Oyedeng – Kritik The Expanse 5.07

SPOILER

Es macht nur Sinn, dass diese dramatische und mit Emotionen randvoll gefüllte Episode mit Erinnerungen an glücklichere Zeiten beginnt: Naomi (Dominique Tipper) und Marco (Keon Alexander) empfinden noch Liebe zueinander und zu ihrem Kind. Eine sehr warme, intime und wortlose Rückblende, die einer kalten und harten Gegenwart gegenübergestellt wird.

Im späteren Gespräch zwischen den beiden zeigt sich jedoch noch einmal, dass ihre Beziehung oft viele andere und düsterere Facetten aufwies. Exposition dieser Art kann gelegentlich umständlich und langweilig wirken. Dan Nowak, Autor dieser Episode, sowie Regisseurin Marisol Adler entscheiden sich interessanterweise dennoch nicht dafür, alles in Rückblenden zu zeigen. Das ergibt durchaus Sinn, denn abgesehen von den kleinen Momenten gemeinsamen Glücks, haben beide eine jeweils vollkommen andere Sichtweise auf ihre gemeinsame Vergangenheit. Diese Diskrepanz und die unterschiedlichen Standpunkte der beiden, mit denen sie um die Seele ihres Sohnes Filip (Jasai Chase Owens) kämpfen, ist wesentlich wichtiger und macht die Episode dramatischer und spannender.

Mutterliebe vs. Vaterliebe

Marco versteckte einst Filip, um Naomi an sich zu binden. Das sagt wiederum sehr viel über Marcos Psychologie aus, der Liebe und Freundschaft mit grenzenloser Loyalität gleichsetzt. Die Personen, die er nicht kontrollieren kann, landen schnell auf seiner Feindesliste. Mit Filip gelingt ihm das relativ einfach: Dieser wünscht sich nichts mehr als die Liebe, den Stolz und die Anerkennung seines Vaters. Marco scheint dies zu erkennen und ihm genau diese väterlichen Gefühle vorzuenthalten, um Filip gefügig zu machen.

Auch in einer späteren Szene wird Marcos Macht über Filip noch einmal deutlich: Erst erniedrigt er seinen Sohn vor versammelter Mannschaft, dann gesteht er ihm zumindest ein wenig Anerkennung zu. Gleichzeitig stellt Marco jedoch klar, dass er – und zwar nur er – im Zentrum der neuen Gürtler-Bewegung und der damit verknüpften Revolution steht. Er möchte unbedingt als Führerpersönlichkeit und zentrale Figur gesehen werden. Eine Position, die er sich in seinem Streben nach Macht und seinem Narzissmus schon gar nicht von seinem Sohn streitig machen lässt. Vielleicht empfindet er auf seine eigene verdrehte Art noch so etwas wie Liebe für Filip, allerdings erlaubt ihm die Schwäche, die er in ihm zu sehen glaubt, nicht, dieses Gefühl auszudrücken.

Ein faszinierender Kontrast zwischen den beiden Elternteilen entsteht durch eine gefühlvolle Szene zwischen Naomi und Filip. Im Gegensatz zu Marco rückt sich Naomi nicht ins Zentrum, wenn sie von vergangenen Heldentaten erzählt. Stattdessen betont sie immer wieder, dass sie nicht allein, sondern viele Menschen gemeinsam verantwortlich waren. Naomi möchte Leben bewahren, Marco möchte es zerstören – "Menschen zu töten, ist kein Ausdruck von Stärke" ist ein zentraler Satz dieser Konversation.

Als sich Naomi neben Filip setzt, wirkt sein Gesichtsausdruck fast verängstigt. Seine Stärke erscheint auch hier wieder als Fassade, die schnell zu bröckeln droht. Ähnlich unglaubwürdig wirkt seine Aussage, dass sein Vater ihn nicht kontrolliere und er sein eigener Herr sei. Der Schmerz eines von seiner Mutter verlassenen Kindes ist weiterhin sehr präsent, genauso wie Naomis Bedauern darüber, dass sie ihn einst verlassen musste. Beide Darsteller agieren in dieser emotional-komplexen Szene äußerst überzeugend.

Katharsis schützt nicht vor Verrat

Als wären nicht schon genug Tränen geflossen, geht es gefühlsbetont und dramatisch weiter. Denn auch das Gespräch zwischen Naomi und Cyn (Brent Saxton) ist von Schmerz und Bedauern geprägt. Nachdem sie mehr oder weniger ein paar Episoden um die Wahrheit herumtanzten, ist es nun an der Zeit für ein wenig erschütternde Ehrlichkeit. Insbesondere Cyns Geständnis darüber, dass er die ganze Zeit wusste, wo Marco den gemeinsamen Sohn Filip versteckt hält und dass er nur die Familie schützen wollte, die zu dem Zeitpunkt aber schon längst nicht mehr existierte, ist geradezu herzzerreißend.

