Frl. Schmidt und das Vermächtnis des großen Jaguars

Wilko Müller jr.

Im inzwischen fünften „Frl. Schmidt“ Roman – die separat veröffentlichte Geschichte „Frl. Schmidt und die Reise nach Mexiko“ nicht zählend – kehrt Wilko Müller Jr nicht  nur zu den Lovecraft Anlehnungen des zweiten Bandes der Serie zurück, sondern er gibt nicht ganz ernst zu nehmend den Mythen um die Großen Alten einen interessanten Hintergrund, den der Antiquar gleich zu Beginn mit Macht belehrend um die Ohren gehauen bekommt. Auf der zweiten Handlungsebene beschreibt Wilko Müller jr, wie sich eigentlich eher dem Science Fiction Klischee folgend eine ganze Flotte von Raumschiffen in Richtung Erde in Bewegung setzt, um nach dem Plan der Großen Alten das menschliche Leben auszulöschen. Dabei handelt es sich um die spinnenähnlichen, von Lovecraft nur selten effektiv beschriebenen Wesen, die in erster Linie die menschlichen Alpträume bevölkern. Wie die Legende weiter ausführt, ist auch Lovecraft der Autor gewesen, der nach Jahrhunderten der Vergessenheit die Großen Alten wieder in das Bewusstsein der Menschen gerückt hat, denn sie sind niemals wirklich von der Erde „verschwunden“. Es gab in der Zwischenzeit zahlreiche Vorfälle, wobei nicht die Menschen, sondern die Götter eine Invasion der Erde verhindert haben. Wilko Müller beschreibt die üblichen Vorfälle vom Kometeneinschlag 1908 bis zu Roswell sehr geschickt und spinnt so ein neues Garn. Vielleicht wäre dieser fiktive historische Rückblick perfekt, wenn er auch noch Orson Welles „War of the World“ eingebunden hätte.

 Bevor der Autor aber auf die Science Fiction Geschichte zurückkommt, wird in den Regenwäldern Guatemalas eine fast unberührte Tempelanlage gefunden, von der Unheimliches ausgeht. Frl. Schmidt, Wichowski und die ebenfalls in diesem Fall mit ägyptischen Göttern in Berührung gekommene Anne machen sich auf, diese seltsame Tempelanlage zu untersuchen, während die fremden Raumschiffe immer näher kommen.

 Nach der ironischen Enthüllung der zahlreichen Invasionsversuche der Erde konzentriert sich Wilko Müller jr. erst einmal auf die Expedition zu einem exotischen Platz auf der unserem Planeten. Dabei wechseln sich die geographischen Beschreibungen, die Lebensweise der Einheimischen und schließlich auch die Atmosphäre im Dschungel mit einer soliden Zeichnungen vor allem der Nebenfiguren ab. Frl. Schmidt als Reinkarnation einer Göttin fällt natürlich vor allem den Einheimischen auf, die still schweigend ihre Bewunderung ausdrücken, während Wichowski am liebsten zu Hause in seinem staubigen Antiquariat gewesen wäre. Selbst Annes Vater und Großmeister der Loge sowie Finanzier der Expedition hat zu Beginn einen kleinen Auftritt. Mit dem Fund des Tempels und den ersten Untersuchungen überschlagen sich die Ereignisse. Wie die letzten „Frl. Schmidt“ Romane versucht der Autor ein wenig zu viel Handlung auf die letzten Seiten zu bringen. Dabei wirkt der brutale Angriff einer übernommenen zwar spannungstechnisch solide geschrieben und Wilko Müller jr. zeigt auf, dass er auch sympathische Nebenfiguren töten kann, aber weder die Grundidee ist neu, noch wirkt die Ausführung harmonisch in den Handlungsverlauf eingebaut. Viel interessanter ist die finale Auseinandersetzung mit den sich der Erde nähernden Fremden. Hier greift der Autor nicht nur auf die Götterwelt zurück, wie in den gegenwärtig modernen Urban Fantasy – siehe auch die Serie um den eisernen Druiden im Klett Cotta Verlag – vermischen sich wieder pointierte Dialoge und die gut gezeichneten übernatürlichen Charaktere zu einem stringenten Handlungsverlauf, dem der Leser angesichts der Wichtigkeit dieses Plotelements einfach mehr Raum gewünscht hat. Auch bei der finalen Auseinandersetzung hält Wilko Müller eine kleine Überraschung in der Hinterhand, die Götter wie Leser überrascht. Allerdings extrapoliert er sie nicht weiter, so dass viele Fragen offen bleiben. Ohne den Handlungsbogen zu dehnen oder auf Klischees zurück zu greifen, hätte dieser „Frl. Schmidt“ Roman auch gute zwanzig Seiten länger sein können, ohne seine innere Spannung und vor allem seine guten Charakterzeichnungen zu verlieren.

In Hinblick auf den Handlungsverlauf aller bislang veröffentlichter Romane ist es nicht nur positiv, dass Wilko Müller immer wieder auf eingeführte Figuren zurückgreift und vor allem Neuleser durch kurze prägnante Zusammenfassungen bisheriger Handlungsverläufe auf dem neusten Stand hält, sondern das er deutlich mehr mit phantastischen Ideen spielt und sich nicht nur alleine auf die Mythen der Götterwelt konzentriert. Wenn Wichowski selbst ironisch davon spricht, dass die Intensität der Weltrettungen nicht nur zu genommen hat, sondern die Zeiträume immer kürzer werden, dann hat er auch Recht. Immer nur Weltrettungen könnten sich abnutzen, aber wer die großen Alten als Weltrauminvasoren beschreibt oder zwischendimensionale Räume mit dem alten Ägypten kombiniert oder den Weltuntergang mit einem mystischen Schwert in Verbindung bringt, der wird noch einige Variationsmöglichkeiten des im Grunde gleichen Themas im mystischen Köcher haben, um einige Zeit unterhalten zu können.

Die Mischung aus einer abenteuerlichen, phantastischen Handlung bekannter, aber neu gemischter Elemente  sowie einigen nicht belehrend präsentierten gut recherchierten Fakten  in Kombination mit der wieder an Präsenz gewinnenden Göttin – dieses Mal macht sie es nicht alleine, auch wenn es wieder die fast letzte Minute ist – macht „Fräulein Schmidt und das Vermächtnis des großen Jaguars“ zu einem der kurzweilig lesenswertesten Bände dieser ungewöhnlichen, aber ein größeres Publikum verdienenden Serie.

Phantastische Erzählung
Taschenbuch, 192 Seiten
Edition SOLAR-X 2014
ISBN 978-3-00-046767-7

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