Forever Magazine 49

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke erläutert in seinem Vorwort seine weiteren Projekte. Viel interessanter ist, das der Herausgeber nach der Dezember 2018 Ausgaben ein weiteres Mal bei den Nachdrucken auf eine Novelle und zwei Kurzgeschichten zurückgreift. Die Novelle ist bislang alleinstehend in einem Kleinverlag publiziert worden und verdient es, noch einmal einem breiteren Publikum vorgestellt zu werden. Ein Direktkauf des Ebooks ist übrigens teurer als die ganze „Forever“ Ausgabe mit zwei weiteren Kurzgeschichten.

Nancy Kress hat die Novelle „Act One“ 2010 im Verlag „Phoenix Pic“ publiziert.  Wie eine Reihe ihrer anderen Arbeiten ist sie für den NEBULA Award nominiert worden. Die Novelle stellt zusammen mit ihren kompakten Romanen, aber weniger Trilogien die ideale Erzählform der Amerikanerin dar. Nicht selten sind ihre Novellen kraftvolle Arbeiten, die sich auf ein Thema konzentrieren und mit überzeugenden Charakteren, teilweise altersweise, zeitlose Geschichten erzählen, bei denen die Science Fiction Elemente ohne Frage wichtig, aber nicht allein bestimmend sind.  

Immer wieder hat sich Nancy Kress auch in der vorliegenden Novelle mit dem Thema Menschlichkeit und Mensch sein in einer „perfekten“ genetic engineering Zukunft auseinandergesetzt. Auch wenn sie in einigen ihrer Arbeiten die Welt aus einer idealisierten postmenschlichen Perspektive betrachtet hat und ihre Protagonisten einsehen mussten, dass sie sich genetisch verändern lassen können wie sie wollen, tief in ihrem Inneren schlägt weiterhin ein menschliches Herz, verschiebt sie in dieser Geschichte geschickt die Perspektive. In der Tradition von Billy Wilders „Sunset Boulevard“, aber ohne einen toten Erzähler zu Beginn, handelt es sich um eine fast tragische Geschichte um Schein oder Sein in Hollywood. Der Erzähler ist ein Zwerg. Gleichzeitig der Agent, Freund und Fürsprecher einer älteren Schauspielerin, einer Diva, für welche die Rolle über „Arlen´s Children“ – ein genetisch manipuliertes Zwillingspärchen, von denen die eine angeblich empathischer gemacht worden ist – die letzte Chance im Filmgeschäft ist.

Die Schauspielerin besucht nicht nur die Zwillinge, sondern auch eine progressive die gegenwärtigen Gesetze ignorierende Gruppe von im Grunde Extremisten, welche die genetische Manipulation im jeden Preis vorantreiben wollen.

Während der zugrundeliegende Plot mit einigen Exzessen in Richtung „The Twelve Monkeys“ allerdings ohne Zeitreise ohne Frage spannend und sehr konsequent entwickelt worden ist, lebt die Geschichte von der zwischenmenschlichen Interaktion. Barry ist nicht das Ergebnis einer genetischen Manipulation, sondern einer Disfunktion.  Viel erfährt der Leser in Rückblenden. So verliebt er sich in Leila, ebenfalls eine Zwergin. Ihr gemeinsames Kind könnte aber „normal“ groß werden, was Barry Angst macht. Die genetische Manipulation geht abschließend schrecklich schief und Barry verliert Frau sowie Sohn. Von Schuldgefühlen geplagt – ob diese berechtigt sind, stellt Nancy Kress im zweiten Teil der Geschichte in Zweifel – muss Barry mit seiner Vergangenheit leben und steht den „positiven“ Ergebnissen dieser neuen Menschen sehr skeptisch gegenüber.

Auf der anderen Seite ist er eine Art Ziehvater für die ältere Schauspielerin, die in ihrer Vergangenheit gefangen ist. Auch die umfangreichen Recherchen, das unbewusste Positionieren im Schmelztiegel zwischen den sozialen Problemen versucht er zu relativieren. Er weiß, dass er dabei im Grunde nicht scheitern kann.  

Unbewusst liebt er auch die Schauspielerin, die sich bislang mit glamourösen, aber auch oberflächlichen Männern umgeben hat. Seine Minderwertigkeitskomplexe werden dadurch nur noch verstärkt.

Jane als klassische eitle selbstverliebte Hollywood Diva bleibt lange ein Mysterium. Ihre Handlungen scheinen erstaunlich bodenständig zu sein, ihre Ansichten dagegen eher krude und vor allem von der Oberflächlichkeit gekennzeichnet, die Hollywood ihr mit dem fast zu einer unfreiwilligen Parodie veränderten Drehbuch zeigt. 

