Galaxias

Stephen Baxter

„Galaxias“ ist Stephen Baxters neuester Roman. In den letzten Jahren hat sich der Brite an verschiedenen ökologischen Szenarien versucht. Auch wenn die Katastrophe dieses Mal von Außerirdischen eingeleitet worden ist, steht das  Überleben der Menschheit angesichts gravierender, auch klimatischer Veränderungen auf Messers Schneide.

 In den letzten Jahren überzeugten nur wenige Romane aus Stephen Baxters Feder. Vor allem handelt es sich bei dem Briten um einen intellektuell wie wissenschaftlich gebildeten Ideenautoren, der seine Leser nicht selten überfordert. Die Abwicklung der Plots erfolgt nicht unbedingt nach dem gleichen Muster, aber Stephen Baxter hat sein Gefühl für das richtige Timing verloren. Die Eröffnung ist ein Paukenschlag, der anschließend wie eine Obduktion wissenschaftlich seziert und zerredet wird. Auf dem Weg zum Finale zieht Stephen Baxter dann in der Theorie gerne das Tempo an, um vor dem großen Knall kein Feuerwerk, sondern eher eine Tischfontäne zu zünden.  Das offene Ende inbegriffen. Bei einigen seiner Bücher schiebt der Brite anschließend eine Fortsetzung bzw. Fortführung der Geschichte nach, während andere Romane mit dem buchstäblich nichtssagenden Ende zurückgeblieben worden sind. Auch „Galaxias“ reiht sich in diese Phalanx von ambivalenten Romanen ein, in denen Ideen auf eine erstaunlich oberflächliche, pragmatische Ausführung treffen. Am meisten frustriert Stephen Baxter, wenn er wie im vorliegenden Roman den literarischen Weihnachtsmann spielt und den Leser auf den herrlich geschmückten Baum schauen lässt. Dieser besteht aus einer Reihe von wirklich originellen und neu in die Handlung eingeführten Ideen. Kaum will man sich näher mit diesen Ideen bzw. Geschenken im übertragenen Sinne beschäftigen, wird die Tür auch wieder zugeschlagen und die Geschichte ist zumindest für Stephen Baxter zu Ende.

Die Geschichte weist mit einer leicht veränderten Grundprämisse einige Ähnlichkeiten zu Neal Stephensons „Amalthea“ auf. Während Neal Stephenson immer wieder Science Fiction Ideen vor einem eher barocken Hintergrund ausprobiert und neue Wege teilweise mit Gewalt sucht, ist es erstaunlich, dass Stephen Baxter in die gleichen Handlungsmuster zurückfällt. In beiden Romanen hat sich  die Menschheit aus dem gegenwärtigen ökologischen Katastrophenloch ein wenig herausgearbeitet. Die Ärmel wurden hochgekrempelt, aber der ganze Weg ist noch nicht geschafft.

In Neal Stephensons Roman explodiert der Mond ohne weitergehende Erklärungen. Bei Stephen Baxter ist die Sonne nach einer geplanten und von der halben Welt verfolgten Sonnenfinsternis verschwunden. Sie taucht einfach nicht wieder auf.

Beide Romane setzen sich  in drei langen Abschnitten mit der Katastrophe auseinander. Die Tage danach, anschließend die nächsten Jahre und schließlich bei Stephen Baxter galaktische Jahre später im Epilog. Arthur C. Clarke hat gerne diese Art von Epilogen geschrieben. Ein typisches Beispiel ist „Fahrstuhl zu den Sternen“, der mit dem Tod des Ingenieurs endet und im Epilog eine Welt voller Fahrstühle zu den Sternen präsentiert. In „Imperial Earth“ wird Arthur C. Clarke diese Idee noch weiter extrapolieren.  Neal Stephenson denkt zwar gegen Ende seines Buches auch eher in Jahrhunderten, blickt aber nicht so weit in die Zukunft.

Wissenschaftlich stellt sich allerdings die Frage, ob die Explosion des Mondes weniger starke Folgen hat als das Verschwinden der Sonne. Beide Autoren gehen mit wissenschaftlicher Akribie die entsprechenden Themen an. Neben der Untersuchung des letztendlich nicht geklärten Phänomens kümmern sie sich um ein praktikables Überleben der Menschheit.

Der größte Unterschied ist, dass der Intellektuelle Neal Stephenson eine teilweise Action Geschichte geschrieben hat, in welcher eine gemischte Gruppe von Menschen – Astronauten, Regierungsangestellte, der obligatorische megareiche Unternehmer amerikanischer Colour oder der Muskelmensch – im Gruppe einen übermenschlichen Job macht, um  einen verschwindend kleinen Teil der Menschen zu retten.

