Perry Rhodan Neo 41- Zu den Sternen

Marc A. Herren

Mit Marc A. Herrens "Zu den Sternen" springt die Handlung wieder zur Erde. Im letzten in Chittagong spielenden Roman hat Michael Marcus Thurner in einem der besten Beiträge zur Serie bewiesen, das das Neo Konzept breiter aufgestellt und wirklich moderner durchdacht funktionieren kann. Herrens Taschenheft kann das Niveau nur teilweise halten. Auf der einen Seite sind die Einzelschicksale sehr viel interessanter als Rhodans unglaubwürdige Odyssee in den Tiefen des Alls. DSie Bodenständigkeit des "Königs von Chittagong" wird mit der Ausbildung neuer Raumfahrtrekruten fortgesetzt. Unter ihnen befindet sich ein geläuterter und sehr viel zugänglicher Sid Gonzales. Auf der anderen Seite kann Marc A. Herren diesem ausgesprochen bekannten Szenario - harte Ausbildung, Teambuilding, Überlebenstraining, Freundschaft und Liebe, Triumph und Tragödie - keine wirklich neuen Aspekte hinzufügen, so dass sich "Zu den Sternen" trotz eines sauberen, sehr geradlinigen Stils und Herrens Bemühen, innerhalb dieses fast klischeehaften Szenarios Spannung aufzubauen eher wie ein Roman aus den achtziger, wenn nicht sogar teilweise aus den siebziger Jahren liest. Herren muss die Errungenschaften der arkonidischen Technik ganz bewusst in den Hintergrund drängen, da viele der Übungen insbesondere zum Ertragen des Andrucks während des Starts im Grunde wegen der Antigravitationskonverter eher sinnfrei sind. Das gibt dem Roman eine fragwürdige Ambivalenz. Viel schlimmer ist, dass der zweite Handlungsbogen eher die Schwächen der "Neo" Serie nachdrücklichst unterstreicht. Um auf die Haupthandlung zurückzukommen. Sid Gonzales ist nicht aus der Lehranstalt für angehende Mutanten geflüchtet. Er hat von Homer G. Adams einen Sonderauftrag erhalten. Er soll sich in das Astronautenprogramm in Baikonur einschmuggeln und dort ohne seine Mutantenfähigkeiten nach dem Rechten sehen. Auf dem Weg dahin rettet er einen Jungen vor dem Tod durch Erfrieren. Jahrelang haben die Bewohner seines Dorfes von der lebensgefährlichen Bergung der abgestürzten Raketenteile sehr gut gelebt. Da die neuen Techniken keine Raketenreste mehr hinterlassen - ein Hinweis auf die arkonidische Technik, die im Verlaufe des ganzen Taschenheftes pragmatisch selektiv verwandt oder ignoriert wird - , kämpfen die Dorfbewohner um ihr Überleben. Sid nimmt den Jungen mit, der nicht nur zu seinem Freund wird, sondern ihm in körperlicher wie geistiger Hinsicht in den Schatten stellt. Marc A. Herren gibt aber keinen Hinweis, wie der Junge als auch Sid das ohne Frage notwendige Schulwissen erlangt haben. Vergleicht man die beiden Außenseiter mit den anderen Mitgliedern ihres Teams, die teilweise neben höherer Bildung zumindest teilweise studiert haben, scheint Raumfahrt in der Zukunft eher ein Beruf zu sein, den man mittels "Learning buy Doing" ausfüllen kann. Unabhängig von den bekannten Aktionen bzw. obligatorisch/ bekannten Plotelementen – die Kleinen Kandidatengruppen müssen verschiedene Gegenstände zusammenstellen, die sie beim am nächsten Tag stattfindenden Überlebenstest benötigen; ein schräger Schulstreich durch den aus der Originalserie, aber nicht bei „Neo“ bekannten Sohn Walter S. Hollanders – Maurice S. Hollander und schließlich eine Reihe von Eifersüchteleien – gelingt es Marc A. Herren, die Ausbildung unter der Anleitung von Ferronen authentisch und