Daedalos 13

Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg (Hrsg.)

„Daedalos“ 13 geht auf eine Art Versprechen zurück. Im November 2018 veröffentlichte Michael Haitel zusammen mit Ellen Norton und Michael Siefener eine Art „Best of“ aus dem zwischen 1994 und 2002 mit dreizehn Ausgaben (12 reguläre Hefte und eine Nullnummer) Magazin „Daedalos“. Das Versprechen war, weitere neue „Daedalos“ Ausgaben zu produzieren. Hubert Katzmarz legte mit seinem Story Reader für Phantastik auf einige Einzigartigkeiten Wert. Kurzgeschichten und Leserbriefe, keine Artikel. Die Graphiken waren Nachdrucke alter Zeichnungen und Stiche, keine neu geschaffenen Illustrationen. Die ganze Bandbreite der Phantastik mit einem Schwerpunkt auf Horror/ Mystik konnte, musste aber nicht gebracht werden. Hubert Katzmarz legte auf eine hohe literarische Qualität wert.

 

Im Laufe der Jahre wurden die „Daedalos“ Ausgaben zu antiquarisch gesuchten Raritäten, so dass die Veröffentlichung einer bunten Auswahl von Kurzgeschichten aus jeder der veröffentlichten Hefte einen ersten Schritt ins Wasser nicht nur für eine neue Lesergeneration, sondern vor allem auch für die Fans der ursprünglichen Ausgaben darstellte.

 Die damaligen teilweise Mitherausgeber wie Ellen Norton, Michael Siefener und Andreas Fieberg haben zusammen mit Michael Haitel nicht nur die inhaltliche Tradition beibehalten, sondern auch das einzigartige Format, das den Nachdruck im Gegegensatz zum ursprünglichen Din A 5 Format auszeichnete.

 Was vielleicht jetzt nur noch fehlt, wäre eine Art Sammelband mit einem Nachdruck der Originalausgaben, damit das literarische Erbe „Daedalos“ nicht nur den kleinen Kreis der sie wahrscheinlich liebevoll bewahrenden Sammler und Literaten beschränkt bleibt. 

 Marco Frenschkowski eröffnet mit „Der Verrat“ di neue Ära des Magazins. Natürlich muss es in einem Story Reader für Phantastik um Bücher gehen. Der Charakter lebt inzwischen teilweise verarmt in einem geerbten Haus für sich alleine als Sammler und Leser. Die Außenwelt hat er vollkommen abgeschnitten. Als seine finanziellen Mittel nicht mehr reichen, die Sammlung zu erweitern, entdeckt er zwischen den ganzen Büchern ein seltsames Phänomen: Klassische wie auch Phantastische Werke, die es in dieser Form nicht gegeben hat, die es im Grunde auch nicht geben darf.

 Die Einführung des Plots ist stimmungsvoll, respektvoll. Marco Frenschkowski trifft den richtigen Ton, macht auch den Lesern diese imaginären Werke schmackhaft. Die irgendwie auch liebenswerte Exzentrik des Charakters steht im richtigen Kontrast zu seinem späteren „Freund“. Der weitere Handlungsverlauf ist zwar vorhersehbar, aber vor allem die Eröffnung des Plots inklusiv der stilistisch literarischen Qualität ist eine würdige Eröffnungsgeschichte.

 Besondere Literatur spielt auch Kai Fockes „Wie man einen Bestseller abstaubt“ eine Rolle. Die Verwendung des Wortes abstaubt ist wie zum Beispiel die Idee des Übertagen eine der markanten sprachlichen Wendungen, welche diese andere Art der Vampirgeschichte auszeichnet. Das Ende ist alleine an der Arroganz eines der beiden Protagonisten zu erkennen. Es wird auch konstruiert. Aber alleine die Szenen des Einbruchs, Murphys Law folgend sind lesenswert und erweitern das Genre um eine neue Facette.

 

Thomas Le Blanc kokettiert in seiner Miniatur „Frühstück mit Lernet“ mit den Wiener Phantasten. Er tritt anscheinend selbst auf. Nach Wien eingeladen soll er in weniger als drei Stunden einen Vortrag halten. Er hat sich nicht vorbereitet, nicht mal die Einladung richtig gelesen. Diese Schusseligkeit ist der Schlüssel für die Begegnung in einem Wiener Kaffeehaus. Während einige der Storys dieser Sammlung gegen Ende ein wenig zu vertraut, zu konstruiert erscheinen, muss der Leser bei Thomas Le Blanc diesen fast naiven Unglauben gleich zu Beginn akzeptieren, damit diese kleine Miniatur dann aber auch zufrieden stellend funktionieren kann.    

 

Monika Niehaus „Unterwassermusik“ zeigt ebenfalls die Stärken und teilweise auch Schwächen der für das „Daedalos“ Magazin im Allgemeinen und nicht nur den Nachdruck so markanten Geschichten. Die Protagonistin strandet mit einer Autopanne zwar nicht in der Einsamkeit, aber an einem abgeschieden gelegenen Ort. Sie macht mit dem Wirt einen Handel. Er kommt ihr mit den Kosten für die Übernachtungen entgegen, sie restauriert das alte Ausgangschild der Gaststätte. Der „historische“ Hintergrund nicht nur des Schildes ist das phantastische makabere Element der Geschichte, die Pointe aber wie bei Marco Frenschkowski nicht abschließend überraschend genug. Die stimmige Atmosphäre, die unverhoffte Begegnung mit dem Makaberen gleicht es teilweise aus. 

