Mit „Zeta“ kehrt Andreas Brandhorst nach einigen Jahren bei Piper und teilweise auch Fischer Tor zum Heyne Verlag zurück. Dem Verlag, bei dem seine zweite literarische Karriere vor knapp zwanzig Jahren wieder durchgestartet ist.
„Zeta“ ist dafür ein dankbares Thema. Ein alleinstehendes Buch mit einem griffigen Plot. Allerdings auch eine Handlung um das auf den ersten Blick „Big Dumb Object“, das ins Sonnensystem eindringt, die Science Fiction Lesern auch einer Vielzahl von Variationen bekannt ist. Nicht umsonst zitiert Andreas Brandhorst Arthur C. Clarke, dessen prämierter Roman „Rendezvous mit Rama“ viele Eckpfeiler dieses Subgenres zementiert hat. Im Gegensatz zu seinen epochalen Epen scheint „Zeta“ auch ursprünglich für ein anderes Zielpublikum verfasst worden zu sein. Die wechselnden Handlungsorte dienen der kontinuierlichen Temposteigerung, aber die stetigen Wiederholungen lassen eine Art Fortsetzungsgeschichte vielleicht durch die zahlreichen Dialoge auch in Hörbuch Form in den Bereich des Möglichen rücken.
Auf den ersten Seiten entwickelt Andreas Brandhorst kurz und präzise den Hintergrund seiner zukünftigen Welt. Das Sonnensystem ist besiedelt. Die Marsbewohner beginnen, sich nach Unabhängigkeit von der Erde zu sehnen, deswegen wurden aber bislang keine Kriege geführt. Auch die äußeren Monde sind zumindest mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und Bergbausiedlungen überzogen. Auch hier gibt es mit den Autokraten eine dritte politische Kraft. Die künstlichen Intelligenzen haben mit ihren Clustern – eine Idee, die Brandhorst in seiner Maschinenintelligenz Trilogie von der Schöpfung bis zur Kontrolle entwickelt hat – dafür gesorgt, dass die an sich aggressive Menschheit überhaupt bislang überlegen konnte. Die Klimakrise ist unter Kontrolle, Armut gibt es nicht mehr.
Die Erde bereitet sich vor, ein erstes Raumschiff zum nächsten Sonnensystem zu schicken. Nicht nur aufgrund wissenschaftlicher Forschung, sondern weil von dort ein Signal aufgefangen worden ist, dessen Abfolge auf einen künstlichen Ursprung hindeutet. Während der Ausbildung der Crew und dem Bau des Raumschiffs ist dieses Signal plötzlich näher gekommen. Die Signale werden vom Rand des Sonnensystems aufgefangen, ein riesiger Asteroid – ZETA benannt – dringt in das Sonnensystem ein und die drei politischen Gruppen stehen vor einem Wettlauf um den Erstkontakt, um das Bergen von möglicherweise hoch entwickelter außerirdischer Technik. Alles beides Komponenten, welche das fragile Gleichgewicht im Sonnensystem zerstören und damit einen neuen Krieg unter den Menschen wahrscheinlich machen könnte.
Zu Beginn des Romans gibt Andreas Brandhorst nur die notwendigstem Informationen preis, ohne dass die Protagonisten wie auch die Leser sie wirklich einordnen können. Ist das Raumschiff wirklich nur gebaut worden, um den Ursprung der Signale im benachbarten Sonnensystem zu untersuchen? Wollen die Fremden überhaupt einen Austausch auf Augenhöhe mit den Menschen? Sind sie in einem festen Rhythmus ausgeschickten Signale möglicherweise nur ein Test, um die Intelligenz der Menschheit festzustellen? Was passiert, wenn sie den Test bestehen? Wäre es vielleicht auch sinnvoller, einfach durchzufallen und ZETA seinen Weg nach außerhalb des Sonnensystems weiterfliegen lassen? Sind die Fremden friedlich oder feindselig?
Diese einzelnen Fragen durchziehen alle drei Handlungsebenen. Diese bestehen vor allem aus den drei von den angesprochenen Parteien ausgeschickten Raumschiffen, wobei die Autokraten mit einer kleineren Fähre dem Objekt am Nächsten sind und am Schnellsten agieren. Dabei stellt sich die zusätzliche Frage, ob die Autokraten weiterhin politisch der Erde treu bleiben oder die Möglichkeit sehen, sich wie die politische Bewegung auf dem Mars mit einer Unabhängigkeit von der Mutterwelt zu beschäftigen.
