Der lange Kosmos

Terry Pratchett & Stephen Baxter

„The Long Cosmos“ ist der fünfte und letzte Band der Serie um die lange Erde. Auch wenn das Buch noch zu Lebzeiten Terry Pratchetts laut Stephen Baxter fertiggestellt worden ist, erschien es im Jahre 2016 erst nach dem Tod des Schöpfers nicht nur der Scheibenweltromane.

Der Roman spielt in den Jahren 2070/ 2071. Fast sechzig Jahre nach dem ersten Schritt entlang der langen Erde.  Die beiden Autoren haben sich auf der persönlichen Ebene entschlossen, die Serie zumindest in der Praxis, aber nicht hinsichtlich der inhaltlichen Theorie mit Joshua Valiente und seinem ersten Schritt zu eröffnen, mit einem fast siebzig Jahren alten Joshua auf der Suche nach einem letzten Abenteuer auch zu beenden. Gegen alle Warnungen will Joshua noch einmal die lange Erde entlang reisen. Und zwar alleine.

Aber noch mehr als alle anderen Bücher erscheint „the Long Cosmos“ als eine perfekte Mischung aus Trivialliteratur und einer philosophisch melancholischen Reise durch ein langes, abenteuerliches, aber auch nicht perfektes Leben.

Noch mehr als in den ersten vier Romanen baut Stephen Baxter Querverweise ein. „The Long Utopia“ war eine kleine Würdigung Isaac Asimovs in Form besonderer künstlicher Intelligenzen, die lebensechter und emotionaler gewesen sind als die Menschen. In „The long Utopia“ hat sich eine mechanische Katze entschlossen, wie ihre Originale zu sterben und die Funktionen einzustellen. In „The Long Cosmos“ ist  es schließlich Schwester Agnes, welche diesen Weg im Grunde aus freien Stücken geht. Sterben ist niemals einfach, wie Terry Pratchett mit seiner Alzheimer Erkrankung durchleben musste. Das Verlieren der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Willens. Vielleicht sind deshalb diese langsamen, aber schließlich auch gewollten Tode so eindrucksvoll, emotional ansprechend, aber nicht kitschig.

In „The Long War“ vielleicht sich der Leser an H.G. Wells erinnert. In „The Long Utopia“ wird von einem Fahrstuhl zu den Sternen gesprochen. Wer diesen Hinweis auf Arthur C. Clarke – mit ihm hat Stephen Baxter eine Tetralogie geschrieben – nicht verstanden hat, wird im vorliegenden fünften Band auf das Clarkes Projekt hingewiesen, mit dem intelligentes Leben als Seti Initiative der langen Erde untersucht werden soll, das eine simple Botschaft „Join us“ zu allen langen Erde geschickt hat. Aber Baxter und Pratchett haben ihre Geschichte eben nicht als reine First Contact Geschichte dargestellt. Mit einer eleganten Wendung haben die den Bogen in die Gegenwart ihrer Leser geschlagen. Da auf die lange Erde keine Bilder oder Filmmaterialien mitgenommen werden können und die Datums Erde erst entvölkert und schließlich radioaktiv verseucht worden ist, werden keine neuen Filme mehr hergestellt. Nur die alten Streifen bleiben im Gedächtnis und werden immer wieder gesehen. So sind die Mitglieder des SETI Projekts am Zweifeln, ob sie bei der Botschaft mit einem „Contact“ -  wie im Buch, aber auch mehrfach zitierten Jody Foster Film – oder eher einem „A for Andromeda“ Szenario – das bezieht sich vor allem auf Fred Hoyles rasanten Science Fiction Thriller – zu tun haben. Werden Baupläne geschickt oder dient eine Lektüre der Daten als Schlüssel, um die langen Erden zu erobern und zu unterdrücken? Nur selten brechen die dreidimensional gezeichneten, dem Leser vertrauten Figuren aus diesem eng gefassten Szenario aus. Auch Baxter/ Pratchett haben keine Antworten auf die Frage, welche sie selbst nicht nur in diesem Buch aufgeworfen haben. Viel mehr geht es ihnen darum, eine gigantische bizarre Welt . unendlich viel größer als Larry Nivens „Ringwelt“, die ebenfalls zu Rate gezogen wird -, dem Leser zugänglicher und durch die verschiedenen Vergleiche mit bekannten/ markanten Science Fiction Büchern vertrauter zu machen.