überzeugend zu beschreiben. Warum den Ferronen die Ausbildung der Raumkadetten nach irdischen Maßstäben auferlegt worden ist, bleibt offen. Sid ist ein sehr gut charakterisierter Protagonist, der absichtlich und wie sich später herausstellt zum Wohle seiner Ausbildung auf seine Mutantenfähigkeiten verzichtet. Natürlich wird er einmal vor die Wahl gestellt, ein Mitglied seines Teams mittels der Teleportation zu retten oder sie möglicherweise sterben zu lassen. Nur der Spitzname „El Cid“ – er hat sich indirekt nach dem spanischen Volkshelden benannt – ist eine Art Running Gag, die bislang ins Leere zielt. In der zweiten Hälfte des Buches verliert aber Marc A. Herren wahrscheinlich aus Exposenotwendigkeiten den Zugriff auf diese Figur. Der Streich des Abschlussballes wird zwar von dem mit zu dickem Strich gezeichneten Maurice S. Hollander ausgeführt, aber Sid deckt ihn zu wenig inhaltlich vorbereitet. Gemeinsam sollen sie aus der Akademie ausgeschlossen werden. Da der abschließende Ausflug – warum werden die Beiden überhaupt mitgenommen? – zum Fahrstuhl zu den Sternen führt, können sie im sich in erster Linie aus der zweiten Parallelhandlung entwickelnden Chaos heraus eine Leka- Disk stehen. Marc A. Herren hätte Sid weniger als Opfer, als körperlich Maurice Unterlegener beschreiben können oder müssen, sondern viel mehr den Geheimagenten – zum zweiten Mal in diesem Taschenheft – mimen lassen, um hinter Maurice Geheimnisse und seinen Flug zum Mars zu gelangen. So wirkt Sid wie ein williges Opfer. Das widerspricht seinen bisherigen Handlungen, zumal er mehrmals im Chaos des finalen Showdowns die Möglichkeit gehabt hätte, dank seiner Kräfte zu entfliehen. Mit der unehrenhaften Entlassung aus der Akademie wäre auch sein Versprechen hinfällig geworden, seine Kräfte nicht mehr einzusetzen. Wie mehrfach angesprochen überwiegen die bekannten Handlungsplotelemente, während Marc A. Herrens gute Charakterisierung insbesondere der Nebenfiguren ein wenig untergeht. Ihm gelingt es aber, den Traum von den Sternen, die Faszination der Astronauten selbst in einer Zeit aufrechtzuerhalten, in welcher die außerirdische Technik die von ihm überwiegend beschriebene harte Ausbildung ad absurdum geführt hat. Reginald Bull macht sich Sorgen um die Bordpositronik der ehemaligen Venuszuflucht im Orbit um die Erde. Er möchte sich durch die frisch programmierte Positronik des schwer beschädigten Arkon Kreuzers GHERWAN zu ersetzen. Der erste Versuch durch den Naat Hacker Jeenthar scheitert, so dass Bull auf die Hilfe von Allister T. Whistler angewiesen ist, der im Prolog gerade aus seinem neuen Gefängnis zumindest vor die Tür der Anstalt geflohen ist. Sie beschließen, die Positronik mittels eines fingierten Angriffs zu beschäftigen, um dann durch die Hintertür sich durch die verschiedenen Sicherheitsprogramme zu hacken. Auch diese Idee ist zumindest in der Science Fiction nicht neu. Außerdem ist sie mit gewaltigen Risiken verbunden, die anscheinend nicht nur von Bull ignoriert werden. Immerhin findet der Angriff der Naat Schiffe zeitgleich mit der Besichtigung des Weltraumfahrstuhls nicht nur durch die Raumkadetten statt. Nachdem sich die Positronik anfänglich defensiv wehrt, greift sie zur ultimativen Vernichtungswaffe – im Umfeld um die Station explodieren Fusionsbomben. Warum diese die Angreifer nicht gleich vernichtet haben, bleibt unausgesprochen. Auf jeden Fall werden