Das Schiff

Andreas Brandhorst

Mit „Das Schiff“ hat Andreas Brandhorst zumindest kurzzeitig den Verlag gewechselt. Der umfangreiche Roman erscheint in der neuen Science Fiction Reihe des Piper Verlags.  Zum ersten Mal seit vielen Jahren erscheinen zwei serienunabhängige Science Fiction Roman des Autoren in einem Jahr. Wie in vielen anderen seiner Bücher siedelt Andreas Brandhorst mit einem melancholischen Unterton die Geschichte in einer fernen Zukunft an, dessen Wurzeln allerdings bis in die Gegenwart reichen. Wie Iain Banks greift der inzwischen wieder in Norddeutschland lebende Brandhorst auch gerne auf Figuren zurück, die aufgrund Langlebigkeit, Operationen oder anderen Manipulation deutlich älter sind als es der Durchschnittsmensch werden kann. Diese Altersweisheit wird meistens in Kombination mit einer Mission präsentiert, deren Ergebnisse das bisherige intellektuelle Universum erschüttern, weil entweder über Jahrtausende Fakten absichtlich unterdrückt worden sind oder die einzelnen Zusammenhänge den Menschen erst jetzt klar werden.

Nicht immer sucht sich Andreas Brandhorst wirklich originelle Entwicklungen für seine Hintergründe aus. Die Menschheit wird von den intelligenten Maschinen des Clusters beherrscht, einem zentralisierten Maschinenbewusstsein, das in den ersten Generationen seiner Entwicklung auf unterschiedliche Art und Weise seine Schöpfer getötet und die Überlebenden Menschen sterilisiert hat, um keinerlei Beschränkungen vom Menschen auferlegt zu bekommen. Diese alte Idee, welche die „Terminator“ Streifen auch schon in verschiedenen Variationen durchgespielt haben, dient eher als Hintergrund, um die handelnden Personen zu etablieren. Quasi als Gegenleistung haben die Maschinen die Menschen relativ unsterblich gemacht.  Die Behandlung schlägt nicht bei jedem an. Diese Sterblichen werden dann auf einen anderen Planeten transportiert, ihre Bewusstsein in einen Maschinenkörper übertragen und als Mindtalker dienen sie den Maschinen bei der Expansion sowie der Suche nach den Hinterlassenschaften einer vor Jahrtausenden untergegangenen Hochkultur. Auch wenn diese Prämissen alle zusammen faszinierend und exotisch sind, Andreas Brandhorst bemüht sich zu sehr, zu überambitioniert, einen Hintergrund für seine Geschichte mit zu vielen Details zu entwickeln. So bleibt offen, warum die Sterblichen den Transfer besser überstehen als die potentiell Unsterblichen, die zum Beispiel bei einem schweren Unfall oder einer Erkrankung ja in den Maschinenkörpern auch eine Art Unsterblichkeit finden könnten. Ebenso bleibt offen, warum die Maschinenintelligenz auf der einen Seite den Muriah nachstrebt, während auf der anderen Seite alleine die Idee einer untergegangenen Zivilisation mit gefährlicher Technik wie bei der ersten, viel zu schnell abgeschlossenen Mission für eine Grundspannung ausreichen könnte. Auf diesem schmalen Grat ist auch lange Zeit Jack McDevitt mit seinen beiden Romanreihen gegangen, bevor bei ihm stellenweise auch das Gerüst den Handlungsbogen zu erdrücken begann.  