Der Leser erhält aufgrund der verschiedenen Handlungsebenen den besten Überblick über das Geschehen. Spannungstechnisch agiert Andreas Brandhorst allerdings auch sehr routiniert, indem er eine Handlungsebene mit einem „Höhepunkt“ vorläufig enden lässt und die Leser erst auf Augenhöhe anderer Protagonisten weitere Informationen erhalten.
Das von Andreas Brandhorst angerissene Thema birgt aber auch zahlreiche Risiken. Kann der Autor den zahlreichen Geschichten dieses speziellen Subgenres der Science Fiction neue Ideen abgewinnen ?
Andreas Brandhorst geht geschickt vor. Die drei Expeditionen treffen mit sehr unterschiedlichen Erfolgen auf Zeta ein und werden mit einer Reihe von Aufgaben in dieser wunderschön archaischen Welt konfrontiert. Vieles erinnert ein wenig an Arthur C. Clarkes “Rama”, bevor der Autor den Spieß umdreht und die Handlung in eine andere Richtung entwickelt. Zeta beginnt ein Eigenleben zu entwickeln und ist nicht ein so neuer Besucher für einige Menschen. Mit dem Mann mit der Maske (auf der Erde) fügt Andreas Brandhorst zwar einen charismatischen Charakter mit Hintergrundwissen und einem erfahrenen Gefolgsmann unter den Zeta Besuchern hinzu, manches wirkt aber auf dieser Handlungsebene eher spannungstechnisch konstruiert als wirklich nachhaltig entwickelt. Dabei wäre die Erkundung Zetas mit seinen Herausforderungen an den Intellekt der Gestrandeten schon ausreichend genug, um das Interesse der Leser aufrechtzuerhalten.
Die einzelnen Aufgaben/ Herausforderungen sind für den Leser nachvollziehbar, wobei Zeta in einigen Situationen zusätzlichen Druck aufbaut. So verschieben sich die Wände, allerdings wird es nicht wärmer, sondern kälter in dem immer kleiner werdenden Raum. Manchmal wartet Zeta sehr ungeduldig auf die Antwort, wobei “normale intelligente Wesen” ohne die Hilfe von Computern oder in diesem Fall auch künstlichen Intelligenzen die Lösungen nicht im Kopf hätten rechnen können. Die Messlatte nicht nur für die menschlichen Besucher, sondern anscheinend unzählige Fremde, welche es “vorher” und in anderen Sternensystemen versucht haben, ist ausgesprochen hoch.
Andreas Brandhorst fügt seiner Handlung noch eine weitere Variante zu den klassischen Themen des “Big Dumb Object” hinzu. Rama blieb nur kurz auf Besuch. Das war von Anfang an klar, der Kurs berechenbar und das Zeitfenster einer Landung und damit Untersuchung relativ schmal. Erst in den Fortsetzungen hat Arthur C. Clarke das Szenario erweitert. Bei anderen Büchern droht das künstliche Objekt der Erde zu nahe zu kommen, so dass zwischen dem Schutz der Menschheit und wissenschaftlicher Forschung noch unterschieden werden muss. In “Zeta” macht sich der Titelgeber plötzlich mit den Menschen an Bord aus dem Staub und saust mit Überlichtgeschwindigkeit in eine unbekannte Richtung davon.
Aber Andreas Brandhorst liebt große Geschichten. Die Zersplitterung des Universums und damit auch der Menschheit droht. Zeta ist der Schlüssel in beide Richtungen. In der Kommandozentrale könnte die maschinelle Rettung liegen, nachdem die Menschen aufgrund eines zufälligen Experiments “Zeta” gefunden und Artefakte zur Erde gebracht haben. Aus diesen Artefakten haben sie die von Andreas Brandhorst mehrfach erwähnte Büchse der Pandora “gebaut” und sie natürlich im übertragenen Sinne nicht nur einmal, sondern mehrfach geöffnet. Eine erste Katastrophe war als Warnung nicht ausreichend genug.
