Ghost Station

S.A. Barnes

„Ghost Station“ ist nach „Dead Silence“ der zweite Science Fiction Horror Roman, den Stacey Kade unter dem Pseudonym S.A. Barnes veröffentlicht hat. In den Staaten ist mit „Cold Eternity“ inzwischen ein drittes Buch publiziert worden.

Relativ schnell ist klar, dass strukturtechnisch „Dead Silence“ und „Ghost Station“ zumindest Schwestern sind. Absichtlich hat die Autorin die erfolgreichen Parameter ihrer ersten Veröffentlichung übernommen und vor dem Hintergrund einer auf einem unwirtlichen Planeten befindlichen Forschungs-  und Minenstation neu gemischt. „Dead Silence“ spielt dagegen in einem legendären, im All treibend gefundenen Raumschiff, dessen Bergung der Blue Collar Crew – eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Romane – unendlich viel Geld einbringt.

Im Mittelpunkt beider Romane steht eine kleine spezialisierte Raumschiff Crew. In „Dead Silence“ dreht sich viel um die Kommandantin Claire, deren Reparaturschiff Kommunikationsbogen repariert. In den Tiefen des Alls, isoliert von der restlichen Menschheit.

In „Ghost Station“ kommt die Psychologin Dr. Ophelia Bray an Bord eines Forschungs und Mienenraumschiffschiff. Die Crew hat vor kurzem ein Mitglied ihrer Besatzung verloren und ist nicht sonderlich erpicht, einen Seelenklempner von außerhalb an Bord zu nehmen.

Dr. Ophelia Bray steht vielleicht weniger wie Claire in „Dead Silence“ im Mittelpunkt der Geschichte, aber ihre Präsenz und vor allem ihre doppelte Vergangenheit wird immer mehr zu einem Schwerpunkt der Handlung. Dabei erfährt der Leser insbesondere in der zweiten Hälfte der Geschichte deutlich mehr über einzelne Aspekte ihrer Vergangenheit in Kombination mit einer unsichtbaren, möglicherweise außerirdischen Bedrohung. In diesem Punkt folgt S.A.  Barnes wieder den Strukturen ihres Erstlings, auch wenn die finale Gefahr ein wenig anders ist. Aber sie orientiert sich erstaunlich stark am „Alien“ Genre mit ihren zahllosen Epigonen, aber vor allem auch Imitationen. Es ist sicherlich schwer, diesem Subgenre vor allem auf dem Papier und weniger im Kino noch Originalität und spannende Wendungen abzugewinnen. In dieser Hinsicht überzeugte „Dead Silence“ durch die Funde in dem im All treibenden Raumschiff deutlich mehr. „Dead Silence“ präsentierte zusätzlich eine gänzlich andere Wendung hinsichtlich der finalen Bedrohung, während „Ghost Station“ in diesem Punkt deutlich simpler strukturiert ist.

Dr. Ophelia Bray dient dabei als eine Art Katalysator. Die Brays sind eine der reichsten Familien des Sonnensystems, da sie ein Gerät entwickelt haben, das in die Gehirne der Menschen implantiert werden kann. Ursprünglich aus medizinischer Sicht entwickelt ist es inzwischen ausgesprochen populär und quasi mit jedem Download  fließt Geld in die übervollen Kassen der Brays.

Aber Ophelia Bray hat noch eine weitere Vergangenheit. Sie ist nicht nur das schwarze Schaf der Familie, weil sie als ausgebildete Psychologin den Menschen bei einem bestimmten Weltraumsyndrom – die  ständige Umstellung vom Tag- Nacht Rhythmus und die unterschiedlichen Zeitabläufe führen zu schwersten Traumata – helfen will, ihr Vater hat auch eine besondere Vergangenheit und ist unter einem anderen Namen berüchtigt. Als durch einen Augenzeugen ihre eigentliche Vergangenheit ans Kunstlicht der Station kommt, ist es im Grunde schon zu spät.

Zwar nutzt S.A. Barnes diesen Effekt, um auch Brays Geisteszustand zu hinterfragen, aber angesichts der aufgefundenen Spuren wie einer zurückgelassenen Leiche direkt neben der Station oder seltsamen Proben im Kühlschrank; dem immer schräger und paranoider werdenden Verhalten eines Besatzungsmitglieds und den stetig steigenden Spannungen zwischen den in der Station bis zum Abflug eingeschlossenen Männern und Frau wird dieser wichtige Aspekte und eine potentielle Verbindung zwischen den damaligen Ereignissen und der Gegenwart quasi unter dem metallenen Teppich der Station gekehrt.

S.A. Barnes kann Plots entwickeln. „Dead Silence“ verfügt zusätzlich über die mystische Vergangenheit des vor Jahrzehnten im All verlorenen gegangenen fliegenden Holländers und Prototyps der Luxus Raumschiffe. Wie die „Titanic“ mit ihrem Untergang auf der Jungfernfahrt ist dieses Raumschiffs voller Luxus und vor allem reichen Gästen plötzlich verschwunden und bis zum Beginn der Geschichte auch niemals wieder aufgetaucht. S.A. Barnes hat in „Dead Silence“ den Cameron Moment nachgespielt. Wie in „Titanic“ perlt sich das gigantische Raumschiff aus dem Nichts, aus den Tiefen des Alls im Scheinwerferlicht heraus.

