The Sunlesss Countries

Karl Schroeder

Der vierte, nicht in Deutschland veröffentlichte Roman „The sunless Countries“ schließt nicht an die bisherigen, in erster Linie auf adligem Niveau spielenden Abenteuer an. Viel mehr gelingt es Karl Schroeder mit dem vorliegenden Roman dank der Lehrerin Leal aus Sere, den historischen inzwischen in den Bereich der Legende verschobenen historischen Hintergrund aufzuhellen. Aber nicht nur in diesem Punkt ist „The sunless Countries“  ein für die fünfteilige Serie ungewöhnlicher Roman. Es ist das erste Abenteuer, das nicht abgeschlossen ist. Zwar bietet Karl Schroeder einige Antworten an, aber der Haupthandlungsstrang wird unter der Integration alle vier Hauptprotagonisten der bisherigen vier Teile erst in „Ashes of Candence“ abgeschlossen.

"The sunless Countries" ist noch mehr als die ersten drei Teile ein politisch religiöses Buch und das macht den Roman fast noch lesenswerter als bei seinem Erscheinen. Wie es sich für ein politisches Statement gehört, muss der Plot auf zwei Ebenen funktionieren. 

Leals Stadt liegt in der Region, die aufgrund ihrer ewigen Dunkelheit auch Abgrund genannt wird. Die Bewohner haben noch niemals die künstlichen Sonen gesehen und leben im Schein der nicht unbedingt vom Gas beleuchteten, aber archaischen Lampen. Zwischen den einzelnen Häusern navigiert man mit Seilen, die Kommunikation wird von jugendlichen Boten aufrechterhalten und weitergehende Reisen erfolgen selbst mit den vorhandenen Gleitern lange Zeit durch einen ewig erscheinenden Nebel. Serge gehört zu den ärmeren Welten, dessen Kultur nicht zufällig an das viktorianische Großbritannien erinnert.  Die junge attraktive Leal hat gerade die Besitzstände ihrer Mutter auf einer anderen Welt verkauft. Auf Serge arbeitet sie hart als Geschichtslehrerin an der Universität, wobei sie trotz ihres Fleißes von den einflussreichen Kräften in der Führungsetage zu Gunsten politischer Opportunisten übergangen wird. Auf Serge macht sich eine politisch religiöse Gruppe breit, welche die Vergangenheit ablehnt. Laut ihrer Doktrin ist Virga nicht von Menschen mit Hilfe außerirdischer Kräfte entstanden, sondern besteht seit Ewigkeiten als Ausdruck einer göttlichen Schöpfung. Ihr politischer Einfluss wird immer stärker und sie versuchen mit einem Volksentscheid die "Vernichtung" der eigenen Vergangenheit zu erzwingen. Alles, was man nicht unmittelbar mit den eigenen Augen sehen und damit einordnen kann, soll keine Bedeutung mehr haben. Im Umkehrschluss sollen auch alle Spuren vernichtet werden, welche der Doktrin widersprechen. Das bedeutet die Schließung der Universitäten und die Vernichtung der alten Bücher, die Leals Freund und Mentor vor Jahren durch einen Zufall entdeckt hat und die Einblick in Virgas Entstehung geben.

Im Original werden die Fanatiker "Eternists" genannt. Vielleicht greift Karl Schroeder mit dieser fundamentalistischen Sekte ein wenig zu weit, aber das Scheuklappendenken wird eindrucksvoll beschrieben. Vor allem geht der Autor den obligatorischen Schritt weiter und zeigt sie nicht nur als dummdreiste Fanatiker, welche anders denkende zu unterdrücken suchen, sondern als perfide Planer, die das Mittel der Volksabstimmung so nutzen, dass ihre Vorstellungen auch umgesetzt werden. Die Politiker sind Handlanger, die vieles machen, um an der Macht zu bleiben. Das es automatisch zum Konflikt zwischen den Trägern des Wissens und den Mächtigen kommt, erscheint fast wie ein Klischee. Genauso schwierig könnte es sein, den typischen verzweifelten Einzelkämpfer und Wissensträger als dreidimensionale Figur zu etablieren. Karl Schroeder gelingt es aber, in den wichtigen, vielleicht manchmal ein wenig zu pathetisch belehrend geschriebenen Szenen diese Balance zu halten. Leal ist eine zu eigenständig, vielleicht sogar manchmal zu eigensinnig denkende Person, als das sie der Volksverdummung nicht in doppelter Hinsicht kritisch gegenübersteht. Zum einen lehrt sie Geschichte, zum anderen geht es bei der Schließung der Universität um ihren Job. Es ist schade, dass im Verlaufe des Buches diese politische Aktualität einer gänzlich anderen, nicht weniger tragischen Problematik weicht, aber zu Beginn erscheint "The sunless Country" aufgrund dieser Mischung eines phantastischen Hintergrunds und der politisch religiösen Aktualität sehr gut strukturiert. 

