Das letzte Haiku verhallt

Somtow Sucharitkul

Für den im Original deutlich effektiver „Starhip and Haiku“ betitelten Roman „Das letzte Haiku verhallt“ ist 1981 als bester neuer Science Fiction Autor Somtow Sucharitkul mit dem John W. Campbell Award ausgezeichnet worden. In den letzten fast vierzig Jahren hat der in verschiedenen Ländern aufgewachsene Musiker, Komponist und eben Autor unter verschiedenen Variationen seines Namens vor allem Science Fiction Roman und Horrorbücher verfasst.

„Das letzte Haiku verhallt“ ist ohne Frage eine stilistische herausfordernde, interessante wie als Kombination seiner thailändischen Wurzeln und dem langen Schatten Japans fest in diesen Kulturen verankerte klassische Science Fiction Geschichte, die auf ihr Grundgerüst reduziert nicht einmal nachhaltig originell ist.

Die Menschheit möchte die ausgebrannte und von ihnen heruntergewirtschaftete Erde verlassen. Im Orbit befindet sich für eine kleine Gruppe ein altes ungenutztes russisches Raumschiff, mit dem zumindest der Flug zum Tau Ceti möglich ist. Der Roman schildert die lange Reise einer Handvoll von Charakteren zu der Abschussbasis im inzwischen von der Außenwelt isolierten Japan.

 Betrachtet man alleine das Grundgerüst der Handlung, so bleiben zahllose Fragen offen. Auf der einen Seite wird von einem fast tausendjährigen die Erde vernichtenden Krieg gesprochen, auf der anderen Seite spielt die Handlung nur knapp fünfzig Jahre seit Erscheinen des Buches in der Zukunft. Die Veränderungen könnten also in der beschriebenen Form nur auf einer Parallelwelt stattgefunden haben. In seinem Episodenroman „Der intergalaktische Hypermarkt“ wird Somtow Sucharitkul mit dieser Idee spielen, sie aber wie möglicherweise in „Das letzte Haiku verhallt“ rudimentär beschreiben und kritisch gesprochen nicht weiter entwickeln.

 Hinzu kommt, dass die fragmentarischen Hintergrundbeschreibungen im Grunde eine menschliche Zivilisation nach einem kurzen, aber heftigen durchaus auch atomaren Krieg beschreibt. Eine Entwicklung, die mehr als eintausend Jahre in wirtschaftlicher oder soziologischer Hinsicht umfasst, ist an keiner Stelle wirklich zu erkennen.

 Somtow Sucharitkul scheint in diesem Zusammenhang eher das Element der klassischen Übertreibung in Anlehnung an die Legenden zu suchen. Dabei ist das nicht einmal notwendig. Auch ohne diesen mystischen Hintergrund, den ambivalenten Vorhang erdrückt von vor allem japanischer Geschichte könnte die Story vor allem durch die vielen kleinen, wie zeitlosen, aber niemals nachhaltig erklärten Ideen funktionieren.

 So weist ein junger sterbender Wal einem stummen Jungen den Weg nicht direkt zu den Sternen, aber zumindest zur Abschussbasis. Die Idee, das die Wale nach einer wieder Äonen umfassenden Zeit in den von Menschen verschmutzten Meeren den wenigen Überlebenden mittels intensiver Bilder den Weg in einer hoffentlich pazifistische Zukunft zeigen, ist aus heutiger Sicht nicht unbedingt neu. In den achtziger Jahren mit einer beginnenden ökologischen Bewegung, dem Verbot des Walfangs und natürlich der anhaltenden Drohung vor der totalen Vernichtung im Zuge eines Kalten Krieges zwischen den Supermächten begannen sich diese Ideen mehr und mehr durchzusetzen.

 Das Motiv des Wals als gejagte intelligente Kreatur durchzieht den Roman wie ein roter Faden. Es ist passend, dass das Ziel der möglichen, aber niemals angetretenen Reise ausgerechnet Tau Ceti ist. Im Zeichen des Wals. Ohne polemische Attacken und überbordende Kritik an der alles vernichtenden Industriegesellschaft zeichnet Somtow Sucharitkul das Bild einer zusammengebrochenen Gesellschaft wie es sich für einen guten und aufmerksamen Autoren gehört aus der Sicht der schwächsten Glieder.

