Das Ende der Menschheit

Stephen Baxter, Ende der Menschheit, Rezension
Stephen Baxter

Stephen Baxters "Das Ende der Menschheit" bzw. im Original martialischer, aber auch passender "The Massacre of Mankind" ist die offizielle Fortsetzung zu H.G. Wells Klassiker "the War of the Worlds". Wie Stephen Baxter in seinem Nachwort mitteilt, gibt es mehrere inoffizielle Fortsetzungen, die er im Vorwege zumindest gelesen hat. Es ist nicht die erste Fortsetzung eines H.G. Wells Roman. Auch "Die Zeitmaschine" hat der fleißige Brite mit "Die Zeitschiffe" sehr interessant vor mehr als zwanzig Jahren fortgesetzt.

In beiden Romanen fließen immer wieder zahlreiche Hinweise, auch Unstimmigkeiten aus H.G. Wells Arbeiten ein. Hinzu kommen die selbstironische Querverweise auf zum Beispiel Jules Vernes Mondromane. Stephen baxter bemüht sich immer, die Essenz aus den vor mehr als einhundert Jahren veröffentlichten Büchern zu entnehmen und sie entsprechend zu extrapolieren, neue Aspekte wie die Venusbewohner und schließlich die ordnende Macht auf den Jupitermonden einzufügen und daraus eine rundere Geschichte zu machen als es vielleicht die extrem kompakten H.G. Wells Bände gewesen sind. Mit dieser Vorgehensweise hat Stephen Baxter aber nicht immer Erfolg. Während "Zeitschiffe" im wahrsten Sinne des Wortes ein gigantisches Epos mit einem fulminanten Schlusspurt gewesen ist, wird der Leser angesichts des abrupten Endes in "The Massacre of Mankind" wahrscheinlich wie der Autor selbst überrascht, der mehr als fünfzig Seiten aufräumenden Epilog in mehreren Kapiteln hinzugefügt hat. Vor allem überrascht das Ende. Die Menschheit scheint auf einem guten Weg zu sein und den Marsianer mit einigen Ideen das Leben schwer zu machen, während der im Hintergrund ablaufende Verzweifelungsplan noch nicht aufgrund der Skrupel einer einzelnen Person umgesetzt worden ist. Dann greift -wie im ersten Roman die Baktieren  - jemand von außen ein und das Problem ist plötzlich vielleicht nicht weg, es gibt andere Prioritäten, zumal in diesem Fall die Marsianer möglicherweise auch direkt von ihren Schwierigkeiten auf der Erde berichten können. Ab diesem Moment entwickelt sich die Handlung weg vom auf der einen Seite erdrückenden, auf der anderen Seite manchmal erstaunlich distanziert und zu wenig dynamisch erzählten Konflikt hin zu einer eher evolutionären Extrapolation marsianischer Geflogenheiten.

 "The Massacre of Mankind" beginnt im Jahre 1907, insgesamt 13 Jahre nach dem Ende des "War of the Worlds". Wieder greift Stephen Baxter auf einen Ich- Erzähler zurück, der aber nicht so namenlos wie in H.G. Wells Roman ist. Es handelt sich um Miss Elphinstone, die Ex schwägerin des Erzählers auf "War of the Worlds".  H.G. Wells hat es in Person seines Erzählers Walter Jenkins vorhergesehen. Die Marsianer werden über die Niederlage auf der Erde nachdenken und zurückkehren.  In der Zwischenheit haben die Menschen, wie Stephen Baxter in vielen kleinen und deswegen auch so lesenswerten Episoden erläutert, einen Teil der marsianischen Technik assimiliert und auch konsequent weiterentwickelt. Obwohl die Marsianer vor allem in Englang Schneisen der Verwüstung hinterlassen haben, ist Baxters Wells Impression in den Ersten Weltkrieg geschlittert. Allerdings handelt es sich nicht um den dem Leser vertrauten Konflikt, sondern vor allem eine Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Kaiserreich Deutschlands. Die Konflikte werden auch mit angepasster marsianischer Technik ausgetragen.

