Herr der Träume

Herr der Träume, Roger Zelazny, Rezension, Titelbild
Roger Zelazny

Roger Zelaznys in den USA 1966 veröffentlichter Roman „The Dream Master“ basiert auf der mit dem NEBULA Award ausgezeichneten Novelle „He Who Shapes“. In einem direkten Vergleich ist die Novelle die eher überlegene Arbeit, da der Amerikaner den Plot um einen Traummanipulator und weniger Freuds Thesen folgend einem Traumdeuter zu einem deutlich mehr befriedigenden Ende geführt wird.

 Von Freud übernimmt Roger Zelazny vor allem zu Beginn des Buches die Idee, das die Träume ein Ausdruck des Unterbewusstseins sind und nicht selten die geheimen Sehnsüchte eines Individuums visualisieren. Es folgt auch eine entsprechende ein wenig belehrend erscheinende Deutungsstunde durch den im Mittelpunkt stehenden Psychiater.

 Gleich zu Beginn verführt Roger Zelazny in Person seines Neuropsychologen Charles Render den Leser. Es beginnt mit einer Sequenz, in welcher – wie sich später herausstellt – sein Patient die Angst hat, wie Cäsar ermordet zu werden. Er ist ein angesehner Politiker, der im Grunde keine Persönlichkeit ausbildet. Er ist schwammig, ein Feigling und hofft auf Bestätigung, die er in seinen unwichtigen politischen Tätigkeiten nicht finden kann. Im letzten fast tragisch zu nennenden Kapitel schließt Zelazny diesen Handlungsbogen pragmatisch ab. Die ersten Szenen zeigen aber, dass auch mittels einer Maschine eine Art Traumrealität – ein Vorläufer der virtuellen Realität – erzeugt werden kann, in welche als wichtiger Aspekt der Patient und der Therapeut eintreten können.

 Mit diesen ersten Szenen etabliert Roger Zelazny nicht nur die Grundidee dieser futuristischen, aber auf den gegenwärtigen therapeutischen Sitzungen basierenden Beratungstechnik, sondern er zeigt im Umkehrschluss noch etwas anderes. Zelaznys Protagonisten befinden sich immer auf Reisen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Reise ins Innere handelt oder wie viele seiner frühen Figuren um räumliche, nicht selten auch herausfordernde Expeditionen. Charles Render – seine Hauptfigur – reist immer im Unterbewusstsein seiner Figuren mit. Inzwischen ist dem reichen Mann langweilig. Ein Selbstmord in seinem Bürogebäude schockiert ihn weniger wegen der Tat, sondern wie schnell sich die Gerüchte in dem Gebäude expotentiell und nicht unbedingt richtig verbreiten.

 Roger Zelaznys Protagonist ist aber auch ein unsteter Geist. Seine Frau und seine Tochter sind bei einem eher ambivalent gehaltenen Unfall vor vielen Jahren ums Leben gekommen. Nur sein Sohn Peter wird von einem Internat zum nächsten geschoben. Ein kleiner Unfall des Jungen bedeutet wieder, dass er ihn von der Schule nimmt. Die Szenen um Weihnachten herum sollen vor allem Renders unsteten Charakter auch in Hinsicht auf seine Beziehung zu seiner Geliebten/ Freundin verdeutlichen. Sie verlangsamen aber auch aufgrund der Nutzung einiger Klischees den Plot und erlauben keinen erweiterten Blick auf diese Persönlichkeit. 

 Charles Renders Herausforderung ist natürlich eine Frau. Eileen Shallot ist eine attraktive Frau, die trotz einer angeborenen Blindheit sich inzwischen als Ärztin und Psychologen etabliert hat. Sie möchte aber in diese Elite der „Herren der Träume“ aufsteigen. Nicht nur für Charles Render stellen weniger ihre Fähigkeiten, ihre Intelligenz oder ihr professioneller Hintergrund ein Problem dar, sondern die Tatsache, dass sie von Geburt an blind ist. Wie kann man einen Traum für einen Patienten deuten, wenn man ihn im Grunde nicht sehen kann? Es ist interessant, dass Zelazny sich in diesem Punkt sicherlich auch aus dramaturgischen Gründen alleine auf das „Sehen“ konzentriert, obwohl bei blinden Menschen andere Sinne deutlich geschärfter sind. Bedenkt man zusätzlich, welche teilweise exzentrischen „Reisen“ die beiden schließlich in der Traummaschine unternehmen, scheint das „Sehen“ nur ein untergeordneter Aspekt zu sein und die wichtigere Idee das Spüren. Eileen gelingt es, Charles Renders Neugierde zu wecken. Er bietet ihr an, sie als Schüler auf Probe aufzubilden. Natürlich nimmt für diesem „Tabubruch“ sein Verhängnis seinen Lauf, wobei Roger Zelazny die Tragik dieser Ereignisse eher oberflächlich darstellt und im direkten Vergleich zu einigen anderen seiner Romane nur mit den Versatzstücken spielt.

 Das mag in der Tatsache begründet sein, dass seine Protagonisten beginnend mit dem intelligenten Blindenhund, der nur seinen Instinkten folgt und die Gefahren wittert, eher pragmatisch eindimensional erscheinen. Charles Render sieht sich als intellektueller Außenseiter, als im Grunde gehetzter Mann, der seine eigene tragische Vergangenheit noch nicht verarbeitet hat. Er ist der Ansicht, das alleine seine Erfahrung ihm einen Einblick in die Funktionsweise dieser Welt auf allen Ebenen schenkt. Diese „Blindheit“ wird ihm auch zum Verhängnis.