 Es ist reine zynische Ironie, das der Bruder des stummen Jungen mit dem Kontakt zum Wal ausgerechnet ein Amerikaner ist, obwohl er von außen wie ein Asiat aussieht. Jeder sieht in ihm einen typischen Japaner. Bis auf die Japaner, die natürlich seine Bastardherkunft erkennen und ihm die Einreise verweigern.

 Es ist eine interessante, aber nicht zu Ende geführte Handlungsebene, in deren Verlauf Japan von einer Art biologisch chemischer Pest Heim gesucht wird. Sie tötet nicht die Einheimischen, sondern die Einwanderer. Die Fremden. Und um das Ausbreiten der Seuche und das mögliche „Überspringen“ auf die reinen Japaner zu verhindern, überlegt die Regierung, als nicht schon vorher an der Grenze abgewiesenen Einwanderer zu töten. Und damit auch die kleine Gruppe, die ja nur Japan als Zwischenstation aufgesucht hat, um zu den Sternen zu reisen.          

 Im Grunde sind fast alle Protagonisten auf der Suche. Die kleine Gruppe, die unbedingt die Erde verlassen muss, weil deren vom Menschen angetriebenes Ende sichtbar ist. Die Fischer, die über eine alte japanische Teetasse derartig in eine Euphorie geraten, dass der Verlierer des Wettstreits nur direkt am Hafen Selbstmord begehen kann. Sie sind verzweifelt auf der Suche nach dem alten Japan voller Traditionen und Widersprüche, das es in der Form nur noch durch die Isolationspolitik der Regierung gibt.

Die Wale versuchen, zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Diese Episode hätte deutlich kraftvoll gestaltet werden können. Der verzweifelte Versuch des sterbenden Wals, der Menschheit im Allgemeinen und dem Jungen im Besonderen eine Zukunft zu schenken spiegelt sich in anderen Szenen nicht wieder. Der Klappentext spricht von den Walgesängen, die plötzlich wieder zu hören sind. Sie kommen aus den verschmutzten, aber sich anscheinend wieder langsam regenerierenden Meeren und sollen in den Menschen eine Art Sehnsucht wecken.

 Aber ob es wirklich einen Zusammenhang zwischen den rituellen Massenselbstmord der Japaner angesichts des nihilistischen Endes gibt und der Sehnsucht einer kleinen Gruppe, nach einer harten Ausbildung zu den Sternen zu fliegen bleibt genauso unausgesprochen wie das Schicksal der Zurückgebliebenen oder auch nur im Ansatz die Zukunft der im Grunde Amateurastronauten.

 Mit seinem ersten Roman beweist Somtow Sucharitkul ohne Frage, das er ein sehr talentierter, emotionaler Erzähler ist, der sich vor allem auf Situationen und weniger ganze Szenarien konzentriert. In dieser Hinsicht ist sein Fugenroman „Der intergalaktische Hypermarkt“ aufgrund der idealen Kombination aus exzentrischen Ideen, einem wirklich phantastischen Hintergrund, aber Episoden eine bessere Einstiegslektüre. „Das letzte Haiku verhallt“ wirkt stellenweise bemüht. Es ist intellektuelle Gedankenkost, die sehnsüchtig nach etwas schaut, was es in dieser idealisierten Form niemals wirklich gegeben hat. Stellenweise denkt der Leser auch an eine futuristische Post Doomsday Variation des Klassikers „Shogun“, wobei der Protagonist zumindest ein wenig japanisches Blut in seinen Adern trägt. Während Clavell aber das fremde Japan aus den Augen eines überforderten Europäers beschreibt, spricht Somtow Sucharitkul hin und her.

 Einzelne Szenen bleiben lange im Gedächtnis. Andere wirken wie eine Art Fragment, zusammengestellt eher aus Erinnerungen als einem erzählerischen Strang. Es ist ein herausforderndes Buch, das wie eingangs erwähnt eine einfache Idee vor dem asiatischen Hintergrund wie eine Fuge erzählt, aber abschließend nicht zusammenführt. Das Potential, für welches der Autor den John W. Campbell Award erhalten hat, ist ohne Frage vorhanden, aber es blüht in diesem literarischen Science Fiction „Haiku“ noch nicht auf.

  • Broschiert: 223 Seiten
  • Verlag: Wilhelm Goldmann,; Auflage: 1.A., (1983)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442234271
  • ISBN-13: 978-3442234271
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