Der Flüsterer im Dunkeln

H.P. Lovecraft

Als Band 244 in seiner Hardcoverreihe „Große Klassiker zum kleinen Preis“ legt der Heyne Verlag h.P.  Lovecrafts Novelle „Der Flüsterer im Dunkeln“  als kleinen, handlichen Hardcover wieder auf. Florian F. Marzin hat die mehr als sechsundzwanzigtausend Worte umfassende Geschichte übersetzt. Auch der Suhrkamp Verlag hat diese Science Fiction/ Horror Geschichte mehrfach innerhalb, aber auch außerhalb der phantastischen Bibliothek neu aufgelegt.

H.P.  Lovecraft hat die Geschichte zwischen Februar und September 1930 geschrieben. Sie erschien zum ersten Mal in der Weird Tales Ausgabe des Jahres 1931. Es ist nach „The Colour of Space“ die zweite Geschichte , in welcher Lovecraft Science Fiction Elemente und folkloristischen Horror in der Tradition des explizit vom Erzähler benannten Arthur Machen miteinander verbindet.

Die Geschichte stellt innerhalb von Lovecrafts Werk in doppelter Hinsicht einen Übergang dar. Der Cthulhu Mythos wird noch erwähnt, dient aber eher als eine Art Bogenschlag zum Aberglauben der Menschen, der sich in dieser Geschichte auf eine gänzlich andere Art und Weise bewahrheitet. Lovecraft begann sich mehr der archaischen Science Fiction zuzuwenden. Zusätzlich wurde er mit seinen Geschichten, aber vor allem auch deren Publikationsmöglichkeiten immer unzufriedener und war eher bereit, für die Schublade zu schreiben und sein kärgliches Dasein weiter zu fristen, als wie andere Autoren – Donald Wandrei und Abraham Merritt erwähnt er immer wieder in seinen Briefen – sich literarisch künstlerisch zu verbiegen.

„Der Flüsterer im Dunkeln“ verbeugt sich vor einer Reihe von anderen Meistern. Das Konzept der Geschichte stammt direkt von Arthur Machens „The Novel of the Black Seal“ (1895) ab. Robert W. Chambers „The King in Yellow“ – basierend auf einer Geschichte Ambrose Bierce – sind hinsichtlich der Leserführung Leitplanken. Auch der Klassiker “The Legend of Sleepy Hollow” von Washington Irving könnte Lovecraft zu einzelnen Szenen inspiriert haben.  

Sowohl bei Machen als auch Lovecraft ist es ein Theoretiker, ein an alten Schriften interessierter Professor, der dem Leser als Erzähler dient. Während Arthur Machens Geschichte allerdings stringent erzählt ist, eröffnet H.P. Lovecraft seinen Text mit einer Art unvollständigen Rahmen. Der Erzähler der Ereignisse Albert Wilmarth wendet sich direkt an sein Publikum und relativiert die von ihm erlebten Ereignisse. Es gibt bis auf ein paar Einschusslöcher im Schuppen keine Beweise mehr. Vieles kann ein Ausbund der Phantasie sein. Aber die dunkle, zynische Pointe unterstreicht, dass  Albert Wilmarth mit diesen einleitenden, nur bedingt beruhigenden, sondern die Erwartungshaltung der Leser steigernden Worten sein Publikum auch manipuliert. Er ist nicht verrückt und ein Mann, der als Folklorist über ein breites Wissen verrückt, auch weiß, was dem Aberglauben der im amerikanischen Hinterland lebenden Menschen zuzuordnen ist und was nicht in diese alte bestehende Ordnung passt.  H.P.  Lovecraft ist am Ende seiner Geschichte noch einen Schritt von den amerikanischen Paranoia Science Fiction Filmen der fünfziger Jahre mit ihrer Botschaft „Keep Watching the Sky“ entfernt, aber mit einer außerirdischen pilzartigen Rasse, welche die Menschheit im Grunde erst beobachten und später absorbieren will, kommt er diesen B- Filmen erstaunlich nahe.

