SF aus China

Ye Yongli/ Charlotte Dunsing (Hrsg.)

Im Rahmen der positiven Utopien gab der Goldmann Verlag auch einen Band mit acht Kurzgeschichten aus China heraus. Da die asiatische Science Fiction im Allgemeinen und aus China dank Ken Liu in den letzten Jahren erheblichen Auftrieb erhalten hat, es ist opportun, diesen Kurzgeschichtenband sich noch einmal zu Gemüte zu führen. Die Herausgeberin Ye Yonglie  mit Charlotte Dunsing haben den Band liebevoll zusammengestellt. Neben einem Foto eines jeden Autoren gibt es vor jeder Geschichte durchgehend ein ausführliches Portrait. Im Abschluss findet sich ein langes Essay über die Entwicklung der chinesischen Phantastik beginnend sehr früh mit den ersten Sagen und endend mit den Ausläufern der Kulturrevolution. Viele der hier vorgestellten Geschichten kritisieren darum auch weniger die chinesische Gesellschaft, als die menschlichen Schwächen.

Eine der interessantesten Geschichten ist Wei  Yuhua „Der Traum von sanften Land“.  Um die Bevölkerungsexplosion in den Griff zu bekommen, dürfen vor allem chinesische Männer nur Roboterfrauen heiraten. Diese perfekten Frauen sind sanftmütig und tolerant.   Erdrückend demütig. Im Grunde stellen sie das nicht selten idealisierte Bild der asiatischen Frau dar. Schnell wird aus dieser Wonne ein Ballast, der ihn mehr und mehr nicht nur an den Rand der Verzweiflung bringt, sondern zu provozierenden Taten.  Dabei gibt der Autor Isaac Asimov und seinen Robotergesetzen eine gehörige Mitschuld. „Professor Salomons Irrtum“ von Xiao Jianheng ist eine weitere Robotergeschichte. Wie in „Der Traum vom sanften Land“ geht es um die Wechselwirkung zwischen Mensch und Maschine. Ein Waisenjunge soll von einer neuen Robotergeneration erzogen worden. Nur eine menschliche Küchenhelferin lebt ebenfalls in dem Haus. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Ebenefalls die Robotergesetze allerdings als implizierte Grundlage nehmen extrapoliert Juanheng diese ein wenig zu belehrend geschriebene Geschichte teilweise in unerwartete, aus dem Zusammenhang gerissene Richtungen. Zusätzlich ist interessant, dass die soziale Gesellschaft Chinas Rissen aufweist und es so etwas wie Elend und Armut tatsächlich zu geben scheint.   

Yonglie kritisiert den staatlich sanktionierten Ehrgeiz seiner öffentlichen Diener in „Zersetzung“. In bemanntes Raumschiff kommt aus dem All zurück. Es landet in den Wüste, Wissenschaftler werden ausgeschickt. Es handelt sich im Grunde um Routine, da dieses China sich zu einer der führenden Raumfahrtnationen entwickelt hat. Alle Mitglieder des Teams kommen genau wie die Besatzung ums Leben. Die junge Forscherin Li Li kann vor ihrem Tod die Welt warnen, dass anscheinend Bakterien mit zur  Erde gebracht worden sind,  welche alles bis auf Titan zersetzen können.  Allerdings hätten sie dann auch die unwirtliche Wüste angreifen müssen. Zwei Forscher machen sich freiwillig auf den Weg in die Wüste, um ein Antizersetzungsmittel zu finden.  Die Geschichte ist vor allem psychologisch sehr gut ausgearbeitet. Der Vorgesetzte bleibt in seinem Büro und erntet mehr und mehr den Ruhm der Männer an der Front. Als es an die Verleihung des Nobelpreises geht, dringt sein egoistisches Wesen durch. Das Ende ist pathetisch und viele der menschlich negativen egoistischen Tendenzen negierend, aber auch in mehrfacher Hinsicht konsequent. Im Gegensatz zu Michael Chrichtons thematisch sehr ähnlichen „Andromeda- der tödliche Staub aus dem Weltall“ präsentiert Yonglie keine Rettung in letzter Sekunde, sondern lässt den Leser mit vielen Fragen und ein wenig Optimismus zurück, dass sechs Jahre Forschung unter unwirtlichen Bedingungen tatsächlich zu einem positiven Ende führen können.

„Liebe im Unendlichen“ aus der Feder Tong Enzhengs ist eine First Contact Geschichte mit einer melancholischen Liebesgeschichte verbunden. Anfänglich wirkt der Text ein wenig antiquiert. Nach Jahre langen Beobachten verschiedener UFO Phänomene –  der Autor erläutert die unterschiedlichen Stufen der Sichtung wie in Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ – können die Forscher feststellen, dass im pazifischen Ozean an einer Bruchstelle in 12000 Metern Tiefe die UFOs anscheinend immer wieder „landen“. Ein Freiwilliger und natürlicher Wissenschaftler taucht mit einem modernen Ein-Mann- U Boot in diese Tiefe und begegnet den Fremden.  Enzheng schlägt ab diesem Augenblick einen unglaublich weiten Bogen und passt in der Tradition der beobachtenden Schläfer sowohl die Legende um Atlantis als auch die vorsichtige Hilfestellung der Fremden in seine Geschichte. In erster Linie ist es aber eine melancholische Liebesgeschichte zwischen dem Menschen und einer „Gehilfin“, die eingepackt in den Rahmen die Idee der Begegnung mit dem Fremden relativiert und ohne kitschig zu sein gut unterhält.

