Charlie Chan und das schwarze Kamel

Earl Derr Biggers

Das vierte "Charlie Chan"  Abenteuer Earl Derr Biggers heißt im Original "The Black Camel".  Das schwarze Kamel ist das Symbol des Todes, wie Charlie Chan einmal erwähnt. In seinen frühen Science Fiction Arbeiten wie "Lifeline" hat Robert A. Heinlein diese Idee aufgegriffen und ebenfalls verarbeitet. Das Buch ist schon zwei Jahre nach seinem Erscheinen 1929 adaptiert und verfilmt worden. Von der Struktur her ähnelt der wie der erste "Charlie Chan" auf Hawai spielende Krimi aber dem dritten Buch der Serie "Behind the Curtain".  Faktisch bezieht sich Biggers aber auf den mysteriösen Tod des Regisseurs William Desmond Taylors Anfang der zwanziger Jahre, der bis heute ungeklärt ist.

 Ein Mord in der Gegenwart mit einem beschränkten Kreis von Verdächtigten, ein ungeklärtes Verbrechen in der Vergangenheit und der ganze Plot könnten im Grunde in einem Haus bzw. einem Raum spielen. Als zeitlicher Druckaufbau dient dieses Mal nicht Charlie Chans Rückreise vom Festland nach Hawai, sondern einer der potentiell Verdächtigen möchte unbedingt das nächste Ziel seiner Reise erreichen und das Paradies mit dem nächsten Schiff verlassen. Auf die beiden Festlandsabenteuer, die Charlie Chan als „Postbote“ in seiner Freizeit gelöscht hat, geht der Roman auch mehrfach ein. Chan ist inzwischen Inspektor, obwohl er offiziell nicht im Dienst gewesen ist. Zusätzlich scheint er jetzt eine bekannte Persönlichkeit zu sein, obwohl im allerersten Charlie Chan Roman schon darauf hingewiesen worden ist, dass er einen exzellenten Ruf bei der Polizei auf Hawaii genießt und die Aufklärung dieser Tat nicht sein erster rein intellektueller Husarenstreich gegen alle objektiven Wahrscheinlichkeiten gewesen ist. Unabhängig von den angesprochenen strukturellen Ähnlichkeiten zu "Behind the curtain" aber unterhält dieser Roman vor allem aufgrund der exzentrischen Charaktere, einer ersten Abrechnung mit Hollywood und schließlich der verschachtelten Familientragödie trotz einiger Längen im Mittelteil mit zu vielen zu offensichtlich falschen Spuren insbesondere auch für das Alter des Romans ausgesprochen gut. Irritierend sind für Fans der Serie vor allem zwei Dinge. Im Gegensatz zu seinen zwei Festlandsfällen kann Charlie Chan im Schatten seines immer wieder großzügig die Ermittlungen begleitenden Chefs nicht gänzlich frei agieren und zweitens irritiert, dass der beförderte Polizist und elffacher Vater immer wieder Charlie genannt wird. Der latente Rassismus gegenüber den Asiaten und die Beschreibung Chans als körperlich doch übergewichtigen, schwitzenden, meistens ein wenig devot bis zur finalen Auflösung agierenden Mannes lassen aus Sicht des Autoren und weniger des Lesers eine erstaunlich subjektive Mauer entstehen, welche Charlie Chan neben der in diesem Fall wegen sehr vieler falscher, sich gegenseitig widersprechender Aussagen zusätzlich durchdringen muss.

Im Mittelpunkt steht die Hollywood Diva Shelah Fane, die ihre besten Tage offensichtlich hinter sich hat. Nachdem sie einen Film auf Tahiti abgedreht hat, macht sie auf dem Rückweg zum Festland und damit Hollywood einen Zwischenstopp auf Hawaii. Sie muss über einen Heiratsantrag nachdenken. Dabei befragt sie einen Wahrsager namens Tarneverro, der zufällig die gleiche Route genommen hat. An einem Abend wird sie in ihrem gemieteten Haus in Waikiki ermordet, während sie einige illustre Gäste eingeladen hat. Anscheinend ist jemand von außen durchs Fenster in das Haus einstiegen und hat die Diva erstochen.  Charlie Chan wird zum Tatort gerufen und beginnt eine verzwickte Ermittlung.

