Der 2014 veröffentlichte Roman „The Ghost in Love“ ist bis auf zwei Novellen für viele Jahre die letzte in Englisch veröffentlichte Arbeit Jonathan Carrolls gewesen. Sieben Jahre vorher erschien das Buch nur in Polen.
Erst in den letzten beiden Jahren sind zwei weitere Bücher veröffentlicht worden, die schon jeweils mehrere Jahre vorher nur in Polen publiziert worden sind. Der in Wien lebende Amerikaner ist in dem osteuropäischen Land sehr populär. Lange Zeit hat Franz Rottensteiner im Suhrkamp Verlag Arbeiten Jonathan Carrolls veröffentlicht. Eines seiner ersten und auch besten Bücher „Das Land des Lachens“ ist 2022 im Heyne Verlag neu aufgelegt worden.
„The Ghost in Love“ ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Viele der Protagonisten sind eine Variation des Hauptcharakters, aber auch mit vielen Menschen eng verbunden. Es ist nicht immer Liebe, manchmal auch Hass, aber Emotionen spielen in dieser Geschichte von Beginn an eine wichtige Rolle. Jonathan Carroll erwartet allerdings, das seine Leser mit ihm am Stoff arbeiten. Der Autor verzichtet auf eine chronologische Struktur, zwischen Zeiten und Orten hin und her. Manchmal verschiebt er geschickt die Perspektive und immer wieder steht ein Hund im Mittelpunkt. Wie es sich für das Werk des Wahlwieners gehört, kann irgendwann im Laufe der Handlung der Hund auch mit einigen Personen sprechen. Hunde sind bei Jonathan Carroll intelligenter, geduldiger und agierenden im Rahmen ihrer Instinkte sehr viel logischer. Der größte Alptraum eines Hundes ist neben Hunger bei Jonathan Carroll, als Mensch wiedergeboren zu werden.
Der Roman hat zwei Ausgangspunkte. Einen realen und einen phantastischen. Im realen Leben hat Ben Gould es verbockt. Seine liebenswerte perfekte Freundin German hat sich von ihm getrennt. Die Gründe bleiben vage, aber gegen Ende der Geschichte gibt sich Ben Gould alleine die Schuld. Zwischen den beiden Menschen steht ein Hund, den Ben Gould aus einem Tierheim geholt hat. Wie in der mehrfach angesprochenen Hitchcock Komödie „Mr. And Mrs. Smith“ aus dem Jahr 1941 teilen sich die Beiden den Hund. Wie ein Kind wird er zu abgesprochenen Zeiten abgeholt und zurückgebracht. Der Hund erträgt es eher stoisch.
Auf der phantastischen Ebene ist Ben Gould eigentlich tot. An dem Tag, als er den Hund aus dem Tierheim geholt hat, ist er auf der eisglatten Straße ausgerutscht, mit dem Kopf aufgeschlagen und gestorben. Bittere Ironie ist, dass seine frühere Freundin während einer Tour mit einem Roller ebenfalls gefallen, mit dem Kopf aufgeschlagen und wirklich – bis zum Einsetzen der Handlung – gestorben ist. Die Toten erhalten eine Art Überführungsgeist, welcher sie auf den ersten Tagen im Jenseits begleitet und ihnen alles erklärt. Aber Ben Gould stirbt nicht. Sein guter Geist ist vollkommen überfordert und sucht seinen Chef auf. Der kann diesen Strich in dem geordneten „Leben“ aller Menschen auch nicht erklären. Anscheinend gab es einen Computerfehler. Bis dieser behoben ist, soll der Schutzgeist Ben Gould begleiten und beginnt sich in dessen Ex- Freundin German zu verlieben.
Jonathan Carroll bedient sich insbesondere zu Beginn absichtlich einer Reihe von Klischees. Neben der überforderten höllischen Bürokratie – das Paradies wird an keiner Stelle erwähnt – mit einem Engel des Todes, der an eine erwachsene Inkarnation von Terry Pratchetts DEATH erinnert, überzeugt der Schutzgeist Ling. Es handelt sich um eine junge Frau. Ben Gould stehlt am Ende auch faszinierend fest, dass seine Freundin German möglicherweise auf eine lesbische Liebesbeziehung mit seinem Schutzgeist Ling zusteuert. Alle Ideen aus zahllosen Filmen wie „Heaven can wait“ werden von Jonathan Carroll bemüht und gleichzeitig geschickt wie modern extrapoliert. Der bisherige Äonenlange Ordnung ist gestört und es besteht das Risiko, dass die Menschen im Guten wie im Schlechten wieder Kontrolle über ihr Leben erlangen können. Eine Idee, die immer wieder angesprochen, aber von Jonathan Carroll zum Ende hin nicht abschließend extrapoliert wird.
Zwischen Ben Goulds Nichttod und dem cineastischen Finale spielt Jonathan Carroll vor allem mit seinen Protagonisten. Ben versucht sich zu orientieren und weiß nicht, wie er als Neugeborener weiterleben soll. Er ahnt, dass etwas schief gegangen ist, er weiß es aber nicht. Sein Schutzgeist Ling soll ihn nur begleiten, aber nicht anleiten. Sie ist allgegenwärtig und beginnt, nicht nur Gefühle für German zu empfinden, die sie immer wieder in Ben Goulds Nähe sieht, sondern auch Mitleid mit ihrem Schutzbefohlenen, welcher der perfekte Freund und Ehemann und Vater von unzähligen Kindern sein könnte, wenn es nicht – auch diese Idee baut Jonathan Carroll relativ spät ein – noch eine im Vergleich zu manchen Psychothrillern auch unschuldig dunkle Seite gäbe.