 Ein wichtiger Aspekt des politischen Lebens und damit ein direkter Einfluss auf die Science Fiction ist die Angst vor Spionage, vor dem heimtückischen Überfall durch die Feinde der Revolution. Interessant ist, dass weder in Liu Zhaoguis „Das Rätsel Beta“ noch in Wang Xiadoas „Die geheimnisvollen Wellen“ der Westen in Form der USA als Aggressor genannt wird. Vielmehr hat der Leser aus heutiger Sicht den Eindruck, als wenn die Furcht vor der damaligen UdSSR dominanter gewesen ist. „Das Rätsel Beta“ nimmt die Idee der perfekten Roboter wieder auf. Ein Professor verschwindet. Seine beiden Kollegen beginnen ihn zu suchen. Anscheinend ist er nicht von Staatsfeinden verschleppt worden, sondern in die Hände seiner eigenen perfekten Schöpfung gefallen, welche die Grenzen zwischen Mensch und Maschine überschritten hat. In „Die geheimnisvollen Wellen“ versuchen Spione aus der Luft und vor allem direkt in dem geheimen Forschungslaboratorium nach einer neuen Geheimwaffe zu suchen, die mittels brechender Lichtwellen perfekte Kopien erzeugen kann. Die beiden Geschichten scheinen stilistisch deutlich älter zu sein. Ihr Aufbau erinnert ein wenig an die Pulpstorys der dreißiger und vierziger Jahre, in denen es vor allem um Action geht. Ohne in dieser Hinsicht herausragen versuchen die Autoren verschiedene volkspopulistische Punkte zwar zu streifen, politisch gehen sie aber sehr Systemkonform und deswegen zu stark konstruiert vor. Die technischen Ideen sind interessant. „Die geheimnisvollen Wellen“ hätten dabei deutlich mehr extrapoliert werden können. Der finale Showdown ist keine große Überraschung, alleine die effektive Täuschung ist interessant. Viel nachhaltiger erscheint die Auseinandersetzung in „Das Rätsel Beta“ mit der eigenen Kopie. In der zweiten Story wird sie durch Lichtbrechung erschaffen, in der ersten Geschichte haben die Menschen ihr Ebenbild mit allen Vorteilen, aber auch der ständigen Bedrohung erschaffen, von den eigenen Schöpfungen abgelöst zu werden. Es handelt sich im Vergleich zu anderen Geschichten dieser Sammlung um vor allem technisch utopische Arbeiten teilweise für die Jugend, welche erzieherische Absichten haben. Fasziniert und angelockt von den grundlegend nicht uninteressanten Prämissen hätten beide Texte mittels besserer Charakterisierung der handelnden Personen zeitloser gewirkt.  Die letzte Story aus modernen Rubrik Spionage ist „Der merkwürdige Fall vom Seeufer“. Liu Ji´an hat den Plot als Kriminalgeschichte entwickelt. Am Seeufer wird die Leiche eines wichtigen Mitarbeiters gefunden. Offensichtlich ist er ermordet worden. Das Motiv scheint in einem engen Zusammenhang mit der dort betriebenen Forschung zu stehen. Die Ermittlungen gehen eher schleppend voran, bis einer der Professoren das Problem aus einer ungewöhnlicheren Perspektive betrachtet. Wie eine britische Detektivgeschichte aufgebaut verbindet der Autor neben dem mehrfach angesprochenen Aspekt der Spionage durch eine wieder ambivalent beschriebene fremde Macht technische Errungenschaften zu einem kompakt zu lesenden Plot.

 „Der Traum vom Frieden“ stammt aus den vierziger Jahren. Gu Junzheng ist einer der „ältesten“ Science Fiction Autoren Chinas. Obwohl aus heutiger Sicht der Plot antiquiert erscheint, muss er im Kontext des damals herrschenden Zweiten Weltkriegs gesehen werden. Ein amerikanischer Spion kehrt aus dem Fernen Osten in die USA zurück. Die USA sind kurz davor, Japan zu besiegen. Plötzlich brandet eine pazifistische Welle durch die USA. Man sucht einen akzeptablen Frieden mit dem brutalen Erzfeind. Der Agent kann sich diesen plötzlichen Stimmungsumschwung nicht erklären. Anscheinend wird das amerikanische Volk manipuliert. Mittels umfangreicher, die Handlung unterbrechender technischer Erklärungen inklusiv entsprechender Graphiken entwickelt der Autor einen über weite Strecken als Propaganda zu bezeichnenden Plot, in welchem die Amerikaner für die Chinesen die „Guten“ sind, während die Japaner hinterhältig und schurkisch erscheinen. Die finale Auseinandersetzung wirkt ein wenig zu bieder und erreicht nur das Niveau der B Serials, die in dieser Zeit vor allem in den USA gedreht worden sind. Als Zeitdokument ein interessanter Abschluss dieser Anthologie, der nur bedingt die Weiterentwicklung des Genres unterstreicht.

Natürlich wirken die hier gesammelten acht Geschichten teilweise ein wenig zu distanziert und stilistisch schwerfällig entwickelt. Der Fokus liegt weniger auf sozialer Kritik als technischem Fortschritt in Anlehnung an die utopisch phantastischen Texte vor allem aus der UdSSR. Im direkten Vergleich mit der englischsprachigen Science Fiction scheinen gute zwanzig Jahre zwischen den Texten zu liegen. Positiv ist, dass selbst aus heutiger Sicht diese Anthologie einen ersten Einblick in die chinesische Science Fiction gibt und als Vergleich zu den heute publizierten Texten wirklich als Ausgangspunkt dienen kann, um die Entwicklung der Science Fiction Literatur im Reich der Mitte zu verfolgen.      

 

  • Verlag Goldmann
  • Taschenbuch, 262 Seiten, 8 Fotos
  • ISBN-10: 3442084121
  • ISBN-13: 978-3442084128