Null- ABC

H. Beam Pieper

H. Beam Pieper gilt vor allem als Autor unterhaltsamer kurzweiliger Texte. Daher ragt in mehrfacher Hinsicht „Null- ABC“ – der Titel ist sowohl im englischen wie auch der deutschen Übersetzung gleich – aus seinem Werk positiv heraus. Anscheinend hat es Pieper in Zusammenarbeit mit John McGuire verfasst, worauf es in der deutschen Ausgabe keinen Hinweis gibt.

Die lange Novelle oder entsprechend der Kurzroman erschien im Februar und März 1953 im „Astounding Science Fiction Magazine“. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte beunruhigend aktuell.

Im Grunde geht es um einen Klassenkampf. Wie Pieper im Verlaufe des Buches erwähnt, haben gesellschaftliche Veränderungen zu einem anderen Leseverhalten geführt. Die Schulen haben aufgegeben, den Menschen klassisch das Lesen beizubringen. Mehr und mehr Bürger wurden visuell erzogen, bis in einer hintergrundtechnisch nicht unbedingt fernen Zukunft die meisten Menschen gar nicht mehr lesen können. Die Analphabeten sind die beherrschende Klasse geworden, wobei Pieper sich aber zu wenig um die Entwicklung eines entsprechend technokratischen Hintergrunds bemüht.

Da ein Teil der Geschichte in einem Kaufhaus spielt, wirkt der Streik der Literaten fast bizarr. Die Analphabeten müssen im Grunde die Preise der Waren direkt in die Maschine scannen und darauf hoffen, dass es richtig gelesen wird. Wie allerdings die meistens ebenfalls nicht lesekundigen Käufer den Preis vergleichen können, wird nicht weiter erläutert. Pieper hat zumindest die Idee von einfachen Bilderbüchern und vor allem einer Art Emojis vorausgesehen, mit dem eine rudimentäre Kommunikation abseits des gesprochenen Wortes möglich ist.

Während die Analphabeten mehr und mehr zu einer zumindest in der Theorie wirtschaftlich dominierenden Klasse geworden sind, haben die Literaten einen eigenen Machtzirkel gegründet. Sie müssen für viel Geld quasi gemietet werden. Sie geben ihr Wissen nur im kleinsten Kreis weiter und wirken vor allem auch in politischer Hinsicht wie die Schattenmacht des Staates.  Die Szenen in der Schule mit den geheimen Klassenzimmern und vor allem den verschwörerischen Gesten der gegen alle Gesetze verstoßenden Lehrern, sowie die willigen Schüler abseits der Massen gehören zu den besten Passagen des Buches und hätten deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient.    

Interessant ist, dass Pieper seinen Roman als eine Art Familiensaga aufgezogen hat. Pelton ist ein einflussreicher Politiker, der zur Wiederwahl steht. Weiterhin gehört ihm das angesprochene Kaufhaus. Vor allem ist er ein überzeugter Analphabet. Im Laufe des Buches stellt sich heraus, dass seine Kinder heimlich das Lesen gelernt haben.

Wie in „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury gibt es auch bei Pieper eine Art Untergrundnetzwerk, das vor allem heimlich in den Schulen den Kindern das Lese beibringt. Die Hoffnung ist, dass in fünfzig Jahren wieder mehr Alphabeten als Analphabeten den Planeten bevölkern und damit auf der einen Seite die Macht der Literatengemeinschaft gebrochen wird, aber auch anders herum die intellektuelle Selbstbestimmung der Menschen leichter möglich ist.  Pelton möchte eine totale Kontrolle über die Literaten, was auch diesem elitären Kreis recht ist, da sie anschließend hinter den Kulissen der staatlichen Macht schalten und walten können. Politiker wie Pelton wären dann ihre Marionetten.

