Anti- Körper

David J. Skal

Der Apex Verlag legt mit „Anti- Körper“ bzw. im amerikanischen Original „Antibodies“ eine dieser klassischen Bodyhorrorgeschichten der neunziger Jahre des letzten Jahrtausends wieder neu auf. Der Roman erschien ursprünglich 1988 in den USA und in Deutschland im Bastei Verlag. Es ist der letzte von nur drei Romanen, die David J. Skal in seiner Karriere verfasst hat.

ZU Beginn der neunziger Jahre begann sich Skal als einer der Experten für das Horrorgenre im Allgemeinen, aber vor allem auch Dracula in Kombination mit seinem Schöpfer Bram Stoker zu interessieren. Mehr als eine Handvoll Sachbücher zwischen 1990 mit „Hollywood Gothic“ und „Something in the Blood“ – die Lebensgeschichte Bram Stoker – aus dem Jahr 2016 folgten.  Herausragend dabei war die erste Biographie Tod Brownings, der ja als Regisseur von „Freaks“, aber auch „Dracula“ berühmt/ berüchtigt geworden ist.

Daneben arbeitete bei den DVD Neuveröffentlichungen einer Reihe von klassischen Horrorfilmen auf DVD mit. Audiokommentare, aber auch ganze Feature Filme ergänzten die Präsentation der digital überarbeiteten Klassiker.

„Antibodies“ erschien wie wenige Jahre vorher Skals zweiter Roman „Scavengers“ unter dem Label „Isaac Asimov presents“ . Viele Käufer erwarteten eine klassische oder vielleicht auch nur stringente Science Fiction Geschichte. „Antibodies“ ist allerdings ein bunter Reigen von sprachlichen Bildern in H.R. Giger „Qualität“, kombiniert mit zynischen Anspielungen auf das Cyberpunk Genre, aber auch eine unangenehme Exkursion in den Horrorbereich. Hier reicht das Spektrum von im Grunde Aggression gegen den eigenen Körper bis zu nur vordergründig technologisch initiierten Manipulationen/ Veränderungen. „Antibodies“ ist vielmehr eine Variation der Geschichten, die David Cronenberg in seinen frühen vor allem kanadischen Filmen immer wieder präsentiert hat. Kombiniert mit den verwirrenden Exzessen, die Kathe Koja in ihren ersten, ebenfalls bei Apex nachgedruckten klassischen Horror Romane extrapolierte. Wahrscheinlich wäre es sogar sinnvoller gewesen, das Buch unter dem berühmt berüchtigten Label „Dell Abyss“ zu veröffentlichen, denn wir in vielen anderen Romanen dieser Reihe schauen die Protagonisten nicht unbedingt wohlmeinend in ihre persönlichen Abgründe mit dem Wahnsinn vor der Tür lauernd.

Die Ausgangslage ist allerdings klassische Science Fiction. Das Antibodies Phänomen beherrscht die Gesellschaft. Menschen wollen das fleischliche Gefängnis hinter sich lassen und sich Erfüllung nicht im Grunde als Roboter oder im Körper eines Roboters, sondern als menschliche seelenlose und damit auch leicht kontrollierbare Zombies.

Eine seltsame Organisation namens Cybernetic Temple beginnt die Jugend mit einer Reihe von Videos zu verführen. An der Spitze befindet sich mit dem Gründer und ehemaligen Bildhauer Venus Tramhell ein Mann, der einen entscheidenden Schritt zum Roboter vollzogen hat. Er hat sich seine Arme abtrennen und durch Prothesen ersetzen lassen, um nicht nur seine Kunst zu verbessern, sondern vor allem einen weiteren Schritt in Richtung Mensch/Maschine zu gehen.

Ihnen quasi im Alleingang gegenüber steht mit Julian ein besessener Außenseiter, der über die Möglichkeit verfügt, die körperlichen Manipulationen rückgängig zu machen. Zynisch präsentiert David J. Skal keinen Helden, der die Antibodies Bewegung quasi im Alleingang bekämpft, sondern eine auf eine andere Art und Weise verstörende und wahrscheinlich auch gestörte Persönlichkeit. So masturbiert er während Fernsehinterviews und überzeugt seine Kandidaten für eine Rückführung nicht etwa mit Argumenten, sondern einer Entführung.

Julians Frau Gillian hat vor einigen Jahren eine zynische Science Fiction Satire auf die Antibodies Bewegung geschrieben, welche diese als eine Art Hommage an Heinleins „Mann in einer fremden Welt“ zu ihrer persönlichen Bibel erklärt haben.   

Es ist aber nicht nur eine intellektuelle Manipulation. Wie Skal ausführlich beschreibt, sind Implantate, vielleicht sogar Prothesen notwendig, um diesen perversen Prozess abzuschließen. Den Menschen geht es darum, nicht mehr als Fleisch oder fleischlich zu erscheinen. Interessant ist, dass mit dieser Metamorphose auch die Idee eines natürlichen Todes des Menschen ausgeschaltet werden und eine relative Unsterblichkeit in einer gänzlich anderen Daseinsform erreicht werden soll. K.W. Jeter hat diese Idee wenige Jahre vor David J. Skal mit seinem zynischen „Dr. Adder“ auf die Spitze  getrieben. Dieses verstörend empfehlenswerte Buch ist in der Edition Phantasia vor vielen Jahren erschienen.  

