Forever Magazine 44

Forever Magazine, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke bringt in seinem Vorwort  seine Erfahrungen mit dem diesjährigen Weltcon auf den Punkt.  Bei der Auswahl der nachzudruckenden Texte hat der Amerikaner Kurzgeschichte, Novellette und schließlich  auch Novelle gut miteinander  kombiniert. 

 Der kürzeste Beitrag ist Lavie Tidhars "The Road to the Sea".  Ein lyrisch melacholischer Blick auf die wenigen Menschen, die in einer unwirtlichen, aber nicht tödlichen Landschaft nach dem Untergang der Zivilisation durch einen relativ schnellen wie katastrophalen Klimawandel zu  überleben suchen.  Die Geschichte lebt ausschließlich von den Stimmungen und Tidhars verklärter Beschreibung, eine eigentliche Handlung findet nicht statt. Am Ende zeigt er,  dass zumindest einige der Überlebenden aus ihrem rücksichtslosen Umgang mit der Natur gelernt haben.

 Gardner Dozois hat bei seinen Nachdrucken immer wieder gerne und auch verständlich auf die beiden herausragenden Anthologien "Old Mars" und "Old Venus" zurückgegriffen. "Ruins" von Eleanor Arnason stammt aus dem zweiten Band.  In ihrem kurzen Nachwort geht die Autorin auf den Punkt ein, der diese Welt von der dem Leser bekannten  unterscheidet. Auf der Venus hat sich eine Art Megafauna gebildet, auch Dinosaurier können dort leben. Die Venus ist unter der dichten Wolkendecke auch besiedelt, allerdings hausen dort vor allem Menschen, welche der Erde den Rücken zugekehrt haben, da ein sinnvoller wirtschaftlicher Verkehr mit der Erde nicht möglich ist. Der Wettflug zur Venus inklusiv der Besiedelung hat die Sowjetunion ruiniert,  während die Amerikaner im Grunde dieses besondere Wettrüsten zwar gewonnen, aus der Venus aber auch kein Kapital schlagen konnten. 

Der Protagonist Ash soll ein Team vom "National Geographic" inklusiv eines kleinen sprechenden Dinosauriers zu einem abgeschiedenen  Platz mit einer besonderen Megafauna zu führen. Auf dem Weg dahin findet das Team nicht nur eine Geschichte für die Zeitschrift, sondern scheint eine besondere Art der Verschwörung aufzudecken. In den Figuren spielt die Autorin auch ein wenig mit dem Paranoia Genre inklusiv der scheinbar interplanetaren Rolle vor allem des amerikanischen Geheimdienstes, während die Exilrussen ihre Seele auch unter den Wolken der Venus baumeln lassen. Auch Ash steht zwischen beiden Welten. Auf der einen Seite ein kommunistischer Revolutionär mit allerdings verschwommenen Zielen, auf der anderen Seite auch ein erfolgreicher Geschäftsmann und Kapitalist. Er will immer zu den Gewinnern gehören, wobei das Geld ihm wichtiger als der Politik ist.

 Die Novelle krankt aber an zwei Stellen. Immer wieder wird erwähnt, dass die Umweltverschmutzung die Erde sterben lässt. Die Menschenmassen können oder wollen aber nicht auf die Venus reisen. Zweitens gibt die Autorin abschließend keinen Hinweis, ob es wirklich eine Geheimdienstoperation gewesen ist oder nicht. So bleiben alle Fragen unbeantwortet und die interessant aufgebaute Spannung verpufft in mehrfacher Hinsicht in der dicken Luft der Venus. 

 Während die Geschichte um den alten Mars aus den Pulpmagazine mehr Action in der Tradition von Burroughs und den entsprechenden Magazinen angeboten haben, versuchten die Autoren auf dem Liebesplaneten  mehr sentimentale Stimmung zu erzeugen und ihre Novellen/ Kurzgeschichten wirken inhaltlich ein wenig leerer und vor allem auch zu stark konstruiert als aus sich heraus erzählt.  

