Aura

Bernhard Kempen

„Aura“ ist der dritte und wahrscheinlich erst einmal letzte Roman nicht unbedingt aus dem „Xenosys“ Universum, sondern in der bislang präsentierten Personenkonstellation.  Bernhard Kempen fasst einen Teil der Ereignisse aus „Darling“ gleich zu Beginn noch einmal zusammen. Der erste Teil der Trilogie/ Serie „Arkadia“ kümmerte sich um den Hintergrund dieses Universums.

Der Sensationsreporter Adrian Ginjeet konnte zweimal auf dem Nudistenplaneten hilfreich auch mit der tatkräftigen Unterstützung Greedys eingreifen. Nebenbei hat er durch die Artikel gut verdient. Jetzt soll es nach Hause gehen. Ginjeet befindet sich schon an Bord des Zubringers, als über den Planeten eine Quarantäne verhängt wird. Anscheinend wird das Immunsystem der Bewohner angegriffen, was sich unter anderem in der Absonderung von grünen Schleim zeigt. Ginjeet verlässt das Raumschiff wieder und begibt sich buchstäblich nicht nur in die Obhut Greedys, sondern auch einer ebenfalls hinsichtlich der Abnahme von Proben sehr versierten Ärztin.

Wie die ersten beiden Romane dieser Serie legt Bernhard Kempen zuerst Wert auf einen funktionieren Plot. Nur erotische Anspielungen alleine funktionieren nicht. Piers Anthony hat es in einem in der Edition Phantasie veröffentlichten Horror Roman versucht und provokante Versatzstücke der beiden Genres Grusel und Erotik präsentiert. Samuel R. Delany schockierte die Öffentlichkeit in seinem Epos „Dhalgreen“ sogar mit ausführlichen homosexuellen Handlungen seiner Protagonisten, aber deswegen war der Roman keine erotische Literatur. Am ehesten folgt Bernhard Kempen noch Philip Jose Farmer, der mit seiner auf einer Novelle aufbauenden Geschichte „Die Liebenden“ von Beginn an Sexualität in den Mittelpunkt einer Reihe von Werken gestellt hat. Farmer hat sich in einigen seiner späteren Arbeiten wie „Image of the Beast“ allerdings auch in der Erotik verloren und die roten Fäden aus den Augen verloren.  Farmer ist auch einer der Science Fiction Autoren, der Erotik mit exotischen Hintergründen verbunden hat. Auch in dieser Hinsicht folgt Kempen ein wenig Farmers Spuren, denn Mensch und Natur sollten eine Einheit bilden. Schon in den ersten beiden Büchern hat der Autor angedeutet, dass die Arkadier sehr viel Wert auf eine möglichst ökologische Lebensweise legen und die Natur respektieren. Ob die Natur die Menschen auch respektiert, ist eines der Schlüsselthemen dieses Buches.

„Darling“ litt ein wenig unter der unbestimmten Handlungsführung. In dieser Hinsicht überzeugte „Arkadia“ mehr, zumal es Bernhard Kempen natürlich auch half, nicht nur den Hintergrund mit dem paradiesisch exotischen Nudistenparadies, sondern vor allem auch die dreidimensionalen, ein wenig vielleicht erotisch überzeichneten Protagonisten einzuführen. Auf einer handlungstechnisch anderen Ebene reicht „Aura“ literarisch auch wieder an den Erstling heran.

Der Ausbruch der Seuche ist nur ein Aspekt des Buches. Anscheinend beginnt sich der Planet sechzig Jahre nach seiner Besiedelung durch die Menschen nicht nur gegen die Nudisten, sondern vor allem auch gegen deren Bauten zu wehren. Es ist nicht eine Attacke, sondern eine ganze Reihe von potentiellen Angriffen, welche den Nudisten schwer zu schaffen machen. Eine Evakuierung des Planeten kommt nicht in Frage, denn das Universum ist nicht bereit für mehr als sechzigtausend nudistische Freigeister.

Die exotische Natur des Planeten und die besondere, ganz “Löcher” füllende Kommunikation mit der fremden Wesenheit dominiert den mittleren Abschnitt des Romans. Immer ein wenig Augenzwinkernd spielt der Autor auch mit den Klischees des Genres. Vieles basiert auf Missverständnissen und die Vertreibung der Menschen oder besser der Nudisten aus ihrem Paradies ist nicht unbedingt das Ziel der fremden Intelligenz. Wie angedeutet erfordert die Kommunikation nicht ganz besonderen körperlichen Einsatz, Adrian Ginjeet wird zumindest kurzzeitig auch zu einem echten Grünen. 

