Old Mars

Gardner Dozois & George R.R. Martin

Ausführlich geht George R.R. Martin in seinem Vorwort nicht nur auf die wissenschaftliche Erforschung und damit auch den "Tod" des literarischen Mars ein. Es geht ihm viel mehr im übertragenen Sinne um die Bedeutung dieser abenteuerlichen Science Fantasy Pulp Geschichten für einen jungen Menschen wie ihn, der in einfachen, aber nicht verarmten Verhältnissen aufgewachsen ist. Die Geschichten boten ihm die Möglichkeit, in seinem Lieblingssessel zu reisen und fiktive Welten zu erkunden. Mit dieser Anthologie versuchen die beiden Herausgeber Gardner Dozois und George R.R. Martin wieder zu dem Mars zurückzukehren, der noch nicht von den amerikanischen Sonden erkundet worden ist und gleichzeitig auch modernen Variationen des Themas eine kleine Hintertür offen zu lassen.    

 Alan M. Steeles Eröffnungsgeschichte "Martian Blood" ist wie seine Geschichten um die Besiedelung des Planeten "Coyote" erzähltechnisch ein in die Zukunft verlegter Western in der Tradition John Fords. Getragen von einem Stil, der gerne in Balladen verwendet wird, erzählt Steele eine interessante, wenn auch vorhersehbare Geschichte. Ganz bewusst basierend auf der literarischen Vorlagen Borroughs und George Pals "War of the Worlds" ist der Mars zwar besiedelt, aber die wenigen menschlichen Kolonien sind weit verstreut. Die Marsianer haben sich wie in Bradburys "Die Mars- Chroniken" rar gemacht und meiden jeden Kontakt zu den Menschen. Der Ich- Erzähler ist ein Scout, der Menschen durch die Wüste führt. Ein Forscher von der Erde möchte das Blut der Marsianer untersuchen, um festzustellen, ob die Menschen und Marsianer verwandt sind. Es ist eine tragische Geschichte, in welcher am Ende ein Mord steht um eine Revolution zu verhindern. Stimmungsvoll zeichnet Steele das Bild eines archaischen Mars, auf dem die Menschen eher von den technologisch unterlegenen, aber zahlenmäßig überlegenen Marsianern geduldet werden. Es ist eine melancholische Novelle, in deren Mittelpunkt die Neugierde des Menschen steht, auch wenn die Resultate der Forschungen die Grundfesten erschüttern können. Auch wenn die Protagonisten eher pragmatisch charakterisiert worden sind, überzeugt die generelle Stimmung, welche Steele stellvertretend durch seinen Ich- Erzähler erzeugt. 

 Im direkten Vergleich zu Alan Steels heroischer Geschichten wirken die nächsten Arbeiten ein wenig biederer. Matthew Hughes "The Ugly Duckling" konzentriert sich auf die Ausbeutung der Hinterlassenschaft der von den Menschen durch Viren geöteten Marsianer durch Konklomerate. Ein Archäologe schleicht sich quasi als einzige Möglichkeit in Form eines Arbeitsvertrags auf den roten Planeten, um einige der Hinterlassenschaften der Marsianer in Augenschein zu nehmen. Über weite Strecken beschreibt Matthew Hughes die fast fatalistische Traurigkeit angesichts der Hinterlassenschaften der Marsianer, die prakmatisch für die menschliche Expanion auf dem Nachbarplanaten industriell zerstört werden. Sie weisen auf ein eher an Burroughs erinnerndes Erbe hin. Der grundlegende Plot mit den Rückblicken und mystischen Anspielungen bleibt dagegen rudimentär, zumal das Ende auch vorhersehbar ist. Auch auf den markanten Titel wird viel zu wenig eingegangen. Wahrscheinlich wäre eine Novelle in diesem Fall ratsamer gewesen. 

 Zwei weitere Geschichten beschäftigen sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise ebenfalls mit den Hinterlassenschaften der Marsianer. Dabei ist Mike Resnicks "In the Tomb of the Martian Kings" die grundlegend interessantere, aber emotional auch mechanisierte Story. In seinem typisch frechen Stil mit den pointierten inneren Monologen seines Erzählers versehen wird die Suche nach den legendären Gräbern der insgesamt sieben Marskönige beschrieben. Vieles erinnert absichtlich an die Abenteuerstoffe, die zum Beispiel Haggard oder Merritt so gerne über die weißen Flecken auf der Erde geschrieben haben. Resnick hat ein Faible, exzentrische Figuren zu entwickeln und sie entsprechend auch zu titulieren. Vor allem der opportunistische Scorpio und sein tierischer Begleiter Merlin als Bewacher des weltfremden Professor Quedipai bleiben dem Leser im Gedächtnis.