Spannungstechisch entwickelt sich ein cineastisch, von exotischen Herausforderungen und Gefahren begleiteter Wettlauf mit der Zeit zur ZETA Zentrale. Die Interessen der beiden Hauptgruppen könnten nicht unterschiedlicher sein. Selbst wenn die ZETA Zentrale erreicht wird, bedeutet das nicht, dass Mensch in Person Flloyds als verlängerten Arm des bzw. inzwischen der Männer mit der Maske wirklich den Schlüssel ergreifen kann. Weiterhin impliziert Andreas Brandhorst die Idee, dass die Reise von ZETA in Richtung Sonnensystem und später natürlich wieder zurückkehrend in Richtung Erde kein Zufall ist, sondern dass ZETA unabsichtlich gerufen worden ist.
Andreas Brandhorst konzentriert sich auf das Katastrophenszenario und wirft buchstäblich mit Ideen um sich. So scheinen mehrere Charaktere wie das Universum aufgesplittet worden zu sein. Teilweise wissen sie es nicht mal und so birgt eine Wiedervereinigung hinsichtlich Kopie und Original auch eine beträchtliche Überraschung. Während die Menschen sich an Bord von ZETA durch verschiedene Gefahren kämpfen und auf unterschiedliche Hinterlassenschaften von anderen intelligenten Wesen stoßen, versucht Andreas Brandhorst durch die auf bzw. in Erdnähe initiierte Katastrophe dem Roman zusätzlich Tempo zu verleihen. Das wirkt für einen routinierten Autoren fast überambitioniert, zumal er mit der gezielten Rückkehr ZETAs zur Erde - um es einmal so zu formulieren - auch wieder auf die Klischee Schiene zurücksteuert. Während des Epilogs schreibt Andreas Brandhorst seinen Lesern noch zusätzlich einige mahnende Worte ins literarische Stammbuch.
Positiv ist, dass Andreas Brandhorst Themen wie Umweltschutz und vor allem eine sichere Energiepolitik auch in einem eher actionlastigen, temporeichen Space Opera Roman mit kosmopolitisch- philosophischen Zügen nicht vergisst und neben der entsprechenden Chronologie im Anhang des Romans noch einmal ausdrücklich warnt. Negativ wirkt die Holzhammermethode, mit welcher der inzwischen wieder in Norddeutschland lebende Autor die Ideen an die Leser bringt.
Inhaltlich führen die einzelnen Handlungsebenen mit Ausnahme eines Teils des auf der Erde spielenden und sich hinsichtlich des Gesamtszenarios ausschließlich reagierend spielenden Plots schließlich irgendwie und irgendwo in der Zentrale ZETAs zusammen. Wobei der Leser natürlich keine klassische Kommandozentrale erwarten darf. Wie bei vielen anderen Romanen aus der Feder Andreas Brandhorst ist die Reise exotischer, gefahrvoller und faszinierender als das Finale. ZETA weist nur anfänglich Ähnlichkeiten zu Rama auf… außerhalb der jeweils vier Buchstaben. Ein gigantisches, ausgehöhltes Artefakt mit Luftdruckenbahnen statt endlosen Treppen. Viele verschiedene Wesen haben dort gelebt. Während Arthur C. Clarke sein Buch eher als eine Art Höhlenexpedition außerhalb der Atmosphäre mit den gigantischen Maschinen als Ziel angelegt und keine Fragen hinsichtlich der Schöpfer in diesem ersten, prämierten Roman beantwortet hat, fügt Andreas Brandhorst seinem Szenario außerhalb der eindrucksvollen Beschreibungen Zetas; der Idee einer übergeordneten Clusterzivilisation und den Tests, die ein wenig als Algis Budrys “Projekt Luna” erinnern. Dort befand sich das außerirdische Konstrukt auf dem Mond und wurde von einem Astronauten immer wieder untersucht. In beiden Romanen spielt ein Labyrinth eine wichtige Rolle.
