Houses of Noir

Rupert Schwartz

Die Grundidee von Ronald Schwartzs neuem Buch über den Film Noir ist bestechend einfach: Er hat von dreizehn Studios – acht der bekannten großen Produzenten und fünf kleinere, unabhängige Studios – jeweils einen „Film Noir“ Streifen ausführlich analysiert und versucht, diesen innerhalb dieses vielschichtigen Subgenres, welche in den späten dreißiger Jahren bis vielleicht Anfang 1960 die Kinoleinwände dominierte, zu interpretieren. Auffällig ist, dass sich Schwartz eher an die eigenen Leitplanken hält denn den bisher bekannten Definitionen zu folgen. In einem seiner früheren Bücher hat der Autor herausgearbeitet, dass für ihn der „Film Noir“ eher stilistisch denn inhaltlich eine Gruppe bildet. Im Rahmen der schwarzweißen Filmen – in diesem Punkt ist er allerdings ambivalent, da farbige Streifen wie „Dessert Fury“ wieder über die inhaltliche Schiene reintegriert werden können – werden alle Themen zusammengefasst und mit dem Hinweis auf den Noir versehen. Der Leser begegnet historischen Noir, Heist Noirs, romantischen Noirs, Hardboiled Detective Noirs und schließlich auch den Filmen, die von den meisten Kritiken als dunkles Herz nicht nur Amerikas, sondern dieses Genres angesehen werden. Wenn dann allerdings auch semirealistische Gangsterstreifen wie „Scareface“ verarbeitet werden oder über die anerkannte Kernperiode hinaus der Bogen von den zwanziger Jahren bis in die siebziger Jahre geschlagen werden, dann nimmt sich Schwartz mehrfach die Effektivität und führt sich selbst ad absurdum.  Fast als Widerspruch findet sich sowohl im Vorwort als auch dem kurzen Epilog Schwartzs Hinweis, dass ein integrales Element des Film Noirs der Fall des (teilweise auch Anti- ) Helden durch eine Femme Fatale ist und die Handlung zumindest kriminalistische Elemente aufweisen sollte. Auch ohne die Aufgabe der Selbstbeschränkungen findet der Autor die meisten signifikanten Film Noirs und stellt sie seinen Lesern ausführlich vor. Das Problem der ganzen Studio ist allerdings, ein entsprechendes Zielpublikum zu finden. Anhänger und Kenner des Film Noirs werden keine neuen Informationen in dieser stringent geschriebenen, allerdings von den nicht miteinander verbundenen Kapiteln auch aufgesplittert erscheinenden Studio finden. Wer sich für die Bewegung selbst interessiert, erhält mit dreizehn ausführlichen vorgestellten Streifen und oberflächlichen, sich nicht selten auf eine sehr knappe Inhaltsangabe konzentrierenden Informationen über fast einhundert andere Filme eine Art Leitfaden. Aber hinsichtlich der Konzeption steht sich Schwartz selbst im Wege, da er in seinen kurzen Kapiteln zu selten die stilbildenden Stärken oder auch Schwächen der einzelnen Studios und ihrer doch teilweise unterschiedlichen Produktionen herausarbeitet und nach der ausführlichen Vorstellung eines Films eher zu einer Art Personalrundumschlag ausholt. Dabei vergisst er, dass viele der Regisseure und auch Schauspieler dieser Zeit durch ihre Verträge gebunden gewesen sind und die Auswahl der ihnen vorgeschlagenen Filme so gut wie unmöglich gewesen ist. Auch inhaltlich wirkt Schwartz teilweise zu euphorisch. Nur selten hat er in seinen ausführlichen Studien etwas schlechtes über einen Film zu schreiben und wenn das wirklich der Fall sein sollte, dann gelingt ihm nicht immer überzeugend der Bogenschlag zu der Intention des Drehbuchautors – interessanterweise sind die meisten hier vorgestellten Film Noirs letzt endlich von Kollektiven verfasst worden -, des Regisseurs oder er konzentriert sich auf die Stärken der Schauspieler, der Musik oder schließlich auch der Sets. Durch diese unkritische Reflektion der vorgestellten Filme wirkt der Film Noir weniger wie eine vom Publikum und den Zeiten verlangte Spiegelung der sozialen Veränderungen nach der großen Depression und während des Zweiten Weltkriegs, sowie der Neuorientierung nach dem Krieg, sondern wie eine geplante und der sonstigen Unterhaltung überlegene Bewegung, die teilweise „geplant“ und strukturiert worden ist. Das sich unterschiedliche, insbesondere von den zahlreichen europäischen Flüchtlingen dominierte Stilrichtungen inhaltlich indirekt miteinander verbanden und später als Film Noir zusammengefasst worden sind, lässt der Autor insbesondere in seinem angesichts der Nutzung eigener Thesen oberflächlichen Vorwort aus. Es ist vielleicht wichtig, „Houses of Noir“ mit dem Nachwort zu beginnen, in dem Schwartz neben einer einzigen Erwähnung im Text auf seine exklusive Definition des Genres weit über die Grenzen anderer Kritiker hinaus eingeht, um die Querverbindungen zu selbst auf den zweiten Blick nicht zu den typischen Film Noir Streifen gehörenden Arbeiten zu verstehen. 

