Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde Band 3

Robert Kraft

Im dritten Band der Vierteiligen Neuausgabe mit den Lieferungen 59- 83 sind die An- und Protagonisten inzwischen nicht nur in Indien und Nepal angekommen, der Reise wird weiter
nach Osten gehen. Der Titel „Verfolgung rund um die Erde ist“ ist angesichts des eingeschlagenen Tempos vielleicht ein wenig zu euphemistisch, aber nach dem Start in den USA und deren Westküste ging es im zweiten Sammelband – das ist sicherlich eher der Aufteilung der insgesamt 103 Lieferungen auf vier Bände geschuldet als Absicht des
Herausgebers – ins Nördliche Afrika.


Zu Robert Krafts ersten Büchern gehörten ja die Erlebnisse eines Deutschen in Indien. Das Buch erschien ursprünglich als „Das Mädchen aus der Fremde“ 1896, später 1905 unter dem Titel „Um die indische Kaiserkrone“. Gleich zu Beginn erinnert das von Domingo Lazare
gestohlene Panzermobil an die 1908 in der dreibändigen Auswahlausgabe „Die Augen der Sphinx“ zusammengefasste Erzählungen, von denen eine „Im Panzerautomobil um die Erde“ hieß.


Das Panzermobil bestimmt den Beginn der Geschichte. Es ist durch Stahlplatten geschützt, es gibt wie bei militärischen Einheiten Sichtlucken und Lazare walzt sich buchstäblich seinen Weg durch das unwegsame Gelände, wobei er mit der Technik nicht gänzlich vertraut ist.


In den siebziger und achtziger Lieferungen gibt es zu einer spektakulären Rettungsaktion. Das ein wenig an Jules Vernes Ideen erinnernde Luftschiff ist ja in einer der vorangegangenen Lieferungen über unwegsamen Gelände abgestürzt. Mittels eines nicht steuerbaren Luftballons allerdings aus einer besonderen unzerstörbaren Hülle wollen die Helden den Gestrandeten zur Rettung eilen. Dabei setzen sie mit Brossit eine neue
Energiequelle ein, welche in der Tradition Jules Vernes und einige Ideen Hans Dominiks vorweg nehmend im Grunde aus den einfachsten „Stoffen“ aktiviert werden kann. Eine Verbreitung dieser noch im Teststadion befindlichen sauberen und unerschöpflichen Energiequelle würde den Status Quo der Kohle und Erdölindustrie auf den Kopf stellen.
Allerdings wird Wasser benötigt, was in einem ungelenkten Heißluftballon nicht unerschöpflich ist.


Mit solchen nicht vorhersehbaren Wendungen der inzwischen kaum noch überschaubaren Handlung hat Robert Kraft seine Leser sicherlich immer wieder fasziniert. So stand in den vorangegangenen Lieferungen die eher klassische Alchemie mit der Goldherstellung und dem Stein der Weisen im Mittelpunkt. Natürlich wurde dieser Stein mit den entsprechenden
Formeln nur „besonderen Persönlichkeiten“ anvertraut, was literarisch zur
Spannungssteigerung natürlich schief gehen muss.


Eine weitere Science Fiction Idee ist die Langlebigkeit. Im zweiten Sammlungsband hat Robert Kraft die Idee der auf dem buddhistischen Glauben basierenden gesteuerten, aber auch spontanen Seelenwanderung herausgestellt. Dieses Mal setzt er sich mit dem Thema
der Langlebigkeit auseinander, wobei es weder Körperwechsel noch besondere Elixiere gibt.


In religiöser Hinsicht ist noch anzumerken, dass der Radscha einem Taufwahn verfällt und unbedingt Christ werden möchte. Diese Ideen kennt der Leser schon aus Karl May, der ja auch gerne den christlichen Glauben in die literarische Welt und seine vielen Leser trug. Im
Gegensatz allerdings zu Karl May präsentiert Robert Kraft diese Szene fast ironisch überdreht. Es ist der abtrünnige und mörderische Jesuitenpastor Lazare – im zweiten Sammelband wanderte auch seine Seele -, der taufen soll. Das ganze Volk des Radschas ignoriert aber den christlichen Segen sich stumm schweigend abwendend.


Wie eingangs kurz erwähnt stehen Indien und Nepal im Mittelpunkt der Geschichte. Dabei konzentriert sich Robert Kraft nicht wie in „Um die indische Kaiserkrone“ auf die Perspektive eines deutschen Fremden, sondern springt munter hin und her. Da werden die grausamen,
ans Mittelalter erinnernden Reiterspiele der Gorkhas mit ihren Lanzen und Rüstungen genauestens erläutert wie die drakonischen Strafen mit den die gefesselten Menschen fressenden Ameisen. Bei Robert Kraft gibt es im Gegensatz zu Karl May nicht immer eine Rettung in letzter Sekunde, eine entsprechende Belehrung und die Bestrafung. Damit soll nicht ausgedrückt werden, das Karl May die damalige Grausamkeit ignoriert hat. Sie fand
aber immer dezent im Off statt und die Leiden der Opfer, der Unschuldigen wurden den Leser aus der Distanz des Ich- Erzählers berichtet. Bei Robert Kraft ist der Leser eher mittendrin.


