Der rote Stier

Der rote Stier, Rex Stout, Titelbild, Rezension
Rex Stout

Mit „Der rote Stier“ legt der Kletta Cotta einen dritten Nero Wolfe Roman in Neuübersetzung und einem kurzweiligen Nachwort von Jürgen Dollase als handlichen Hardcover auf. Es handelt sich um ein frühes Abenteuer, das viele Jahre vor der letzten Publikation „Es klingelte an der Tür“ spielt. Auch wenn politische Hintergründe keine Rolle spielen und das Kulinarische wie bei der ersten Veröffentlichung im Vordergrund steht, wirkt der ganze Fall eher wie ein Versatzstücke der späteren Bücher, in denen die Aufklärung eines Verbrechens konsequent hinter der Exzentrik des Meisterdetektivs zurücksteht. An einer Stelle in „Der rote Stier“ löst Nero Wolfe den Mord im Grunde aus Langeweile für sich alleine. Er hat keinen Auftrag, ihm ist zu diesem Zeitpunkt kein Honorar angeboten worden und weit weg von seiner New Yorker Wohnung ist ihm anscheinend langweilig. 

Im Gegensatz zu Sherlock Holmes, der manchmal Gerechtigkeit vor Recht stellte, hat Nero Wolfe kein schlechtes Gewissen, wenn er nicht bezahlt wird und dadurch nicht zuletzt aufgrund der parteiischen Blindheit der Ordnungskräfte der kleinen Gemeinde ein Mörder frei herumlaufen kann. Als er schließlich über die ersten Honorare hinaus den Auftrag erhält, den Mörder zu überführen und ihn sich mangels schlüssiger Beweise – eine Schwäche des ganzen Buches – selbst stellen zu lassen, schafft der beleibte Detektiv diese Aufgabe innerhalb weniger Stunden.

 „Der rote Stier“ beginnt exzentrisch, aber auch ausgesprochen originell. Auf dem Weg zu einer Orchideenausstellung hat Nero Wolfes Wagen einen Unfall. Dessen geordnete Welt gerät durch die Unaufmerksamkeit Godwins förmlich aus den Fügen. Um Hilfe zu holen müssen sie ein Feld überqueren. Dort finden sie einen gigantischen Stier mit einem rotweißen Fell, der etwas gegen die Überquerung seines Bereichs hat. Am Ende steht Godwin auf der einen Seite des Zauns und Nero Wolfe verharrt auf einem Felsen mitten im Gatter, bis er spektakulär gerettet wird.

 Rex Stout spielt in diesem frühen Nero Wolfe Abenteuer mit den Urängsten des Detektivs. Situationen, die er bewegungstechnisch nicht kontrollieren kann; seine Orchideen sind außerhalb seines Hauses und viel schlimmer ist, er muss aktiv mit Menschen in einer ihm nicht vertrauten Gegend in Kontakt treten. Vielleicht ist es für die liebevolle gestaltete Reihe im Klett Cotta Verlag unglücklich, dass Wolfe in zwei der drei Abenteuer „reisen“ muss, auch wenn die Hintergründe mit der Kochkunst – ebenfalls im vorliegenden Buch ein gewichtiges Thema – oder seien Orchideen im Zusammenhang stehen. Wer Nero Wolfe nur über diese Neuauflage kennen lernt, wird die Exzentrik des Detektivs (noch) nicht verstehen können.

 Nero Wolfe befindet sich auf dem Anwesen des Restaurantbesitzers Pratt, einem Emporkömmling und Großmaul, der eine Kette von McDonalds ähnlichen Restaurants vor allem in New York unterhält. Das Essen ist billig, schmeckt zumindest Nero Wolfe selbst aus der Ferne nicht, aber die Geschäfte laufen gut.

 Aus Public Relation will Pratt den berühmtesten Zuchtbullen der USA töten, um ihn seinen Gästen als Beefsteak zu servieren. Dabei handelt es sich um den roten Stier oder wie ein Titel der Originalausgabe „Some Buried Caesar“ impliziert,  den König der Bullen. Der Public Relation soll unschlagbar sein, da Pratt sich erhofft, seine Gäste glauben, auch einen kleinen Teil des Bullen auf ihre Teller zu bekommen.

 Am nächsten Tag findet man im Gatter einen Toten. Es handelt sich um einen jungen Mann, der gegen diese Grillsession immerhin 10.000 Dollar gewettet hat. Anscheinend hat ihn der Bulle getötet. Möglicherweise wollte er das Tier entführen. Nur ahnt Nero Wolfe schon aufgrund der Beschreibungen, dass der junge Mann tot in das Gatter gelegt worden und der rote Stier unschuldig ist.

