The Magazine of Fantasy and Science Fiction September/ Oktober 2016

The Magazine of Fantasy and Science Fiction September/ October 2016, Titelbild
C.C. Finlay( Herausgeber)

Bislang gab es insgesamt 14 Autorenthemenausgaben in der langen Geschichte des "The Magazine of Fantasy and Science Fiction". Die Erste widmete der legendäre Herausgeber Avram Davidson Theodore Sturgeon. Im Herbst 2016 angesichts des 50. Geburtstages von "Star Trek" schließt sich in mehrfacher Hinsicht ein Kreis. Die fünfzehnte Ausgabe ist David Gerrold gewidmet, der als Autor eine der populärsten "Star Trek" Folgen "Immer Ärger mit Tribbles" verfasst hat. Hinzu kommt, dass eine seiner beiden hier veröffentlichten Novellen eine direkte Fortsetzung zu einer der interessantesten Theodore Sturgeon Geschichten darstellt. 

 Eingeleitet wird das "David Gerrold" Feature durch ein warmherziges Essay von Kristine Kathryn Rusch, die als Chefredakteurin das "The Magazine of Fantasy and Science Fiction" durch die wilden Neunziger führte und David Gerrolds prämierte Novelle "The Martian Child" ankaufte.  Sie vergleicht ihren Weg in die SF mit Gerrolds Karriere, aber vor allem seiner Persönlichkeit. Hinzu kommt die Wende in dessen Werk mit der angesprochen Novelle "The Martian Child". Unabhängig von phantastischen Elementen sind seine Texte immer autobiographischer geworden. Die Insiderjokes häufen sich. David Gerrold selbst rundet dieses Special mit einem kurzen, sehr sympathischen Rückblick auf den eigenen Werdegang und den Begegnungen mit den Autoren ab, die er selbst früher bewundert hat und die ihn sympathisch in ihren Reihen aufgenommen haben. Es ist passend, dass er seinen Beitrag mit den Tips abschließt, die ihm Theodore Sturgeon bei ihrer einzigen Begegnung mit dem auf weiteren schriftstellerischen Weg gegeben hat.

David Gerrolds "The Further Adventures of Mr. Costello" basiert auf Theodore Sturgeons "Mr. Costello, Hero" und ist eine nur an der Person angelegte Fortsetzung. Wie bei den anderen beiden Fortführungen - "Those Shadows Laugh" von Geoff Ryman folgt Charlotte Perkins Gilmans "Herland" und Peter S. Beagle setzt seinen eigenen Roman "Das letzte Einhorn" fort - ist es nicht unbedingt notwendig, die Originalgeschichte zu kennen. David Gerrolds Fortsetzung ist bis auf das pragmatische Ende im Grunde eine typische „Twilight Zone“ Story. Auf einem fernen Planeten leben Händler und Farmer im Einklang zusammen. Auffällig ist nur die moderne, offene Familienstruktur. Mittels Verträgen kann eine unbegrenzte Zahl von Männern und Frauen heiraten, in Kommunen zusammenleben und viel Sex miteinander haben. Mr. Costello taucht auf dem Planeten auf und will den Handel mit den an Schafe erinnernden Tieren regulieren. Er beginnt eine Weidewirtschaft einzuführen, ohne dabei an die Unarten der Tiere zu denken. Er will ein modernes Transportnetz bauen lassen und schließlich sogar Corporate Amerika einführen.   Das ist den Ureinwohnern zu viel. Es ist eine teilweise bitterböse Satire auf den reinen Kapitalismus, dem David Gerrold als Schwäche dieser sich vielleicht zu langsam entwickelnden Story eine Art kommunistischen Grundgedanken gegenüber stellt. Mister Costello kommt auch als Titelheld zu kurz und wird alleine durch Reaktionen auf sein Handeln definiert. In einem direkten Vergleich mit seinen letzten Kurzgeschichten ist „The Further Adventures of Mr. Costello“ leider nur eine durchschnittliche Arbeit.