Albert Wilmarth wird noch einmal in Lovecrafts Geschichte „At the Mountain of Madness” eine Nebenrolle übernehmen,  bevor Fritz Leiber mehr als dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung Lovecrafts Novelle diesen Charakter in „To Arkham and the Stars“ noch einmal in den Mittelpunkt einer Geschichte rückt.  Zahlreiche andere Autoren wie Caitlin R.  Kiernan oder Lawrence King haben andere Facetten von Lovecrafts Geschichte aufgegriffen und fortgesetzt.  Nur Richard A. Lupoff hat mit "Documents in the Case of Elizabeth Akeley" eine direkte Fortsetzung verfasst. 

Die Novelle ist als Comic, als Hörspiel, teilweise als Film – die dritte Episode in „Necronomicon“ – und schließlich als Videospiel adaptiert worden.   

Wie bei  Arthur Machen ist es Wilmarths Neugierde und die Reaktion auf einen von ihm geschriebenen Leserbrief hinsichtlich einzelner seltsamer Funde nach einer realen Flutkatastrophe, welcher ihn antreibt. In beiden Geschichten kommt es erst zu einer umfangreichen Korrespondenz,  bevor die Protagonisten im amerikanischen Hinterland, zu den verdammten Hügeln eingeladen werden.  Ein schwarzer Stein spielt ebenfalls in beiden Geschichten eine Rolle. Es gibt jeweils einen Überlebenden, welcher die Geschichte erzählen kann. Arthur Machen hat dafür die Nebenfigur der Miss Lally entwickelt, während H.P.  Lovecraft geschickt Arthur Machens Protagonisten auf zwei seiner eigenen Charaktere – Wilmarth und den Eremiten Akeley – aufgeteilt, so dass er mit Wilmarth einen mehr zuverlässigen Augenzeugen hat. Während Machens Geschichte sich allerdings auf die Legenden eines uralten Volks konzentriert, das unter den Hügeln lebt, entwickelt H.P.  Lovecraft mit den Mi-Go die Vertreter einer außerirdischen Rasse, die auf dem bislang unbekannten neunten Planeten des Sonnensystems – der Planet Pluto wurde am 18. Februar 1930 entdeckt, als Lovecraft mit den Arbeiten an der Geschichte begonnen hat – ihre Basis für eine weitere Invasion der Erde errichtet haben.

Wie modern einzelne Science Fiction Elemente in Lovecrafts Novelle sind, unterstreicht der Gedanke, dass die Mi-Go ihre willigen Helfer mit Reisen zu ihrem eigenen Planeten und damit einer relativen Unsterblichkeit locken. Allerdings scheint deren dunkle Welt eher zu Arthur Machens unterirdischen Verstecken des alten Volkes zu passen als den paradiesischen Versprechen der Golden Age Autoren der Science Fiction.

Nach dem Warnhinweis des Erzählers auf die unmittelbar hinter ihm liegenden Ereignisse auf der Farm lässt Lovecraft seinen Protagonisten einen Schritt zurücktreten und in Ruhe die einzelnen Schritte bis zu dieser unheimlichen Konfrontation nacherzählen. Lovecraft nutzt dieses erzählerische Element in einer Vielzahl seiner Geschichten. Mit der subjektiven Perspektive des Erzählers schließt der Autor geschickt offensichtliche Widerspruchsmöglichkeiten aus. Wie in einem Alptraum muss nichts logisch sein.    

Die erste Hälfte der Geschichte besteht aus dem Briefwechsel zwischen dem Erzähler Albert N. Wilmarth und Henry Wentworth Akeley bzgl. der seltsamen Funde im  Schlamm nach der historischen Flut in Vermont. Wilmarth sieht in den toten Kadavern urtümlicher Kreaturen den Beweis, dass die alten Legenden über Monster unter den schwer zugänglichen Bergen lebend doch einen wahren  Kern haben.

Henry Wentworth Akeley wohnt in einer der kleinen Städte in Vermont. Er behauptet,  Beweise für die Existenz dieser Kreaturen zu haben. Mehr und mehr wendet sich der teilweise von Lovecraft wiedergegebene Briefwechsel von den alten Legenden ab und zu Außerirdischen mit dem Ziel, die Erde zu übernehmen, zu. Die Fremden hausen seit Äonen unter den Menschen und bringen sie dazu, die alten Götter wie Cthulhu oder Nyarlathotep anzubeten.

