Cibola brennt

Cibola brennt, Rezension, James Corey, Titelbild
James Corey

James Coreys – ein Autorenteam – vierter im “The Expanse” Universum spielender Roman nimmt die in den ersten drei umfangreichen, aber nicht immer im Kern nachhaltig originell gestalteten Wurzeln auf und versucht ihnen mit Hinweisen auf die aktuellen politischen Lagen auf der Erde auch einen kapitalismuskritischen Inhalt zu geben. Die Grundideen der „First Contact“ und Kolonisierung einer jungfräulichen, aber natürlich lebensfeindlichen Welt werden in einem inhaltlich zu aufgeblähten Rahmen insbesondere mit bekannten Nebenfiguren erzählt. „James Corey“ ist inzwischen ein erstaunlich routinierter Autor wenn es um das Zusammensetzen von Versatzstücken – neben den eingangs erwähnten Themen finden sich noch Hinweise auf einen hinter den Kulissen abspielenden Politthriller oder die weiterhin latente Bedrohung -  in einem unterhaltsamen, aber nicht immer kurzweiligen Ambiente geht.

Aus den ersten Romanen ist James Holden bekannt, der inzwischen als Captain der „Rocinate“ eine Art Feuerwehrmann darstellt. An verschiedene Brennpunkte geschickt soll er natürlich nicht nur neutral die Fronten klären. Am Ende des Romans im Epilog wird ersichtlich, dass Holden aufgrund seiner unorthodoxen Problemlösung und dem nicht eingeplanten Erfolg dieser Mission für einige im Hintergrund agierende Kräfte auch zu einem Problem geworden ist. Und Probleme beseitigt man am besten auf eine direkte Art und Weise.  Auch in diesem Band erweist sich Holden als eine Art überdimensionaler Held, der auf fast alles entweder eine Antwort hat oder sich opportunistisch gegen alle Regeln stellt, um auf der kleinsten persönlichen Ebene einen Erfolg zu haben. Während er in den ersten drei Romanen dieser Serie manchmal zu sehr durch den Faktor Zufall am richtigen Ort im passenden Augenblick gewesen ist, agiert James Corey mit dem Ausschicken des neuen Polizisten Holden deutlich zielstrebiger. Sein größter Konkurrent ist der Sicherheitsoffizier Havelock an Bord eines der im Orbit um eine neue Erde befindlichen Raumschiffe. Auch wenn es kaum direkte Konfrontationen gibt,  etabliert Corey Havelock als den klassischen und damit leider auch teilweise zu eindimensionalen Antagonisten. Auf dem Planeten selbst dienen die Forscherin Elvi Okove und Basia Merton als einer der eher ungewollten ersten Kolonisten als Eckpunkte der Handlung. Während Okove sich um die verschiedenen, auf New Terra lebenden exotischen Tiere kümmern soll, versucht Basia Merton in einer der eher unterwickelten Handlungsebene frei von allen sozialen Zwängen mit seinen Angehörigen ein neues, anfänglich auch ohne Frage archaisches Leben zu beginnen. Wenn am Ende in einem der wichtigen Exkurse zum Beispiel über das Schicksal des Mars diskutiert wird, erkennt der Leser das Potential dieser Serie. Der Mars mit seinem weiterhin unwirtlichen Klima und der Notwendigkeit, unter der Erde zu siedeln, ist eine der ersten natürlich von Menschen besiedelten Welten. Die Marsregierung verfügt über Atomwaffen und eine moderne Flotte. Sollte aber die in den ersten vier Romanen der Serie trotz oder vielleicht auch wegen der ganzen Schwierigkeiten anhaltende Auswanderungswelle anhalten, dann könnte der Mars bald nicht mehr über genügend Siedler verfügen, um seine teure und schwierige Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Der Epilog wirkt vielleicht angesichts der Fakten ein wenig zu optimistisch und angesichts der bisher eher bodenständigen Handlung zu sehr extrapoliert, aber ein solches Problem wäre insbesondere für die in „Cibola brennt“ angeschnittenen Themenkreise eine interessante Alternative.   

New Terra ist dank der zahlreichen Bodenschätze in erster Linie eine Welt, die für den Konzern „Royal Charter Energy“ interessant ist. Obwohl die Kosten enorm sind, die seltenen Erze zu verladen und zur Erde zu schaffen, brummt das Geschäft. Zur weit entfernten Sonne Ilus mit ihrem im Grunde unwirtlichen und für Menschen schwer zu besiedelnden Planeten hat sich eine Gruppe von Siedlern aufgemacht, die inzwischen ihre eigenen Rechte an dieser Welt beanspruchen. Als der örtliche Gouverneur bei einem Bombenanschlag auf einen Landeshuttle ums Leben kommt, schickt Chrisjen Avasarala – auch eine Figur aus dem ersten Buch – Holden als Verhandlungsführer auf den Weg.  Betrachtet man den Planeten an sich, so gelingt es Corey nur teilweise, eine wirklich exotische und damit auch dreidimensionale Welt zu erschaffen. Wenn auf der einen Planetenseite eine unterirdische Explosion stattfindet, deren Kraft den Planeten in einen Winterzustand zurückwirft, dann ist die Szene durch die unterschiedlichen Perspektiven ausgesprochen spannend und intensiv beschrieben worden. Die Rettung bilden die seltsamen Bauwerke, Artefakte einer außerirdischen längst untergegangenen Rasse, die vielleicht direkt/ indirekt auch die für Explosion auf der anderen Planetenseite verantwortlich gewesen sein könnte. Auf der anderen Seite ist es die Flora/ Fauna, die unter anderem mit der Möglichkeit einer Erblindung der Menschen durch den Übertrag von Sekreten für Aufregung sorgen. Das große Problem dieses Buches ist aber, dass jede einzelne Episode für sich genommen, solide beschrieben worden ist. Die kleinen Lösungen der großen Probleme scheinen aber quasi um die Ecke zu liegen, so dass im Grunde bei diesem Spannungsbogen so gut wie keine Dynamik aufgebaut wird.  Am Ende fallen die einzelnen Versatzstücke routiniert zusammen, so dass der Leser sich auf der einen Seite befriedigt fühlt, auf der anderen Seite aber noch hungrig fühlt.