 Augenzeugenberichte der marsianischen Invasion hatten in den Jahre direkt nach dem Angriff Hochkonjunktur und einige Autoren konnten wie Walter Jenkins davon sehr gut leben. Jetzt mehren sich die Zeichen, dass die Marsianer zurückkommen und einige wenige Sternwarten beobachten den Mars hinsichtlich neuer Abschüsse von Raumschiffen. Parallel kehrt Miss Elphinstone aus den USA zurück nach England, wo sie später auch ihrem Ex Mann Frank sowie einigen anderen Figuren aus H.G. Wells Roman inklusiv des Ich- Erzähler von "The War of the Worlds" begegnen wird. Diese lange Einführung gibt Stephen Baxter die Gelegenheit, ein ausgesprochen faschistisches England mit einem Korridor zwischen den einzelnen Landestellen, einem erdrückenden Regime und der Angst vor einem erneuten Angriff zu beschreiben. Die Details sind überzeugend und bis zum eigentlichen Angriff gelingt es Stephen Baxter ausgesprochen gut, eine Mischung aus durch das Original vertrauter Welt und sehr vielen neuen Ideen zu beschreiben.

 Technisch hat Baxter H.G. Wells absichtlich kopiert. Eine in diesem Fall Ich Erzählerin mit Ecken und Kanten und einer Suffragetten Vergangenheit berichtet direkt dem Leser aus der Perspektive der unmittelbar in alle wichtigen Geschehnisse involvierten ersten Person. Dazu kommen überwiegend sekundäre Zusatzinformationen von anderen Augenzeugen. Erst später wechselt Stephen Baxter ein wenig die Perspektive, wenn die Marsianer auch in den USA landen und dort ihren Vernichtungskrieg allerdings mit nur ambivalentem Erfolg beginnen.  Stephen Baxter betont aber viel stärker, dass die Erzählerin die Ereignisse überleben wird, was angesichts eines wichtigen Handlungselements spannungstechnisch kontraproduktiv ist.

 Positiv ist, dass die erfrischende Offenheit der Erzählerin vor allem in einem starken Kontrast zum verklemmten Alter Ego H.G. Wells in dessen „The War of the Worlds“  manche  der sozialen Interaktionen auch pointiert kommentieren kann.  Stephen Baxter hat aber eine Frau aus einem anderen Grund ausgesucht. Während Albert Cook – eine weitere Figur aus der Vorlage -  opportunistisch als Überläufer bezeichnet werden kann, der martialisch seinen Mitmenschen dann wieder zu helfen sucht und sich durch ein eingeschränktes Gewissen auszeichnet, überlegt die Erzählerin hinsichtlich ihrer Geheimmission, ob sie wirklich in der Lage ist, sie auszuführen. Stephen Baxter beschreibt dabei eine ausgesprochen moderne Art der Kriegsführung, die angesichts des gigantischen Vernichtungsfeldzuges der Marsianer inklusiv der Züchtung von Menschen als Nahrungsmittelgrundlage vielleicht die einzige Chance zum Überleben darstellen könnte.  Die Gewissensbisse könnten in der Theorie nachvollziehbar sein, in der vorliegenden Praxis erscheinen sie wie einige andere Szenen überzogen und dienen eher dazu, den bei H.G. Wells so kompakten Plot in Stephen Baxters Fortsetzung in die Länge zu ziehen.     

  Die Angriffe der Marsianer, die eher bemüht verzweifelten Aktionen der Menschen sind gut beschrieben worden. Das Flair des Originals erwacht zum Leben und obwohl inzwischen fast dreizehn Jahre vergangen sind und die Menschen  von den Hinterlassenschaften der Marsianer technologisch gelernt haben, ist die Distanz zwischen den fremdartigen Aggressoren und den hilflosen Menschen fast größer denn je. Denn vordergründig impliziert Stephen Baxter, das auch die Angreifer vom Mars gelernt haben und jetzt vorsichtiger, rücksichtsloser und radikaler mit einer größeren Armee angreifen. Ihre Technik hat sich dabei nur bedingt weiterentwickelt.  Zu groß sind die vorhandenen Unterschiede schon gewesen.

