Ursprünglich in der Bastei Horror Bibliothek erschienen legt der Apex Verlag mit „Der Schattensee“ ein Spätwerk Manly Well Wademans nun in einem Sampler von eher klassischen Horrorgeschichten neu auf. Als das Buch 1977 als Taschenbuch erschienen ist, war der Autor zu diesem Zeitpunkt schon vierundsiebzig Jahre alt. Neun Jahr später sollte mit „Cahena“ noch ein historischer Roman folgen.
Interessant ist, dass „Der Schattensee“ kein klassischer Horror oder Weird Fiction Roman ist. Rückblickend lässt er sich von der Struktur her eher mit „Invasion von der Eiswelt“ vergleichen. Viele der allerdings wenigen phantastischen Ideen wirken eher wie in einem in Ehren ergrauten Science Fiction Roman als einer Gruselgeschichte. Wie bei den anderen in Deutschland publizierten längeren Werken leidet der Roman unter dem abrupten, sich in dieser Form fast aus dem Nichts entwickelnden Ende, während vor allem die im Verhältnis lange Exposition mit dreidimensionalen Protagonisten und einer stimmungsvollen Atmosphäre deutlich besser überzeugen kann.
Manly Wade Wellman ist sich nicht ganz sicher, in welcher Zeit er die Handlung spielen lassen möchte. Immer wieder finden sich Anspielungen auf die dreißiger Jahre und die „Technik“ deutet auch in diese Richtung. Während des Showdowns setzen die Akteure dann allerdings Waffen ein, die teilweise aus dem zweiten Weltkrieg stammen und deswegen auch die Möglichkeit implizieren, dass erstens der Plot erst in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren spielt.
In einer seiner besten Buch- und Kurzgeschichtenserie um John, den Barden im Frontier Amerika hat der Autor mit dem detaillierten Ausgangsszenario schon einmal erfolgreich gespielt. Ob „Der Schattensee“ nur der erste Roman einer kleinen Reihe von Geschichten sein sollte, die in und um Sky noch, die 250 Seelen Gemeinde in den Appalachen, spielen, kann heute nicht mehr geklärt werden. Die lange Exposition erweckt aber den Eindruck, als wollte der Autor vor allem dem Hintergrund eines kleinen Universum und sie mit dieser stringenten Geschichte nur etablieren.
Ein Fremder kommt in die Stadt. James Crispin hat dort ein Haus gemietet und möchte als Maler arbeiten. Anscheinend hat er schon einige Ausstellungen gehabt und scheint finanziell unabhängig zu sein. Schnell findet er in den kleinen Gemeinde Freunde.
Kaum angekommen stellt sich aber heraus, dass James Crispin nicht nur wegen der schönen Landschaft in den kleinen Ort gekommen ist. Ein unheimlicher Mann, der sich gerne in den Schatten bewegt, macht Druck auf Crispin, seine Mission zu erfüllen. In dieser Hinsicht bleibt der Autor auch sehr vage.
In der Gegend gibt es noch die geheimnisvolle Gemeinde der Kimber, die auf ihrem eigenen Land nach eigenen Regeln leben und ihre Anhänger in dem „Schattensee“ taufen. Crispin ist einer der Menschen, die eine solche Zeremonie heimlich beobachtet. Manly Well Wademan gibt sich nicht nur bei den Kimber sehr viel Mühe, diese auf der einen Seite gefährlich zu beschreiben, ihnen auf der anderen Seite auch eine gewisse Eigenständigkeit zu zugestehen und sie damit nicht gleich in die Sektiererecke abzuschieben.
Diese Detailgenauigkeit geht zu Lasten des Spannungsaufbaus. Da hilft es auch nicht, wenn der Autor mit Anmerkungen oder Vorgriffen auf kommende Ereignisse die Handlung dynamischer erscheinen lassen will. Entweder lässt sich der Leser auf diese nicht unbedingt subtile Spannungskurve ein und passt sich dem damaligen Lebenstempo mit viel Gemütlichkeit, Gastfreundschaft, guten Essen und einigem Jägerlatein an oder er wird den ganzen Roman als durchgehend langweilig empfinden. Bei seinen anderen in Deutschland publizierten Science Fiction Abenteuern allerdings ursprünglich aus den dreißiger Jahren stammend legte der Autor auf eine Art Paukenschlag zu Beginn wert, aus dem sich heraus der Plot um eine dominierende Figur herum entwickelte. Der mittlere Abschnitt der Bücher diente eher zur Orientierung, während der Showdown fast hektisch abrupt erschienen ist.