Bei Stephen Baxter verlassen die eher eindimensional gezeichneten Protagonisten nur selten ihre Meetings. Natürlich wäre es interessant, den verschiedenen Theorien zu folgen. Aber Robert Charles Wilson hat in seiner „Spin“ Trilogie gezeigt, wie so etwas geht. In seinem Auftakt Roman verschwanden von einem Moment zum Nächsten die Sterne. Als Katastrophenausgangsbasis schwer vergleichbar mit der Explosion des Mondes oder dem „Erlöschen“ der Sonne, aber hinsichtlich der Struktur der Geschichte hat Robert Charles Wilson eindrucksvoll gezeigt, wie man eine solche Geschichte erzählt. Aus der Perspektive der nicht nur direkt betroffenen Menschen, sondern der Menschen, die überfordert sind und sich trotz ihrer Ängste und Befürchtungen dem „Phänomen“ stellen. Bei Robert Charles Wilson ist die Reihe durch die erste Hälfte von „Spin“ eine wunderbar emotionale Geschichte mit dem notwendigen Sense of Wonder, aber auch einer Zurückhaltung des Autoren hinsichtlich einer nicht notwendigen Informationsflut. Das Ende des Buches ist vielleicht im direkten Vergleich zu Neal Stephenson und Stephen Baxter ein wenig enttäuschend, aber als Geschichte trotzdem ansprechend und beeindruckend.

Stephen Baxter bringt seine Pferdestärken dieses Mal buchstäblich nicht auf die imaginäre Straße.  Die Behörden sind nicht nur überfordert, Stephen Baxter traut ihnen keine  vernünftigen Entschlüsse zu. Die Wissenschaftler rennen sich in verschiedenen Theorien fest, deren  Grundprämissen dem Leser sehr umständlich erläutert werden müssen. Entweder hält Stephen Baxter seine Leser für zu dumm, den wissenschaftlichen Hintergrund zu verstehen oder seine Protagonisten leben zu sehr in ihren eigenen Elfenbeintürmen, um pragmatisch zu handeln und anschließend zu denken. Die größte Gefahr der Auskühlung der Erde und damit einer neuen Eiszeit – höflich gesprochen – wird eher als mittelbare Gefahr angesehen und nicht als unmittelbar bevorstehend. Es ist erstaunlich, wie lange die Wissenschaftler brauchen, um sich in dem neuen dunklen Keller namens Erde zurechtzufinden.  Da bekommt Treibhaus Atmosphäre eine gänzlich andere Bedeutung.

Eine weitere Bedrohung wird gar nicht in Betracht gezogen. Wenn die Sonne wirklich verschwunden oder gestohlen ist, würde die Erde wie alle anderen Planeten inklusive ihres Asteroidengürtels aus den Bahnen ausbrechen und durch das nicht mehr so genannte Sonnensystem taumeln. Neben der Abkühlung durch das fehlende Sonnenlicht wäre eine Kollision unter anderem mit dem Mond – siehe Neal Stephenson – als nächster Himmelskörper durchaus wahrscheinlich. Aber diese Idee schleicht sich auch nur bedingt in die Handlung ein. Es ist erstaunlich, dass ein Wissenschaftler wie Stephen Baxter lange Zeit diese Möglichkeiten ignoriert hat. Es gibt allerdings eine Erklärung, mit welcher die Ignoranz dieser Möglichkeiten erklärbar wäre.  Die Sonne ist nicht weg, sie ist nur von einer außerirdischen Macht mit einem gigantischen schwarzen wie feuerfesten Tuch überdeckt und eingepackt worden. Dann leuchtet die magische Glühbirne inzwischen in ihrem eigenen Universum.

 Politiker argumentieren, Wissenschaftler spekulieren und schließlich ist es eine einzige Theorie, die zielführend ist. In dem Doppelroman „Flood“ hat Stephen Baxter bewiesen, dass er gut mit Katastrophenszenarien und den entsprechenden Folgen umgehen kann. Aber der stetig ansteigende Wasserspiegel braucht Zeit, bis fast alle Lebensräume der Menschheit buchstäblich unter Wasser stehen. Woher das ganze Wasser kommt, hinterfragte Stephen Baxter in den kurzweilig zu lesenden Büchern zu wenig. „Galaxias“ nutzt eine wirklich interessante, provokative und kosmopolitische Idee, um sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Debattierclub Erde zu reduzieren.  Stephen Baxter ist zwar in der Lage, auch gute Dialoge zu schreiben, aber ihm fehlt die pointierte Schärfe und vor allem der schon angesprochene Wille, auf die nicht mal tiefe Ebene seiner Leser hinuntersteigen, um seine neueren Romane lesbarer, zugänglicher und damit auch spannender zu machen. Es ist sicherlich ein Unterschied, ob „Galaxias“ der erste oder der zwanzigste Stephen Baxter Roman ist, der gelesen wird. Aber „Galaxias“ verschenkt so viel vorhandenes Potential, das ein Leser Stephen Baxter in der heutigen Form nur bedauern kann. Andere Autoren wie Robert Charles Wilson  oder Neal Stephenson haben ihm hinsichtlich großer Ideen den Rang abgelaufen und zeigen auf, wie Wissenschaft, seltene Phänomene und dreidimensionale Charaktere auf eine intellektuelle, aber nicht abgehobene Art und Weise miteinander verbunden werden können. Stephen Baxter hat bei „Galaxias“ den Schlüssel nicht in sein Gedankenschloss bekommen und distanziert Leser, als dass sie an einer im Grunde für die Menschheit ausweglosen wie unerklärlichen Situation teilhaben dürfen. Und das ist bei einem Autoren wie Stephen Baxter inzwischen sehr schade.



Galaxias: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (18. Januar 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 656 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453322487
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453322486
  • Originaltitel ‏ : ‎ Galaxias