 Zu einer der besten Szenen gehört der Angriff in der Nordsee. Wasser galt bislang als letzte Zuflucht der Menschheit, obwohl die Marsianer durchaus über Fluggeräte verfügen. Mit der Doggerbank haben sie einen idealen Punkt gefunden, um verschiedene Fluchtrouten und Versorgungslinien abzuschneiden. Dagegen wirkt die Idee, dass die Deutschen sich mittels ihrer U Boote im Atlantik zurückhalten eher aufgesetzt. Immer wieder  betont Stephen Baxter, dass es nur Krieg zwischen Russland und Deutschland gibt, daher machen die zusammengestellten Konvois und Geleitzüge keinen Sinn. 

Zwischen den einzelnen Angriffswellen mit einigen guten Ideen in den USA, einem bizarren Bild mit der Landung der Marsianer in China und eher Gleichgültigkeit in Australien finden sich aber sehr viele langweilige und gedehnte Szenen. Die Idee, das die Marsianer zu erst die Venus angegriffen und unterjocht haben macht rückblickend genauso wenig Sinn wie die Brandmarkung der übernommenen Planeten – die Landepunkte sollen nach dem Sieg verbunden werden und im All anzeigen, wem die Welt gehört -  bzw. während des Finals  das  Gegensignal. Es sind alles viele  kleine Ideen, die Stephen Baxter  mühelos aus den Ärmeln schüttelt, aber viel zu kompliziert in den Plot einbaut. Dadurch wirkt der Roman buchstäblich unrund und in einigen kurzen Kapiteln werden keine weiteren Informationen präsentiert, sondern verbaltechnisch die Quadratur des Kreises exerziert. Vor allem, weil sich die einzelnen Protagonisten an mehr als einer Stelle immer wieder selbst im Wege stehen und die meisten der in Ansätzen geplanten Aktionen Pyrrhussiege wären, deren Tragik der Autor literarisch gar nicht umsetzen möchte. 

Auf der anderen Seite kann der aufmerksame Leser so viele historische Persönlichkeiten bis zu einem Gefreiten Hitler in kleinen oder kleinsten Rollen genauso wiederfinden wie zahllose Anspielungen auf bekanntere Science Fiction Werke, dass "Das Ende der Menschheit" fast schon zu einer Art finalem Schmelztiegel des viktorianischen utopischen Genres wird.

 Als Hommage an die Vorlage ist Stephen Baxters Epos vor  allem zu Beginn mit den düsteren Warnungen vor der Rückkehr der Marsianer inklusiv der Reise durch ein faschistisches England interessant. Mit der Landung der Marsianer und den plakativen Beschreibungen der einzelnen Auseinandersetzungen sowie zu vielen im Grunde nicht interessanten Charakteren verliert der Brite den roten Faden.

 Mit einigen bizarren Szenen fängt er kurz vor der finalen Auseinandersetzung seine Leser wieder ein, um sie dann im angesprochenen nachgeschobenen,  vierzehn Jahre später  spielenden Epilog mit einigen unnötigen neuen Figuren und sehr vielen belehrsam geschriebenen Passagen wieder  zu verlieren. Bei „Zeitschiffe“ hat Stephen Baxter bewiesen, dass er H.G. Wells Visionen überzeugend und originell extrapolieren kann, “Das Ende der Menschheit“ wirkt als Ganzes betrachtet zu stark bemüht und verliert deswegen abschließend sehr stark an Reiz.  

 

 

    

  • Taschenbuch: 592 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (9. Oktober 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453318455
  • ISBN-13: 978-3453318458
  • Originaltitel: The Massacre of Mankind