Neben Dominique Tipper, die zum zweiten Mal innerhalb von knapp 50 Minuten eine schauspielerische Glanzleistung abliefert, sticht wieder einmal Brent Saxton hervor, der kurz vor seinem Expanse-Abtritt noch einmal die volle emotionale Bandbreite auffahren darf.

Cyns und Filips Betrug erscheint trotzdem unvermeidlich – Marco weiß genau, welche psychologischen Knöpfe er zu drücken hat, um den Sohn gegen die Mutter aufzustacheln und seine Freund Cyn zum Verrat zu bewegen. Naomi kann diese über Jahre verfeinerten Kontroll-Mechanismen nicht innerhalb von ein paar Tagen wieder rückgängig machen. Letztendlich bleibt ihr wieder einmal nichts anderes übrig, sowohl Filip als auch Cyn erneut und wahrscheinlich endgültig aufzugeben. Wie beim ersten Mal, als sie Filip verloren hat, begibt sie sich wieder zu einer Luftschleuse. Dieses Mal lässt sie sich allerdings wirklich ins Vakuum des Weltalls saugen.

Die Spritze, die sich Naomi während ihres Weltraumspazierganges ohne Raumanzug gönnt, wurde übrigens schon ein paar Episoden vorher eingeführt, als Holden Monica Stuart vor dem Tod per Vakuum bewahrt hat. Wenn jemand die "Logik" dieser Szene anzweifeln möchte, steht der Twitter-Account von James S.A. Corey offen, Pseudonym für das Expanse-Autorenduos. Dieser hatte einiges zu diesem Thema zu sagen und einige Kommentare und Fragen bereits beantwortet. Ein gutes Beispiel findet sich hier.

Wort- und Feuergefechte auf der Ersatzbank

Naomis Storyline stellt klar den Mittelpunkt der Episode dar, aber auch Holden darf sich in "Oyedeng" Bedauern und Zweifel erlauben – vor allem darüber, dass er Fred Johnson (Chad Coleman) nie wirklich getraut hat. Die Szenen auf der Rocinante sind emotional nicht unbedingt so ergiebig wie auf dem Gürtler-Schiff, allerdings hat sie noch einmal handfeste Weltraum-Action und spannende Raumschiff-Manöver zu bieten.

Wie schon Amos in der letzten Episode wird aber auch hier noch einmal veranschaulicht, dass Holden ebenfalls Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung benötigt, die ihn von unüberlegten Entscheidungen abhalten. Dieses Mal ist die Journalistin Monica Stuart (Anna Hopkins) die Stimme der Vernunft, die ihn davon abbringt, sich in ein Feuergefecht mit der Free Navy zu stürzen und stattdessen dem Protomolekül nachzujagen. Außerdem liefert sie gleich noch ein paar nützliche Theorien bezüglich der verschwörerischen Mars-Gürtler-Connection.

Bobbie (Frankie Adams) und Alex (Cas Anvar) müssen bereits seit mehreren Episoden mehr oder weniger auf der Ersatzbank Platz nehmen – inklusive einem kleinen Feuergefecht hier und ein bisschen freundschaftliches Scherzen dort. Bobbie darf sich dieses Mal lässig eine Kugel aus dem schusssicheren Raumanzug ziehen und Alex ein wenig mit Holden telefonieren. Es ist nicht viel, aber die Szenen sind wohl oder übel notwendig, um den Plot voranzutreiben.

Fazit:

Die Episode "Oyedeng" konzentriert sich neben einer kurzen Acton-Szene voll und ganz auf die Beziehung zwischen Naomi, Marco, Filip und Cyn. Während die letzten Episoden in dieser Hinsicht jedoch noch zurückhaltend waren, bricht hier vollends der emotionale Damm. Dennoch handelt es sich um eine der besten Episoden der gesamten Staffel. Und weil The Expanse stets auch die emotionale Seite seiner Figuren nie außer Acht gelassen hat, wirken diese Momente stets überzeugend und verdient.

Insbesondere Dominique Tipper darf hier glänzen, wird aber durch Keon Alexander, Jasai Chase Owens und Ben Saxton bestens ergänzt und unterstützt. Die Episode tut gut daran, sich weitestgehend auf dieses mitreißende psychologische Kammerspiel im Weltraum zu fokussieren und einige andere Storylines (Amos, Drummer und zum Teil auch Chrisjen) vollkommen auszublenden.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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