Bei „Ghost Station“ ist der Aufbau schwieriger. Der Auftakt ist perfekt inszeniert. Bray wacht anscheinend alleine an Bord des Raumschiffs in den Tiefen des Alls auf. Die anderen Besatzungsmitglieder scheinen in ihren Tiefschlafkojen ums Leben gekommen sein. Bevor die Panik sie endgültig mitreißt, entpuppt sich diese Szene als böser Scherz der Besatzung. S.A. Barnes wird später auf dem unwirtlichen Planeten in der Station diese Idee noch einmal aufgreifen und einen anderen Scherz inszenieren, der allerdings einen deutlich ernsteren Hintergrund hat und zeigt, wie gefährlich es dort draußen ist.

Anschließend entwickelt sich die Story lange Zeit in einem erstaunlich gemächlichen Tempo. Mittels Flashbacks und Alpträumen erfährt der Leser mehr über Bray. Die Crewmitglieder werden eher rudimentär und pragmatisch vorgestellt. Der Kommandant hat etwas Besonderes, so dass in Bray romantische Gefühle in der Kälte des Alls aufkommen. Das wirkt klischeehaft, formelhaft und vor allem nicht unbedingt konsequent genug.

Filme wie „Alien“ haben es geschafft, innerhalb von Minuten die Crew zu charakterisieren, so dass der Zuschauer direkt an ihrem Schicksal teilhaben konnte. Natürlich ragt Ripley final aus der kleinen Gruppe heraus, aber wer sich „Alien“ noch einmal ansieht, wird erkennen, dass Ripley erst im Laufe der zweiten Hälfte zur Heldin wider Willen wird. Bray bleibt von Beginn an aufgrund ihrer Vergangenheit – in doppelter Hinsicht – eine in sich gekehrte Außenseiterin, die Probleme hat, sich in die kleine Gruppe zu integrieren. Das liegt nicht nur am Verlust eines Crewmitglieds, sondern vor allem an den eigenen Hemmungen, sich zu öffnen. S.A. Barnes überzeugt hinsichtlich dieser Verschlossenheit durch eine ganze Abfolge von Argumenten.

Auf dem Weg zum Finale werden eine ganze Reihe von Mini-Herausforderungen und damit auch Gefahren gestreift. Neben der Idee einer Ersatzfamilie innerhalb der Crew im starken Kontrast zu der eigenen, ausschließlich am Geld interessierten Familie geht es vor allem um geistige Gesundheit in den Tiefen des Alls. Bray hat Scheuklappen auf und sieht nicht nur in den Crewmitgliedern, sondern im Grunde auch bei sich selbst kontinuierlichen Therapiebedarf.  Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich eine Autorin oder ein Autor in einem solchen Fall bewegen darf. Stephen King hat diese Balance immer wieder hinbekommen. S.A. Barnes schrammt mehrmals an den Leitplanken der Glaubwürdigkeit entlang. Da hilft es auch nicht, dass Bray auf ihre Art auch eine Trauerverarbeitung durchlaufen muss und Teilen der Crew näher ist, als sie es standesgemäß und vor allem auch in deren Augen sein sollte und darf.

Während die inneren Spannungen zufriedenstellend bis gut, allerdings auch stellenweise mechanisch entwickelt worden sind, leidet im direkten Vergleich zu „Dead Silence“ der Spannungsaufbau. In ihrem Debüt Science Fiction Horror Roman wollte Bray alles genau machen, fast überschwänglich ambitioniert.  Hohes Tempo, schnelle Abfolge von Schockmomenten, dazu einen barocken wie paradoxen Hintergrund. Damit konnte sie auch einige Schwächen im Aufbau der Geschichte überdecken.

„Ghost Station“ ist beginnend mit dem Hintergrund in dieser Hinsicht deutlich klassischer, konservativer und damit leider auch statischer. Keines der Schockmomente ist routinierten Lesern des Genres unvertraut. Zwar ist die Mannschaft angesichts der Funde und damit der potentiellen Gefahren schockiert, aber die Autorin arbeitet lange Zeit mit den Klischees und nicht den Überraschungen des Genres und nimmt sich damit sehr viel an Spannung, vor allem auch an Dynamik, da jeder Fund erst einmal ausführlich wie kontrovers diskutiert werden muss. Die Crew hat alle Zeit der Welt. Auch ein fehlendes Element. In „Dead Silence“ drohte das Luxusschiff wieder in den Tiefen des Alls zu verschwinden, wenn die Crew gegen alle inneren Widerstände und potentiellen „übernatürlichen“ Erscheinungen an Bord die gigantischen Maschinen nicht zum Laufen gebracht hätte. In „Ghost Station“ könnte die Mannschaft jederzeit wieder an Bord ihres Raumschiffs gehen und den Planeten verlassen. Das hätte zwar ein weiteres schwarzes Kreuz in der Akte und damit vielleicht auch die Entlassung bedeutet, aber es ist keine existentielle Not, dunkle Gänge zu durchqueren, um Maschinen zu starten oder die Rettungskapseln zu erreichen.   

