das folgerichtige wie offene und leider wenig originelle Ende. Positiv ist auch, dass Kurt Tichy eine sehr originelle Art der Zeitreise präsentiert.

 Matthias Ramtkes „In der Grube“ reiht sich in diese lose Folge von bekannten Themen ungewöhnlich präsentiert ein. Ein Gefängnisplanet, ein letzter überlebender Gefangener weitab von der Zivilisation und eine unheimliche Grube. Der Autor baut den Spannungsbogen konsequent auf, wobei der Leser nicht weiß, ob diese Phänomene wirklich da sind oder der Protagonist schon die Grenze zum Wahnsinn überschritten hat. Eine abschließend zufrieden stellende Erklärung gibt es nicht, aber vor allem der Hintergrund ist solide aufgebaut, bevor der Plot in den Bereich der Weird Fiction abdriftet.

Auch Herbert W. Franke mit einem Querverweis auf die im gleichen Verlag erscheinende empfehlenswerte Werksausgabe des Altmeisters der deutschen Science Fiction „Das Spiel der letzten Tage“ könnte eine gelungene Mischung aus Weird Fiction und Science Fiction sein. Rückblickend ist es eine der besten Hommage an Edgar Allan Poes „The Masque of the Red Death“. Das wird dem Leser aber erst am Ende dieses grotesken Totentanzes klar. In seinem sachlichen, aber stets pointierten Stil entfremdet der Autor den Protagonisten stellvertretend für den Leser von einer erdrückenden Wirklichkeit, um ihn drastischer mit der unvermeidlichen Realität zu konfrontieren. Diese Geschichten zeigen weiterhin eindrucksvoll, dass Franke zusammen mit Wolfgang Jeschke vor allem in den sechziger bis achtziger Jahren die deutsche Kurzgeschichte auf eine intellektuell stimulierende und trotzdem leicht leicht belehrende, aber stets unterhaltende Art und Weise geprägt hat.     

 Einige der Geschichten wirken auch eher wie Weird Fiction denn klassische Horrorgeschichten. Stilistisch fast erdrückend und in dieser Hinsicht ohne Frage eine der imposantesten Storys dieser Anthologie ist einer von zahlreichen Nachdrucken ein literarisch provozierender Höhepunkt. Hubert Katzmarz „Nachtwanderung“ lebt von den sprachlichen Bildern ausgehend von der Führung durch die Nacht in Begleitung einer ambivalent beschriebenen und doch immer fremd bleibenden Gestalt. Der Autor legt mehr Wert auf Stimmungen als einen durchgehenden Plot und betont mit dieser Vorgehensweise das Alptraumhafte, auch wenn ein wenig mehr Stringenz der ganzen Geschichten gut getan hätte.

„Die Kinder“ aus der Feder Uwe W. Appelbes ist in dieser Hinsicht zugänglich. Ein Dieb fährt zu einem Treffpunkt, wo ein Partner seiner Spuren beseitigen wird. Das Ziel ist eine gemeinsame Flucht. Auf der Fahrt nimmt er einen Jungen in altmodischen Kleidern auf und will ihn nach Hause fahren. Natürlich beginnt in diesem Moment der Alptraum. Auch wenn der Plot vorhersehbar ist und sich im Grunde weniger die Frage nach dem Ursprung des irgendwie aus der Zeit gefallenen Hofes stellt, sondern ob der Protagonist diese Begegnung überlebt, erschafft Uwe W. Appelbe eine subversive, paranoide Atmosphäre und fängt seine Leser vor allem in der zweiten Hälfte der Geschichte zufrieden stellend ein.