Bernhard Kempen opfert anscheinend auch ganz bewusst eine normale Spannungskurve für eine Reihe orgiastischer Szenen, wobei der Autor vor allem in den ersten beiden Büchern immer wieder mit der Verklemmtheit des Reporters gespielt hat. Unter der Dusche und vielleicht auch nach den Erfahrungen mit der grünen Natur lässt Ginjeet alle Hemmungen fallen und wird indirekt auch fortgespült. 

Auffällig ist, dass die Szenen voller sexueller Eindeutigkeiten sind, aber ihnen teilweise die erotische Spannung fehlt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Ginjeet stellvertretend für den Leser zu einem Voyeur; das Thema Dominanz genauso diskutiert wird wie eine echte freie Partnerschaft; die Vereinigung mit der Natur zu einem besonders intensiven Erlebnis oder schließlich ein Vierer unter der Dusche stattfindet. In erster Linie handelt es sich eher um die Beschreibung von Sexszenen, aber Emotionen kommen selten auf. In der ganzen bisherigen Trilogie gibt es nur ein oder zwei Szenen zwischen Greedy und Ginjeet, in denen tatsächliche eine emotionale Ebene aufgebaut wird, die schließlich in einer Vereinigung gipfelt. Die gleiche Schwäche weisen die nach “Die Liebenden” entstandenen Romane Philip Jose Farmers auf. 

Die beseelte intelligente Natur ist ein altbekanntes Thema in der Science Fiction. Alan Dean Foster hat es zwar in seinem immer noch lesenswerten Roman “Die denkenden Wälder” für sie siebziger bzw. achtziger Jahre auf eine interessante Spitze getrieben, aber bei Alan Dean Foster blieben die fremden Planeten auch wirklich fremd und die Protagonisten mussten deutlich weitere Wege gehen, um eine Kommunikation zu erreichen. Bei Bernhard Kempen fallen immer noch kurzweilig zu lesen, aber stellenweise zu pragmatisch die einzelnen Versatzstücke zusammen. 

Zwar liegt manchmal in der Kürze auch eine entsprechende Würze, aber der Autor hat bei einem nur einhundertsechzig Seiten umfassenden Plot sogar den Raum, noch einen weiteren Spannungsbogen aus “Darling” abzuschließen. Greedys Raumschiff ist kaputt, Ersatzteile sind teuer. Wie gut, dass ein im Sterben liegender Milliardär und exzentrischer Sammler für einen letzten Wunsch- der Leser ahnt schon, in welche Richtung es gehen wird - die entsprechenden Ersatzteile quasi Huckepack gleich mitbringt. 

Durch diesen schnellen Plotwechsel wirkt “Aura” noch weniger ausbalanciert als es im Mittelteil den Anschein hat. Der Anfang des Romans mit dem ungewöhnlichen Szenario der sich wehrenden Natur ist gut entwickelt; die Protagonisten stehen vor einer ultimativen Herausforderung. Die körperlich intensive Kontaktaufnahme inklusiv der ungewöhnlichen, aber auf einer intelligenten Ebene erfolgenden Kommunikation bildet den Mittelpunkt des Romans, bevor Bernhard Kempen irgendwie die Konzentration verliert und das Szenario relativ schnell, an der Grenze zur Abruptheit abzuschließen sucht. 

Der Epilog weist auf weitere Romane inklusiv eines entsprechenden Szenenwechsels hin. Die Idee wirkt allerdings nicht wie eine Hommage an die Romanzen aus dem Golden Age der Science Fiction, sondern fast wie eine entsprechende Kopie. Die Prämisse eines weiblichen Fisches außerhalb des eigenen Teichs verspricht weitere Provokationen und Mißverständnisse, welche die Serie beleben könnten. 

“Aura” ist im Gegensatz zum etwas schematischen Darling”, aber hinter dem weiterhin gelungenen Auftakt “Arkadia” mit einem noch deutlich zynischer und schockierter gezeichneten Ginjeet keine schlechte Geschichte. Die Grundidee ist wie angesprochen gut, die Dialoge sind deutlich erotischer angelegt und voller Doppeldeutigkeiten als die eigentlichen Sexszenen. Nur das letzten Drittel des Buches wirkt überhastet geschrieben und kann nicht an den überzeugenden Auftakt heranreichen.               

 

Bernhard Kempen
AURA
Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum
AndroSF 150
p.machinery, Winnert, März 2022, 164 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 276 8 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 823 4 – EUR 7,99 (DE)