 Das große Manko des Romans ist die abschließende Überführung des Täters. Diese basiert auf einer Mischung von relativen, vielleicht auch relevanten, aber nicht stichhaltigen Beweisen und dem abschließenden Geständnis inklusiv eines tragischen Abschlusses. Auch wenn der Roman in den dreißiger Jahren verfasst worden ist und in dessen Gegenwart auch spielt, erscheint die Typisierung der Zuchtrinder von ihrer Geburt an nicht nur archaisch, sondern öffnet Manipulationen Tür und Tor. Das niemand anders als das erste Opfer und schließlich auch Nero Wolfe basierend auf seinen genauen Beobachtungen auf dem Felsen im Gatter stehend die gleichen Schlüsse gezogen haben, erscheint wenig glaubwürdig. Unterstellt der Leser die Naivität eines großmannssüchtigen Industriellen, der vor allem eher im Schein des Glamours als in der Gegenwart seiner Unternehmen leben möchte, könnten einzelne Punkte glaubwürdig erscheinen.

 Es spielt im Grunde auch keine wirklich entscheidende Rolle. Beginnend mit der bizarren Prämisse des berühmtesten Zuchtbullen, der getötet und als Werbegag gegrillt werden soll, entwickelt sich ein stringenter Fall, der mittels einer Romeo/ Julia Konstruktion sowie dem zu langen Exkurs in Gefängnis an der Seite Archie Godwins solide, mit gemäßigten Tempo und viel zu wenigen Überraschungen abläuft. Die einzelnen Szenen lassen sich gut lesen, aber ihnen fehlt die provokative Inspiration vor allem einiger späterer Romane.

 Diese Schwäche gleichen die Figuren teilweise sehr gut aus. Nero Wolfes Unwohlsein in der freien Natur sowie Archie Godwins fast sadistische Ader, seinen Chef immer wieder ein wenig bloßzustellen dominieren die erste Hälfte des Buches. Es ist auch gleichzeitig der beste Teil des Romans.

 Die potentiellen Antagonisten beginnend mit dem unsympathischen Großrestaurantbesitzer Pratt, seinem ewigen Nachbarn und Rivalen, sowie der Nichte/ Golfmeisterin sind gut mit Ecken und Kanten gezeichnet. Zwar wirkt der Konflikt zwischen den alten Ranchern und dem neuen Geld ein wenig stereotyp und die finale Auflösung in dieser Hinsicht zu pragmatisch, für den sorgfältig lesenden Betrachter zu früh erkennbar, aber Rex Stout hat ausreichend Freude, um allen Figuren ihre kleinen Momente zu schenken.

 Wer zu viele „Nero Wolfe“ Romane hintereinander vor allem in der chronologischen Reihenfolge goutiert, wird aber auch bei der Zeichnung der Nebenfiguren Überschneidungen erkennen. Diese reichen weit über die später populär werdenden Anspielungen auf Personen des öffentlichen Lebens sowie Zeit Erscheinungen des Spätwerkes mit dem herausragenden Ende vom mehrfach angesprochenen „Es klingelt an der Tür“ hinaus. Manchmal greift Rex Stout gerne auf ihm interessante Figuren aus den früheren Büchern zurück, tauft sie um und hängt ihnen nur ein neues Mäntelchen an. Es ist erstaunlich, dass Nero Wolfe diese offensichtlichen Variationen der gleichen Figuren nicht zumindest mit einem Schmunzeln begleitet.

 „Der rote Stier“ ist ein eher  durchschnittlicher „Nero Wolfe“ Roman, der falltechnisch positiv ohne Frage eine der besten Ausgangsprämissen in sich vereint und ausreichend Potential für eine Landbullenparty in sich trägt. Ab der Mitte wird der Plot allerdings nicht nur unnötig gedehnt, manche Exkurse wie die Sicherheitsverwahrung Godwins machen nur bedingt einen Sinn. Natürlich könnte Rex Stout damit demonstrieren, dass der Einfluss des Mörders sehr viel größer ist als alle vermuten und er die Schuld problemlos auf andere abwälzen kann, aber dazu hat sich Rex Stout am Ende entschlossen, den falschen Mann zum Täter zu machen.  Und unterminiert mit dieser Vorgehensweise die ganze Mühe, die er sich vorher so eindrucksvoll gemacht hat.

 

  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1. (21. April 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608981128
  • ISBN-13: 978-3608981124
  • Originaltitel: The red bull / Some buried Caesar
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