 Friedhelm Wilhelm Korffs „Der stille Katarakt“ ist ein Nachdruck aus dem Jahr 1983. Es ist eine dieser seltenen wie seltsamen Geschichten, in denen aus einem Naturphänomen in einem abgeschiedenen Teil der Erde – Bolivien – eine fast surrealistische Faszination wird. Eine Art Begegnung mit dem Leben/ Tod. Der Leser kann die Grenze zwischen Phantastik und Realität nicht unterscheiden und folgt den fast puppenartigen Bewegungen der Menschen, die sich teilweise absichtlich auf eine lebensgefährliche Reise in einem herausfordernden Ambiente begeben. Hier steht der Hintergrund, die Atmosphäre über einem in diesem Fall positiv nicht vorhandenen Plot und ohne Urteile zu fällen konfrontiert die Geschichte den Leser mit einer seltenen wie seltsamen Ort auf diesem manchmal immer noch verwunschenen Planeten.  

 Zu den experimentellen Texten gehört „Gaudis Klinke“ von Alban Nikolai Herbst. Ohne Frage sprachgewaltig mit einem Hang zum Experimentieren allerdings im plottechnisch wenig inhaltlichen Raum versucht der Autor immer an der Grenze zum Surrealismus die markanten Züge des Architekten Antoni Gaudi in Worte zu fassen. So abstrakt einzelne Szenen sind, der Verzicht auf klassische Erzählkonventionen wie alleine eine Spannungskurve machen die Geschichte eher schwerfällig und stimmungstechnisch eher für Fans Herbsts lesbar. Ohne Frage ist sie Geschmackssache und wird ausreichend Anhänger finden, aber teilweise überspannt Alban Nikolai Herbst den Bogen, ohne selbst auf den Punkt zu kommen. Auch Georg Kleins „Allwurzler“ mit seinen bizarren Symbiosen und seiner zeitlosen Handlung ist einer der provozierend herausfordernden Texte. Wie bei Alban Nikolai Herbst ist es für den Leser wichtig, sich auf das Spiel einzulassen, ansonsten verliert er schnell den roten Faden und akzeptiert die anfänglich realistische, immer fremdartiger werdende Ausgangsprämisse nicht mehr ausreichend, um den Irrungen/ Wirrungen der allerdings ein wenig oberflächlich bis pragmatisch charakterisierten Protagonisten noch folgen zu können. 

 Zwei Miniautoren schließen die Anthologie ab. Ambrose Bierce gewinnt mit „In einer Sommernacht“ der Idee des Lebendig-Begraben-werdens eine zynische Komponente ab. Das Ende ist fatalistisch und pragmatisch zugleich. Es ist einer dieser Geschichten, die eine unangenehme,  alptraumhafte Situation fast zynisch auflösen. Einer der wunderbaren fast vergessenen Höhepunkt der wenig subtilen, aber intensiven Phantastik und ein weiterer Beweis, dass Bierce wieder entdeckt werden muss.

 

Stefan Lammers zeigt in „Acht Grad“ auf, dass zu viele intelligente Haushaltsgeräte einen Point-of-no- Return überschreiten können und es nicht immer für den jeweiligen Besitzer gut ist, ihnen zu sehr zu vertrauen. Solide geschrieben strebt der Plot stark auf die Pointe zu, ohne einen abschließend nachhaltigen Eindruck zu machen. Allerdings hat es Stefan Lammers vor allem im Gefolge von Bierce meisterlicher Miniatur auch schwer, trotz eines gänzlich anderen Themas aus dessen zu weitem Schatten zu treten.

 

„Gegen Unendlich“ gewinnt auch mit dieser 14. Ausgabe mehr und mehr an Format. Die Mischung unterschiedlicher Themen von der Weird Fiction über Horror bis zu reinen Science Fiction stimmt. Dazu eine abwechselungsreiche Abfolge von Originalen und Nachdrucken. Der Leser wird kurzweilig und gut unterhalten. Positiv unterscheidet „Gegen Unendlich“ von einer reiner von Storymagazinen, dass vor allem die Unterhaltung im Mittelpunkt der Geschichten steht und auf schwerfällige belehrende Texte weites gehend verzichtet wird.           

Michael J. Awe, Andreas Fieberg & Joachim Pack (Hrsg.)
GEGEN UNENDLICH 14
Phantastische Geschichten
AndroSF 97
p.machinery, Murnau, November 2018, 178 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 150 1 – EUR 10,90 (DE)