Natürlich beeinträchtigt die unwirtliche Atmosphäre und der starke Wind auf dem Planeten die kleine Crew. Aber kaum ist es final notwendig,  öffnet sich dieses Abreise und weniger Fluchtfenster. Wer jetzt ein überraschendes Finale erwartet, wird eher durch die pragmatischen, aber nicht weniger emotionalen Abläufe enttäuscht. Der Roman endet wie er angefangen hat. In einer Schlafkapsel. „Alien“ lässt grüßen. 

Auch  wenn „Ghost Station“ kein gänzlich schlechter Roman ist, handelt es sich auch nicht um eine wirklich überraschende Arbeit. Vor allem im Schatten von „Dead Silence“ zeigen sich einzelne Handlungsmuster, die S.A. Barnes lieber variiert als originell extrapoliert.

Die Spannungen innerhalb der kleinen Gruppe mit einer individuellen Vergangenheit, welche auf der Welt immer wieder „angesprochen“ wird und an Äonen von Romanen seit Lems „Solaris“ erinnert, überraschen zu wenig und wirken rückblickend auch zu wenig wirklich existentiell oder auch nur bedrohlich, um den Leser näher an die überwiegend eindimensionalen bis pragmatisch gezeichneten Protagonisten heranzuführen. Selbst in Lems utopischer Konstruktion mit einer unbegreiflichen Entität als Kontakt hallt die Zeichnung der ebenfalls wenigen Protagonisten und ihren Vergangenheiten mehr nach als in „Ghost Station“. Von „Alien“ und anderen vergleichbar strukturierten Geschichten ganz zu schweigen.

Ohne zu viel zu verraten handelt es sich um eine First Contact Geschichte. Auch Geisterstorys sind irgendwie in diesem Subgenre mit einem ironischen Unterton einzuordnen. Die Entität ist fremdartig und bleibt es auch. Die Kontaktaufnahme erfolgt eher einseitig und basiert auf einer früheren Expedition, welche – höflich gesprochen – für Unfrieden gesorgt und das Fremde beschädigt/ verwundet hat. Heilung reicht alleine nicht aus.

Zwar gelingt es S.A. Barnes, eine wirklich fremde, aber irgendwie dann auch wieder zu menschliche Wesenheit/ komplexes Planetensystem/ fremde Rasse zu beschreiben, aber auch hier bleibt sie dem Leser gegenüber vieles schuldig. Es gehört vielleicht zum guten Ton einzelner Genreautoren, Ideen nur anzureißen und dann aus ihrer Sicht der Phantasie ihrer Leser die Sporen zu geben. Das funktioniert in einzelnen Szenen wie einem Crewmitglied an einen der Türme „gebunden“ und schließlich ausgesaugt. Auch die lebendigen roten Pusteln unter der Haut erinnern zwar an „Alien“ , haben aber keinen Magendurchbruch zur Folge. Trotzdem hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als orientierte sich die Autorin an den zahlreichen Vorbildern des Genres, ohne nachhaltig etwas Eigenes zu erschaffen.

Natürlich ist es schwer, in dem Science Fiction Horror First Contact Subgenre wirklich noch spannende, vielleicht auch atmosphärisch dunkle und brutale Geschichten zu entwickeln. Die Schatten von „Alien“ und Co sind zu lang. Aber der Leser hat bei der Lektüre von „Ghost Station“ immer wieder das unbestimmte Gefühl, als wenn eine zu simple, zu pragmatische Handlung auf eine in Ansätzen durchaus fremdartige Intelligenz auf ihrer abgeschiedenen wie unwirtlichen Welt trifft, deren Potential weder die Protagonisten erfassen noch die Autorin wirklich beschreiben kann. Eine Blockade im literarischen Kopf. Das es S.A. Barnes anders und viel besser kann, hat sie mit dem empfehlenswerteren „Dead Silence“ bewiesen.  Ignoriert man die Chronologie der Publikation, bleibt das unbestimmte Gefühl, als  wäre „Ghost Station“ die erste Arbeit und viele der Schwächen, aber auch Stärken wie eine bedrohliche Atmosphäre; die ständige Isolation im All und auch die Desorientierung durch die Herausforderungen von fehlender Schwerkraft; Klaustrophobie und schließlich zerrissenen Zeitabläufen dienen als Übung für den in diesen Punkten ebenfalls deutlich mehr überzeugenden „Nachfolger“ Dead Silence.

Als Sommerlektüre liest sich „Ghost Station“ immer noch flott. Das Tempo ist hoch; die Figuren eindimensional, aber akzeptabel charakterisiert und das Finale ist zufriedenstellend, aber leider ist „Ghost Station“ auch nicht viel mehr. Und das ist nach „Dead Silence“ die größte Enttäuschung dieses Buches.     

     



Ghost Station: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 12. Februar 2025
  • Auflage ‏ : ‎ Deutsche Erstausgabe
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 464 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453323521
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453323520
  • Originaltitel ‏ : ‎ Ghost Station