Milchgeld

Volker Klüpfel, Michael Kobr

Löst sich der Leser von der Kinofigur Kluftinger – so hervorragend dargestellt von Herbert Knaup -  dann bleibt beim ersten Allgäu Kriminalroman des Teams Volker Klüpfel und Michael Kobr eine bedingt unterhaltsame Geschichte mit einem Anti Kommissar Entwurf übrig, die als Kriminalroman nicht gänzlich überzeugt.  Von der Struktur her machen die Autoren auch den Fehler, den Fokus positiv unter Verzicht auf die Ich- Erzählerperspektive nicht konsequent durchzuhalten, sondern zu Lasten der Glaubwürdigkeit und viel zu stark entweder zu Gunsten relativ flachen, aber schwarzen Humors bzw. einer Verdichtung der Spannung zwei weitere kurzweilige Perspektive einzubauen. Diese Inkonsequenz ist eine der auffälligsten Schwächen des ganzen Romans.  Auch wenn relativ schnell der erste Mord geschieht, brauchen die Autoren aufgrund der nicht ausgewogenen Balance zwischen Etablierung des Hintergrunds – das eher unbekanntere Allgäu um Kempten herum – sowie der offensichtlich auch absichtlich als Kultfigur angelegten Person Kluftingers den Gesamtroman betrachtend entweder wenig Zeit – nach zweihundert Seiten deutet alles auf einen einzigen Verdächtigen, der allerdings kurz vor der Verhaftung ebenfalls ermordet wird – oder den ganzen Plot betrachtend abschließend zu lange, um den Fall zufriedenstellend, aber für einen Krimi auch eher untypisch abzuschließen. Der Leser muss sich erst einmal von einem dynamisch ermittelnden, entweder souverän positiv antiquiert denkenden oder modern agierenden Kommissar mit Erfahrung verabschieden. Die Autoren erläutern gleich zu Beginn, dass bislang in der Umgebung von Kempten es eher beschaulich zu gegangen ist. In der Heimat Kluftingers Altusried noch ruhiger. Mit seinen 56 Jahren ist der Polizist ein gestandenes, fast klischeehaft überzeichnetes Mannsbild, das stur stoisch seinen Weg durchs bayerische Leben pflückt. Auslandsreisen sind ihm suspekt und am Liebsten pflegt er seine Rituale, wobei zumindest auf den typischen Stammtisch verzichtet wird. Seine Frau dominiert den Haushalt, auch wenn er manchmal sie überraschen kann. Er ist sparsam, aber nicht geizig. Dem Volk spricht er angesichts mancher Preise wie dem Kaffee in der Abfertigungshalle förmlich aus der Seele. Seine Mutter versucht in ihm immer noch den kleinen Jungen zu sehen und seine Freunde verstehen ihn nicht immer. Mit der präsentierten Mischung aus inneren Monologen, die in der vorgebrachten Form zwischen „peinlich“ stur und mit einem Augenzwinkern die abgeschiedene Lebensart im Allgäu parodierend, und so gegenteilig wirkenden wenigen dynamischen Szenen wie die Verfolgung während der Beerdigung; die Ermittlung vor einer verdächtigen Scheine im Schlamm und schließlich die Nachtobservation, die allerdings wirklich ein Peinlichkeit erinnert, versuchen die Autoren einen Charakter zu etablieren. Dabei vergessen sie, dass Kluftinger als Kommissar im Grunde auch eine Respektperson bleiben muss und den Fall zumindest an einer Stelle lösen sollte. Immer ist er dem Geschehen hinterher und nicht selten sind es die stark konstruierten Zufälle, welche die Ermittlungen am Laufen halten. Alleine der Tod des bis dahin einzig in Frage kommenden Verdächtigen ist genauso eine Überraschung wie die Entlarvung des eigentlichen Täters, dessen Motiv zumindest in einer dörflichen Gemeinde teilweise nachvollziehbar ist. Sowohl in Bezug auf den Täter als auch indirekt die Figur des Kommissars geht es auch um das Erhalten des Status Quo innerhalb von eng abgegrenzten Personengruppen. So erfüllen die Nebenfiguren im vorliegenden „Milchgeld“ funktional ihren Zweck, ohne nachhaltig überzeugen zu können. Seine Mitarbeiter sind entweder unfähig – der Mann mit dem Aufzeichnungsgerät erinnert ein wenig an Dale Cooper aus „Twin Peaks“ – oder zu intelligent, um ihre eigentliche Persönlichkeit zu zeigen.  Mit Kluftinger zusammen bilden sie ein Team, das ohne Frage mit einer Mischung aus Satire und gutwilligem Humor extrapoliert werden kann.  Auch das private Umfeld mit der resoluten, aber auch liebenswerten Gattin sowie den Nachbarn – ausgerechnet ein Akademiker – ist entwicklungsfähig. Peinlich wird es vielleicht, wenn die Autoren den nicht dummen Kluftinger mit den Gesprächen über Parmesan im Stück oder einen Wein auf das Niveau eines nur sturen Dörflers zu reduzieren suchen. Hier schießen sie nicht nur über das Ziel hinaus, sondern die beiden Autoren reduzieren ihre ansonsten dreidimensionale, in der Verfilmung aber nuancierte dargestellte und mit viel Allgäuer Leben erfüllte Figur unnötig. Kluftinger als Mittelpunkt des Romans ist gut gewählt und wird einige Leser eher ansprechen als die schon angesprochen schwächer entwickelte Handlung.   Es ist aber auch notwendig, diesem Phlegmatiker in den nächsten Fällen mehr Dynamik zu geben.  Und das wiederholte, nicht nur auf den ersten Blick teilweise ziellose Auftauchen an verschiedenen Tatorten bzw. in der Käserei erinnert zwar positiv an „Columbo“, sollte aber negativ in den nächsten Romanen effektiver und den Fall schneller vorantreibend eingesetzt werden.