Das Spannungselement ist ein alter Bettler, der sich mit seinem Messer als Behüter der Ordnung sieht. In einer bizarren Szene erklärt er, dass er keiner der Bösen ist, nachdem er wenige Seiten vorher den Engel des Todes mit einem Messer verletzt hat. Er will nur die Strukturen wiederherstellen, welche dem Engel des Todes und Ling voller Verblüffung aus den Händen gleiten. Diese Prämisse fließt in das Finale ein, ist aber irrelevant, dass Jonathan Carroll das freie Bestimmungsrecht der Menschen – Computer Fehler sind manchmal auch gut – vor allem auf Ben Gould und seine German wieder reduziert. In Jonathan Carrolls Gesamtwerk keine neue Idee. Immer wieder entwickelt der Amerikaner emotional „große“ Szenarien, durch welche in erster Linie bis ausschließlich seine Hauptfiguren in Stellvertreterrolle schreiten müssen.
Im Mittelpunkt stehen Ben Gould und seine Ex- Freundin German. Der Anfang der Beziehung besteht aus vielen kleinen, liebevollen Gestern, die Jonathan Carroll zwar bis an den Randes Kitsches ausführlich beschreibt, deren Intimität und weniger Sexualität fast allen Lesern aus der einen oder anderen Beziehung vertraut sind. Interessant ist, dass der Roman mit den Nachwehen beginnt. Dem Moment, wo man dem Ex wieder begegnet und die vielen kleinen Dinge inzwischen ganz anders als in der Zweisamkeit gesehen werden. Anschließend arbeitet sich Jonathan Carroll nach vorne in die jenseitige Welt und damit eine gänzlich andere Perspektive voran, aber auch chronologisch in die Vergangenheit bis zu einem bizarren Punkt, an welchem der Autor das Geheimnis des Hundes lüftet und aus der Zweierbeziehung einen platonischen Vierer macht.
Jonathan Carroll liebt es, Geschichten mit Hunden zu schreiben. Schon in seinem ersten Buch “Land des Lachens” verfügte er über einen besten Freund des Menschen, zeitweilig der einzige Bezugspunkt des Protagonisten. Bücher wie “Outside des Dog Museums” und “Teaching the Dog to Read” haben nicht nur im Titel einen Hund. In “The Ghost in Love” ist der Hund aber mehr als nur ein Charakter, aus dessen Perspektive wichtige Abschnitte der Handlung erzählt werden. Es ist ein putziger, aber auch altersweiser Charakter, der plötzlich zusätzlich sprechen und vor allem Geister sehen/ riechen kann. Aber diese Ideen wirken auch befremdlich. Sie lenken von der eigentlichen Geschichte ab, haben abschließend inhaltlich nur bedingt einen zusätzlichen Wert für den Leser und unterstreichen, das Jonathan Carroll ohne Frage eine Idee zu “A Ghost in Love” gehabt hat, die für eine Novelle ausreichend, aber für einen Roman zu kurz ist.
Am Ende stellt der Autor in einer Abfolge surrealistischer Szenen die richtigen Fragen, will sie aber nicht beantworten. Das funktioniert in einigen seiner Geschichten deutlich besser als in einer Story, in welcher sich durch einen Computerfehler die Menschheit per se und Ben Gould als Individuum aus dem großen goldenen Buch der Vorsehung frei schwimmt und beginnt, eigene Entscheidungen für das eigene Leben hinter der roten “Todeslinie” zu treffen. Ben Gould trifft am Ende auf zahllose Menschen, die alle wie er riechen, aber sehr unterschiedlich aussehen. Es handelt sich um Facetten oder Splitter der eigenen Persönlichkeit aus unterschiedlichen Abschnitten seines bisherigen Lebens. Sie zeigen ihm Triumphe und Tragödien auf, seine charakterlichen Stärken, aber auch seine Schwächen. Keine neue literarische Idee, aber von Jonathan Carroll mit einer verblüffenden und intensiven Ernsthaftigkeit umgesetzt, dass dem Leser das Original Ben schon leid tun kann. Am Ende wickelt der Autor dann das von ihm entwickelte Szenario relativ schnell und erstaunlich pragmatisch ab. German sorgt mit ihrer finalen liebevollen Geste noch für einen kurzen Lacher beim Lesen und dann ist - erstaunlich für Jonathan Carroll - die Welt nicht nur wieder in Ordnung, die Menschen sind ein wenig innerlich freier. Auch wenn sie den Grund nicht kennen.
“The Ghost in Love” ist eine solide, romantisch verklärte Lektüre auf dem Niveau, das Autoren wie Robert Nathan über Jahre präsentiert haben. Eine in der Realität verankerte zwischenmenschliche Beziehung, dazu eher unbestimmte phantastische Elemente und am Ende siegt entweder die Liebe oder die Figuren blasen Trübsal hinsichtlich der verpassten Chancen. Die Charaktere sind lebendig, dreidimensional beschrieben, der Hund der heimliche Protagonist. Die Handlung ist anfänglich eindringlich, im mittleren Abschnitt komplex bis zu kompliziert, am Ende zu hektisch abgeschlossen. Wer sich intensiver mit Jonathan Carroll beschäftigen möchte, macht mit “Das Land des Lachens” nichts falsch. Carrolls beste Arbeiten, vor allem in seiner Wahlheimat Wien spielend, erschienen gleich zu Beginn seiner literarischen Karriere, während er in den letzten Romanen manchmal zu sehr und zu krampfhaft die eigenen Stärken sucht anstatt sich auf seine Instinkte zu verlassen.
- Herausgeber : Tor Books; Reprint Edition (29. September 2009)
- Sprache : Englisch
- Taschenbuch : 320 Seiten
- ISBN-10 : 0765323052
- ISBN-13 : 978-0765323057