Aber Andreas Brandhorst präsentiert während des Endes noch eine weitere “Wendung”. “Zeta” entwickelt sich zu einer modernen Version der alt bekannten Geschichte “Der Tag, an dem die Erde stillstand”. Für Gort steht der silberne Humanoid, wobei Andreas Brandhorst dieser Evolution auch den entsprechenden Hintergrund im Zeitraffertempo verleiht. Das Kosmikum - eine Art Bibliothek Alexandria mit dem Wissen des gesamten bekannten Universums, über Äonen angesammelt - und dessen Kern/ Konsens sowie ein Jahrmillionen altes Vermächtnis spannt der Autor wieder den angesprochenen breiten Bogen. Zeitgleich mit “Zeta” erschien auch “Infinitia”. In beiden Büchern baut Andreas Brandhorst opulent und teilweise sprachgewaltig an seinen kosmischen Dimensionen, bei denen im übertragenen Sinne auch Zeit und Raum miteinander verschmelzen und aus der Froschperspektive der Menschen - egal ob sie relativ unsterblich sind oder wie bei “Zeta” sehr gut ausgebildete “einfache” menschen - einem Wunder gleich kommen. In “Zeta” kommt die Idee der Wächter, der Hüter hinzu. Eine gute Diktatur - siehe “Der Tag, an dem die Erde stillstand” bzw. Harry Bates originäre Kurzgeschichte - ersetzt nebenbei eine “böse Diktatur”, was den potentiellen Potentaten empört aufschreien lässt. Das wirkt teilweise politisch sehr fragil und mit der Brechstange entwickelt. Die Intention lässt sich in “Zeta” ablesen, aber angesichts der angeblichen Weisheit und der umfangreichen Prüfungen, mit denen die Erbauer Zetas ihre Nachfolger aussuchen wollten, ist es ein niederschmetterndes, fast erschütterndes Ergebnis, das nur Druck und kein Verstand für eine friedliche Zukunft sorgen kann und wird.
Daher ist das Ende trotz der guten Absichten, der glorreichen Zukunftsaussichten und der Erleichterung der anwesenden Zuschauer, welche diese Veränderungen mit donnerndem Applaus feiern, auch ein wenig pathetisch, kitschig. Positiv gesprochen auch weniger mahnend als hoffend.
Andreas Brandhorsts Romane sind seit den achtziger Jahren interessante Reisebücher. Nicht selten beginnen seine Geschichten eben nicht mit dem obligatorischen ersten Schritt, sondern mittendrin. Seine kosmischen Schöpfungen bestehen nicht nur aus dem Hier und Jetzt, in welchem sich seine Protagonisten manchmal auch gegen den eigenen Willen bewegen (müssen), sondern sind Jahrmillionen alt und haben trotzdem im übertragenen wie übertriebenen Sinne auch Unendlichkeiten noch vor sich. Seine Protagonisten bewegen sich zielsicher über Planeten mit exotischer Flora und Fauna - vor allem in den achtziger Jahren, als Kritiker seine Bücher mit den Arbeiten Phillip Jose Farmers verglichen haben zu ihnen eher kaum bekannten Zielen. Im 21. Jahrhundert ersetzt das unendliche Weltall diese Vielzahl von Planeten. Raum und Zeit sind eins. In “Infinitia” bewegt sich ein für die Mission im Grunde ungeeigneter, lebensmüder und gleichzeitig eine Erfüllung in seinem Leben Suchender durch die Dimensionen zu einem Ort, der Erfüllung und Gefahr gleichzeitig sein kann. In “Zeta” ist der 400 Kilometer große, ausgehöhlte Asteroid mehr eine Art MacGuffin; ein Test teilweise um das Testens Wesen. Ein Spannungselement, das wie bei Arthur C. Clarke exotisch herausfordernd erscheint, aber sich abschließend in den positiv verklärten Andreas Brandhorst Kosmos mit den entsprechenden seit Jahrhunderten verschwundenen Überwesen und ihrem weitreichenden, in diesem Fall das Schicksal der Menschen beeinflussenden Erde integriert.
Die Reise durch Zeta zeigt Andreas Brandhorst Stärken als Erzähler. Das Buch ist deutlich stringenter, fokussierter als seine letzten reinen Science Fiction Romane und erreicht in dieser Hinsicht die Qualität seiner Thriller. Das Ende der Geschichte ist dagegen überstürzt, ein wenig konstruiert und - offen gesprochen -mahnend belehrend. Auch in “Infinitia” war Andreas Brandhorst nicht in der Lage, die Geschichte zufriedenstellend abzuschließen. Und das ist weiterhin eine der größten Schwächen Andreas Brandhorst.
- Herausgeber : Heyne Verlag; Originalausgabe Edition (14. Februar 2024)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 608 Seiten
- ISBN-10 : 3453322916
- ISBN-13 : 978-3453322912