Mit dem alten Mindtalker Adam, der sich mehr und mehr mit seinem Tod auseinandersetzen muss, betreut von einem Maschinenavatar Bartholomäus hat Andreas Brandhorst einen zumindest anfänglich vielschichtigen Charakter erschaffen. Zu Beginn wird er nicht nur mit einer Erinnerung an den einzigen Menschen, den er mal geliebt hat, an den Rand des Universums geschickt, weil man dort die Reste eines Raumschiffes der Muriah anscheinend aufgespürt hat. Kaum beginnt man das Sonnensystem zu untersuchen, taucht ein fremdes Raumschiff auf und die Artefakte der Muriah werden von den eigenen Maschinenintelligenzen zerstört, um sie nicht in fremde Hände fallen zu lassen. Alleine diese Prämisse hätte ausgereicht, um eine geradlinige, aber auch spannende Geschichte zu erzählen. Die Episode wird rückblickend zu abrupt beendet. Natürlich ist es interessant, wenn möglichst viele Fragen offen bleiben, aber der Autor sollte diese roten Fäden dann auch später wieder aufnehmen. Begleitet wird diese These durch das Auftreten der zweiten weiblichen Figur des Romans. Evelyn gehört zu den relativ Unsterblichen und ist damit zumindest in der Theorie Mitglied einer höheren Kaste als Adam. Sie steht – wie Adam teilweise auch – der Herrschaft der Maschinen skeptisch gegenüber und fürchtet, dass der Cluster seine eigentlichen Motive noch nicht offenbart hat. Auch das ist keine neue Idee in Andreas Brandhorsts Romanen. Das Hinterfragen der Strukturen durch ein oder zwei Individuen und daraus resultierend revolutionäre Folgen ist wie die klassische Quest eine der Strukturen, auf die der Autor sehr gerne zurückgreift.  Stellenweise oberflächlich behandelt der Autor die Kontraste zwischen seinen beiden wichtigen Hauptfiguren. Adam ist zwar körperlich durch seine künstliche Hülle aktiv geblieben, sein Geist ist aber gealtert. Evelyn dagegen als Unsterbliche hat eine gänzlich andere Perspektive und ist vor allem auch körperlich noch jung. Anstatt diese Unterschiede zu einer gemeinsamen Basis zusammenzufügen, überspringt Andreas Brandhorst diese potentiellen Konfliktherde und agiert zu schnell mit dem Blick aufs Ganze. Das baut er weitere handlungstechnische Spannungsbögen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven ein und bläht den vor allem auf den ersten Seiten stringenten, aber stimmungsvollen Handlungsverlauf zu sehr auf.           

Hinzu kommt, dass Andreas Brandhorst erstaunlich lange braucht, um nach einem wie angesprochen guten und vor allem für den Leser auch griffigen, aber nicht unbedingt originellen Auftakt wieder Tempo aufzunehmen.  Zu technisch distanziert ist seine Zukunftswelt und nicht jede vordergründige Innovation muss umständlich erläutert werden. Im Vergleich zu seinen früheren Romanen, in denen der Autor vor allem exotische Welten aus dem Nichts heraus dreidimensional und glaubhaft erschaffen konnte, fällt es ihm deutlich schwere, eine überzeugende Zukunftswelt ohne sich erschöpfende Erläuterungen zu entwickeln. Immer wieder reißt er förmlich seine Leser aus dem an diesen Stellen wenig temporeichen Handlungsbogen und verstrickt sich in Erläuterungen. Auf der anderen Seite macht Andreas Brandhorst aber nicht den Fehler, den eher auf Action basierenden Vorlagen zu folgen und seine beiden Protagonisten als Anführer einer neuen Bewegung zu etablieren. Adam lebt geistig mehr in der Vergangenheit. Er ist zwar ein williges Werkzeug der Maschinen, aber intellektuell hat er sich fast gänzlich vor ihnen verschlossen und träumt von seiner ersten wahren Liebe, der er indirekt nur während eines Auftrags zu Beginn begegnen darf. Evelyn dagegen ist eher die Barrikadenstürmerin, die mit der Unsterblichkeit zwar die Vorteile annimmt, aber ansonsten den ambivalenten Maschinen gegenüber skeptisch ist. Zwar nutzt Andreas Brandhorst diese Idee, um über die im Grunde kaum vorhandene Zukunft zu philosophieren und ein wenig belehrend zu argumentieren, aber selbst wenn die Herrschaft der Maschinen nicht mehr den Grundsätzen der Menschheit und den Idealen der Menschlichkeit entspricht, dann fragt man sich im Groben, wann die Menschheit selbst an diese Ideale herangereicht hat. Mehr und mehr rückt Andreas Brandhorst allerdings positiv, aber schwerfällig von den aus anderen Arbeiten nicht nur aus seiner Feder bekannten Handlungsmustern ab. Ironisch bis teilweise an eine Hommage n Banks einzigartige „Culture“ Romane erinnernd streift Andreas Brandhorst nicht immer wirklich in die Tiefe gehend wichtige, grundsätzlich menschliche Themen, so dass er den immer phlegmatischer werdenden Überbau vor allem in der zweiten Hälfte des Romans durch diese intellektuellen Diskussionen noch ausgleichen kann. „Das Schiff“ ist ein zufriedenstellender Roman, der vor allem die große Fangemeinde des Norddeutschen ohne Frage befriedigen wird. Manchmal wünscht man sich einen einfacheren Zugang zu seinem Werk. Keine Simplifikation der Ideen, sondern eine stringentere Ausführung, einen dynamischen Handlungsbogen und nicht den Versuch, einige inhaltliche Klippen eher mit Ballast als fundierten Fakten zu überdecken. Auf der anderen Seite verfügt Andreas Brandhorst seit vielen Jahren über einen angenehm lesbaren, inzwischen emotional auch vielschichtigen Stil, so dass der Leser eine angenehme Zeit mit ihm verbringt.     

Piper Verlag

544 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-492-70358-1