Auch Carl Sagan verweigert am Ende seines lesenswerten Buches jegliche Antworten. Viel mehr bleibt die zitierte Erinnerung zurück, als die noch junge Jodi Foster mit ihrem noch lebenden Vater durch das Teleskop die Sterne beobachtet und davon träumt, irgendwo dort draußen Leben zu finden. Ansonsten würde es sich um eine unglaubliche Platzverschwendung handeln.

Der SETI Bogen nimmt wie in den anderen Büchern zum Beispiel der Krieg auf der langen Erde oder die Besiedelung des Mars, sowie abschließend die Bedrohung durch eine intelligente insektoide fremdartige Rasse sehr viel Raum ein, ohne rückblickend viel zu bewegen. Immer wenn Baxter/ Pratchett neben den zahllosen unter den hohen Zahlen verschwindenden Reisen über die langen Erden einen griffigen Plot einführen wollten, fehlte ihnen die Entschlossenheit, diese Spannungsbögen auch konsequent zu beenden.

Das gipfelt in einer weiteren doppelten Hommage an Arthur C. Clarke. Das „Raumschiff“ – ob ein springendes Raumschiff so genannt werden kann, bleibt offen – wird Uncle Arthur genannt. Auf ihrer Reise zu fremden Sternen durch eine Art Quersprung nach den bisherigen Richtungen „Ost- West“ in den ersten drei Büchern sowie „Nord- Süd“ in „The Long Utopia“ mit dem Perlenkettenmodell können sie sich über Lichtjahre im Raum bewegen. Eine technische Erklärung gibt es nicht. Während die Box bestehend aus „Nonsense“ in „Die lange Erde“ eine fast klassisch zu nennende Pratchett Idee ist, welche die beiden Briten geschickt immer am Rande der Science Fiction extrapoliert haben, funktioniert diese Vorgehensweise nur bedingt.

Das Ende des Buches und vielleicht der Anfang einer neuen nicht mehr menschlichen Existenz ist eine klassische, aber vielleicht auch zu klischeehafte Mischung aus den angesprochenen „Contact“ Elementen und Arthur C. Clarkes Kurzgeschichte „The Sentinal“ mit einigen Anspielungen auf „2001“. Aus „Contact“ stammt die Idee, das die Fremden quasi die Baupläne mittels einer Botschaft geschickt und auf die bunte Truppe gewartet haben. Die fremden Welten sind exotisch und bizarr, aber der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wenn es sich am Ende auch um eine Vision handeln könnte.

Aus „The Sentinal“ stammt die Idee der Monolithen. Aber nicht ein Monolith, sondern wie in „Der lange Mars“ eine besondere Formation aus fünf dieser markanten wie bekannten Monolithen. Alle schwarz, aber alle auch keine Tore zu den Sternen.

Aus „2001“ stammt abschließend die Idee des Sternenkindes. Nicht nur für Joshua schließt sich ein Kreis. Der Epilog ist kurz, emotional und aus logischer Sicht betrachtet frustrierend offen. Die lange Erde hat ihren Wirkungskreis erweitert. Gleichzeitig hat die Menschheit über die „Next“ hinaus eine neue Stufe der Evolution erreicht. Aber sie braucht immer noch die alten Menschen, um zumindest die ersten Jahre in ihrem Schutz zu gedeihen. Der Epilog ist das Ender der Lebensgeschichte Joshuas, auch wenn Baxter/ Pratchett dieses Mal niemanden sterben lassen und der Grundtenor optimistischer ist, und gleichzeitig der in alle Richtung interpretierbare Auftakt nicht nur einer neuen Generation von unschuldigem Leben, sondern vielleicht auch irgendwann weiterer Geschichten um „Die lange Erde“. Aber wie „2001“ versuchen die Autoren ihre Leser zum Nachdenken zu motivieren. Aber im Gegensatz zu Kubricks und nicht Clarkes „2001“ fehlt ihnen die Vision, die Erhabenheit des Alls, obwohl sie eine der faszinierendsten Welten erschaffen haben.  So wirken die Reisen über die lange Erde manchmal wie eine Art Reiseführer, den man aber nicht als „Per Anhalter durch die Galaxis“ betrachten sollte. Alle markanten Elemente werden aufgezählt, wichtige Punkte teilweise mehrmals besucht, aber die Schönheit oder Gefährlichkeit dieser Plätze wird nicht gestreift und nicht vom Leser wirklich verinnerlicht.