In seinem Vorwort erläutert er die Vorgehensweise, die er bis auf einen Blick über den Studiorand der dreizehn produzierenden Firmen hinaus und eine kurze Zusammenfassung der Zeitplatzierten konsequent, stoisch und statisch durchhält. Anfänglich wird das Studio auf einer halben Seite inklusiv seiner Geschichte nicht selten nur bis zum  Ende der Film Noir Periode in den sechziger Jahren vorgestellt. Die halbe Seite ist im Grunde ausreichend. Da Schwartz aber den Film Noir nicht als stilbildende Richtung, sondern als eine Art Bewegung interpretiert, wundert es den Leser manchmal, dass große Studios angeblich so viele Film Noirs produziert haben, während die relative Zahl im Vergleich zur Gesamtproduktion wahrscheinlich deutlich kleiner gewesen ist. Weiterhin ist auffallend, dass Schwartz konsequent vom Kopf der Studios anfängt, aber bei den eigentlichen Produzenten ambivalent argumentiert. Wenn ein Val Lewton noch in den Randbereich des Noirs einbezogen wird, zeigt sich, wie inkonsequent der Bogen wirklich gespannt wird und das Hitchcocks „Rebecca“ nicht einmal als historischer Film Noir taugt, sollte nicht weiter diskutiert werden. Der Leser erhält auf dieser halben Seite allerdings wenig Gefühl für die sehr unterschiedlichen, aber nicht selten vor und hinter den Kulissen verwobenen Geschichten dieser Studios. Dazu bleibt Ronald Schwartz zu distanziert sachlich und nicht selten hat man das unbestimmte Gefühl, als akzeptiere der Autor auch keine anderen Genres als den Film Noir. Trauriger Höhepunkt ist seine unbegründet abwertete, fast vernichtende Beurteilung von Robert Siodmaks „The Crimson Pirate“ mit Burt Lancaster, der natürlich in seinen zahlreichen Film Noir Rollen genauso strahlt wie Robert Siodmak als Regisseur einer Reihe von Meisterwerken, bei denen „The Spiral Staircase“ aber nur unter ferner liefen erwähnt wird.

Nach den Studios kommt eine sehr ausführliche Vorstellung des jeweils heraus gesuchten repräsentativen Films. Der Umfang des einzelnen Filmvorstellungen reicht von knapp zwei  bis zu „Asphalt Jungle“ mit insgesamt sieben Seiten.  Schwartz beginnt seine Beschreibung mit dem Logo des Verleihers und endet mit den Texttafeln. Die Ausführlichkeit der Inhaltsangaben steht in keinem Zusammenhang mit den anschließenden kritischen Bemerkungen, die nur selten mehr als eine halbe Seite umfassen. Vor dem Zeitalter der Videocasette, DVD oder jetzt Internet wären diese Inhaltsangaben wahrscheinlich akzeptabel gewesen. In der Gegenwart wirken sie nicht nur antiquiert, der Leser fragt sich nach dem Sinn dieser Vorgehensweise. Wenn sich ein Käufer des Buches für die besprochenen Filme interessiert, wird er die langen Inhaltsangaben nicht goutieren, da alle plottechnischen Überraschungen teilweise mit den wichtigsten Dialogen verraten werden. Wer die Filme kennt und vielleicht sogar mehrfach gesehen hat, wird diese ausführlichen Zusammenfassungen nicht brauchen. Um Ronald Schwartz statische Vorgehensweise subversiv zu unterminieren und seiner Chronologie vorzugreifen, hat der Autor auch fast allen Filmen mindestens ein, meistens zwei Fotos hinzugefügt. Anstatt auf diese Bilder oder ihre Bedeutung/ Symbolik einzugehen, beschreibt er nur das Offensichtlich und gewinnt noch einmal einige Zeilen. Ohne diese Inhaltsangaben und Oberflächlichkeiten hätten doppelt, wenn nicht dreifach so viele Filme ausführlich kritisiert und analysiert werden können. Damit soll der Idee einer sinnvoll knappen Inhaltsangabe nicht widersprochen werden, aber im vorliegenden Fall übertreibt der Autor nicht nur, er nutzt diese Zusammenfassungen nicht einmal als Sprungbrett einer weitergehenden kritischen Analyse. Hat sich der Leser mehr oder minder überblätternd durch die Zusammenfassungen gearbeitet, dann geht Rupert Schwartz ein wenig mehr in die Details und stellt dem Interessierten die wichtigsten Schauspieler – dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Stars oder wiederkehrende Gesichter in den Nebenrollen handelt -  bzw. Teammitglieder wie Drehbuchautoren und Regisseure, den Komponisten oder seltener Produzenten mit ihren relevanten Arbeiten vor.