Vieles versucht Corey auch positiv über seine Figuren zu lösen. Was im Medium Film mit Zwischenschnitten und Perspektivwechseln – der Zuschauer ist ja objektiv als Augenzeuge dabei – sehr gut funktioniert, muss im Buch umgeschrieben werden. Coreyy beschreibt einen Dialog nicht selten erst aus der einen Perspektive, um dann im nächsten Kapital aus der Sichtweise des Gesprächspartners weitere Informationen hinzuzufügen. Insbesondere bei der Auseinandersetzung mit dem fremden Planeten ist diese Vorgehensweise effektiv, vor allem nicht belehrend. Die nicht unbedingt Scheuklappen tragende Wissenschaftler Elvi dient hier als Modell. Immer wieder zeigt sie, dass das Leben und Überleben auf diesem Planeten kein Geschenk ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine nachhaltigen Argumente der Siedler/ Kolonisten, warum sie sich ausgerechnet diesen unwirtlichen Planeten ausgesucht haben. Natürlich verfügt Corey durch die Konfrontation zwischen Kapital und Idealismus über ausreichend Konfliktpotential, aber vielleicht wäre es von der Logik her effektiver gewesen, die außerirdischen Artefakte besser in die laufende Handlung einzubauen und die Firma einen Konfrontationskurs gegen die Forscher fahren zu lassen. Vom Anschlag bis zur finalen, aber zu schnellen Auflösung hätten die Handlungen logischer und damit auch intensiver beschrieben werden können. Die selbst finanzierte Expedition zu einer so schwierigen Welt macht angesichts der logistischen Schwierigkeiten genauso wenig Sinn wie das eher oberflächliche Terraforming des Mars voranzutreiben. Die Forscher könnten genauso diese ungewöhnliche, exotische und damit den Gesetzen „Alien“ folgende Mischung aus Lebewesen und Hybriden „erwecken“ wie die Kolonisten. Mit Holden verfügt der Roman wie schon eingangs erwähnt über einen dominierenden und dominanten Charakter, der immer an der Grenze zum „Suizid“ von Schuldgefühlen geplagt agieren muss. Mit Miller – einer Figur aus „Leviathan Erwacht“ – agiert eine starke Stimme im Hintergrund. Corey zeichnet sich überwiegend durch „graue“ Figuren aus. Mit dem Siedler/ Anführer Basia wird ein ausgesprochen ambivalenter Charakter in den Handlungsrahmen geworfen, der auf der einen Seite stur und fast stupide die theoretischen Ideale dieser aus seiner Sicht herausfordernden, vielleicht auch idealisierten und damit pervertierten Welt deklariert, während seine Kinder in der zivilisierten Welt Karriere machen wollen. Er hat sich zu Beginn am Terroranschlag mit vielen teilweise unschuldigen Toten beteiligt, obwohl er nicht die Meinung seiner Mitverschwörer teilt. Von Schuldgefühlen geplagt ist er gleichzeitig der Mittler zu Holden, der in der verfahrenen Situationen eine Art Türöffner benötigt. Während sein persönlicher „Scotty“ Amos in erster Linie über die wenigen lustigen, vielleicht auch flapsigen Dialogzeilen des ganzen Buches verfügt, dient der eigentliche Antagonist Murphy als typisches Feindbild. Bis an den Rand der Nazis beschrieben mit dem Sendungsbewusstsein, alles für den eigenen Arbeitgeber tun zu wollen und deswegen gesetzlich nicht zu belangen erscheint diese Figur eher als Notwendigkeit denn nachhaltig entwickelt. Wenn Holden ihn schließlich zur „Rede“ stellt, wirken die Zeilen eher schwerfällig und befremdlich, denn vielleicht und interessant. Ausschließlich kapitalistisch eingestellt sind seine Handlungen teilweise sogar nachvollziehbar, denn während der Planet als rohstoffreiche Welt für die Erde interessant ist und selbst die Flora/ Fauna „künstlich“ zu sein scheint, haben sich die Siedler in einer Umwelt breit gemacht, die unter kritischen Gesichtspunkten herausfordernd bis hinsichtlich der Überlebenschancen wenig optimistisch zu sein scheint. Nicht immer heiligt der Zweck die Aktionen. Aber derartige Antagonisten – auch wenn sie gegen Holden keine echte Chance haben – benötigt anscheinend jedes dieser überdimensionalen und cineastisch geschriebenen, sehr viele Anleihen im Golden Age nehmenden Abenteuer, um funktionieren zu können. Es sind in erster Linie die kleinen Ideen – die Mischung aus Lebewesen und Hybride, auch wenn die Zwischenkapitel eher wie Zeilenschinderei aussehen -, welche diese trotz seines Umfangs erträglich langen Roman bevölkern. Im Vergleich zu einigen anderen, ausschließlich militärisch orientierten Science Fiction Serien geben sich die hinter dem Pseudonym James Corey stehenden Autoren Mühe, einen flüssigen Handlungsrahmen aus guten Dialogen, wechselnden Perspektiven und manch bekannten Versatzstücke zu präsentieren, das oberflächlich verführerisch unterhaltsam ist.