Er sieht, das die Welt nicht nur bevölkerungstechnisch seinen Höhepunkt überschritten hat. Obwohl die Technik perfektioniert worden ist und vor allem „Verbrechen“ keine wichtige Rolle mehr spielen, wirkt sie erstaunlicher gegenwärtig. Die immer wieder propagierte totale Überwachung ist eher eine Wortformel, die nicht für den Plot notwendig umgesetzt wird.

 Viel interessanter sind die Bewegungen, welche impliziert durch das Unterbewusstsein ausgelöst worden sind. Der Blindenhund Siegmund ist dabei im Grunde der Mittler zwischen den Protagonisten und den Lesern. Seine Intelligenz ist künstlich verstärkt, er verfügt über einen kleinen Wortschatz und er sieht sich als Freund und nicht unbedingt als Hund. Er ahnt von der Gefahr für Eileen und Charles, aber er kann sich nicht durchsetzen. Es sind seine Instinkte, welche rechtzeitig warnen. Er ist auch die einzige Figur, die weniger von ihrem Unterbewusstsein gesteuert wird, sondern seinen natürlichen, aber inzwischen verstärkten Erbanlagen folgt.

 Eileen ist vom Ehrgeiz fast zerfressen. Sie überschätzt sich. Sie ist keine klassische Femme Fatale, aber sie ist sich der Risiken nicht bewusst. Natürlich ist ihre Motivation verständlich und sie wicht fast alle anders lautenden Argumente vom Tisch. Aber als Persönlichkeit wirkt sie auch zu sehr auf die Aufgabe fokussiert, wobei die Traumpassagen mit den mittelalterlichen Burgen, der kontinuierlichen Erwähnung der Ritterrüstung mit Charles als „shining Knight“ und schließlich die Idee der Hexe erstaunlich eindimensional und teilweise antiquiert erscheinen. Hier verliert der Roman seine anfängliche Brillianz, mit zahlreichen klassischen Ideen und literarischen Verweisen nicht nur auf Freud, sondern wieder die griechische Antike zu spielen.

 Charles Render wird mehr und mehr zu einem Werkzeug, das auf der einen Seite von seinen persönlichen Ambitionen motiviert wird, auf der anderen Seite aber die Bodenhaftung fast unnötig verliert. Das er selbst eine schwierige Persönlichkeit ist, zeigt sich am Verhältnis nicht nur zu seinem Sohn, sondern vor allem zu seiner Geliebten. Sie ist auf Eileen eifersüchtig und besucht sie in ihrer Praxis. Aber es kommt in den angesprochenen Szenen um Weihnachten sowie der Blindfahrt – eine der brillanten kleinen technischen Ideen, welche die Oberflächlichkeit dieser technokratischen Welt unterstreichen – zu keiner emotionalen Beziehung zwischen Charles Render und der ebenfalls aus reichem Hause stammenden Freundin. Sie wirken deplatziert. Sollten sie Renders emotionale Leere und seine Abgestumpftheit gegenüber der Welt unterstreichen wollen, so wird dieses Ziel leider verfehlt. Interessant ist zwischen den Zeilen, dass Render im Grunde nur ein stärkeres Opfer seines Unterbewusstseins und seiner Schuldgefühle ist als seine Patienten. ER kann ihnen Ratschläge geben, die er im gleichen Augenblick selbst ignoriert. Diese Diskrepanz zwischen Schein und Sein wird gegen Ende durch die immer länger, aber nicht interessant werdenden Traumsequenzen relativiert und teilweise negiert.

 Zusammengefasst setzt sich Roger Zelazny in diesem lesenswerten, aber nicht gänzlich befriedigenden Roman wieder mit seinen beliebten Themen und literarischen Spielereien auseinander, ohne die in der Novelle so perfekt auf den Punkt gebrachte Problematik der Desillusion selbst eines Experten im Roman zufrieden stellend zu extrapolieren und dem Leser diese fragile Persönlichkeiten näher zu bringen.

 Technisch beginnt Roger Zelazny die klassischen Erzählstrukturen aufzubrechen. Traumwelten und Realität werden nicht mehr voneinander getrennt und fließen abschließend zumindest indirekt ohne die Nutzung der Maschine ineinander. Für den Leser wird es schwieriger, diese wirklich unterschiedlichen, teilweise konträren Visionen von der laufenden Handlung abzugrenzen, wobei das offene Ende zu viele Fragen offen lässt, die anscheinend Roger Zelaznys nicht beantworten konnte anstatt sie nicht beantworten zu wollen. „Herr der Träume“ gehört zu den besseren Romanarbeiten Zelaznys, auch wenn unabhängig von den anfänglich interessanten Ideen leider eine große Schwäche des Amerikaners deutlich wird. Irgendwann verliert er bei einigen seiner Bücher das Interesse am roten Faden und beginnt unnötig zu improvisieren, ohne wie schließlich Eileen oder Charles den Weg zurück zum Ausgangspunkt der Handlung zu finden.  Dadurch verweichlichen die Enden und die Dynamik vor allem der Auftaktkapitel kann während der Höhepunkte nicht wieder erreicht werden.

 

        

   

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 539 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 136 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (25. August 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B00MUPWO8Y