Namenlos

Norbert Stöbe

„Namenlos“ ist Norbert Stöbes dritter Roman nach „Spielzeit“ (1986) und „New York ist himmlisch“ (1988).  Wer Norbert Stöbes wenige frühe Romane relativ schnell hintereinander liest, erkennt, dass thematisch „Spielzeit“ und „Namenlos“, aber auch „New York ist himmlisch“ sowie der vierte in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren veröffentlichte Roman „Der Weg nach unten“ besser zusammenpassen. Alle wären diese beiden Doppel jeweils zusammen oder zumindest kurz hintereinander verfasst worden.

„Lavat- Mir“ ist einer der vielen Namenlosen, die ohne Gedächtnis oder Erinnerung an ihre Herkunft von verschiedenen Welten kommend in einer Stadt gestrandet sind. Die Ausgangsprämisse ist keine neue Idee. In seinem Debüt „Spielzeit“ hat Norbert Stöbe einen Menschen von der Erde und einen Außerirdischen von den krokodilartigen Erksel entführen lassen. Im Gegensatz zu den Protagonisten aus „Namenlos“ verfügen sie über ein Gedächtnis, was vielleicht die Akklimatisierung auf dieser Spielwelt noch schwieriger macht.

Die Wesen sind Spielsteine; die Erksel Spieler. Sie wetten auf die verschiedenen von ihnen initiierten Kämpfe. Nur dank der Solidarität mit dem Ballonwesen Xirtsch kann der Mensch überleben und das System schlagen.

Die Erksel treten aus „Spielzeit“ treten auch in „Namenlos“ auf. Sie sind aber nicht mehr die technisch dominante Wesen versklavende Rasse, sondern Namenlos gleichgestellt.  Norbert stöbe baut die Krokodilartigen Wesen allerdings eher pragmatisch in den Handlungsverlauf ein. Wer „Spielzeit“ kennt wird sich über den statusmäßigen Unterschied der Außerirdischen vielleicht ein wenig wundern, wer „Spielzeit“ nicht gelesen hat, wird sie als eine der außerirdischen Rassen hinnehmen, denen der Protagonist auf dieser Welt begegnet.

Die Stadt befindet sich auf dem Planeten quasi im Nichts. Die in der Stadt lebenden Wesen werden von außen durch die Horde bedroht. Dabei handelt es sich um Insektenwesen. Umgeben ist die Stadt vom „Leer“, einer von Norbert Stöbe bislang eher pragmatisch hinsichtlich der Gefahren entwickelten Zone.  

   „Namenlos“ sollte der erste Band einer Serie sein. Wie Norbert Stöbe in einem aus dem Jahr 2017 stammenden Interview deutlich macht, das die geplante Fortsetzung zu „Namenlos“ mit dem Titel „Im Leer“ als zu handlungsarm abgelehnt worden ist.  

Auch der Beginn von „Namenlos“ ist gewöhnungsbedürftig. Der noch literarisch junge Norbert Stöbe hat die Angewohnheit, auch einfache Szenen in einem eher künstlerisch überfrachteten denn angesichts der stringent gestrickten Handlung angemessenen Schreibstil zu erzählen. Dadurch beginnt der Leser vor allem nach dem ersten Drittel des Buches die Geduld zu verlieren.

„Spielzeit“ wirkte in dieser Hinsicht zu Beginn deutlich dynamischer, aber auch nicht unbedingt origineller. Der nicht sympathische Mensch wurde mitten im Satz von Bord seines Segelschiffes entführt, seine deutlich sympathischere Freundin zurückgelassen. Die Orientierung auf der fremden Welt vor allem aus der Perspektive eines normalen fast in der Gegenwart des Lesers lebenden Menschen war deutlich packender.

Erst im mittleren Abschnitt mit der Begegnung zwischen dem Menschen und Xirtsch flachte der Handlungsbogen deutlich ab. Norbert Stöbe verstieg sich bei dieser wenig emotional erzählten Geschichte teilweise auch in Plattitüden, wobei der Sex zwischen Mensch und dem geschlechtslosen Xirtsch provokant wirken sollte. Das hat aber nicht funktioniert.  

In „Namenlos“ trifft der junge Protagonist auf Miriam. Miriam ist nicht das Gegenstück zu Xirtsch. Xirtsch war dem Menschen trotz seines Ballonkörpers in vielen Punkten bis auf die körperlichen Stärken überlegen. Es ist vielleicht vermessen, abschließend von einer Synthese zwischen Körper – sein menschlicher Protagonist – und Geist – Xirtsch - zu sprechen, aber sie konnten die Hindernisse nur gemeinsam überwinden.

