Insektoid

Gernot Schatzdorfer

INach „Der Lindwurmplanet“ erscheint mit „Insektoid“ Gernot Schatzdorfers zweiter Roman in der p. machinery Edition. Im ersten Roman landen vier Astronauten auf einem ihnen unbekannten Planeten und werden die der intelligenten Lebensform des Planeten konfrontiert, die Ähnlichkeit zu Lindwürmern der Erde hat.

In „Insektoid“ stürzt die junge Raumschiffpilotin Ines auf einem abseits gelegenen Planeten ab. Es ist nicht das einzige Raumschiff, das aufgrund der besonderen Verhältnisse in diesem Sonnensystem auf dem Planeten notlanden musste. Ein Teil der Crew kommt ums Leben. Relativ schnell verliert sie bei der Landung, auf dem Weg und schließlich in einem antiquierten, seit vielen Jahren verlassenen Stützpunkt auf dem Planeten die restlichen Mitglieder ihrer Crew.

 Eines der letzten Besatzungsmitglieder kämpft verzweifelt gegen ein großes Insektoid und stirbt dabei. Ines ist fest entschlossen, den fremden Eindringling in den Stützpunkt zu töten. Nur kann das Insekt sprechen und verteidigt sich, dass es Notwehr gewesen ist. Zuerst wurde auf es von dem Menschen geschossen, dann hat es sich aus Furcht und Wut gewehrt. Anfänglich glaubt Ines an eine Schutzbehauptung, aber Kameraaufzeichnungen geben der Fremden Recht und es entspinnt sich eine besondere Beziehung zwischen Ines und der ehemals als Sklavin gehaltenen, aber technisch ausgesprochen fähigen Insekten Dame.

 Gernot Schatzdorfer ist kein Mann der großen Worte. Die beiden hier vorliegenden Romane sind ausgesprochen kompakt, was das Lesevergnügen deutlich erhöht. Teilweise wird die Handlung allerdings derartig zusammengepresst, dass ein wenig mehr „Freiraum“, ein wenig mehr Improvisation der ganzen Geschichte gut tun würden. Vor allem zu Beginn mit dem Absturz, einem kurzen Robinson Crusoe Dasein mit schwindenden Vorräten auf einem atmosphärisch lebensfeindlichen Planeten; einem Insektoid als möglichem Freitag und schließlich die Flucht vom Planeten in einem der gestrandeten Raumschiffe, das nur wenig beschädigt worden ist bis zur Aufnahme einer neuen beruflichen Existenz – Piraten mit einem Herz aus Gold und Begleitschiff für Konvois mit wertvoller Fracht – und schließlich kurzen, teilweise unglücklich eingegangenen und danach sich lösenden One Night Stands nimmt nicht einmal ein Drittel des Buches ein. Atemberaubendes Tempo erreicht hier eine andere Dimension. Der Autor neigt allerdings zu Doppelungen. Ines “fällt” quasi zweimal über von Testosteron strotzende Männer rein. Beim zweiten Mal kann es ihr das Leben kosten. Auf der anderen Seite ist Sex immer auch eine gute Ablenkung, wie die finale Auseinandersetzung zeigt. Und wenn nur drüber gesprochen oder besser geschrien wird. 

 Unabhängig von der Hektik, die sich im mittleren Abschnitt mit einigen existentiellen insektoiden Problemen löst, kann der Leser dem Handlungsstrang gut folgen. Vieles, aber nicht alles wird auf Augenhöhe von Ines erzählt. Die wechselnd eingeschobenen Passagen geben dem Leser einen tieferen, auch objektiveren Einblick in das Geschehen und geben einigen der handelnden Personen hintergrund technisch auch mehr „Fleisch“ auf den Bio-Mineralien Panzer.  

Vorher führt Gernot Schatzdorfer noch einige Protagonisten auf beiden Seiten des theoretisch auch in diesem Outback herrschenden Gesetzes ein. Vor dem charismatischen Schurken schreitet der Sicherheitsmann, der ein großes körperliches Interesse an  Ines hat  eine Kybernetikern mit einer scharf geladenen wie spitzen Zunge an Bord. Auch diesen “Gimmick” wird der Autor zweimal im Roman einsetzen. Einmal zum Auflösen der schon angesprochenen  sexuellen Begegnungen ihrer Kapitänin. 

Im zweiten Teil der Geschichte mit dem  Untertitel “Der Pirat” setzt der Autor zwar den angefangenen Handlungsfaden fort, konzentriert sich zugleich auf eine griffigere Handlung, welche dem Golden Age, den Heftroman Geschichten der sechziger bis frühen achtziger Jahren entspricht. Das gefundene Raumschiff, der wertvolle Stoff haben natürlich schon eine Art Besitzer, der wenig erfreut ist, als er erfährt, dass Ines und ihre Crew seinen Schatz entwendet haben. Unwissentlich, aber das schützt bekanntlich nicht vor Strafe. Also beginnt er die Lotusblüte zu verfolgen  und will Rache nehmen. Auf den ersten Blick ist der zweite Handlungsteil deutlich simpler gestrickt, die Positionen klar umrissen und die zwischenmenschliche charakterliche Entwicklung kommt ins Stocken. 