Die insgesamt sechs Charlie Chan Romane leben spannungstechnisch vor allem von dem immer wieder unterschätzten chinesischen Ermittler, der sich überwiegend in den Kreisen der reichen wie arroganten Weißen bewegt. Hier kommen zwei Komponenten hinzu. Immer wieder verweist Biggers eher impliziert als expliziert auf die abgehobene Gesellschaft Hollywoods. Hinzu kommt ein eher beiläufig erwähnter Mord vor drei Jahren an einem erfolgreichen Schauspieler in Hollywood. Die beiden Taten scheinen nichts miteinander zu tun zu haben. Wie es sich aber für einen Charlie Chan Romane gehört, stehen sie doch in einem deutlich engeren Muster als anfänglich gedacht. Es wirkt ein wenig konstruiert, dass sich im wunderschönen, aber auch abgelegen liegenden Hawaii so viele potentielle „Täter“ und Verdächtige sammeln.  Im Gegensatz zu den bisherigen Charlie Chan Romanen, in denen der Chinese alleine auf die Aussagen der Zeugen angewiesen ist, verändert Biggers positiv einige kleinere Parameter. So gibt es relativ schnell ein Geständnis. Anscheinend hat einer der Gäste die Diva ermordet. Nur passen seine Angaben nicht zur Tat und er ist im Grunde der einzige Mann, der wirklich über ein Alibi verfügt, dass selbst bei einem größeren Zeitfenster hinsichtlich des Mordes immer noch wasserdicht ist. Eine Angestellte scheint ein Schmuckstück gestohlen zu haben, was ein eifersüchtiger Diener meldet. Der Wahrsager verfügt selbst über eine geheimnisvolle Vergangenheit und sagt nur bedingt die Wahrheit. Der Ex Ehemann der Diva spielt in einem kleinen Theater auf Hawaii und hat sich kurzzeitig Hoffnungen gemacht, seine Frau wieder in die Arme zu schließen, während die ihren potentiellen zweiten Ehemann noch warten lässt, weil sie auf eine Weissagung wartet. Hinzu kommt ein Alkoholkranker freischaffender Künstler, der am Strand lebt und Bilder malt. Nur sind seine Fingerabdrücke außen am Fenster. Von einem anderen Verdächtigen finden sich ausgedrückte Zigarettenkippen am Strand vor dem Fenster. Da sich viele Aussagen widersprechen, ist es für den Leser aufgrund der Identität der Täter- eine Abweichung von den bisherigen Büchern – und den eingeschränkten Aussagen unmöglich, den Fall vor Charlie Chan zu lösen. Interessant ist, dass Biggers anscheinend einen Sherlock Holmes oder Hercule Poirot Effekt befürchtend dazu übergegangen ist, Charlie Chan „Fehler“ machen zu lassen. Aufgrund unzureichender Informationen beschuldigt er eher devot einige Teilnehmer des exklusiven Kreises, ein Verbrechen begangen zu haben. An anderen Stellen ist er deutlich dominanter und ist sich nicht zu schade, auf die lange chinesische Geschichte im Vergleich zu den eher noch primitiven Europäern hinzuweisen und einen japanischen Kollegen bei der Polizei auf Hawaii mehrfach diskriminierend anzufahren. Während die Dialoge nicht zuletzt aufgrund des lange Zeit deutlich simpler gestrickten Falls nicht so  pointiert und doppeldeutig wie in „Behind that Curtain“ sind, wirkt der Plot noch stärker als wie bei einem Theaterstück und weniger einem Krimi aufgezogen. Der Radius der Protagonisten hätte mit ein wenig Mühe noch deutlicher eingeschränkt werden können.

Auf der Seite der Verdächtigen gibt es ausreichend Kandidaten. Biggers macht nicht den Fehler, einzelne Personen in den Mittelpunkt zu stellen. Hier ähnelt die Struktur am ehesten den frühen Charlie Chan Filmen. Im Gegensatz zu einem guten Krimi, aber ein interessanter Ansatz ist der Täter schließlich eine nicht unbedingt konsequente, aber interessante Überraschung. Die Identität des Täters ist aus einem guten Grund verborgen worden. Aber dieses „Tarnen“ führt auch zu der entsprechenden Katastrophe, da Aktion und Reaktion nicht mehr kontrolliert werden können. 

Ein aufmerksamer Krimileser wird vielleicht enttäuscht sein, weil zu wenige nachhaltige Spuren ausgelegt werden und die Verbindungen rückblickend nicht so natürlich, sondern teilweise ein wenig bemüht erscheinen. Aber die pointierten Dialoge und ein teilweise zynischer Blick aus der Ferne auf das exzentrische, sich in den dreißiger Jahren vor allem selbst feiernde Hollywood durch die Augen des nüchtern analysierenden Charlie Chans entschädigen für einige Schwächen im ein wenig starren Plot.        

Heyne Verlag, Taschenbuch, 357 Seiten

  • ISBN-10: 3453106113
  • ISBN-13: 978-3453106116
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