Miriam ist nicht nur für Namenlos ein weiteres Rätsel dieser seltsamen Welt. Die sie angeblich umgebende Aura ist nur ein kleiner Bestandteil des Rätsel, das Norbert Stöbe aufbaut. 

Gegen Ende des Buches bringt Namenlos nicht nur Miriam, sondern Teile der im Grunde kranken, aber statischen Ordnung dieser kleinen Stadtwelt durcheinander. Mit jedem Schritt, den Namenlos auf Miriams Geheimnis zugeht, öffnet Norbert Stöbe aber auch den Vorhang hinsichtlich seiner Vergangenheit. Dabei ist für den Leser noch nicht erkennbar, ob es sich um echte wieder auftausende Erinnerungen handelt oder die im Hintergrund agierenden „Wächter“- der Begriff von Herrschenden in angesichts der zugrundeliegenden Idee wahrscheinlich nicht ganz richtig -  Namenlos auch auf der intellektuellen Ebene manipulieren.    

Obwohl Teil einer damals wie heute populären, aber nicht abgeschlossenen Trilogie bemüht sich Norbert Stöbe, den Plot zu Ende zu bringen. Viele hintergrundtechnische Fragen bleiben zwar offen, aber die Idee hinter der Stadt und den Bewohnern ohne Gedächtnis ist auf der einen Seite genretechnisch nicht unbedingt originell, aber der anderen Zeit aus politischer Sicht leider zeitlos und immer noch brandaktuell. Es stellt sich für den Leser allerdings zynisch gesprochen die Frage, ob sich der ganze hier betriebene „Aufwand“ der Wächter/ Herrschenden wirklich lohnt.

Im Gegensatz zu anderen Büchern oder Sf TV Serien mit der Isolation der Protagonisten an einem unwirtlichen Ort werden Ziele verfolgt. Miriam ist im Gegensatz zu Namenlos für die Elite nicht nur eine Bedrohung, sondern aufgrund ihrer von Norbert stöbe aber auch teilweise eher pragmatisch als abschließend durchdacht präsentierten Fähigkeiten auch eine verführerische Chance. Natürlich bedroht „sie“ die herrschende Ordnung, aber jeder Kontrollverlust auf einer einzelne Individuen übersteigenden Ebene würde zum gleichen Ergebnis führen. Mit leicht für den Leser, aber nicht die Protagonisten erkennbaren drastischen Folgen.

Wie „Spielzeit“, aber weniger die lebendiger wirkenden und zeitkritischeren „New York ist himmlisch“ und „Der Weg nach unten“ wirkt „Namenlos“ überambitioniert und stellenweise fast belehrend erdrückend geschrieben. Den beiden in der ferneren Zukunft und auf fremden Welten spielenden Büchern fehlen die exzentrischen, aber für den Leser jederzeit auch erkennbaren Figuren aus den beiden anderen Frühwerken Norbert Stöbes. In dem schon angesprochenen Interview hat Norbert Stöbe ja bezüglich des Hintergrunds von „Der Weg nach unten“ von der in den achtziger Jahre noch allgegenwärtigen Hippiekultur, aber auch den echten Punks im Gegensatz zu den immer populärer werdenden Cyberpunk Imitationen gesprochen. Diesen realen, wenigstens realistischen Hintergrund hinsichtlich zumindest der menschlichen Figuren vermisst der Leser nicht nur in „Spielzeit“ , sondern vor allem in „Namenlos“. Es lässt sich trefflich streiten, ob ein Leser eine Figur sympathisch finden muss oder nicht, um ihrem literarischen Schicksal zu folgen. Für manche Leser ist das eine Notwendigkeit, eine Art Eintrittskarte in die fiktive Welt der Protagonisten; anderen Betrachtern ist es nüchtern gesprochen egal, sie legen mehr Wert auf eine konsequente und nachvollziehbare Handlungsentwicklung.

„Namenlos“ sitzt in dieser Hinsicht allein gelassen zwischen allen Stühlen. Eher wie ein Statement denn wie ein normaler Roman geschrieben; nur wenige gute, aber auch für die achtziger Jahre nicht unbedingt neue Ideen und bis auf Miriam vor allem eindimensionale Charaktere bewirken, dass „Namenlos“ unter den vier frühen Romanen Stöbes in der vorliegenden Fassung ohne Berücksichtigung weiterer Informationen in den angedachten, aber noch nicht unbedingt im Detail geplanten Fortsetzungen  das schwächste Buch ist. Das gilt leider für die Gegenwart, aber auch das Jahr 1989, in dem der Roman seine Erstveröffentlichung feierte.          

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag (1. Mai 1991)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 298 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453034821
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453034822
  • Stöbe, Norbert: Namenlos.