Auch der Titel wirkt fast ironisch. „Act One“ ist der Auftakt, der Prolog, in dem das Szenario zusammen mit den Charakteren vorgestellt wird. In Nancy Kress umfangreichen Werk vor allem zu diesem Thema ist es eine gute, provozierende, Antworten auf  nicht gestellte Fragen provozierende Charakterstudie, die aufzeigt, wie tiefgründig und intellektuell stimulierend das Werk der Autorin ist. Manches erinnert an die besten Roman Robert Silverbergs, welche dieser nach seinem jahrelangen Exil in den siebziger Jahren plötzlich zu schreiben begann.

Zutiefst humanistisch zeigt Nancy Kress auf, dass der Pfad in Zukunft trotz aller Dornen begangen werden muss. Es bleibt nur die Frage, ob als Mensch oder von den eigenen Ängsten oder Vorurteilen getriebener.

Nach Robert Anton Wilsons Weihnachtsnovelle die zweite herausragende längere Arbeit, welche „Forever“ nachdruckt und alleine den Kaufpreis wert.

Von den Kurzgeschichten ist „You Make Pattaya“ von Rich Larson aus dem Magazin „Interzone“ die bessere Wahl. Es lohnt sich den Text mehrmals zu lesen, da wie bei einem guten Krimi die einzelnen Versatzstücke erst rückblickend einen dann aber differenzierteren Sinn ergeben.

Der Erzähler ist ein Trickbetrüger, der vor allem auch von Erpressung prominenter Sextouristen in einem Nahe an der Gegenwart und doch verfremdeten Thailand lebt. Natürlich geht es um den letzten Coup, der ihn reich machen soll.  Die erste Hälfte der Geschichte zeigt die Idee, einen Prominenten mit einer Prostituierten, gleichzeitig die Geliebte des Erzählers hereinzulegen. Im zweiten Teil der Story wird aufgezeigt, wie er an seiner eigenen Gier im Grunde scheitert. Beide Hauptprotagonisten sind dreidimensional, aber nicht unbedingt sympathisch gezeichnet, wobei ihre Opfer es wirklich verdienen. Die Spannungskurve mit einigen Wendungen ist überzeugend, wobei Rich Larson darauf verzichtet, auf Zufälle zu bauen. Der perfekte Plan wird durch die Protagonisten gebeugt und wirkt deswegen deutlicher nach.   

Aus der Anthologie „Cosmic Powers“ stammt Tobias S. Buckells „Zen and the Art of Starhsip Maintenance“.  Vielleicht muss der Leser ein wenig menschliche Logik bei einem Maschinenproblem akzeptieren, damit die unterhaltsame Geschichte funktionieren kann. Nach dem Sieg in einer eher ambivalent beschriebenen intergalaktischen Krieg entdeckt ein Roboter mit einer künstlichen Intelligenz integriert einen menschlichen Flüchtling, der ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann. Diese Akzeptanz gegen alle Logik basierend eher auf einer für eine Maschine ungewöhnlichen Entscheidung könnte kritisch gesprochen der Knackpunkt der Geschichte sein. Wird diese Prämisse akzeptiert, entwickelt sich eine ausgesprochen spannende und farbenprächtige Geschichte.

Buckell spielt mit den Genreversatzstücken. So versucht der Roboter gegen Isaac Asimovs Robotergesetze das Richtige zu tun. Die Menschen haben in dieser fremden Welt keinen eigenen Willen. Der menschliche Held wäre prädestiniert, in dieser Zukunft zumindest einen kleinen Teil des bewohnten Alls für die Menschen wieder sicher und lebenswert zu machen. Der Autor dreht die Prämisse auf den Kopf, in dem er zeigt, dass gerade diese freien Menschen die größte Bedrohung wären.

Tobias S. Buckell bewegt sich ausgesprochen zielsicher in den Grenzen des Genres und entwickelt absichtlich eine Story, in welcher er basierend auf durchaus nachvollziehbaren wissenschaftlichen Grundlagen und sich an den angesprochenen Flanken des Genres eine abenteuerliche, exotische, ausgesprochen kompakte, aber auch inhaltlich teilweise überraschende Geschichte erzählt.

Auch wenn es despektierlich erscheint, nach dem zu frühen Ton von Gardner Dozois hat Neil Clarke selbst die Auswahl der nachzudruckenden Geschichten übernommen und in den letzten Monaten eine beeindruckende Auswahl an seltenen Texten platziert. Wenn Neil Clarke sich vielleicht dann noch um die unterschätzten sechziger und siebziger Jahre als eine weitere Beimischung kümmern würde, könnte so bitter wie es klingt „Forever Magazine“ die große Schwester „Clarkesworld“ mehr als in den Schatten stellen. 

Forever Magazine Issue 49 ebook by Neil Clarke,Nancy Kress,Rich Larson,Tobias S. Buckell

E Book, 122 Seiten

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