diese Fusionsbomben nicht mittels Raumtorpedos ausgeschickt, sondern sie materialisieren unmittelbar vor ihrer Explosion. Trotzdem gelingt es Whistler und Jeenthar unter persönlichen Opfern, die Positronik auszuschalten, sie zu ersetzen. Reginald Bull stand der Bordpositronik von Beginn an skeptisch gegenüber. Ob das berechtigt ist oder nicht bleibt offen. Bislang hat der Fahrstuhl zu den Sternen den Menschen das Leben nicht erschwert. Die Aktionen gegen die Positronik wirken eher wie mit der Brechstange vorgetragen, zumal die Folgen unabsehbar sind. Da Whistler aus der alten Serie bekannt ein wissenschaftliches, aber auch exzentrisches Genie ist, nutzt Herren diese nicht unsympathische, gegen den Strich gebürstete Figur, um die stereotypen Klischee dieser Handlungsebene zu unterlaufen. Mit Jeenthar fügt sich ein im Grunde typischer Erdenhacker im außerirdischen Gewand gut in das Team ein. Die Dialoge sind pointiert geschrieben, die Aktionen über der offenen „Flamme“ für den Leser nachvollziehbar beschrieben. Alleine die gänzliche Ignoranz von möglichen Kurz- und Langzeitfolgen lässt einen dem Atem anhalten. Das die Aktion letztendlich ein weiterer Pyrrhuserfolg ist, steht außer Frage. Ansonsten wäre der Schritt zu den Sternen an dieser Stelle zu Ende. Zu den innerpolitischen Problemen Adams gegenüber, der den Fahrstuhl zu den Sternen ja propagiert hat, wird zu wenig gesagt. Warum Bull plötzlich eine derartig dominierende Position einnimmt, ob er erstens in kein Amt gewählt worden ist und zweitens eher im Windschatten des ohne hin eindimensionalen Perry Rhodan mit gelaufen ist, bleibt ebenfalls unausgesprochen. Auf jeden Fall wirkt diese Handlungsebene zu stark bemüht, das Überwinden der Positronik mittels eines Ablenkungsmanövers wirkt nicht überzeugend und die multifunktionalen Schutzvorrichtungen werden zu leicht von der Kombination Whistler- Genie und Naat- Fingerspitzengefühl unterlaufen. Das Ende der beiden zusammenlaufenden Handlungsebenen ist gedrängt. Hier überschlagen sich die Ereignisse. Marc A. Herren scheint erkennbar mit Platzproblemen zu kämpfen. Vielleicht hätte ein wenig mehr „Raum“ geholfen, die arg konstruiert erscheinende Handlung nicht nur zu entzerren, den zu offensichtlich angelegten Cliffhangar spannender und logischer zu gestalten und vor allem das gesamte Taschenheft besser auszubalancieren. Zusammengefasst ist „Zu den Sternen“ ein qualitativ sehr gespaltener Roman, der anfänglich nicht nur gut unterhalten, sondern die bodenständigen Seiten der „Neos“ im Vergleich zu der zu progressiven alten Serie herausarbeitet. Irgendwann im Verlauf des Plots machen es sich Frank Borsch und Marc A. Herren zu leicht, in dem sie die Götter, die sie gerufen haben, zu schnell wieder in die Büchse der Pandora zurückschicken bzw. ersetzen möchten. Daher verliert „Zu den Sternen“ schnell an Tiefe und Faszination, obwohl der Roman als Ganzes gesehen nur wenige originelle und originale Ideen anbieten, während die Zeichnung der zahlreichen teilweise sehr exzentrischen Figuren gelungen ist. Positiv für die ganze Serie wäre es allerdings, wenn einzelne Rassenaspekte – wie das angebliche Ausspucken – nicht in jedem Taschenheft wiederholt werden müssten. Die „Neo“ Leser haben ein längeres Gedächtnis als die MTV Generation.

Taschenheft, 161 Seiten Pabel Verlag April 2013 erschienen

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