 "The Wreck of the Mars Adventure" von David D. Levine ist mehr eine abenteuerliche Fantasygeschichte. Der König würde den berüchtigten Piraten Captain Kidd begnadigen, wenn er mit einem berühmten Wissenschaftler aufbricht, um den Mars zu umrunden. Die Technik erinnert eher an eine oberflächlich konstruierte Steampunk Version. Natürlich ist die Reise durch die Äther (?) herausfordernd und die Notlandung auf dem Mars folgerichtig. Aber Kidd und der Wissenschaftler raufen sich nicht nur zusammen, das intelligente Leben findet immer einen Weg. Der Auftakt der Geschichte ist gelungen. Captain Kidd ist eine ambivalente Heldenfigur, die fatalistisch zwischen Strang und einer kleinen Überlebenschance sich entscheiden muss. Der erste Teil der Reise ist ebenfalls gut beschrieben worden, anschließend zerfällt der Plot in einzelne Episoden, deren Herausforderungen viel zu leicht überwunden werden.  

  James Coreys „A Man without Honor“ spielt ebenfalls auf einem abenteuerlich gestalteten Mars. Es handelt sich um einen Bericht, der Captain Alexander Lawton seinem König schreibt. Auch wenn erst am Ende klar wird, dass die Geschichte um den Tod des lokalen Königsvertreters auf dem roten Planeten spielt, wirkt diese Idee auch eher wie ein Versatzelement. Es ist ein geradliniges Abenteuergarn, das zwar unterhält, aber generell auch nicht sonderlich originell gestaltet worden ist. 

Chris Robersons „Mariner“ ist die dritte oder nimmt man die Äthermeere zwischen den beiden Planeten hinzu sogar vierte Geschichte, die durchaus auch auf der Erde im 18. Oder 19. Jahrhundert vor einem exotischen Hintergrund spielen könnte. Jason Carmody wird durch eine Art Vortex auf den roten Planeten und mitten auf ein Piratenschiff gesogen. Dort kämpft er gegen Sklaverei und schafft quasi eine Art Revolution des Proletariats. Auch diese Story lässt sich leicht wie unterhaltsam lesen, aber die aus anderen Texten vertrauten Elemente behindern teilweise auch das Lesevergnügen.  

 S.M. Stirlings Story "Sword of Zar-Tu-Kan" spielt im gleichen Universum wie eine Doppelromanserie basierend auf einer Extrapolation der Arbeiten Burroughs. Marsianer entführen den Terraner Tom Beckworth quasi aus der Wohnung der Protagonisten Sally Yamashita auf dem Mars. Sie lebt dort mit einem sehr ungewöhnlichen Hund und fühlt sich verantwortlich, weil ihre Aufgabe gewesen ist,  den Wissenschaftler an das Leben auf dem roten Planeten heranzuführen. Der Plot ist relativ geradlinig erzählt. Vor allem lebt die Geschichte von Stirlings einfühlsamen Charakteren, wobei die grundlegende Handlung vorhersehbar ist. Es ist schade, das der Autor das durchaus vorhandene Hintergrundpotential seiner Story nicht weiter hebt und vieles zu mechanisch erscheint.   

 Auch bei Liz Williams "Out of Scarlight" wird in diesem Fall eine verschwundene Person gesucht. Die Tänzerin Hafyre scheint eher aus einer Art Harem entführt worden zu sein oder ist geflohen. Die Protagonistin macht sich nicht nur wegen ihrer romantischen Gefühle auf die Suche. In Liz Williams Geschichte fließen die Legenden des Burroughs Mars mit Elementen der Sword  & Sorcery zusammen. Auch wenn das Ende konsequent und zufriedenstellend ist, wirkt die Kurzgeschichte eher wie ein Expose als ein abgerundeter Text, denn viele Andeutungen und Erklärungen erfolgen eher beiläufig als das sie wirklich nachvollziehbar und zufriedenstellend extrapoliert worden sind.  

  Howard Waldrop präsentiert mit "The dead Sea- Bottom Scroll" eine der exzentrischen Kurzgeschichte, für welche er sowohl berühmt als auch teilweise berüchtigt ist. Der Erzähler folgt den Spuren eines Reisetagebuchs, das er eher unter obskursen Bedingungen in die Hände bekommen hat. Dort wird die Reise zwischen Tharis und Solis Lacus expressiv beschrieben. Eine echte Spannung kommt nicht auf, eine fortlaufende Handlung ist auch nicht zu erkennen. Im Gegensatz zu vielen stimmungsvollen Storys bleibt zu viel unausgesprochen. 

