Der Unsichtbare Band 2

Dobbs & Regnault

Das Titelbild des zweiten Teils ist vielleicht weniger stimmungsvoll und beeindruckend, es fasst aber die Geisteshaltung des nicht einmal tragischen Protagonisten sehr gut zusammen. 

Wie im Roman erfährt der  Leser die Geschichte des Unsichtbaren, des arroganten selbstverliebten Wissenschaftlers erst in der Mitte des Buches. Interessant ist, dass Regnault den Rückblick in Sepia Farben präsentiert. 

Die Offenbarung erfolgt  im direkten Gespräch mit der örtlichen Arzt Kemp, der Griffin allerdings auch von der Universität kennt. Die  Welt ist selbst in Großbritannien des 19. Jahrhunderts sehr klein.  Sympathischer macht es den Charakter ist. Es ist bewundernswert und aus heutiger Sicht bemerkenswert, wie oft H.G.  Wells  im Grunde Anti Helden in den Mittelpunkt seiner Romane stellte. Auch Jules Verne verfügt mit Nemo und Robur über zwei inzwischen die Menschheit verachtende geniale Wissenschaftler. Aber im Gegensatz zu Wells Protagonisten ist Nemo wegen seiner Geheimnisse gefoltert worden und Robur hatte ein eher klassisches Motiv,  Macht und Einfluss zu gewinnen.   Damit  kommt er den Wells Figuren näher.  Moreau musste seine Forschungen auf eine einsame Insel verlegen, weil die Universität sie -  was sie auch sind – als unmoralisch und unmenschlich geißelte.  Griffin war von Beginn an von dem Gedanken beseelt, erst ein Genie zu sein, das seinen Mitmenschen überlegen ist und anschließend das Unsichtbarkeitsserum zu nutzen, um relativ einfach reich zu werden. Es ist eine doppelte Ironie, dass seine Forschungen immer wieder von den einfachen Mitmenschen torpediert worden sind, weil er  sich nicht an die Regel  gehalten hat. 

Der Rückblick zeigt, dass der  erste Versuch mit einer Katze nicht gänzlich erfolgreich gewesen ist.  Ihre Krallen sind noch sichtbar.  Kritisch gesprochen stellt sich hier auch eine weitergehende Frage.  Totes Gewebe ist sichtbar, ausgetretenes Blut auch. Dann hätte Griffin sich entweder alle Zehen- und Fingernägel ziehen müssen, damit diese unsichtbar bleiben.  Auch erscheint der Magen, wenn er isst.  Kritisch gesprochen müsste auch  die Blase erscheinen und die Gedärme solange ein Verdauungsvorgang  andauert.  Auf jeden Fall ist Griffin zum Selbstversuch gezwungen, weil er die Miete nicht bezahlt. Auch in der Gegenwartshandlung weckt er wie schon angesprochen die Aufmerksamkeit seiner neuen Vermieter, in dem er sich nicht nur exzentrisch verhält, sondern ebenfalls die Miete nicht bezahlt, obwohl er Geld stehlen könnte. Noch weiter in  die Vergangenheit schauen wird deutlich, dass Griffin auch Schuld am Selbstmord seines Vaters hat und im Grunde von diesem Moment an nichts wirklich lernte. Ein durch und durch verkommendes amoralisches Subjekt.

Das letzte Drittel der Geschichte dominiert der unfaire Zweikampf zwischen dem intelligenten Kempf und dem immer irrsinniger werdenden Griffin. Auch hier folgt das Comic fast sklavisch dem Roman und bis zum teilweise an Frankenstein erinnernden Ende durch die ihn jagende Meute handelt es sich  um eine sehr stringente Geschichte. Griffin begeht ein Verbrechen nach dem Anderen.  Er scheut nicht vor Mord zurück und will Kemp vernichten, weil dieser ihn verraten hat und in ihm einen Verbrecher sieht. Seine aus Griffins Sicht  bahnbrechende Forschung spielt  keine Rolle.  

Auch wenn die zweite Hälfte des Romans und damit auch der Comicgeschichte von Action dominiert wird, reiht H.G. Wells noch einmal eine Reihe von guten Ideen aneinander. Durch die Geschichte zieht sich, dass Griffin erkältet  ist. Um unsichtbar zu bleiben, muss er nackt im unwirtlichen Wetter herumlaufen.  Kein Wunder, dass er ständig erkältet ist und sich mit seinem Niesen verrät.  Kempf  kommt auf die Idee, ihn wenigstens zeitweise sichtbar zu machen.  Einige der späteren Kinoadaptionen  werden diese Möglichkeit weiterführen, wobei ausgerechnet Paul Verhoevens ansonsten missglückte  „Hollow  Man“ Fassung in diesem Punkt am ehesten der Logik folgend vorangeht. 

