Silas Corey 2 "Das Zarkhoff- Testament"

Fabien Nury und Pierre Alary

Am Ende des vierten Albums bzw. des zweiten in sich abgeschlossenen Abenteuers spricht eine attraktive Frau davon, dass Silas Corey dabei ist, erwachsen zu werden. Während das erste von Splitter ebenfalls als Double veröffentlichte Abenteuer „Der Aquila Ring“ noch in den letzten Zügen des Ersten Weltkriegs spielt und insbesondere eine potentielle geheime Informationen das Schlachtenschicksal entscheiden könnte, haben Fabian Nury und Pierre Alary „Das Zarkoff- Testament“ in der unsicheren Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und der zerfallenen Monarchie im Deutschen Reich beim Übergang in die Weimarer Republik angesiedelt. Auch wenn die Zahl der Toten im Vergleich zum ersten Abenteuer ein wenig zurück gegangen ist, handelt es sich bei „Das Zarkoff- Testament“ um den reiferen Plot, der sich über weite Strecken so spannend entwickelt wie die berühmten Krimis der schwarzen Serie vor allem eines Dashiell Hammett. Auch wenn Silas Corey sich als Söldner auf einer Mission gibt, die ihm keine Sympathien schenken wird, aber abschließend eine Millionen France, ist er ein klassischer Privatdetektivcharakter aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Hammetts mehrfach interpretierter Roman „Rote Ernte“ auch mit dem politischen Kontext fällt dem Leser unwillkürlich ein. Auch wenn Silas mehrfach die Möglichkeit gehabt hat, seine „Beute“ mit einem ordentlichen Gewinn zu verkaufen oder zumindest sein Leben zu retten, beharrt er stoisch auf seiner imaginären Detektivehre, die für kein Geld der Welt zu kaufen ist. Am Ende erreicht er einen Pyrrhussieg, in dem er dem in sich gebrochenen Europa der Jahre 1918/ 1919 eine Atempause verschafft hat. Er weiß selbst, dass mehr nicht möglich gewesen ist und die Zukunft dunkel erscheint. Bis dahin präsentiert sich dieses Abenteuer als eine faszinierende Reise durch den Wahnsinn nach Ende des Ersten Weltkriegs.

Im Vergleich zum unnötig zu stark verschachtelten und dann in einer eher geradlinig endenden Verfolgungsjagd angelegten Plot des ersten Abenteuers präsentiert Fabian Nury ausreichend Wendung insbesondere im stark angelegten brutalen Mittelteil der Geschichte, bevor Silas Corey seinen wichtigsten, im Schatten operierenden Antagonisten mit dessen eignen Waffen schlägt und nicht mehr zulässt, dass dessen verschlagener, an einige von Flemings ersten James Bond Abenteuern erinnernden Plan mit unerwarteten Resultaten scheitern kann.

Eher durch Zufall – am Ende zeigt sich, das nichts wirklich Zufall ist – wird Silas Corey sich von seinem letzten Abenteuer erholend nach Hause gerufen, wo die Leiche eines Rechtsanwalts liegt. Schwer verwundet hat er sich noch zu Corey geschleppt. Sein Auftrag ist es, Silas Corey in die Schweiz zu locken. Hier liegt die Erbin des Zarkoff Imperiums- ein Waffenkonglomerat, das immer an den Höchstbietenden verkauft hat und mindestens mehrere Milliarden Schweizer Franken wert ist  - im Sterben. Im ersten Abenteuer hat Silas Corey ihre Pläne durchkreuzt. Die Geier der Familie warten schon. Die Überraschung ist, dass die Zarkoff vor vielen Jahren einen Sohn geboren hat. Ihrem späteren Ehemann gegenüber hat sie den Sohn verschwiegen. Jetzt soll er der Erbe der Milliarden werden. Es gibt nur ein Problem. In dem Chaos nach dem Ersten Weltkrieg, den verschiedenen Räterepubliken und den frei durch Deutschland streifenden ehemaligen Soldaten ist Johann Zichler kaum zu finden. Es sei denn, man schickt den skrupellosen Silas Corey, der diesen Auftrag nicht aus Barmherzigkeit seiner Feindin gegenüber annimmt. Zu den potentiellen Erben gehört auch eine junge Frau, die in „Der Aquila Ring“ ihm als Mitglied des französischen Geheimdiensts das Herz gebrochen hat.

Silas begibt sich nach Deutschland und beginnt bei Zichlers inzwischen auch verschwundener Ehefrau mit der Suche nach der Nadel in einem buchstäblich brennenden Heuhaufen, da es verschiedene Kräfte gibt, die einen Erfolg der Suche unbedingt verhindern möchten.

Bei der Entwicklung des Plots ist Fabian Nury wie angesprochen den kriminaltechnischen Vorlagen treu geblieben. Silas Corey wird zu einem Besessenen, der diese Mission unbedingt abschließen will, obwohl er im Grunde außer seiner Belohnung wenig gewinnen kann. Es scheint die innere Unruhe in ihm zu herrschen, nicht der Gerechtigkeit in Form Frankreichs zu helfen, sondern das Beste aus einer unmöglichen Situation zu machen.