Der Palast mit dem „Zugang“ in die Makifberge spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Einem der Protagonisten ist angesichts einer Vermählung und einer „Wunderheilung“ dieser Palast geschenkt worden. Allerdings bekommt der Herrscher arge Bedenken und möchte am liebsten sein Geschenk zurück. Natürlich mittels Betrug Passend hat Robert Kraft halbnackte Frauen in ihren Gemächern beschrieben, eine der zwanzig Illustrationen zeigt sogar die Dame, welche sich aktiv nach Liebhabern und potentiellen Männern umschauen. Keine Zwangsehen oder politische Ränkespiele. Von einer adligen Femme Fatale zu sprechen,
wäre wahrscheinlich vermessen, aber in seinen späteren Arbeiten fließen zumindest sexuelle, wenn auch weiterhin sehr dezente Anspielungen in die Plots ein.
Die Zeichnung von Frauen gehört nicht zu Robert Krafts Stärken. Das ist auch im vorliegenden Buch der Fall, aber interessanterweise überzeugen die nicht europäischen Frauen mehr als ihre zivilisierten amerikanischen oder europäischen Gegenstücke.
Wie weit der Bogen ist, den Robert Kraft im Allgemeinen, aber in diesem nicht in sich abgeschlossenen Lieferungsroman schlägt, zeigen die letzten Seiten. Aus dem Nichts heraus liegt der Fokus der Handlung wieder auf dem afrikanischen Kontinent, aber die Legende um den fliegenden Holländer - es ist ein Bure - als weiteres, neues okkultes
Element aufzugreifen und über mehrere Dutzend Seiten zu entwickeln, zeigt die Stärke, aber auch gleichzeitig die Schwäche Robert Krafts. In vielen seiner umfangreichen Romanen baut er über weite Strecken der Lieferungen die Handlungen immer weiter aus. Er fügt neue
Schauplätze, nicht selten auch neue Figuren hinzu, um gegen Ende vielleicht nicht immer konsequent, aber für den Leser erkennbar die Handlungsstränge wieder miteinander zu verbinden und zu einem zufriedenstellenden Ende zu führen.


“Das zweite Gesicht” strebt weiter nach außen. Zwar wird das junge Mädchen mit ihrem zweiten Gesicht wieder in die laufende Handlung eingeführt, der Leser hat aber im Gegensatz zu seinen von den Charakteren her deutlich fokussierten Mehrteilern Atalanta
und Loke Klingsor wenig klassische Bezugspunkte, um sich festzuhalten. In erster Linie sollte sich der Leser weiterhin einfach mit dem nicht immer rasend schnellen, aber erstaunlich weit verzweigten Strom der Handlung mit treiben lassen. Dabei reicht wie mehrfach schon erwähnt die Bandbreite des Flussbettes von heute antiquiert erscheinender, aber selten eingesetzter Komik über einige durchaus brutale Szenen bis zu okkulten
Andeutungen.

 Erstaunlich ist auch, das Robert Kraft gerne auf einen unzuverlässigen Erzähler zurückgreift, der den Lesern die indirekte Anweisung gibt, mit ihm einen Handlungsarm zu “verlassen”, um in einen weiteren Nebenstrom einzutauchen. Er rekapituliert Ereignisse, greift aber auch in die Zukunft und warnt den Leser stellvertretend
für seine Protagonisten vor möglichen, aber immer ambivalenten Gefahren. Die Technik vom Panzermobil bis zum besonderen Luftballon - damit ist sein Schicksal im Grunde in der Tradition Jules Vernes besiegelt - basiert wie bei Jules Verne auf gegenwärtigen technischen

Erkenntnissen, die mit ein wenig Phantasie, vielleicht auch literarischer Magie extrapoliert werden. Paul Alfred Müller hat sich gerne für seine “Sun Koh” und “Jan Mayen” Serie positiv gesprochen deutlich an Robert Kraft utopisch technischen Ideenreichtum bedient.
Die Lektüre dieser Lieferungsromane ist aber auch herausfordernd und in der Dichte ermüdend. Wie bei Karl Mays fünf Kolportagebüchern ist es am Besten, die Lektüre nicht nur auf die vier Hardcover verteilt zu fokussieren, sondern auch innerhalb der einzelnen Handlungsbögen Pausen einzulegen und das vielschichtige, aber hastig geschriebene Geschehen auf sich auch wirken zu lassen. Die Faszination dieses mehr als einhundert
Jahre alten Stoffes ist tatsächlich die Welt, welcher der Autor vor seinen bürgerlichen oder aus dem Arbeitermilieu stammenden Lesern ausbreitet und auf welcher der Autor seine Protagonisten wie Schachfiguren hin und her bewegt. Noch ohne Folgen für das große Ganze, das Robert Kraft mit der anfänglichen Entführung des kleinen Mädchens mit dem zweiten Gesicht zu etablieren suchte..

Band 3 (Kapitel 59–83), 466 S., 22 Illustrationen - 30,00 € — ISBN 978-3-945807-65-1
Verlag Dieter von Reeken

Hardcover