Diandra ist eines der potentiellen wie klassischen „Opfer“ dieser Bewegung. Auf der einen Seite stellt die Art der Antibodies eine ultimative Versuchung für sie da. Sie kann ihr Leben, ihren Lebensstil verändern. Auf der anderen Seite hat sie aber auch vor den ultimativen Konsequenzen Angst. Julian versucht natürlich, diesen Vorgang rückgängig zu machen und erlebt selbst eine Überraschung. Der Zwiespalt hat sich tief in Dianadras Persönlichkeit eingegraben, so dass es ihm nicht leicht fällt, die Veränderungen rückgängig zu machen.

Die zweite Hälfte des Buches setzt sich mit diesem Zweikampf in einer wahren Abfolge immer surrealistischer und exzessiver werdenden „Bildern“ auseinander.   David J. Skall streift in diesem verzweifelten Kampf verstörter Persönlichkeiten das ganze Spektrum von Verstümmelung, pervertiertem Sex und schließlich auch nicht nur psychologischer Folter. In seiner dominanten Verzweiflung, Diandra angeblich heilen zu wollen greift Julian zu wahrlich drastischen. Egoistisch sieht er aber auch in Diandra die Möglichkeit, die ganze Bewegung zum Einsturz zu bringen, auch wenn das Leben der jungen Frau egal in welcher Inkarnation. David J. Skal bewegt sich dabei auf einem sehr schmalen Grat- irgendwann nehmen die grotesken Bilder überhand und erdrücken jeglichen Handlungsverlauf. Der Autor verliert buchstäblich angesichts des stringenten wie rudimentär angelegten Plots  die Kontrolle über den Handlungsbogen. Am Ende sieht er sich gezwungen, mit einer wahren Kehrtwendung wieder auf mögliche Ziele zuzusteuern und den kompakten, nicht unbedingt umfangreichen Roman eher abrupt zu beenden.

Schade ist, dass David J. Skal im Grunde keinen echten Zugriff auf den Hintergrund seiner Geschichte gehabt hat. So erscheinen die wenigen Querverweise auf Gillians Science Fiction Roman interessanter als David J. Skals Geschichte. Zu Beginn setzt sich David J. Skal mit den Subkulturen Kaliforniens Ende der achtziger Jahre auseinander. Vieles wirkt wie eine Übertragung von Drogen initiierten Ideen der Transzendenz aus den sechziger und frühen siebziger Jahren in die Zeit des auslaufenden kalten Kriegs, der Friedensbewegung und der bitteren Erkenntnis, dass die Ära der Hippies niemals auf einen nachhaltig fruchtbaren Boden gefallen ist. Dem gegenüber steht hinter der Fassade des seltsamen Kults eine durchaus professionelle militärisch organisierte Cyberverwertung der Freiwilligen in Form von Experimenten, deren Ziel eben nicht die nächste Bewusstseinsebene, sondern die Schaffung kybernetischer Computerersatzteile aus menschlicher Grundsubstanz ist, die abschließend und im Off angesprochen der reichen Oberschicht ein sehr langes Leben verleihen könnte.  

Die größte Schwäche dieses logisch nicht erfassenden Buches ist David J. Skals Abneigung, die Ideen wirklich als Roman zu extrapolieren und von seinen vor allem die „Opfer“ betreffenden ablehnenden Kommentaren abzuweichen, um eine abgerundete provozierende Geschichte zu erzählen. So bleibt der Roman als Werk betrachtet auch trotz Isaac Asimovs warmherzigen Worten zu Beginn ein zynisches, kaltes und in sich selbst verliebtes Machwerk, dessen Handlungsverlauf wie angesprochen nach einem guten Anfang zu kippen beginnt. Wie Kathe Kojas verstörende Romane ist „Antibodies“ aus heutiger Sicht vor allem für die Leser interessant, die alle Subströmungen der Genres Science Fiction und Horror mal probiert haben wollen. Es ist ein guter oder zufriedenstellender Roman, viel mehr ein waten in Exzessen. Nicht jedermanns Sache, aber auch nicht von Beginn an abzulehnen.

 

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  • ASIN ‏ : ‎ B06XC7KDFX
  • Herausgeber ‏ : ‎ Apex Verlag
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Dateigröße ‏ : ‎ 2314 KB
  • Text-to-Speech (Vorlesemodus) ‏ : ‎ Aktiviert
  • Screenreader ‏ : ‎ Unterstützt
  • Verbesserter Schriftsatz ‏ : ‎ Aktiviert
  • X-Ray ‏ : ‎ Nicht aktiviert
  • Word Wise ‏ : ‎ Nicht aktiviert
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 322 Seiten