Dabei geht er durchaus über Leichen. Da seine Feinde ihm zahlenmäßig überlegen ist, muss er mehrfach bei den Verfolgungsjagden in den Schluchten der Stadt und gegen Ende der endlos erscheinenden Schneewüste mit Köpfchen agieren. Hier liegt die einzige offensichtliche Schwäche des Comics, denn Nury und Alary verwenden einen Trick dreimal mit dem gleichen sehr erfolgreichen Ergebnis. Da alle Gegner in den jeweiligen Situationen sterben, ist diese Vorgehensweise opportun, aber auch nicht sonderlich originell.   

Auf der anderen Seite verführt Fabian Nury seine Leser. An einer Stelle scheint er die nationalsozialistische Bewegung – die Runen sind genauso offenkundig wie der „Heil und Sieg“ Gruß -  aus dem Münchner Bürgerbräukeller einige Jahre in die Vergangenheit zu ziehen. Was eine nebensächliche Anekdote sein könnte, dreht sich plötzlich zu einem Politikum. Im Gegensatz zu Hitlers Partei, die sich in den zwanziger Jahren monetär mehr schlecht als recht über Wasser hielt, öffnet der Autor seinem Verführer als Strohmann ein Tor zu einem fast unermesslichen Reichtum. Kaum hat sich der Leser an diese mögliche Parallelwelt gewöhnt, wendet sich der Plot ein weiteres Mal überzeugend. Die Hintermänner müssen hilflos anerkennen, dass die eigenen Pläne zu perfekt gewesen sind. In der Tradition der Deduktivkrimis von Sherlock Holmes bis Agatha Christie agiert Silas Corey nach den zahllosen, manchmal übertrieben blutigen Auseinandersetzungen als Strippenzieher, der genau weiß, welche Knöpfe er bedienen muss. Das Ende ist nicht verschachtelt, es ist aber raffiniert und schlägt mit einer kurzen Bemerkung sogar den Bogen an den Beginn der Geschichte.

Erzähltechnisch noch einmal überraschender, verblüffender und vor allem von der grundlegenden Dynamik her sehr viel intensiver als das erste Abenteuer überzeugt „Das Zarkoff- Testament“ nicht nur durch die eingangs angesprochene charakterliche Wendung – die Narben des Ersten Weltkriegs zeigen sich bei dem Helden im zweiten Band deutlich mehr – sondern vor allem auch den nihilistischen Hintergrund eines Kontinents, der vom Hass der Monarchie förmlich aufgefressen und ihn belanglosen in erster Linie kommunistischen Revolutionen einen Ausweg sucht. Enttäuschend im direkten Vergleich zu „Der Aquila Ring“ ist, dass Coreys Diener Nam sehr früh verwundet und aus dem Verkehr gezogen wird. Vor allem die doppeldeutigen Dialoge der beiden so unterschiedlichen und doch untrennbar miteinander verbundenen Männer erinnerten an zahlreiche Pulpabenteuer auf einem gehobenen „Charlie Chan“ Niveau. Frau Zichler kann diese Schwäche nur bedingt ausgleichen und seine Geliebte verfügt nur über zwei wirklich gute Auftritte in der ganzen Geschichte, so dass Silas Corey in mehrfacher Hinsicht ein Einzelgänger; ein Mann in einem fremden Land bleibt.

Während der Kolorist Bruno Garcia vor allem in den wichtigen historisch inspirierten Sequenzen Erdfarben und dunkle Töne bevorzugt, zeigt sich Piere Alary noch mehr von seiner verspielten Seite. Markante, im Grunde gezeichnete Gesichtszüge teilweise in Großaufnahme stehen sehr hektisch, fragmentarischen Actionszenen dominiert von überkünstelt erscheinenden Blutspritzern gegenüber. Vor allem die Hintergründe sind beginnend mit dem eindrucksvollen Auftaktbild stehen den nicht immer sauber gekennzeichneten Nebenfiguren gegenüber. Der flüchtige Leser hat manchmal das Problem, die einzelnen Figuren nicht gut zuordnen zu können. Diese Schwächen werden aber auf zahlreichen sehr gut gestalteten Bildseiten durch die subjektiven Perspektiven, die wechselnden Schauplätze und vor allem eine immer wieder erstaunlich rasante, sich erst im Gedächtnis des Lesers zusammensetzende graphische Erzählweise ausgeglichen. Fabien Nury beginnt neben einer sehr lesenswerten, sehr phantasievollen und vor allem auch spannenden Handlung seinen Silas Corey reifen zu lassen, so dass weniger der eitle Gentlemen und vielleicht Lebemann im Mittelpunkt steht, sondern ein sich hinter einer rauen Schale versteckender alte Begriffe wie Ehre und Versprechen wichtig nehmender Franzose, der fast widerwillig bereit ist, seinem Land bis zum Tod zu dienen. Auch wenn das Land es ihm schon im Krieg nicht gedankt hat.          

Autor

Fabien Nury
ZeichnerPierre Alary
ÜbersetzerHarald Sachse
EinbandHardcover Splitter Verlag
Seiten128
Band2 von X
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-258-8
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