Immer wieder begegnet Griffin als Unsichtbarer anderen Menschen und Tiere. Die Tiere wittern ihn und reagieren mit Aggression auf ihn. Warum er aber in einer derartig dörflichen Gemeinschaft  sich so leichtfertig und nicht vorausschauend bewegt, ist eines der kleineren Mankos der Geschichte. Immerhin kann er die anderen Menschen sehen und ihre Bewegungen vorausberechnen.  Dabei spielt es ja keine Rolle, ob die ihn sehen oder nicht.

Ob es mit dem immer mehr ausufernden Wahnsinn wahrscheinlich aufgrund des Unsichtbarkeitsserums zusammenhängt, wird  von H.G. Wells überzeugender und vor allem auch nachhaltiger herausgearbeitet als in der Comicgeschichte.  Auch wenn sich Dobbs und Regnault immerhin mehr als einhundert Seiten Zeit genommen haben, um eine Geschichte zu erzählen, die im Original auch nur knapp einhundertfünfzig bedruckte  Seiten umfasst,  bleiben sie manchmal cineastisch pragmatisch an der Oberfläche.    

Das tragische, fast zu abrupte Finale ist nur konsequent.  H.G. Wells bestraft seine verrückten Wissenschaftler auf eine fast drakonische Art und Weise. Das Doktor Kemp  als Vernunftmensch in letzter Sekunde noch eingreifen möchte oder Griffin plötzlich aus dem Nichts heraus um Gnade fleht ist eher ein Kompromiss dem Zeitgeschmack geschuldet als konsequent. 

Regnaults Zeichnungen sind immer noch detailliert  und interessant. Raum und Zeit wird quasi aufgelöst.  Allerdings fehlen die atmosphärisch so dichten Graphiken der immer weihnachtlich werdenden Stadt mit ihrer allgegenwärtigen Bedrohung durch das „Reign of Terror“ des Unsichtbaren. Die Actionszenen wirken teilweise ein wenig zu hektisch, zu oberflächlich entwickelt und leiden unter der Absicht, ungewöhnlichen Blickwinkel zu finden. 

Das Gleiche gilt für das Finale, das in „normalen“ Bildgrößen erzählt worden ist, anstatt  diesem Moment ein überdurchschnittlich tragisches Element zu verleihen.  Wie das Ende von H.G. Wells Roman endet die Geschichte in einer Gosse vor einem Zaun innerhalb von Sekunden. 

Der Epilog ist aber der große Unterschied zu Wells. Roman. Im Original ist es der Tramp Marvel, den Griffin anfänglich zwangsverpflichtet hat, der mit den drei Tagebüchern voller Aufzeichnungen des Unsichtbaren zurückbleibt und die verklausulierten Formeln nicht entziffern kann. In Dobbs Version ist es einer der Wirte, der sich abends schmunzelnd in einer abgeschlossenen Kammer über die Bücher beugt. Wells Ende ist zynischer, ironischer… die Forschung in der Hand eines armen Narren.

Aber es ist nur eine sehr kleine Divergenz zur Vorlage. Zusammengefasst lesen sich die beiden Alben von „Der Unsichtbare“ ausgesprochen gut, nehmen die Stimmung der Vorlage vor allem  in der ersten Hälfte sehr gut auf und präsentieren eine den Verfilmungen ebenbürtige, an einigen Stellen auch überlegene, weil wärmere und intimere Fassung des klassischen Stoffs.  Die  kleinen Holpersteine im Handlungsverlauf der Vorlage können und wollen Dobbs sowie sein Partner Regnault nicht ausgleichen, so dass vor  allem das  erste Album mit dem eindrucksvollen Titelbild dem Leser länger im Gedächtnis bleibt.

 

H.G. Wells – Der Unsichtbare 02

ISBN:
978-3-95839-502-2
  
Erschienen am:
19.03.2018
Autor
H.G. Wells, Dobbs
Zeichner
Christophe Regnault
Übersetzer
Tanja Krämling
Einband
Hardcover
Seitenzahl
56
Band
6 von 6
Kategorie: