Pirate Freedom

Gene Wolfe

Sicherlich haben seine Fans sehr viel erwartet, nachdem der Amerikaner Gene Wolfe seine Duologie um den Ritter abgeschlossen hat. Kaum ein Autor ist wandelbarer, bewegt sich so überzeugend und sicher zwischen den Genres. Das er Michael Crichton mit seinem im Nachlass gefundenen Piratenroman “Gold” folgen sollte, ist vielleicht noch nicht einmal eine Überraschung. Schon Tim Powers ist es vor zwei Jahrzehnten gelungen, dem Piratengenre mit “On stranger Tides” neues Leben einzuhauchen. Das er aber die gleiche Prämisse und einen ähnlich gestalteten “Helden” nimmt, um die Geschichte - wie der Protagonist immer wieder eher unglaubwürdig verkündet - als Kompaktversion nur in einem anderen Jahrhundert spielend noch einmal erzählen würde, hat sicherlich überrascht.
“Pirate Freedom” ist kein schlechter Roman, stilistisch ausgesprochen ambitioniert erzählt und solide mit etwas Ironie erzählt. Aber Gene Wolfes Erwartungshaltung an den Leser ist derartig ambivalent oder komplex oder oberflächlich, dass der Roman zu einem Vergnügen und einem Frusterlebnis zu gleich wird.
Wie fast alle seine Bücher aus der Ich- Perspektive mit einem immer noch
Unzuverlässigen, aber deutlich ehrlicheren Erzähler geschrieben integriert Gene Wolfe die Idee der Zeitreise aus dem Affekt ohne Maschine oder übernatürliche Erscheinung derartig beiläufig, dass der Leser sie anfänglich überlesen könnte. Zusätzlich hat der Amerikaner seinen Plot mit einem unvollständigen Rahmen umgeben. Sie beginnt in einer nicht näher extrapolierten Gegenwart, in der Father Chris während der Beichte seinem Schützling offenbart, dass er auch Menschen ermordet hat. Auf schreckliche Art und Weise über die reine Selbstverteidigung hinausgehend. Natürlich gibt sich der eigentliche Beichtende mit dieser Antwort nicht zufrieden. Das Resultat ist der vorliegende Roman. In einem abgeschiedenen traditionellen Kloster auf Kuba aufgewachsen, von seinem Vater vergessen fällt Chris irgendwann von der Gegenwart in das 16. Jahrhundert, in die Hochphase der Piraten. Diese Zeitreise überrascht ihn - sicherlich theoretisch abgemildert durch die Distanz zwischen Erlebten und Niedergeschriebenen - zu wenig,. Gene Wolfe nimmt diesem Phänomen jegliche Emotionalität und erzählt sie distanziert, aber weniger ansprechend als zum Beispiel in seinem Meisterwerk “The Knight”. Genauso erfolgt die Rückkehr auf der letzten Seite. Zwischendurch scheint er auch kurz der Gegenwart des Lesern zu begegnen, diese Abschnitte werden in die laufende Handlung wie angeblich Altersweise Kommentare eingeblendet, verwirren aber mehr, als dass sie dem Handlungsbogen das teilweise dringend notwendige Fleisch geben.
Chris findet sich ausgesprochen schnell - ohne auf die barbarischen Tugenden Howard´schen Helden in Romanen mit “Almuric” zurückgreifen zu müssen - in der Vergangenheit zurecht und macht aufgrund seiner Sprachkenntnisse - er kann neben Englisch auch Spanisch und Französisch - sowie seiner unglaublichen schnellen, teilweise unglaubwürdig erscheinenden Auffassungsgabe Karriere. Aber so schnell er Geld bzw. Gold verdient, so schnell verliert er es auch wieder.
Anfänglich beschreibt Gene Wolfe seinen klassischen Helden weniger als eine moderne Inkarnation eines Fremden an König Arthurs Hof, sondern als zutiefst religiösen Mann, der auf dem schmalen Grad zwischen Gottesglauben/ Gottesfurcht und der Notwendigkeit, in den harten Zeiten zu hin und her wandelt. Über Chris Vorleben in der Gegenwart des Lesers erfährt man nur rudimentäre Informationen. Chris Vater war anscheinend ein Gangster, der aus den USA kommend auf Kuba ein Kasino eröffnen wollte. Eines Tages kommt er nicht mehr zurück, wahrscheinlich von einer gegnerischen Bande oder Einheimischen ermordet. Im Verlaufe der Geschichte greift Chris trotz seiner Untaten - er gesteht später neben ungebührlichen Verhalten bei Duellen, der körperlichen Liebe zu mindestens zwei Frauen, Diebstahl später auch, dass er nach dem Auge um Auge/ Zahn um Zahn Prinzip auch Gefangene gefoltert und ermordet hat, um Geständnisse aus den anderen Festgesetzten zu pressen - auf das eigentliche christliche Bild des Vaters - Väter treten in mehreren Inkarnationen auf und schließen auf einer erstaunlich freundlichen Note auch die Vergangenheitserzählung ab - , den unschuldigen Jungen und schließlich des Piraten. Neben einer offensichtlichen Judas Episode, die Chris letzt endlich davon überzeugt, dass er nur als Pirat in dieser Zeit überleben kann, erstaunt