Im Gegensatz zu den teilweise zu weitschweifigen und nicht immer ins Ziel treffenden Beschreibungen der An- und Protagonisten ist die Etablierung einer so typischen Allgäu Atmosphäre sehr gut gelungen. Nicht nur Kluftinger ist manchmal nach zwanzig Jahren in der  Nähe von Kempten immer noch ein Fremder, die Autoren suchen die sperrige Herzlichkeit dieser Region genauso zu beschreiben wie die örtlichen Besonderheiten. An einigen Stellen hätte sich der nicht über Ortskenntnis verfügende Leser intensivere und dreidimensionalere Beschreibungen gewünscht. Die Erwartungshaltung an das Publikum ist teilweise sehr hoch und manche örtliche Idee geht förmlich ins Leere. Die Almen, die engen kurvigen Straßen, die Abgeschiedenheit und schließlich auch das nicht immer leichte Leben und Überleben angesichts der Subventionen der EU, die stetig fallenden Milchpreise und dem Druck der Industrie wird als Mechanismus verwandt, aber mit zu wenig Herzblut in die Handlung eingebaut.  Immer wieder flackert der Heimatpatriotismus nicht nur bei Kluftinger auf, aber ein wenig mehr typisches als klischeehaftes Allgäu hätte dem Leser vor allem aus einer direkt in den Plot eingebauten und nicht so stilistisch distanziert belehrenden Perspektive besser getan.

Gewöhnungsbedürftig und vielleicht nicht gänzlich absichtlich ist die Struktur. Da wird deutlich, vielleicht sogar zu überdeutlich auf einen einzigen Verdächtigen hingearbeitet, der Hintergrund des Opfers erläutert und eine Wiederholung der damaligen Umstände quasi unmöglich gemacht – so lehnt der Käsereibesitzer regelmäßig die Milch eines Altbauern für seine Produkte als zu schlecht ab, bezahlt ihm aber trotzdem  das Milchgeld und vernichtet die Bestände anschließend – und dann trifft das doch wieder ein, ohne das wirklich jemand in der Milchverarbeitung das merkt? Ohne dass für das neue Verfahren Produktionsmethoden umgestellt werden müssen. Natürlich wirkt der Seitenhieb auf die Qualität der industriell verarbeiteten Lebensmittel nach, aber die ganze Prämisse wirkt insbesondere auch in Hinblick auf die Dominanz des Firmeninhabers zu stark konstruiert. Auch dessen Reaktionen – so hätte er den Fall mit zwei Treffen aus der Welt schaffen können, denn die Wut des Hauptverdächtigen richtig sich gar nicht gegen ihn, er ist im Grunde das zweite allerdings aktivere Opfer – erscheinen eher aus Mangel an weiteren Verdächtigungen konstruiert als in sich natürlich entwickelt. Aber viele dieser offensichtlichen Schwächen, welche die sehenswerte Verfilmung teilweise trotz aller Kritik aus den Reihen der Buchanhänger geglättet hat, lassen sich bei einem Debüt verschmerzen, wenn eine Kommissar Karikatur – gut gemeint – von Kluftingers Dimensionen in einem trotz manch stilistischer Unbeholfenheit zumindest kurzweilig zu lesenden Allgäu Kriminalroman heraus kommt.              

 

  • Taschenbuch: 320 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch; Auflage: 9 (September 2008)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492262279
  • ISBN-13: 978-3492262279
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