 Aus einem der früheren "Virga" Bücher übernimmt Karl Schroeder mit dem tragischen Helden Hayden eine Figur, die Triumph - er hat nach der Zerstörung einer Sonne es geschafft, aus gestohlenen Bestandteilen eine neue Sonne zu erschaffen und damit das Licht wieder in eine der dunklen Regionen zurückgebracht - und Tragödie - seine Geliebte ist ums Leben gekommen und Hayden hat die Außenschale von Virga beschädigt und damit Fremden Zutritt verschafft - auf sich vereinigt. Hayden wird auf die intelligente Leal aufmerksam und beginnt ihr, neue Horizonte außerhalb ihrer dunklen Welt zu zeigen. Die erste Begegnung mit einer künstlichen Sonne gehört zu den ergreifenden, emotionalen aber nicht kitschigen Passagen des Buches, in der Theorie - sie kennt Sonnen aus ihren Geschichtsbüchern - und Praxis - sie flieht schließlich glücklich in ein fensterloses Bad, in das das Sonnenlicht ebenfalls zu fallen scheint - sich nahtlos vereinigen. Mit dem Fokus auf den beiden Individuen ohne eine unnatürlich erscheinende Liebesgeschichte, umgeben von durchaus dreidimensionalen, aber stellenweise funktionalen Nebenfiguren, bemüht sich der Autor, die weltumspannende politische Katastrophe in den Reaktionen des Einzelnen zu beschreiben. Eine Taktik, die er nicht durchhalten kann, da neben den politischen Umwälzungen eine zweite "Gefahr" erschaffen werden muss, um das Tempo des Romans hochzuhalten. Hayden wird von den Folgen seiner Tat konfrontiert und muss erkennen, dass er nicht nur das Fremde in den Hohlkörper gelassen hat, sondern das das Fremde als "gottgleich" und "unzerstörbar" anerkannt werden könnte.  Vielleicht nutzt der Autor Leal auch aufgrund ihres historischen Hintergrundes ein wenig zu oft und die ausschließlich im Hintergrund über Haydens Auftreten hinaus ablaufenden Querverbindungen erscheinen stellenweise ein wenig zu konstruiert, aber mit dieser Vorgehensweise kann Karl Schroeder eine unterhaltsame interessante Handlung sehr gut mit Informationen anreichern und dabei nicht den bizarren Humor vergessen (Leals Lehrmeister verstirbt und lässt seinen Sarg mit wichtigen Informationen quasi an ihre Wohnanschrift liefern, was insbesondere im Mittelteil zu einem Running Gag wird). Wie schon angesprochen ist der  Plot allerdings als Übergang zum abschließenden Roman der Serie konzipiert. Das Einordnen der geschichtlichen Informationen, die über Leals teilweise sehr packende Nacherzählung alter Legenden hinaus ausschließlich subjektiv von Haydens Kameraden und dem einzigen, verwirrten Überlebenden einer Expedition ins Nichts wiedergegeben werden, macht im Verlaufe der Handlung Spaß und sorgt für innere Spannung. Karl Schroeders Welt ist so bizarr und wird mit Serge um eine Variationen bereichert, dass im Grunde jede dieser Legenden inklusiv der göttlichen/ außerirdischen Erschaffung möglich sein könnte. Da an keiner Stelle des Romans belastbare Beweise für die eine oder andere Theorie angeboten werden, bleibt nur übrig, mögliche Tatsachen über die teilweise allerdings klischeehaften Handlungen insbesondere der religiösen Fundamentalistischen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen zu lassen. Das ist der Tanz auf der Rasierklinge und stellenweise bemüht sich Karl Schroeder weniger, die einzelnen Positionen herauszuarbeiten, sondern eher die Schwächen in ihren Doktrinen als Teil eines sozialen Prozesses zu entlarven. Auf der anderen Seite soll und muss der Leser vordergründig akzeptieren, dass in einer derartig fremdartigen Welt unsere politischen Vorstellungen nahtlos übernommen werden können.

In diesen Punkten bleibt Karl Schroeder genauso ambivalent wie in seinen zu episodenartig erzählten Begegnungen während der letztendlich gescheiterten Mission Haydens. Immer wieder baut den alten Seemannsgeschichten folgend Karl Schroeder Spannung auf, um sie dann plötzlich aufzulösen und den ruhigen übergeordneten Handlungsfaden mit Leals plötzlich aufregend gewordenen Leben fortzusetzen. Diese Episoden erscheinen teilweise zu konzentriert, zu kompakt und lassen das Buch nach einem sehr ruhigen, fast phlegmatisch persönlichen Auftakt unruhig erscheinen. 

Die Intention des Autoren hinsichtlich seiner politischen wie religiösen Kritik sind klar zu erkennen, wirken teilweise ein wenig zu aufdringlich, zumal im letzten Drittel des Buches diese Ideen nicht unbedingt relativiert, aber zumindest besser in den Gesamtkontext der Serie eingepasst werden. Auf der anderen Seite gehört zu Karl Schroeders Stärken, dass er überzeugende weibliche Charaktere zeichnen kann und Leal reiht sich nahtlos in diese Reihe ein. „The sunless Country“ wirkt angesichts des hohen Tempos der ersten drei Romane wie ein Buch zum Luftholen, in dem Legenden und Hintergrundinformationen zu der fremdartigen Steampunkwelt nachgeholt werden und der finale Band vorbereitet wird. Trotzdem ist „The sunless Country“ kein langweiliges oder langatmiges Buch, sondern ein Roman, dessen Schwerpunkte auch aus aktuellem Anlass ein wenig anders gesetzt worden sind.   

  • Taschenbuch: 335 Seiten
  • Verlag: Tor Books; Auflage: Reprint (15. Mai 2012)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 076532847X
  • ISBN-13: 978-0765328472