 Bei anderen Texten spielen die Familienbande wichtige Rollen. „Written in Dust“ von Melinda Snodgrass ist eine abenteuerliche mehrere Generationen umfassende Story. Die Protagonistin wird quasi zwischen ihren zwei Vätern – Mutter geschieden – und ihrem Großvater zerrieben, der nicht nur auf dem Mars bleiben möchte, sondern die Enkelin als Nachfolger auf der Farm sieht. Angeblich gibt es eine Krankheit, welche verhindert, das Marsianer den Planeten wieder verlassen können. Dabei bezieht sie sich weniger auf die nicht mehr vorhandenen Ureinwohner, sondern die auf dem ökologisch relativ weit kultivierten Mars geborenen Menschen. Interessant ist, dass  Phyllis Eisenstein mit einer der besten Geschichten dieser Anthologie „The Sunstone“ das Szenario ein wenig auf den Kopf gestellt hat. Der Protagonist hat auf der Erde Archäologie studiert. Sein Vater ist ein berühmter Altertumsforscher auf dem Mars, der fast besessen nach den Hinterlassenschaften der Marsianer sucht. Die Autorin schafft es, einen exotischen Mars mit den angesprochenen von einer Generation zur Nächsten vererbten Sonnensteinen zu erschaffen und gleichzeitig ohne Kitsch und Pathos eine Familiengeschichte um Verlust und im Grunde familiären Stolz zu erzählen. Wunderbar zugänglich und doch komplex entwickelte Protagonisten runden die lesenswerte Story ab.   

 Joe Lansdale kann in seiner Story „King of Cheap Romance“ ein weiteres Element hinzufügen. Es ist die einzige Story der Anthologie, die auf einem winterlichen Mars nahe der Pole spielt. Ein Arzt und seine Tochter versuchen einem isoliert liegenden Dorf ein notwendiges Serum zu bringen, um die Einwohner vor einer besonderen Art der Marsgrippe zu schützen. Es ist eine Fahrt durch eine unwirtliche Gegend, ständig Bedrohungen durch die Tierwelt ausgesetzt. Das junge Mädchen muss über sich hinauswachsen, um abschließend die Mission zu erfüllen. Einige groteske Elemente inklusiv der wirklich exotischen wie tödlichen Flora/ Fauna entschädigen für eine sehr geradlinige Handlung, welche einige überraschende Elemente vermissen lässt. 

 Michael Moorcocks „The Last Canal“ ist eine Art Achterbahntrip mit vielen exzentrischen, aber auch irgendwie eingestreuten Ideen. Mac Stone ist seit seiner Kindheit ein Sklave auf einem feudalistisch ausgerichteten Mars. Er wird von bionischen Robotern verfolgt. Es besteht im Grunde kaum Hoffnung, die Flucht erfolgreich abzuschließen. Er bekommt aber ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Ein intergalaktischer Zeitreisender, der passenderweise in diesem Augenblick das Ende seiner chronologischen Reise erreicht und nicht mehr weiter in die Zukunft kann, bittet ihn, eine Sternenbombe auf dem Mars zu bergen, welche in den geheimen Wassersystemen des Planeten im Grunde von Diktatoren aus der Vergangenheit versteckt worden ist, um eigentlich die Erde in einem in der Vergangenheit liegenden Konflikt zu zerstören. Der Spannungsbogen ist ausgesprochen gut und Moorcock baut auch einige Schwierigkeiten in den Handlungsverlauf ein, aber insgesamt hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wäre in diesem Fall deutlich weniger mehr gewesen. Vieles wirkt plötzlich stark konstruiert und die Hintergründe verwischen eher als das sie dank weiterreichender Erklärungen klarer werden. Eine Novelle wäre wahrscheinlich das sinnvollere und bessere Instrument gewesen, um die Geschichte zu erzählen.

  Ian McDonalds Abschlussgeschichte “The Queen of Night´s Aria” ist eine der wenigen Geschichten, in denen militärische Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen. Auf der anderen Seite ist es eine der wunderbaren Storys, in denen der britische Autor bizarre, aber zugängliche Charaktere agieren lässt. Count Jack Fitzgerald, Masestro und sein persönlicher Assistent wollen die Truppen während einer Auseinandersetzung auf dem Mars aufheitern und für sie spielen. Wie einige andere Storys dieser Sammlung ist der Mars eine Kolonie der Erde, extrapoliert vom viktorianischen Zeitalter. Viele Angaben sind ausgesprochen ambivalent. So vermischen sich historische „Fakten“ mit eher utopischen als Science Fiction Elementen. Ian McDonald zeichnet weniger ein brutales Kriegsszenario, sondern nutzt einen klassischen Plot – die Schauspieler haben auch mindestens einen Fan auf der anderen Seite -, um eine interessante, warmherzige und kurzweilige Geschichte zu erzählen.

 Zusammengefasst ist “Old Mars” eher eine solide al seine herausragende Anthologie. Viele gute Ideen sind eher pragmatisch erzählt worden, es fehlt das originelle Momentum. Auf der anderen Seite ragen aber einige Storys aus der Masse so positiv heraus, dass der Leser sich an George R.R. Martins warme einleitende Worte erinnert und wieder zum Jugendlichen in einem abgewetzten Sessel wird, der mit Hilfe dieser Geschichten einen kleinen Moment der vielleicht unwirtlichen Wirklichkeit entkommen kann.

 

 

Bildergebnis für old mars, dozois

  • Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
  • Verlag: Bantam (8. Oktober 2013)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0345537270
  • ISBN-13: 978-0345537270