Ein wenig absonderlich erscheint, dass Peltons Gegner ihn nicht nur bloß stellen, sondern ihn mittels Medikamenten manipulieren und vor allem seine Tochter sexuell angreifen wollen, damit er einen Herzinfarkt erleidet und für die Wahl ausfällt.

Die sexuelle Attacke besteht aus dem Hinterngrabschen. Daran sieht man, dass der Roman eher aus den fünfziger Jahren stammt. Vor allem ist die Attacke relevant, weil eben nicht eine Verkäuferin, sondern die Tochter des Chefs auf diese Art und Weise attackiert wird. Ob es ausreicht, dass der Vater/ Chef einen Herzinfarkt erleidet, steht auf einem anderen Blatt.

Anschließend folgt der Plot eher einem vorhersehbaren Schema. Es kommt stellvertretend für die ganze Gesellschaft zu Aufständen im Kaufhaus, wobei die Seiten nicht gänzlich klar sind. Politisch versucht ein Widersacher die ganze Geschichte für sich auszuschlachten und dem in allen Umfragen ohne für den Leser ersichtlichen Gründen führenden Pelton die Wiederwahl zu vermiesen.

Das Ende ist eher ein klassisches Hollywood Happyend. Ohne zu viel zu verraten werden nicht nur dem Vater, sondern Teilen der Gesellschaft die Augen geöffnet und die rein kapitalistischen Machenschaften der Literatengewerkschaften hinterfragt. Das könnte auf der einen Seite ein wenig zu banal erscheinen, auf der anderen Seite hatte Pieper aber auch nicht die Absicht, eine reine Dystopie von Bradbury oder George Orwells Dimensionen zu beschreiben. Dazu finden sich im ganzen Roman einige klassische Pieperszenen inklusiv des obligatorischen Waffenfetischismus, den einige seiner anderen abenteuerlicheren und vor allem mehr exotischen Space Operas so markant wie sich wiederholend auszeichnet. 

Daher wirkt seine soziale Kritik weniger bissig. Kornbluth hat in seinen wenigen Romanen einzelne Exzesse auf die spitze getrieben. Pieper dagegen ist eher an den Mechanismen interessiert und versucht allerdings nur in der Theorie eine Bewegung zu extrapolieren, die in dieser Form in einer futuristischen Gesellschaft nicht funktionieren kann. Alleine der in den fünfziger Jahren nur zu erahnende Fortschritt in allen Bereichen macht eine in dieser Form überspitzte soziale Pyramide schwerlich vorstellbar. So spielt auch Piepers Buch vor allem in einem Kaufhaus, das in welcher Form auch immer irgendwie zeitlos erscheint.

Auf der anderen positiven Seite markiert Pieper aber eine Art schleichenden Prozess, in dessen Verlauf bis in die Gegenwart eine immer breitere Masse aufgrund mangelnder Schulbildung – es sei dahin gestellt, ob mangels Möglichkeiten oder Interesse – im Grunde durch das Raster fällt und schließlich ungelernt von Sozialhilfe leben muss. Für einen Roman der fünfziger Jahre ist „Null Abc“ in dieser Hinsicht beängstigend modern.

Pieper bleibt allerdings oberflächlich, wobei Politik als eine Art Wettkampf inklusiv entsprechender Auseinandersetzungen, eine Verbannung von heimlich außerhalb der entsprechenden Kaste lesender Menschen und schließlich auch der Kampf im Tempel des Kommerz unterhaltsam beschrieben worden sind. Ein wenig mehr Tiefe bei den einzelnen Protagonisten und vor allem eine intensivere, mehr nuancierte Auseinandersetzung mit dem sozialen wie teilweise auch sozialistisch erscheinenden Hintergrund hätte aus „Null ABC“ einen früher Klassiker des Genres gemacht, der Bradburys mehrfach verfilmten „Fahrenheit 451“ in wenig nachgestanden hätte.    

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Taschenbuch, 140 Seiten

Ullstein Verlag

ISBN 3-548-02888-8