wie verblüfft den Leser, dass Chris nur das Verführen von Kindern durch katholische Priester an den Pranger stellt, während für ihn ein sechzehnjähriger Junge schon alleine entscheiden kann, ob er sich zum Priester körperlich hingezogen fühlt oder nicht. Diese Häresie negiert immer wieder den von Gene Wolfe aufgebauten Sense of Wonder. So erzählt der erwachsene Chris nicht selten davon, dass die Einträge insbesondere in den Internetdatenbanken über Piraten nicht stimmen. Verblüfft und kindlich berührt reagiert er, als er sich selbst unter einem verstümmelten Namen in den Datenbänken wieder findet. Chris ist sicherlich die dominierende Gestalt des Buches, aber auch leider die langweiligste Figur. Der Leser weiß - er kehrt ja in die Gegenwart zumindest zeitweise zurück -, dass er die Geschehnisse überleben wird. Chris spielt in einigen Szenen sogar mit seinen Lesern, in dem er die Gefahren übertrieben extrapoliert, um dann eine gerade zu simple, manchmal auch hinterhältig perfide Auflösung anzubieten. Viel interessanter ist sein anfänglicher Mentor, der ehemals britische Kapitän Burt, der taktisch teilweise zu raffiniert vorgeht, aber in sich viele der eisernen Gesetze der Piraten vereint. Gegen Ende des Buches zeichnet ihn Gene Wolfe zu weich, aber er wirkt deutlich lebendiger und lebhafter als Chris. Bei den Frauenfiguren ist Chris zweite Freundin Novia nach Tournours exzellentem Piratenfilm “Die Piratenbraut” gezeichnet worden, wobei die zahlreichen sexuellen Szenen - nicht unbedingt expliziert, aber auch nicht erotisch stimulierend beschrieben - im Vergleich zum Gesamtkomplex der Handlung zu zahlreich sind. Die ursprünglich Einheimische Azuka ist ein klassischer Gegenentwurf zu Novia. Ebenso impulsiv wie aggressiv, aber auch mit einer spürbaren Bauernschläue gesegnet, dazu anpassungsfähiger und entschlossener, ihr Revier zu verteidigen.
Plottechnisch schwankt “Pirate Freedom” zwischen ausgesprochen unterhaltsam und fragmentarisch hin und her. Immer wieder betont der Erzähler Chris, dass er nicht alles nieder schreiben kann, dass ihm die Zeit wegläuft, ohne das der Leser diese Behauptungen irgendwo belegt sieht. Zu den interessanten Sequenzen gehört das detailliert beschriebene Leben an Bord der Piratenschiffe, dass von Chris immer wieder relativiert wird. So sind Piraten nicht die älteren erfahrenen Männer aus den bekannten Filmen, sondern noch nicht einmal erwachsen. Das Leben an Bord ist hart, aber auch gerecht. Die Möglichkeit, sich immer wieder nach rudimentärer Demokratie einen neuen Captain zu wählen, symbolisiert ihr freiheitliches Leben. Im Vergleich zu Michael Crichtons deutlich lebhafteren, mit mehr Gefühl für ein reines Abenteuer geschriebenen Piratenroman “Gold” überzeugen die Actionsequenzen weniger, sie werden von Gene Wolfe absichtlich distanziert, emotionslos und teilweise fast phlegmatisch beschrieben. Die Umsegelung von Kap Horn gehört zu den schwächsten Passagen des Romans. Obwohl es für einen so erfahrenen und routinierten Schriftsteller wie Gene Wolfe unglaublich klingt, entwickelt er im Verlaufe der Geschichte kein Gespür für die See, für das Spüren von Wind und Wellen. Das Ende ist ein typischer Antihöhepunkt, nach dem Chris viele Freunde und Feinde kennen gelernt hat. Vor allem in einer der überraschenden Wendungen des Plots verrät es der Erzähler seinen Lesern schon gut nach der Hälfte des Buches, alleine das wann bleibt als Frage offen.
Im Gegensatz zu “The Knight” sind Ansätze einer Allegorie schwer zu erkennen. Der Text liest sich stilistisch wie schon erwähnt ausgesprochen ansprechend. Gene Wolfe geht förmlich in seiner Sprache, aber auch in der Zeit auf, die er zu beschreiben sucht. Das Problem ist der eigentliche Plot, der sich an den nicht unbedingt negativ geschriebenen Klischees des Genres entlang hangelt, sicherlich manche bekannte Sequenz aus den unzähligen Piratenfilmen und Geschichten kopiert, aber zu wenig eigenes Leben entwickelt. Ungewöhnlich für Gene Wolfe ist “Pirate Freedom” ein Roman, der einfach nur Spaß machen soll. Nicht mehr, aber auf keinen Fall weniger. Unter dem zu langen Schatten des sehr viel ambitionierter und herausfordernder geschriebenen “The Knight” geht diese “kleine” Geschichte förmlich unter und befriedigt nicht die Erwartungen, die grundsätzlich an das Werk des Amerikaners gestellt werden.

Gene Wolfe: "Pirate Freedom"
Roman, Softcover, 320 Seiten
Tor Books 2007

ISBN 9-7807-6531-8794

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