Aber wie jede Reise nach außen (in diesem Fall kreuz und quer durch und über die lange Erde) gibt es auch eine innere Reise, getragen von den vertrauten und sich entwickelnden Charakteren. Sie steht stellenweise in einem starken Kontrast zu Pratchetts/ Baxters Schöpfung, ist aber hinsichtlich des Gesamtkonstrukts auch untrennbar mit ihr verbunden.   

Joshua Valiente ist der Dreh- und Angelpunkt der Serie. Inzwischen fast siebzig Jahre alt macht er sich auf seine letzte Quest. Wie er glaubt. Er flieht im Grunde vor der eigenen Einsamkeit, nachdem er weder seine Frau noch seine Kinder wirklich halten konnte.  Auf einer der Welten verletzt er sich durch die eigene Naivität und muss von einem der Trolle – sie erinnern mehr an Menschenaffen – gepflegt werden. Gemeinsam machen sie sich auf die weitere Reise, die sie wie der Titel impliziert über die Grenzen des bekannten Universums hinaus führen wird.

In Joshua spiegelt sich auch das Bedauern um ein aus seiner Sicht manchmal verschenktes Leben wieder. Er hat wie der Leser kleine Teile dieser unendlichen Schöpfung bereist, aber er ist niemals angekommen. Millionen von Welten sind unter seinen Füßen, aber auch Fahrzeugen wie der Mark Twain entlanggeglitten, ohne das Joshua wirklich eine Beziehung zu ihnen aufbauen konnte. Im Laufe der Jahre hat er die frau an seiner Seite verloren. Der Buch an ihrem symbolischen Grab auf der Datumgrenze hätte der Höhepunkt der Serie sein können, aber Stephen Baxter ist ein sachlicher Autor, der technische Wunderdinge in einfachen Bilder erklären, aber keine Charaktere auf der emotionalen Ebene entwickeln kann. Hier fehlt ihm der allerdings auch immer wieder zu extremen neigende Terry Pratchett am meisten.

Seine melancholischen selbstzweifelnden Monologe wirken angesichts des potentiell vielschichtigen Plots zu ausschweifend und manchmal möchten ihn nicht nur seine Gefährten und vor allem auch Wegbegleiter der früheren Reisen einfach nur schütteln. Am Ende bricht Joshua Valiente nicht nur zu den Sternen auf, sondern wird für die „nächste Generation“ Verantwortung übernehmen, aber als Charakter bleibt er wie der kleine Junge zu Beginn des ersten Buches dem Leser fremd.

Auch wenn Sallie nicht mehr auftaucht, erdet sie abschließend Joshua und zeigt ihm auf, was Familie wirklich bedeutet. Auf der langen Erde wirft sie weit über ihr Grab hinaus einen sehr langen positiven Schatten und gehört zu den charismatischen Figuren der ersten Romane. Maggie kann kein Ersatz für sie sein, aber sie nimmt zumindest eine wichtige Rolle ein.