 Deutlich besser und inhaltlich der Horrorstory der letzten Ausgabe "The Thing on the Shelf"  vorgreifend ist „The Dunsmuir Horror“. Wieder handelt es sich um eine semiautographische Geschichte in Briefform an den ehemaligen Chefredakteur Gordon van Gelder. Der offensichtlich verrückte Horrorautor kann nicht mehr zwischen Realität und Wahnsinn unterscheiden. Auf seiner Reise zur World Horror Convention, auf welcher er wie in der schon erwähnten ersten Geschichte beschrieben seinen Preis erhält, besucht er unter anderem eine mystische Stadt, aus der kein Besucher bislang zurück gekommen ist. David Gerrold geht aber noch einen Schritt weiter. Mehr und mehr wieder dieser lange Brief zu einem Exkurs in die eigenen Science Fiction Erfahrungen. Da wird die Begegnung mit den Heinleins genauso beschrieben wie die Lektüre einzelner Bücher. Auf den ersten Blick wirkt es nicht zielführend, aber mit dem Anhang schließt Gerrold subversiv den Kreis. Wer gerne in Kinodimensionen denkt, der sollte sich John Carpenters „Die Mächte des Wahnsinns“ in Briefform vorstellen.   

 Trotz der beiden Essays und den längeren Arbeiten David Gerrolds präsentiert die vorliegende Ausgabe von „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ noch weitere acht Kurzgeschichten. Den Auftakt der Nummer macht Sarah Inskers „Talking to Dead People“. Zwei College Freunde haben eine Geschäftsidee. Sie bauen Häuser nach, in denen Morde begangen worden sind. Eine künstliche Intelligenz soll für die authentische Atmosphäre in den Häusern sorgen, in dem sie stimmlich individuell die einzelnen Szenen nachstellt. Wunderbar natürliche Charaktere in einer bizarren Situation machen aus der Kurzgeschichte einen Höhepunkt dieser Ausgabe und einen sehr guten Auftakt.     

 Mit der virtuellen Realität setzen sich zwei Texte auseinander. „Anything for you“ von Lisa Mason handelt von Willem, der sich in einer interaktiven Fernsehserie verliert. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass seine Frau eine Affäre hat. In „Cupid´s Compass“ von Leah Cypess überredet ihre Schwester Larissa, sich in einen Mann mit Hilfe von „Cupid´s Compass“ zu verlieben. Die Firma nutzt nach wissenschaftlichen Methoden die Entstehung von Emotionen, um Menschen aneinander zu binden. Während Willem in der ersten Geschichte verzweifelt versucht, Kontrolle über seine weibliche fiktive Figur zu erlangen und dadurch zumindest Teile seines Lebens zu steuern, beginnt Larissa während ihrer Schwangerschaft wahre Gefühle zu entwickeln, zu denen in dieser abgestumpften Gesellschaft ihr Mann nicht fähig ist. Beide Storys sind ideentechnisch solide aufgebaut. Allerdings will der Funke auf der elementaren emotionalen und charakterlichen Ebene nicht überspringen. Gemeinsam haben sie, dass im Grunde Liebe und Glück nicht erzwungen werden kann, sondern teilweise mühsam suchend gefunden werden muss.    

„The Voice in the Cornfield, the World Made Flesh“ von Desirina Boskovich ist eine ungewöhnliche „First Contact“ Geschichte, die nicht unbedingt dem Subgenre neue Impulse verleiht, aber aufgrund der gut gezeichneten Charaktere und deren tragischen Lebensumständen funktioniert. Die außerirdische Kreatur stürzt mit ihrem Raumschiff über der Erde ab und wird schwer verwundet. Es versucht, mit anderen Wesen Kontakt aufzunehmen. Um ihn herum leben unter harten Umständen Farmerfamilien. Der erste telepathisch suggestive Kontakt endet in einer Katastrophe. Die zweite Kontaktaufnahme trifft auf eine junge, einsame und verzweifelte Frau. Am Ende kommt es zu einer Art Verbindung, die für Fremden wie Mensch eine Befreiung darstellt. Es sind die dunklen, harschen Umständen auf den kleinen, ums Überleben kämpfenden Farmen, welche eher anrühren als das Schicksal des Fremden. Wenn eine der jungen Frauen sich einige Minuten in Form gebrauchter Science Fiction Geschichten täglich stiehlt, dann trifft Desirina Boskovich mitten ins Herz der Leser.