Akeleys Briefe werden immer paranoider. Angeblich werden Briefe und Nachrichten abgefangen. Ein Paket mit einem schwarzen Stein verschwindet trotz eines Versandes von einem etwas abgelegenen Ort. Nachts wollen die „Fremden“ bei Akeley einbrechen, seine Wachhunde werden getötet und mit Schüssen kann er sie nur sporadisch vertreiben.  Dabei tötet er angeblich einen der Eindringlinge, deren Blut grün ist.  

Nach einer weiteren Begegnung ändert Akeley seine Grundhaltung. Plötzlich sind die Fremden friedlich und wollen den Menschen Wunder nahebringen, die weit jenseits der gewöhnlichen Vorstellungskraft sind.  Wilmarth soll Akeley besuchen und die angeblichen Beweise mitbringen, die er in verschiedenen Briefen an ihn geschickt hat. Wie geschickt Lovecraft seine Novelle aufgebaut hat, zeigt sich an den sogenannten Beweisen. Die Fremden sind mit bloßem Auge sichtbar, lassen sich aber nicht fotografieren.  Lovecrafts Erklärung ist ein wenig stark konstruiert und erinnert an Vampire, die weder im Spiegel noch auf Bildern/ Filmen sichtbar sind. Weniger wäre an dieser Stelle mehr gewesen. Und der Stein mit den Hieroglyphen ist ja während der versicherten Versands verschwunden oder wurde gar nicht von Akeley abgeschickt. Beide Möglichkeiten bietet Lovecraft seinen Lesern an. Mit der Einladung und damit verbundenen Aufforderung, alles Material mitzubringen, endet der erste, ruhigere Teil  der Geschichte.  

Wilmarth ist trotz seiner Erfahrungen -  er hat ja alles erst nach seiner finalen Flucht aus Akeleys Farmhaus und vor allem Vermont niedergeschrieben - ein erstaunlich neutraler Erzähler, der sachlich chronologisch, vielleicht ein wenig stupide die wichtigsten Fakten des Briefwechseln aneinanderreiht, dazu die “Beweise” kritisch hinterfragt und selbst neutral davon berichtet, das er erst nach anfänglichen Zögern die Einladung angenommen hat.  Dem sehr ruhigen Spannungsaufbau steht die fehlende Emotionalität des Protagonisten zur Seite. Lovecraft baut insbesondere zu Beginn fast zu viel Distanz zu seinem Erzähler auf. 

In Vermont findet Wilmarth einen kränklich Akeley vor, der sich vornehmlich in einem dunklen Zimmer eingehüllt in eine dicke Decke aufhellt. Seine Sprache ist seltsam distanziert. Akeley spricht von den guten Taten, welche die Außerirdischen vor ihm ausbreiten. Freiwillige können über den neunten, bei Lovecraft noch namenlosen Planeten des Sonnensystems zur Ursprungswelt der Fremden reisen, die zwar düster und unwirtlich ist, aber bald zu einem Paradies werden könnte. Auch Langlebigkeit - hier präsentiert Lovecraft eine für die frühen dreißiger Jahre bizarre Idee, die Äonen von anderen SF Autoren, C Filmemachern und schließlich Komiker in verschiedenen Variationen abgewälzt haben - ist eines der Geschenke der wunderbaren Fremden. Im Gegensatz zu “The Colour of Space” baut Lovecraft die Spannungskurve nicht konsequent oder kontinuierlich aus, sondern scheint absichtlich  Wilmarth und damit die Leser von der Harmlosigkeit der Besucher überzeugen zu wollen. In Hinblick auf  Paukenschlag Pointe ist diese Vorgehensweise nicht nur legitim, sondern effektiv, denn der letzte Absatz der Geschichte schließt technisch nahtlos an das Anfangskapital an. Im übertragenen Sinne gerät Wilmarth fast schon in eine Endlosschleife, einen Alptraum, aus dem es für ihn nicht nur aufgrund seines Wissens kein Entkommen mehr geben wird. Ein Motiv, das sich in einer Reihe von Lovecraft Geschichten inklusiv der Warnungen an die jeweiligen Leser wiederfindet. Mal sind es die “echten” Götter aus der Urzeit, mal wie in diesem Fall die Außerirdischen, die keinen Millimeter von ihren Plänen abweichen. Zurückbleiben meistens intellektuelle und einsame Männer in akademischen Berufen, auf deren Schultern die Last  der Warnung an die ungläubige Welt liegt. Meistens in Form von sachlichen Berichten, basierend auf Briefen, alten Schriften und seltener persönlichen einschneidenden direkten Begegnungen mit dem Übernatürlichen bzw. Außerirdischen. 

