Kritik
Von Katrin Hemmerling. Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston), ein alleinstehender Arzt, ist auf der Suche nach Anonymität und wird schließlich fündig, als er ein Appartment in einem sehr modernen Hochhaus bezieht. Wer eine Wohnung in diesem Haus ergattern kann, müsste dieses - abgesehen vom Gang zur Arbeit - eigentlich nicht mehr verlassen. Denn den Mietern werden alle Annehmlichkeiten geboten: Vom Swimmingpool über den Fitness-Raum bis zum Supermarkt.
Allerdings hat Laing nicht damit gerechnet, dass dieses Hochhaus gar nicht so anonym ist, wie er es sich wünscht. Beim Sonnenbad auf dem Balkon macht er Bekanntschaft mit der party- und männerwütigen Charlotte Melville (Sienna Miller), einer alleinerziehenden Mutter. Für ihren Sohn Toby wird Laing schnell so etwas wie ein Vaterersatz. Ebenso freundet er sich mit den Wilders aus, die eines der unteren Stockwerke bewohnen.
Die Hierarchien des Hochhauses lassen sich anhand des Stockwerks messen, in dem seine Mieter wohnen. Ganz unten wohnt das ordinäre Fußvolk, das so gerade eben noch seine Miete bezahlen kann. Ganz oben wohnt die High-Society, die ihre Langeweile mit opulenten Partys in den Griff bekommen möchte. Laing landet schließlich auch auf so eine Party, ohne von dem Motto "18. Jahrhundert" erfahren zu haben. Damit macht er sich zum Gespött von Anne (Keeley Hawes), der Frau von Royal (Jeremy Irons). Royal ist der Architekt des Gebäudes.
Viele Ereignisse führen schließlich dazu, dass die Stimmung zwischen den Bewohnern der einzelnen Stockwerke zunehmend angespannt wird, bis es zu schließlich zur Eskalation und kompletten Chaos kommt. Im Hochhaus herrschen kriegsartige Zustände, in denen das soziale Gefüge, das vorher einem strikten Regime unterlag, kippt.
"There is almost no reason to leave."
So viel also zur eigentlich nicht so komplexen Geschichte von High-Rise, einer Verfilmung, die auf einem Roman des britischen Autoren J.G. Ballard beruht. Zudem klingt es nach einer Handlung, die eigentlich eine perfekte Basis für einen dystopischen Thriller gebildet hätte. Die Betonung liegt auf eigentlich. Die Betonung liegt auf hätte.
© Recorded Picture Company/StudioCanal
Denn leider hat High-Rise eine relativ simple Sicht auf die Dinge. Wer sich mit Geschichten ähnlicher Art schon einmal auseinandergesetzt hat - wie z.B. Lord of the Flies von William Golding - wird nicht wirklich überrascht. Da gibt es immer einen, der ein Anführer wird, weil er alles besser machen möchte und scheinbar ohne Ratio handelt. Diese Rolle fällt in High-Rise auf Richard Wilder, dargestellt von Luke Evans. Wilder scheint in einem Leben gestrandet, das er so nie wollte. Erfolgloser Dokumentarfilm, gefangen in einer Ehe mit (zu vielen) Kindern. Und neidisch auf das bessere Leben derjenigen, die sich Wohnungen in den oberen Stockwerken leisten können. Er ist es, der ohne Rücksicht auf Verluste in diesem Krieg kämpft und so ziemlich alle Grenzen dafür überschreitet, die es zu überschreiten gilt.
Dann haben wir da noch den reichen Architekten Royal, der im obersten Stockwerk wie in einem Elfenbeinturm lebt. Die Beziehung zu seiner Frau Anne scheint auch nur noch auf dem Papier zu bestehen, sodass diese Abwechslung in Alkohol, Drogen, Partys und Sex sucht. Wie so ziemlich alle der besser situierten Bewohner.
Irgendwo dazwischen steht Laing. Und zwar wirklich nicht Hü und nicht Hott. Mal oben. Mal unten. Dann zurückgezogen in seiner Welt.
"We all have to do things we don't want to do."
Was bei der Verfilmung im Endeffekt dann schief gelaufen ist, lässt sich schwer in Worte fassen. Keiner der Darsteller liefert eine schlechte Leistung ab, dennoch fällt es schwer, die Motivation der einzelnen Charaktere nachzuvollziehen. Dazu werden die Figuren einfach zu oberflächlich behandelt; dies mag auch der Charakterflut in High-Rise zu schulden sein. Zwar ist Laing die eigentliche Hauptfigur, aber das Drehbuch schiebt ihn zum Teil einfach zur Seite, um auf den Rest der namhaften Darstellerriege einzugehen.
Vermutlich wollte der Film auch die Zeit aufgreifen, in der die Romanvorlage spielt - die 70er waren schließlich noch wild und unbändig, so mag man meinen. In der Tat wirkt High-Rise dann auch partiell wie ein schlechter Drogentrip, mit schrägen, bunten Bildern, schnellen Schnitten und einfach mal ein paar Prisen Sex für zwischendurch. Und einer Menge Gewalt.
© Recorded Picture Company/StudioCanal
Fazit
Man kann High-Rise nur als netten Film beschreiben. Nett. Mehr aber auch nicht. Es ist schade, dass der Film es nicht schafft, bei dem unerwarteten Einstieg, seine Zuschauer so zu fesseln, dass sie mit manchen Charakteren mitleiden - obwohl einige Momente hier eindeutig das Potential zu haben. Dazu wird der Zuschauer zwischendurch einfach mit viel zu viel Input überrannt. Den Schauspielern ist dabei keine wirkliche Schuld zuzusprechen, hier liefert jeder die gute Leistung ab, die man gewohnt ist. Vielmehr hätte das Drehbuch eventuell auf weniger visuelle Schocks setzen und bei einigen Szenen die Gewalt-Sex-Party-Drogen-Bremse treten sollen. Denn so fehlen High-Rise die leisen Momente, die man für diesen Film einfach mal gebraucht hätte.