 

Auch Ellen Nortons „Rita“ ist ein Musterbeispiel des Grotesken, dessen Handlung hinter der morbiden, immer klaustrophobischer werdenden Atmosphäre zurücksteht. Die Protagonistin besucht ihre alte Schulterfreundin Rita in deren Elternhaus. Allerdings verläuft der Besuch vom ersten Moment an höflich gesprochen seltsam. Die Situation wird immer gefährlicher, Ritas Hintergrund offenbart sich immer mehr. Auch wenn die Leser der Protagonistin einen Schritt voraus sind, hat Ellen Norton den Plot so geschickt aufgebaut, das es kein natürliches Entkommen gibt. Diese Hilflosigkeit, Passivität unterstreicht die morbide Stimmung, welche das Haus durchzieht.

 

Alte Gebäude, alte Menschen, unheimliche Geschichten dominieren auch Peter Stohls „Die geheimen Worte“. Ein Mädchen wird mit seiner Mutter auf ein Schloss eingeladen, lebt dort später mit der Mutter und einem Lehrer zusammen. Immer mehr drängen sich die Schatten an sie. Ob es eingebildet ist oder nicht lässt der Autor offen. Manchmal wird man während der Lektüre an Shirley Jackson erinnert, aber gegen Ende fallen die einzelnen Stücke nicht ganz harmonisch zusammen. Das offene Ende lässt sich mit angedeutet in alle Richtungen interpretieren.  

 

„Bolfinger geht ans Licht“ von Oliver Henzler ist eine der wenigen Geschichten, die neben dem offenen Ende sich von Beginn an weigern, hinter die Kulissen zu schauen. Bolfinger wird freigesprochen. Anscheinend gibt es keine Beweise, das er seine Frau ermordet hat. Der Gefängnisaufenthalt wirkt wie eine Aneinanderreihung von Klischees, scheint aus einer anderen Zeit gefallen zu sein. Verhaftung und Urteil, das Handy und die 5 Euro sprechen dafür, das die Geschichte eben nah an der Gegenwart spielt. Am Ende könnte es eine Begegnung mit dem Übernatürlichen sein, das personifizierte schlechte Gewissen, das für eine Art von Gerechtigkeit sorgt. Gut geschrieben mit dem angesprochenen offenen, im Gegensatz zu vielen anderen Texten dieser Sammlung nicht so sklavisch im Vorwege erkennbaren Ende.

 

Maike Brauns „Das Meer der Verdammten“ nutzt als einzige Geschichten Science Fiction Elemente. Einen Spielkartengroßen Toröffner zu parallelen Welten. Ein seltsames „Trio“ mit einem Professor, seiner hinkenden Helferin und schließlich einem Fremden, der mit den theoretischen Plänen für das Durchschreiten der Tore vor der Tür steht. Das Meer der Verdammnis als eine Art Niemandslands zwischen den Welten und schließlich das Schließen des Kreises. Erzählt aus der Perspektive der jungen Helferin macht die Geschichte durch die Nutzung vertrauter Elemente auf eine neue Art und Weise sehr viel Spaß.

 

Zu den besten Texten gehört Silbe Urbanskis „Orphelia springt in den Baum“. Eine alte Frau ist zusammen mit ihrer Katze auf den Pflegedienst angewiesen. Als die bisherige Betreuerin in den langen Urlaub geht, gerät die Welt der Frau und ihrer sprechenden Katze aus den Fugen. Die Dialoge sind pointiert geschrieben, die Charaktere überzeugend gezeichnet und das leider fast alltägliche, realistische Ausgangsszenario mit dem symbolischen Sprung in den Bereich der Phantastik lässt den Leser nachdenklich zurück.

 

Zu den kürzeren Texten gehört Alexander Klymchucks „Teufelswerk“, basierend eher neben den Mundartpassagen auf Stimmungen, Erscheinungen als einer fortlaufenden Geschichte. Die verschiedenen „Ebenen“ laufen auch nicht konsequent zusammen, so dass ausreichend Fragen offen bleiben. Die Mundartpassagen lassen sich aber selbst für Norddeutsche gut, wenn auch am Besten laut lesen.   

 „Daedalos“  hat in seinen Ausgaben auch immer wieder einen alten Text ausgegraben. Das ist auch in der 14. Ausgabe (inklusiv der Nullnummer) der Fall. F.O. Tennebergs „Der Advokat“ ist eine bitterböse, aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Geschichte um einen Advokaten, der einen „Frauenmörder“ zur Verurteilung bringt. Seine eigene Karriere vorantreibend, aber nicht die Wahrheit suchend. Die Erklärungen zum Autoren und schließlich auch zu Original, das der Autor rücksichtslos kopierte, sind länger als die eigentliche Geschichte.

„Daedalos“ 13 ist ein würdiger Nachfolger des vor vielen Jahren eingestellten Magazins. Einen literarischen Eindruck konnten sich die Interessierten ja schon in dem vor wenigen Jahren veröffentlichten Sammelband machen. Diese Qualität wird als Meßlatte wieder erreicht, aber nur in wenigen Texten wie zum Beispiel Silke Urbanski perfekter Mischung aus Phantastik und Realität übertroffen. Es bleibt zu hoffen, das im jährlichen Rhythmus wie einmal angedacht weitere Ausgaben dieses damals wie heute ungewöhnlichen Magazins folgen werden. 

Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg (Hrsg.)
DAEDALOS 13
Der Story-Reader für Phantastik
p.machinery, Winnert, Mai 2022, 76 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 281 2 – EUR 13,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 820 3 – EUR 3,99 (DE)

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