Lovecraft ist eher ein Meister des subtilen Schreckens. Wie bei seinen Vorbildern Algernon Blackwood und Arthur Machen verzichtet der Amerikaner auf sehr ausführliche und detaillierte Beschreibungen. In der morbiden Phantasie seiner Leser sollen seine kleinen Geschichten ihre volle Wirkung entfalten.

Bei “Der Flüsterer im Dunkeln” geht Lovecraft bis auf das kraftvolle Ende der Geschichte einen anderen Weg. Das grüne Blut als Zeichen ihres Anderssein ist noch genauso zu akzeptieren wie die krallenartigen Spuren auf dem Farmgelände. Aber eine Rasse von Außerirdischen mit einer pilzartigen Struktur vom Planeten Yoggoth. Auch wenn der Leser kaum eine direkte Begegnung mit den Fremden hat, verstreut H.P. Lovecraft, mittels seiner beiden Protagonisten vor dem Hintergrund des bizarren Laboratoriums und den Inhalten der Regale im Keller des Farmhaus, fast zu viele Informationen. Der Autor wischt sie am Ende der Geschichte blitzartig wie schockierend vom Tisch und macht deutlich, dass es sich bei vielen Spekulationen hinsichtlich der Stimmen; des Planeten und den Intentionen um Propaganda handelt,  aber diese Vorgehensweise trägt nicht zu alptraumhaften Geschmeidigkeit bei, die viele seiner kürzeren Texte in stilistischer Eleganz auszeichnet.   Heute Lesergenerationen werden einzelne Zusammenhänge lange vor Wilmarth ahnen, aber für eine Science Fiction Horror Geschichte aus den frühen dreißiger Jahren betritt Lovecraft in einer Vielzahl von Punkten Neuland. Es ist auch für ihn bezeichnend, dass er mit dem Schlussabsatz wieder zu dem subtilen, sich im Bewusstsein der Leser abspielenden Horror zurückkehrt und die Novelle zu einem konsequenzen, zynischen wie meisterlichen Abschluss führt.          

  Lovecrafts Geschichte ist fast einhundert Jahre alt. Der spannende Text muss aus dieser Perspektive betrachtet werden. Science Fiction Geschichte mit außerirdischen Invasoren zeigen meistens eine überlegene fremde Rasse, welche sich die Menschheit aus unterschiedlichen Gründen mit überlegener Technik in Form von Strahlwaffen und gigantischen Raumschiffen Untertan machen wollte. Auch wenn die grundlegende Ausgangsbasis heute fast schon ein Klischee ist, verbindet Lovecraft das subtile  Auftreten der Fremden mit den alten Mythen, die es seit Jahrhunderten nicht nur im englischen oder irischen Hinterland gibt, sondern auch - deutlich neuer - im amerikanischen Hinterland. Lovecrafts hat wichtige Strukturen von Arthur Machen kopiert, aber intelligent umgebaut und aus einer klassischen Horrorgeschichte eine Science Fiction Story gemacht. Wie angesprochen, haben Äonen von Autoren einzelne Aspekte aus Lovecrafts Werk kopiert, nur selten extrapoliert. Kleinverlage wie Festa oder größere Anbieter wie Heyne machen Lovecrafts Werk in unterschiedlichen Variationen - vom hier vorliegenden handlichen Hardcover über eine zweisprachige Ausgabe bis zu an Comics erinnernde opulent illustrierte Bildbände - wieder zugänglich. Und dazu den besten Einstiegswerken gehört unabhängig von einigen kleineren, angesprochenen Schwächen auch “Der Flüsterer im Dunkeln”.           

H. P. Lovecraft, Der Flüsterer im Dunkeln: Vom Großmeister des Horrors (Große Klassiker zum kleinen Preis, Band 244)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Anaconda Verlag (20. Dezember 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 128 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3730613049
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3730613047
  • Originaltitel ‏ : ‎ The Whisperer in Darkness