Gernot Schatzdorfer hat allerdings schon vorgesorgt. Absichtlich spielt er mit einigen seit Jahrzehnten im Science Fiction Universum - egal ob Kino oder Buch oder Fernsehen - etablierten Klischees. Dass die übermannsgroßen Insekten technologisch den Menschen überlegen sind (von intellektuell wie in einigen Fällen des Plots ganz zu schweigen) hat der Autor am Ende der ersten Hälfte etabliert. Mit ihrer offenen und überzeugenden Art und Weise konnte Ines die bevorstehende Vernichtung der Menschen durch die Insektoiden zumindest aufschieben, aber noch nicht gänzlich verhindern. Ergänzt wird diese Kontakthandlung durch einige Einblicke in das soziale Leben der Insekten mit ihren Paarungsritualen und dem Wollegefühl, wenn hunderte von Eiern gelegt werden. Die Gespräche zwischen Frau und Insekt gehören ohne Frage zu den Höhepunkten dieser Geschichte. Auch wenn es bizarr klingt, es werden ganz profane Dinge an und durchgesprochen. 

Neben der Kybernetikern ragt noch die neue, alte künstliche Intelligenz aus der Crew heraus. Ehemals ein Raumschiffkommandant und Pirat, jetzt der Ines unterstellte körperlose Geist aus dem Computer, aber nicht der Flasche. Natürlich erhält er/es auch einen Moment des Ruhm während des für die Kürze des Buches erstaunlich langen Finales. 

Während des Finals setzt sich Gernot Schatzdorfer nur mit einer anderen Idee auseinander. Wie kann ein Insektenvolk als Schwarmintelligenz wirklich Entscheidungen treffen? Fühlerheben ist eine Opportunität, langwierige Diskussionen die andere Möglichkeit. Aber das Zusammentreffen mit den Menschen führt die Insekten auch an den Rande der Entscheidungsunfähigkeit, denn Mehrheiten müssen geschaffen werden. Richtige Entscheidungen mit weitreichenden Folgen getroffen werden. Und notfalls müssen die Insektoiden auch die Kavallerie spielen. Auch wenn niemand in dieser fernen Zukunft wirklich noch weiß, was eine Kavallerie ist und welche Aufgabe sie hatte. Vielleicht impliziert eher zufällig Gernot Schatzdorfer, dass es in den Genen liegen muss. 

Dazwischen liegen aber auch einige Szenen, in denen die Klischeekiste ordentlich bemüht wird. Die medizinische Rettung eines wichtigen Protagonisten in letzter Sekunde durch die Insektoiden, obwohl es gegen alle Wahrscheinlichkeiten ist. Das ist Blockbuster Kino a la Hollywood, eingeklemmt in eine stringente Geschichte. Es werden die Erwartungen bedient, aber generell wirkt diese ganze Sequenz ausgesprochen mechanisch und vor allem inhaltlich der Note geschuldet, irgendeinen Höhepunkt noch zu präsentieren. Auch wenn dieser eher pragmatisch erscheint. Vielleicht hätte sich Gernot Schatzdorfer eine der anderen Figuren aussuchen sollen, bei denen der Leser wirklich um ihr Leben oder auch ihre Existenz fürchten würde. 

Das  Ende der Geschichte beinhaltet eine süß saure Note. Auch Andreas Brandhorst ist in seinem nur wenige Monate nach “Insektoid” veröffentlichten Roman “Zeta” zur Entscheidung gekommen, dass Mensch nicht wirklich frei leben, sondern an einem langen Gängelband durchs Universum gezogen werden muss. In beiden Geschichten wird dieses Gängelband zu einer Art Halsband - möglichst eng- , wenn Mensch von den Pfaden eines friedlichen Zusammenlebens untereinander abweicht. “Der Tag, an dem die Erde stillstand” lässt grüßen. Vielleicht ist es der alltägliche Wahnsinn mit den Kriegen, den Terroristen und den brutalen Gewaltakten in den Städten, welche Autoren inspirieren, eine ordnende, aber natürlich wohlmeinende Hand zu erschaffen, welche das Chaos ordnet und eine Zuckerstangen- Diktatur etabliert. 

Die Charaktere sind solide bis gut gezeichnet. Die Dialoge sind pointiert, allerdings verhindert die Kürze des Textes, die Verdichtung einzelner Sequenzen und die dadurch entstandene Sprunghaftigkeit des Textes einen nachhaltigen Aufbau einer entsprechenden Atmosphäre. Wie in den schon angesprochenen Heftromanen muss nach einer begrenzten Seitenzahl Schluss sein, auch wenn in der Theorie noch ein wenig Handlung übrig ist. Dadurch wirkt die Geschichte stellenweise zu hektisch, die Szenen zu gestellt und stilistisch noch zu unfertig wie ein zweites, umfangreicheres Expose. Zu viele gute Ideen und für das Science Fiction zumindest auch ungewöhnliche, aus dem mechanischen Plot herausragende Ansätze sind in diese stringente, kurzweilig zu lesende Geschichte eingeflossen. Gernot Schatzdorfer sollte sich an Autoren wie Philip Jose Farmer und vor allem dem Alan Dean Foster der achtziger und neunziger Jahre orientieren, um seine exotischen Ansätze in eine fließendere erzählerisch auch leichtere, aber damit nicht niveautechnisch niedrigere Form zu gießen. Wie “Der Lindwurm- Planet” ist “Insektoid” eine kurzweilige Geschichte, bestehend aus bekannten Versatzstücken; einer intensiveren wie hervorstechenden Auseinandersetzung mit Insektoiden auf einer Ebene, welche es in dieser Form innerhalb der deutschsprachigen Science Fiction noch nicht gegeben hat und einer Art Feel Good Geschichte, in welcher beginnend mit dem Absturz auf einem unwirtlichen Planeten für die junge Ines mit ihrer stetig im Verlaufe der Geschichte zusammenwachsenden Crew wirklich “anything goes”.       

 

INSEKTOID: Science-Fiction-Roman

  • ASIN ‏ : ‎ B0CPGTJN3S
  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery (4. Dezember 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 184 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957653185
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957653185