Christopher Diecks- Privatdetektiv

Christopher Diecks, Privatdetektiv, Cover
Lara Möller

Nach „Detroit Undercover“ ist „Christopher Diecks- Privatdetektiv“ nicht nur der zweite Thriller Lara Möllers, sondern gleichzeitig der Auftakt einer Trilogie. Die Handlung spielt in der Heimatstadt der Autorin, der  -wie die Widmung aussagt - schönsten Stadt der Welt: Hamburg.

 Der Auftakt des Romans besteht im Grunde aus zwei Prologen. Zum einen greift die Autorin auf das vor allem in amerikanischen Fernsehserien beliebte Stilmittel zurück, eine Szene aus der Mitte der Geschichte mit einer möglichst gefährlichen Situation an den Anfang zu stellen und dann die erste Hälfte des Plots quasi in der Vergangenheit startend auf diesen Punkt zuzusteuern. Die Idee ist in diesem Fall weniger spannungsfördernd als effektiv, zumal am Ende des Plots sich die verschiedenen Konstellationen mit Schurken und Helden auflösen und viele wichtige Elemente zu einem opportunen, aber auch frustrierenden, sich leider den gegenwärtigen politischen Verhältnissen anpassenden Grau vermischen. Die zweite Szene spielt einige Jahre vor dem Einsetzen des ersten Prologs und vor allem auch der eigentlichen Handlung.

 Der Leser lernt Christopher Diecks noch als Aushilfskellner im Restaurant des Stiefvaters und gleichzeitig Arbeiter bei einer Umzugsspedition kennen. Sein waches Auge, seine gute Schuldbildung und schließlich sein langjähriges Leben im eigentlichen Herzen von St. Pauli ermöglichen es ihm, vor dem Wohnhaus einen Beobachter zu bemerken und schließlich mit Hilfe der Polizei zu stellen. Anscheinend hat der Mann seine vor drei Monaten eingezogene Nachbarin beobachtet. Auch hier agiert positiv die Autorin mit Grautönen und zeigt, dass der erste Eindruck täuschen kann.

 Aus dieser Begegnung erwächst die Freundschaft mit einem örtlichen Privatdetektiv, für den Christopher Diecks neben den beiden anderen Jobs kleinere Aufträge ausführt. Nichts Gefährliches, möglichst ohne Gewalt, aber effektiv und für ihn lehrreich. So ist der Titel wie die Autorin auch augenzwinkernd zugibt, ein wenig irreführend, denn Christopher Diecks ist (noch) kein Privatdetektiv, er agiert aber wie einer.

 Die Haupthandlung entsteht im Grunde aus einer Kette von Zufälligkeiten. Die Spedition soll ein Messi Haus ausräumen. Der Vater ist mit Demenz ins Altersheim gebracht worden, nachdem sein Sohn überraschend an einem Herzinfarkt gestorben ist. Im Haus finden die Leute neben sehr viel Müll auch einen Raum, indem penible Ordnung herrscht. Anscheinend hat hier der Sohn im Verborgenen gearbeitet. Christopher Diecks beobachtet, wie ein Junge mit einem Skateboard Fotos von dem Haus macht, die Kamera an einen Mann in einem silbernen Wagen weiterreicht. Die nächsten Handlungselemente sind schnell zu erkennen. In das Haus wird eingebrochen, die Täter werden aber anscheinend nicht fündig. Der Möbelwagen wird mittels eines brutalen Überfalls gestohlen und Diecks wird mehrfach gesagt, dass er seine Nase nicht in die Vorgänge stecken soll. Im Grunde vergebene Liebesmüh.

 Nach diesem Auftakt baut Lara Möller den Plot in einem ruhigen, gleichmäßigen Tempo auf. Es gibt einige brutale Szenen – verschiedene Überfälle -, denen immer wieder interessante Milieubeschreibungen und Begegnungen aus Christopher Diecks Privat - und zukünftigen Liebesleben gegenüberstehen.

  Es gibt einzelne Punkte, in denen trotz einer vollständigen Präsentation aller Fakten der Leser vor allem Christopher Diecks eine kleine Handbreit voraus ist. Vielleicht ein wenig zu sehr betont die Autorin unbewusst die Bedeutung von Spielzeugautos. Aber unabhängig von diesen kleineren Schwächen entwickelt sich die Handlung zufriedenstellend weiter. Diecks ermittelt zwar auf eigene Faust mit der Unterstützung des Privatdetektivs, von Freunden und schließlich fast widerwillig auch dem für den Fall zuständigen Kommissar. Der Bogen wird immer weiter gespannt und einige Ereignisse reichen bis in die Vergangenheit der jeweiligen Opfer. Aber positiv ist, dass Diecks nicht allgegenwärtig alle Lösungen nach kurzer Zeit parat hat, sondern von den Ereignissen auch überrollt wird und lernen muss, dass „grau“ inzwischen das neue „weiß“ ist.

 Die inhaltliche abschließende Wendung wird sehr gut vorbereitet und überrascht nicht nur den Helden, sondern vor allem auch die Leser. Ganz bewusst verzichtet die Autorin auf eine abschließende Auflösung des Falls und lässt einige Flanken offen. Im Epilog finden sich zwar „Erklärungen“ und weitere Vermutungen, aber im Grunde wie bei vielen Punkten in seinem Leben kann Diecks nur einen Pyrrhussieg erringen.