 Neben Lavie Tidhars Kurzgeschichte findet sich eine zweite ökologisch nachdenklich stimmende Geschichte in dieser „Forever“ Ausgabe. „The Proving Ground“ von Alec Nevala Lee beschreibt das Überleben einer kleinen Kolonie auf den “Bikini Islands”, dem früheren Atomwaffentestgelände der Amerikaner. Neben einem kurzen Exkurs in die tragische Fehleinschätzung hinsichtlich der Halbwertzeit nach den Tests sind es die steigende Meeresspiegel, welche ein Überleben auf den Inseln erschweren. Aus der Sicht Haleys verbinden sich die beiden Handlungsebenen mit einer weiteren Idee. In den Meeren wollen sie CO2 produzieren, das sie an die schmutzigen Nationen in Form der bekannten Zertifikate verkaufen wollen, um liquide zu bleiben. Nur haben ihre Experimente nicht den erhofften, sondern einen konträr laufenden Erfolg.

Haleys ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Alle anderen Figuren dienen in erster Linie als Stichwortgeber und wirken eindimensional. Grundsätzlich ist das kein Problem, da die Story überwiegend aus ihrer mittelbaren Perspektive erzählt wird. Angesichts des tragischen Hintergrundes droht aber der Plot an emotionaler Tiefe zu verlieren und es baut sich insbesondere im mittleren Abschnitt auch eine deutliche Distanz zum Leser auf.

 Auf der anderen Seite hat Alec Nevala Lee eine wunderbare Möglichkeit gefunden, ein verwundetes Paradies zu beschreiben, das durch den Eingriff der Militärs seiner Unschuld beraubt worden ist. Die Beschreibungen sind nicht atemberaubend, sie sind fast pragmatisch, aber trotzdem springt der Funke über und der Leser kann sich das Leben am Ende der Welt abgeschieden und doch irgendwo auch mittendrin in der eigenen Kultur sehr gut vorstellen. Der Aufbau dieses Hintergrundes ist noch aus einem anderen Grund notwendig. Die Herausforderungen, das Leben dort zu erhalten und ein ökologische selbst gezüchtete Bedrohung wieder zu relativieren müssen glaubwürdig vorbereitet und zufrieden stellend abgeschlossen werden.

 Handlungstechnisch greift Alec Nevala Lee an wichtigen Stellen vor und bereitet den Leser so auf Ereignisse vor, welche schon lange im Hintergrund abgelaufen sind und deren Folgen vor allem Haley relativieren und bekämpfen muss. Dadurch sind keine weitergehenden Erläuterungen notwendig und der Plot fließt zufrieden stellend in einem angemessenen Tempo ohne innewohnende Hektik bis zum echten Ende. Keine offenen Flanken, keine Belehrungen, sondern wie in den Protagonisten findet der Leser am Ende eine gewisse innere Ruhe. Selbst die kleine Welt der „Bikini Islands“ ist nicht gerettet, aber sie hat eine Überlebenschance. Selbst die verschiedenen Hinweise auf Daphe du Mauriers „The Birds“ dienen einem einzigen Zweck, eine abschließende Erklärung für das seltsame Verhalten der Vögel zu suchen und anzubieten, ohne in den Bereich des Horrors abzudriften.

 Die September Ausgabe von „Forever“ setzt den starken Trend der letzten Nummern fort. Die drei Geschichten sind auf sehr unterschiedliche Art miteinander verbunden. Es geht in zwei Texten um die Hinterlassenschaften der Vergangenheit auf der Erde und der Venus, während im längsten Text der Ausgabe gegen diesen Wandel, gegen diese Veränderungen noch mit allen Mitteln gekämpft wird. Zwei Geschichten verbindet die deutlich ökologische Warnung, während selbst der auf der Venus spielende Text mit gegenwärtigen politischen Strömungen ein wenig selbst ironisch spielt.

 

E Book, 112 Seiten