Bei den Schauspielern fügt der Autor wie bei Wikipedia die wichtigsten Filme hinzu und ergänzt diese mit einigen Querverweisen auf deren Rollen. Kurios wird es, wenn als Einleitung geschrieben wird, dass diese Schauspieler signifikanten Einfluss auf den Film Noir haben und zum Beispiel die Hauptdarstellerin ihr Debüt feiert. Ohne der männliche Star nur in zwei anderen Kriminalstreifen mitgespielt hat, während auf der anderen Seite fast einhundert weitere Starrollen stehen (siehe „The Asphalt Jungle“). Es sind in diesem Fall die Nebendarsteller, welche als bekannte und markante Gesichter diesen Produktionen ihren besonderen Flair verliehen haben. Auch bei den Regisseuren bleibt Schwartz seltsam ambivalent. Otto Premminger steht er zumindest einen Hang zum Epos zu, hält allerdings nicht viel von „Exodus“, während „The Chardinale“ zumindest besonders erwähnt wird. Wenn allerdings „The Man with the golden Arm“ noch irgendwie aufgrund der schwarzweiß Fotographie dem Genre zugerechnet wird, während „Bunney Lake is missing“ – thematisch sehr viel eher ein Film Noir im modernen Gewand – unter den Tisch fällt, dann zeigt es die Scheuklappen, mit denen der Autor argumentiert. Andere Regisseure wie De Toth oder Tourner kommen noch schlechter weg. Die offensichtlichen Noir Anspielungen in ihren phantastischen Werken wie „Night of the Demon“ werden von Schwartz genauso ignoriert wie „Berlin Express“ nach seiner Definition ein War Noir sein müsste. Zum ambivalent, zu oberflächlich werden die einzelnen Stars vorgestellt. Viel schlimmer ist, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den wichtigsten Filmen fehlt. Wie schon angesprochen kritisiert oder besser ausschließlich lobt der Autor die Streifen, hebt sie insbesondere auf die Subjektivität des Genres hinaus auf Throne, die alle anderen Filmarbeiten dieser Epoche überstrahlen. Auf einer halben bis ganzen Seite kann man sich nicht mit dem Film auseinandersetzen, zumal nicht selten eine überzeugende Begründung fehlt, warum ausgerechnet dieser Streifen signifikant für die Noir Produktion dieses Studios ist. Schwartz versucht das ein wenig zu relativieren, wenn er im Anschluss weitere interessante Produktionen sehr kurz auflistet und dann quasi einen Zweitplatzierten sucht. Das ein Zweitplatzierter zweimal nicht unter den darüber aufgelisteten und erwähnten Streifen ist, scheint niemandem wirklich aufgefallen zu sein.

Dieses statische Konzept mag als einzelner Artikel – der Leser hat an mehreren Stellen das Gefühl, als handele es sich wirklich um Magazinartikel, die hier unbearbeitet in Buchform zusammengefasst worden sind – funktionieren, in Form einer Studie verpufft der Wissensschatz wie auch die Energie, die Ronald Schwartz ohne Frage in dieses Büchlein gesteckt hat. Das er es anders kann, zeigt er in den abschließenden Kapitel „Independet Studio Productions“ und „The Runners- Up“, das eine Zusammenfassung der dreizehn Studiovorstellungen darstellt. Pointiert, intelligent, vielschichtig und umfassend informierend geht er auf zwei Handvoll von Streifen ein und zeigt dem interessierten potentiellen Zuschauer, welche Filme als Einstieg sich lohnen. Zwar sind auch hier die eigentlichen Grenzen fließend, aber der Konsens ist als Einstiegshilfe ausreichend. Diese interessanten, gut zu lesenden Feature kommen allerdings fast zu spät.

Negativ auffallend ist zusätzlich, dass das Buch anscheinend über einen längeren Zeitraum unbearbeitet auf die Veröffentlichung gewartet hat. Eine Stars, die sich in den Zeilen noch bester Gesundheit erfreuen, sind inzwischen verstorben. Andere Fakten hat Hollywoods Geschichte inzwischen überholt. Trotzdem finden sie sich unüberarbeitet in dieser Sammlung wieder.

Zusammengefasst wird die grundlegende Idee, jeweils einen Film Noir eines Studios quasi als Markenzeichen ausführlich vorzustellen, nur selten zufrieden stellend angesichts des Preis- Leistungsverhältnisses umgesetzt. Die Inhaltsangaben sind viel zu lang, die kritisierenden Passagen deutlich zu kurz und der Film nur selten überzeugend in das Studiomuster integriert. Das Bildmaterial ist zwar signifikant fürs Genres, steht aber nicht selten isoliert für sich da. Bis auf die beiden Essays wird das Buch vor allem Jünger dieses Subgenres nicht ansprechend, sondern muss darauf hoffen, das Neueinsteiger sich in die dunklen nebligen Gassen begeben, in denen das Verbrechen den einfachen Menschen zurück gegeben worden ist.                     

 

 

 

Print ISBN: 978-0-7864-7593-3
Ebook ISBN: 978-1-4766-0460-2
31 photos, bibliography, index
208pp. softcover (6 x 9) 2014

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