Bis knapp über die Hälfte des Romans „Stumme Zeugin“ hat Peter Mennigen einen der besten „Cotton Reloaded“ Stoffe nicht nur aus seiner Feder, sondern der ganzen Serie abgeliefert. Der Handlungsrahmen ist kompakt und spielt an Sylvester. Die Deadline ist eng und vor allem ist der Fall nicht richtig lösbar, weil Cotton Täter und Opfer zu gleich sein könnte. Auffallend ist, dass sich durch den ganzen Roman ziehend Peter Mennigen sehr viel Mühe gegeben hat, Decker nicht nur ein Privatleben – sie will mit ihrem neuen Freund Sylvester in einem abgeschiedenen Hotel verbringen – gegeben hat, sondern das die Dialoge doppeldeutig, pointiert und vor allem spitzfindig sind. Das Decker zumindest in der ersten Hälfte der Ermittlungen nicht nur viel Vertrauen in Cottons investieren muss, sondern vor allem auch aktiv in die Ermittlungen auch gegen alle Richtlinien und Anweisungen eingeschaltet wird, ist positiv und hebt den Roman aus den nicht seltenen zu schematischen Strukturen heraus.
Wie eingangs erwähnt ist Peter Mennigens Eröffnung ausgesprochen gut. Philippa Decker wird von der normalen Polizei in das Fairmount Hotel gerufen. Ein Pärchen mit dem Decknamen Smith ist ermordet worden. Die Tote hat Cottons Namen mit ihrem Blut auf den Boden geschrieben. Cottons Dienstwaffe ist anscheinend benutzt werden. Bevor sie den Fall ihren Vorgesetzten mitteilen kann, ruft sie ein verzweifelter Cotton an. Er ist anscheinend sturz betrunken ohne Waffe und Dienstmarke in einer Gosse aufgewacht und kann sich nicht mehr an die letzten Stunden erinnern. Decker bringt Cotton ins Hauptquartier. Dort ist inzwischen bekannt geworden, dass es sich bei der Toten um die Kronzeugin in einem Prozess gegen einen global agierenden Waffenschieber handelt, der Tote ist ein FBI Agent. Cotton hatte den Waffenhändler erst vor wenigen Wochen aufgrund dieser Aussagen verhaften können. Wenn die entsprechenden Beweise nicht vor Gericht zugelassen werden, wird er noch am Silvesterabend gegen 22.00 Uhr entlassen.
Cotton hat bei seinen Ermittlungen ein doppeltes Problem. Zum einen muss er seine eigene Unschuld gegen die Vorgesetzten beweisen und zum anderen versuchen, neues belastendes Material gegen den Waffenschieber zu finden. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt noch an einer anderen Front. Decker möchte gerne mit ihrem neuen Freund pünktlich in den Silvesterurlaub starten.
Die Grundidee den Roman am letzten Tag des Jahres spielen zu lassen hat auf der einen Seite einen gewissen Reiz. Das Tempo kann rasant hoch gehalten werden und Deckers Verzweiflung hinsichtlich ihres sich in Luft auflösenden Privatlebens wirkt nicht unbedingt übertrieben. Das schwierige Wetter in New York mit den Schneebedeckten Straßen ist während des Showdowns effektiv eingesetzt. Selbst Mr. High scheint aufgrund des Jahreswechsels gegen jegliche Fakten zu entscheiden und suspendiert Cotton nur. Auch nachdem er anscheinend die Familie den für den Falls zuständigen Staatsanwalts ebenfalls während seines Rausches ermordet haben könnte. Als potentieller sechsfacher „Mörder“ hätte man ihn festnehmen müssen. Es ist aber nicht die einzige Ungereimtheit des Falls. So wird Cotton eine moderne Droge heimlich eingeflößt, die den Alkoholspiegel im Blut auf 3 Promille steigert und ihn quasi willenlos macht. Diese Droge ist schwer nachzuweisen. Gelingt aber ohne Probleme. Selbst das Gegenmittel ist der Spezialeinheit Mr. Highs nicht fremd, auch wenn es abseits der verschreibungspflichtigen Wege verabreicht wird. Mittels der Technik kann während des Showdowns ein Zielobjekt sofort gefunden werden. Es scheint fragwürdig, dass ein internationaler Waffenschieber und vor allem seine Helferin auf diese Idee nicht gekommen sind. Ihre Vorgehensweise war auf der einen Seite bisher ohne Frage provokant, da man sich auch an möglichst vielen Beteiligten direkt durch Hinrichtung und indirekt durch Denunzierung rächen wollte; auf der anderen Seite über weite intelligent entwickelt und rasant umgesetzt.
Zu den Schwächen gehört, dass Peter Mennigen dem Leser klar zu machen sucht, dass eine professionelle Killerin und Soldatin einen derartigen Fehler machen kann, der nicht nur offene Flanken reißt, sondern Cotton und Decker es ermöglicht, nicht nur aufgrund seiner Tierliebe selbst zu Kampfhunden tatsächlich einen neuen Zeugen innerhalb von wenigen Minuten nach Auffinden der potentiellen Beweise zu finden, sondern gleichzeitig auch ein UBS Stick mit vielen Daten übergeben werden kann. Ein professioneller Killer hätte sich vor allem aufgrund der Konstruktion des Plots nicht diese Blöße gegeben und alle potentiellen Spuren im privaten Umfeld beseitigt. Dass der Plan absolut und angesichts der Überwachungen ohne Probleme oder Widersprüche hätte funktionieren können, wäre vermessen gewesen. Selbst diese Arroganz unterstellt wäre es sinnvoll gewesen, mit der Abreise noch eine weitere Front zu schließen, um sich zwar im sicheren Ausland befindend nicht der Gefahr auszusetzen, dass amerikanische Spezialtruppen aufgrund der dann ohne Frage gelieferten Informationen das Problem auf die einfache Art und Weise beseitigt hätte. Es ist das große Manko des vorliegenden Romans, den Peter Mennigen mit einer wilden Verfolgungsjagd über die verschneiten Straßen New Yorks, deren Dauer im Roman länger ist als das Auflösen des verschlungenen Verschwörungsplots, auszugleichen sucht. So hinterlässt „Stumme Zeugin“ – der Titel ist auch irreführend und ein wenig schief gewählt - leider einen ambivalenten Eindruck. Ein starker Anfang mit vielen positiven Szenen, ein solider rasanter Mittelteil mit einigen Ecken und Kanten sowie ein schwaches Ende, das vielleicht auch unter den vorbestimmten Seitenzahlen leidet. Peter Mennigen hätte die Spannungskurve weiter ziehen müssen und vielleicht die Lösung/ den Knoten des Falls besser verstecken, so dass die Verbindung eher durch einen Zufall als schlichtes Vergessen ans Licht kommt. Herausragt aber das gut beschriebene, natürlich rein berufliche zwischenmenschliche Verhältnis zwischen der immer wieder auch Cotton verbal provozierenden Decker, die doch mütterliche Gefühle für den im tiefsten Schlamassel steckenden, sie immer wieder vor Vorgesetzten in Schutz nehmenden Cotton entwickelt. In dieser Hinsicht ohne Frage einer der besten Romane des Remakes.
- Format: Kindle Edition
- Dateigröße: 2120 KB
- Seitenzahl der Print-Ausgabe: 105 Seiten
- Verlag: Bastei Entertainment (27. November 2014)
- Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
- Sprache: Deutsch
- ASIN: B00PUGZB30