„The-Green-Eyed Boy“ ist eine Art Vorgeschichte zu „Das letzte Einhorn“. Fast fünfzig Jahre sind seit der Erstveröffentlichung vergangen. Auch wenn Schmendricks erste Begegnung mit der Magie durch den Erzähler Nikos, den Zauberer, inhaltlich den Muster von Disneys „Zauberlehrling“ folgt, handelt es sich stilistisch um eine wunderschöne Geschichte mit liebenswerten, dreidimensionalen Charakteren und zwischen den Zeilen einer an keiner Stelle belehrenden Altersweisheit.  In Peter S. Beagles Welt ist Magie eine Kunst und kein Allheilmittel. Immer wieder warnt er dank des Ich- Erzählers vor den Folgen eines ungestümen, jugendlichen Handelns, um dann während des Schlusses einzugestehen, dass niemand vor diesen Fehlern gefeit ist.   

Ian Creasey präsentiert mit „A Melancholy Apparition“ eine klassische Gespenstergeschichte. Die beiden wichtigen Protagonisten vertreten im Grunde die Extreme zwischen Aufklärung und Moral/ Glauben. Die Geistermanifestation in Form eines kleinen Mädchens ist im Grunde ein Klischee, das Ian Creasey dann auf den Kopf stellt und die Ungläubigen reformiert, während die anfänglich an die Erscheinung Glaubenden „geheilt“ werden. Stilistisch an die Geistergeschichten des 19. Jahrhunderts angelehnt mit sehr guten Charakteren und vor allem pointiert geschriebenen Dialogen gehört Ian Creaseys Arbeit zu den besten Geschichten dieser Ausgabe.

„The Sweet Warm Earth“ von Steven Popkes könnte direkt aus „The Twillight Zone“ stammen. Nachdem er Probleme mit den Banden in Boston hat, zieht Larry Malcahey nach Kalifornien. Auf der Rennbahn trifft er Mr. Bernardi, einen Mann, der mit den Rennpferden sprechen kann. Nach diesen Gesprächen setzt er kleine Beträge und gewinnt oft. Sein Neffe gerät schließlich in Konflikt mit dem organisierten Verbrechen und Larry erkennt dessen Geheimnis. Es ist eine Geschichte voller Verlierer, die mit kleinen teilweise übernatürlichen Tricks überleben. Alle Figuren sind wunderbar dreidimensional, Rod Sterlings Muster folgend gezeichnet. Ihr Schicksal geht ans Herz und das dunkle, aber nicht zynische oder nihilistische Ende stellt einen wunderbaren Abschluss des Textes dar.

Eine der schwächsten Geschichten ist leider Geoff Rymans „Those Shadows Laugh“. Senora Valdez trifft auf der gesellschaftlich utopischen Insel Colinas Bravas ein. Hier leben nur Frauen. Anscheinend geht bei den künstlichen Befruchtungen etwas schief und es werden mehr und mehr Kinder mit genetischen Defekten geboren. Senora Valdez verliebt sich in ihre Führerin Evie auf der Insel. Sie will bleiben. De entwickelte Gesellschaft in der vorliegenden zu perfekten Form erscheint zu eindimensional, zu pragmatisch und zu simpel. Die Sehnsucht nach einem Paradies ist aus Sicht der Protagonistin nachzuvollziehen, aber es fehlt der Bogenschlag zur eigentlichen Handlung. Die Kultur ist so eindimensional, so nichts sagend und langweilig, das die fiktiven Verweise auf frühere Besucher und ihre literarischen Arbeiten nicht helfen. Der Gesellschaft fehlt wie der Protagonistin das Herz am rechten Fleck, so dass diese stilistisch wunderschön geschriebene Story emotional im Nichts verharrt und den Leser nicht wirklich anspricht.

Beginnend mit den beiden soliden, aber nicht herausragenden David Gerrold Geschichten und dem leider ein wenig zu statisch erscheinenden Titelbild präsentiert sich die Herbst 2016 Ausgabe von „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ leider erschreckend durchschnittlich. Es sind einige sehr gute Storys vorhanden, aber der Funke will an keiner Stelle wirklich überspringen. Schade um das teilweise verschenkte Potential.   

 

 

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Paperback, 256 Seiten