Auf diese Strukturen verzichtet der Autor ganz bewusst. So gibt es einige potentielle Helden. Der Fokus liegt auf dem Maler. Während des Finals schockiert Manly Wade Wellman seine Leser mit einem angekündigten wie überraschenden, aber auch folgerichtigen Dreh, bevor sich die wahren Helden manifestieren und aus dem Nichts heraus die lange Zeit entwickelte Bedrohung erstaunlich einfach abwickeln.
Die Idee der Bedrohung ist reine Science Fiction. Ein wenig umständlich versucht der Autor nicht nur die Art der Bedrohung zu etablieren, sondern gleichzeitig auch die vagen Motive der Fremden zu erläutern. Dabei geht es vor allem um die Tatsache, dass Herausforderungen jeglicher Art fast süchtig machen. Der Vergleich mit der Mondlandung passt in diesem Fall wie die Faust aufs Auge. Wirtschaftlich ein Verlustgeschäft; technisch aber auch eine ideale Basis für zukünftige Forschung. So geht es auch den Schattenwesen, wobei sie im Gegensatz zur NASA sogar sehr viel umfassendere Pläne mit der Erde haben. Anscheinend verfolgt der Leser nur den ersten Teil eines Mehrstufenplans. Die zweite Phase hätte aber in dem kleinen Ort schon für Aufruhr gesorgt und da hilft es auch nicht, die Bewohner im Allgemeinen vorzubereiten und die Familie der Kimber als eine Art Speer zu missbrauchen. Gekauft mit Gold, das wie ein Asteroid vom Himmel zu fallen scheint.
Im Verlaufe der Handlung baut der Autor eine Reihe von Szenarien auf, die er aber nicht konsequent genug verfolgt und abschließt. Viele rote Fäden aus dem Mittelteil bleiben dadurch in der Luft hängen und das Finale reduziert sich auf eine relativ simple Auseinandersetzung, wobei die Fremden auch schnell und viel zu leicht zu besiegen sind. Sie scheinen – ohne zu viel vom Plot zu verraten – über ausreichend Waffen zu verfügen, die den Menschen technisch überlegen sind, aber sie nutze sie in dieser Auseinandersetzung zu wenig.
„Der Schattensee“ ist kein Horrorstoff. Die Bedrohung erfolgt vor allem durch Science Fiction Elemente, die Auflösung greift auch auf keine unerklärlichen ober übernatürlichen Phänomene zurück. Dadurch werden sich einige Leser in die Irre geführt fühlen. Positiv ist, dass der Autor auf eine Reihe zwischenmenschlicher Aspekte zurückgreift und aufzeigt, dass in diesem kleinen Dorf die Menschen zusammenhalten und vor allem auch einem Fremden Vertrauen entgegenbringen, auch wenn dieses zumindest gebogen wird. Aus heutiger Sicht kann dieses Gemeinschaftsgefühl auch antiquiert und künstlich wirken. Aber mit seiner überzeugenden Zeichnung realistischer Charaktere gleicht Manly Wade Welman seinen Hang zu einer fast zu perfekten, in das 20. Jahrhundert übertragenen Frontiergesellschaft wieder aus.
Von allen in Deutschland publizierten Romanen und Kurzgeschichten Manly Wade Welmans ist „Der Schattensee“ trotz der angesprochenen Schwächen und konstruktiven Kniffe seine reifste literarische Arbeit. Viele seiner überdurchschnittlichen Kurzgeschichten und Serien sind nicht übersetzt worden, daher fällt es schwer, aufgrund des wenigen zur Verfügung stehenden Materials abschließend einen Stab über den Amerikaner zu brechen. Es ist keine Horror, sondern eine klassische Invasions Science Fiction Geschichte vor einem stimmigen Hintergrund. Mit sehr viel nostalgischem Flair, aber nicht so starkem Pulp Charaktere wie zum Beispiel „Invasion von der Eiswelt“ oder „Die Insel der Tyrannen“.
- Herausgeber : Apex Verlag (27. Oktober 2019)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 732 Seiten
- ISBN-10 : 3750247072
- ISBN-13 : 978-3750247079