 Negativ ist, dass die zugrunde liegende Idee in ihrer Konsequenz nicht gänzlich originell ist. Vor allem ältere Leser werden sich unter anderem an Rainer Erlers hervorragenden Film „Reise in eine strahlende Zukunft“ erinnern, in dem diese Idee schon einmal pragmatischer, aber auch intensiver durchgespielt worden ist. Auch hier begannen die Ermittlungen im Grunde durch das überambitionierte und fast unvorsichtig offensive Handeln der im Grunde verantwortlichen Parteien.

 Aber mutig hat Lara Möller ein schwieriges Thema aufgegriffen und den Plot solide entwickelt. Diecks wird mehr und mehr zu einem Getriebenen und kann im Grunde nur noch reagieren, während in den meisten modernen Thrillerreihen wie von Ditfurths Serie um „De Boer“ der Held/ Polizist mit seinem Team abschließend die Initiative ergreift und die dunklen Mächte auffliegen lässt. Nicht nur aufgrund mangelnder Erfahrung, sondern auch näher an der Realität wird abschließend eine Art Burgfrieden geschlossen, mit dem vor allem die Schurken und weniger die „Helden“ leben können.

 Während der Plot teilweise ein wenig zu konstruiert fokussiert erscheint, lebt der Roman aber von seinen liebenswerten Charakteren vor allem aber in der engen Verbindung mit Hamburg. Lara Möller lebt und liebt diese Stadt. Wie nur wenige andere Milieuautoren – siehe wieder die „Dornröschen“ Trilogie von Christian von Ditfurth, in Berlin spielend oder Frank Göhres ebenfalls auf dem Kiez agierende Romane – erweckt sie Hamburg auf dem Papier zum Leben. Dabei gelingt ihr ein wahrer Balanceakt. Auf der einen Seite muss sie Fremde, Auswärtige ansprechen, denen viele der Straßen, Plätze und Besonderheiten der Stadt nichts sagen. Auf der anderen Seite darf sie die echten Hamburger nicht verprellen, in dem sie den Handlungsfluss zu stark unterbricht, um das Ambiente zu beschreiben. Manchmal greift die Autorin noch ein wenig in die Klischeekiste, in dem sie St. Pauli und dort bestimmte kleinere Viertel dreidimensional, farbenprächtig und vielleicht auch ein wenig literarisch verklärt eschreibt, während Wilhelmsburg schon lange nicht mehr das reine Ghetto ist. Aber es kommt auf ihr vor allem auf die Kontraste/ Zwischentöne an.

 Vor allem versucht Lara Möller dem Volk aufs „Maul“ zu schauen, das positive reine Multikulti einer Stadt, die von der See lebt und quasi ihren Reichtum dem Meer abgewonnen hat. Und dazu gehört immer nicht nur der wirtschaftliche Umgang mit Fremden. Der Leser fühlt sich schnell genauso wohl auf dem Kiez wie Christopher Diecks, der quasi dort „Schutz“ vor der Spießbürgermentalität gesucht hat, die sein Bruder zusammen mit seiner schwangeren Frau und der ersten Tochter im spießigen, wie halbnoblen Othmarschen gefunden hat.

 Ohne den Handlungsbogen nachhaltig zu unterbrechen, streifen Leser und Protagonist durch Hamburg. Da fast die ganze Handlung ausschließlich ohne Ich- Form aus der Perspektive von Christopher Diecks erzählt wird, bleibt der Leser immer auf Augenhöhe.

 Neben dem sich verliebenden, als Mensch so bemerkenswert unsicheren und doch in seinen Prinzipien auch linientreuen angehenden Privatdetektiv hat die Autorin eine Reihe von interessanten Nebenfiguren erschaffen, die immer am Rande des notwendigen Klischees die Handlung bereichern. Wo Frank Göhre in seinen Hamburg Krimis vielleicht den Bogen ein wenig überspannt und Skurrilität über Realismus hebt, trifft Lara Möller den richtigen Ton. Selbst die Schurken scheinen andere Seiten zeigen zu können, wobei sie hier ohne zu viele Informationen zu geben den Leser verblüfft, ein wenig provoziert und dann nachhaltig erklärungstechnisch ein wenig frech auch im Regen stehen lässt. Aber egal aus welcher Perspektive man dieses Völkchen betrachtet, die Figuren sind wie in „Detroit Undercover“ interessant gezeichnet worden und fügen sich um Durchschnitt homogen in den gut entwickelten Kriminalplot ein.

 Vielleicht ist im direkten Vergleich „Detroit Undercover“ als Thriller härter, kantiger, im auf Musik übertragenen Sinne auch rockiger, während „Christopher Diecks, Privatdetektiv“ nicht nur mehr auf das der Autorin eher vertraute Flair Hamburgs setzt und versucht die emotionalen Zwischentöne über den rasanten Plot zu stellen, sondern abschließend den Leser mehr an die Hand nimmt und in eine Figurenfamilie einführt, welche ohne Frage in den Fortsetzungen ausbaufähig ist und weiter entwickelt werden sollte. Es finden sich viele kleine Episoden und Schicksalsschläge, welche die Autorin noch erzählen sollte. Stellvertretend sei nur die behutsam entwickelte Liebesgeschichte genannt, bei der Romy auch ein Geheimnis in sich trägt.

 Es ist nicht immer leicht, bei einer neuen Trilogie die Balance zwischen Handlung, Protagonisten und schließlich auch Hintergrund zu treffen. Über weite Strecken ist das Lara Möller ausgesprochen gut gelungen, auch wenn der zugrunde liegende Plot vielleicht erfahrene Krimileser ein wenig enttäuschen könnte.      

 

  • Taschenbuch: 280 Seiten
  • Verlag: bookshouse (2. Juli 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9963539645
  • ISBN-13: 978-9963539642
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