Auch wenn die beiden Autoren spätestens ab dem dritten Band die künstlichen Intelligenz in androider Form Lobsang als eine Art Faktotum der langen Erde etablieren, der im Hintergrund alles oder nichts plant, relativiert der vorliegende Roman diese Situation. Lobsang ist natürlich bei der Expedition dabei. Lobsang kann sich auch nicht erklären, wer die Fremden sind. Aber auch bei den Androideninsekten und der Begegnung zweier Paralleluniversen in „The Long Utopia“ reagiert die künstliche Intelligenz ausschließlich. Und Lobsang stärkste Sequenz war die erste Reise mit Joshua zu seinem runden Geburtstag die lange Erde nach Osten entlang. Daher wirkt eine zweite anfänglich alleine gestartete Expedition in der Chronologie der ganzen Serie auch kontraproduktiv.

Baxter und Pratchett aber greifen noch auf weitere neue und alte Charaktere zurück. Das Militär spielte zuletzt in „The Long Mars“ eine wichtige Rolle. Dank der zurückgelassenen außerirdischen Technologie der Androideninsekten können die Menschen jetzt schnell eine Art Raumkapsel bauen, um zu den Sternen zu „springen“. Bislang reichte die Technologie immerhin bis zum roten Planeten. Das offizielle Kommando übernimmt die einzige Frau, die einen Troll an Bord duldet, obwohl die Abneigung gegen die nicht selten den Menschen im Allgemeinen, aber vor allem den hier versammelten Charakteren helfenden Trolle eher unbegründet ist und auf antiquierten Aberglauben basiert.

Nelson Azikiwe ist ebenfalls ein Charakter aus den ersten Büchern. Als Kirchenmann steht er immer im Zwiespalt zwischen den Wundern der langen Erde und seinem eigenen Glauben. Er sucht nach seinem Neffen und braucht Hilfe. Da es nicht die einzige Suche nach jungen Verwandten ist, wirkt diese Idee im abschließenden fünften Band nicht nur abgenutzt, sondern angesichts der Potentiale einer Begegnung der ersten Art überflüssig.

„The Long Comos“ fasst die Schwächen und Stärken der ganzen Serie zusammen. Die Reise ist interessanter als das jeweilige Ziel. Zwischenstationen fliegen am Betrachter vorbei, neue Ideen werden eher angerissen als extrapoliert. Auf der anderen Seite hilft Stephen Baxters konzentrierter und pragmatischer Stil, die fünf Bücher nicht ausufern zu lassen. Terry Pratchett hat zumindest bis den Szenen im Wald mitgearbeitet, so dass der Übergang zwischen der Kooperation und Baxters notwendigem Solo Ritt spät kommen, aber unauffällig sind. Ohne Baxters einleitende Worte würde es niemand merken.

Ideen sind auf der langen Erde immer groß. Die Pioniere brauchen Mut. Wie im amerikanischen Wilden Westen ist jeder neue „Schritt“ eine Herausforderung. Vielleicht muss der Leser akzeptieren, dass Baxter und Pratchett vor ihrer Schöpfung im Grunde als chronologische Erzähler kapituliert haben. Es ist weniger eine Geschichte, als eine Art Sprungbrett von einer Welt zur Nächsten. Teilweise mit unterschiedlichen Begleitern, teilweise überholt man ehemalige Mitreisende, teilweise steht am Ende niemand und erwartet einen. Joshua sehnt sich nach dieser Einsamkeit. Das macht den Reiz, aber auch die Herausforderung nicht nur dieses letzten Buches, sondern der ganzen Serie aus.

Auch wenn sie am Ende zu sehr auf Vorlagen, Inspirationen schauen und zu wenig auf den eigenen Kosmos. Es ist ein schmaler Grat zwischen Kopie und Hommage. Das ist vielleicht die größte Schwäche der ganzen Serie. Baxter und Pratchett haben Angst ,   die lange Erde für sich alleine bestehen und die Bewohner den nächsten ultimativen Schritt – vorbereitet in „Das lange Utopia“, aber nicht in „Der lange Kosmos“ vollendet – gehen zu lassen.             

 

 

 

Der Lange Kosmos

Aus dem Englischen von Gerald Jung
Originaltitel: The Long Cosmos
Originalverlag: Transworld
Taschenbuch, Broschur, 480 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-442-48997-8
Erschienen am  16. Dezember 2019