Das Haus

Das Haus, Wilko Müller jr, Rezension, Thomas Harbach
Wilko Müller jr.

„Das Haus“ ist nur der erste Teil eines Doppelbandes, den Wilko Müller mit „ Mission Nirwana“ eher auf klassische Science Fiction Motive setzend fortgesetzt hat. Das Ende des vorliegenden ersten Teils ist entsprechend abrupt und wenig befriedigend. Interessant ist eher  der lange Weg, den der Autor nicht nur in einer stringenten Erzählmanier geht, sondern das er seine Geschichte vor allem zwischen Legenden und Mythen, aber auch modernen fiktiven Ideen platziert. So wirkt der Kontext deutlich realistischer. Immer wieder gibt es hinsichtlich des einfach zu pragmatisch charakterisierten Inspektor Xaviers Anspielungen auf die „Akte X“, die überirdischen Phänomene und die Isolation des Protagonisten.  

Ausgangspunkt ist das spurlose Verschwinden von Menschen. Inspektor Xavier  erhält den Auftrag, diesen  Spuren zu folgen. Es gibt keine Zusammenhänge, kaum Hinweise auf Verbrechen oder gar Abschiedsbriefe. Im Verlaufe der Handlung wird noch die Idee eingeflochten, dass vielleicht ein Vampir zumindest aus Versehen ein Opfer auf dem Gewissen haben könnte.  In einem Zusammenhang mit den handelnden Personen ein Faktor, der für Unsicherheit sorgt. Aber die Kriminalhandlung dient eher als begleitendes für den Leser deutlich zugänglicheres Element.

Vor allem steht das Verhältnis zwischen Robert Frankenheim – natürlich gibt es Anspielungen auf den berühmten Namensvetter und vielleicht wäre es hinsichtlich der Idee einer Kombination aus Vampir mit dem Adelstitel Graf und einem Frankenstein reizvoll gewesen, die Namensähnlichkeit bis zum konsequenten Ende auszuspielen – und dem allgegenwärtigen und doch unscheinbaren Haus im Mittelpunkt herzustellen. Durch einen Zufall hat Frankenheim von einem seltsamen Haus gehört.  Er macht sich auf die Suche, wobei rückblickend der Leser den Eindruck hat, als wenn diese Anziehung auf Gegenseitigkeit basiert. Denn Frankenheim ist für das Haus wichtiger als anders herum.  Frankenheim ist ein einsamer Mensch. Ein Beamter, dessen einzige Ausflucht das Lesen von Science Fiction und anderer phantastischer Literatur zu sein scheint. Das ermöglicht es ihm, auf einige der Situationen besser reagieren zu können. Auf der anderen Seite vermisst der Leser am mehr Anspielungen auf bekannte Werke. Mehrfach wird auf Ideen wie in „Matrix“ hingewiesen. Für die „Terminator“ Streifen gibt es keinen kleinen Seitenhieb und die Idee von nicht mehr parallelen Zeitabläufen innerhalb und außerhalb des Hauses wird zumindest gestreift.  Aus anderen Pulpgeschichten könnte bekannt sein, dass „man“ eine kleine Armee – mit fünf Leuten ein Kommandounternehmen – schließlich auf eine Mission ausschickt. Die Bewohner des Hauses sind seltsam bis verstörend interessant. Frankenheim lernt stellvertretend für den Leser mehr und mehr Gesetze kennen. Da wäre der Unhold als Türsteher, der am Ende vielleicht in einer überdrehten Szene eher wie eine Karikatur aus einer Space Opera daherkommt, der als Türsteher über die Menschen/ Wesen wacht, die Einlass begehren. Die eigentlichen Einwohner sind quasi in dem Haus „gefangen“, weil sie einmal um Einlass gebeten haben. Gegen Ende weicht Wilko Müller diese interessante Prämisse zu Gunsten des Protagonisten und leider zu Lasten der Glaubwürdigkeit ein wenig auf.    Seine potentielle neue Freundin ist eine Hexe und der offensichtliche Verbündete neben dem Inspektor, der bei den Russen geschenktes Gold aus einer anderen Welt verkauft, ist ein Vampir.  Alleine die Konstellation zwischen einem analytisch denkenden, aber der Phantasie der Literatur verhafteten Protagonisten und einer attraktiven, zeitlosen Hexe sowie dem Vampir öffnet die Tür, um in den Genres Fantasy und Horror sich ein wenig zu bewegen. So gibt es auch immer wieder Anspielungen auf Drachen, die mehr als die reinen mystischen Wesen sind.  Wilko Müller hat Respekt diesen Wesen gegenüber, aber er baut sie auch progressiv in die laufende Handlung ein.   Dabei hält sich der Autor an die etablierten Regeln und versucht diese entweder zu relativieren oder einzuordnen. Da wäre die Einladung, über die Türschwelle zu treten oder die Angst vor dem Aberglauben. Ohne viel Action mit teilweise doppeldeutigen, von einem eher unterschwelligen Humor geprägten Dialogen spannt Wilko Müller ohne belehrend zu agieren einen weiten Bogen. Dabei bewegen sich seine Figuren durchaus in der irdischen Realität, was zu ein oder zwei an die amerikanischen „Screwball Komödien“ erinnernden Szenen führt. Aus der Science Fiction hat der Autor positiv als respektvolle Hommage sehr viel mehr übernommen. Das Haus ist anfänglich wie ein Escher Gemälde. Frankenheim betritt das Zimmer der Hexe Jasmin entweder auf der Decke stehend oder sie sitzt nicht auf dem Boden. Unzählige Räumlichkeiten, die anscheinend nicht nur in fremde Welten, sondern vielleicht auch andere Zeiten führen, schließen sich an. Auch H.G. Wells hat diese Idee in seiner Kurzgeschichte „Die grüne Tür“ deutlich opportunistischer und weniger auf Erklärungen setzend aufgegriffen. Vielleicht leidet deswegen das ohne Frage offene Ende des Buches weniger an der Vorhersehbarkeit, sondern dem mangelnden Impuls. Solange  Müllers Figuren auf der Suche sind, wirkt die Handlung intensiver und atmosphärisch auch subtiler. Natürlich muss der Autor irgendwann Antworten liefern und diese wirken teilweise ein wenig zu eindimensional, zu pragmatisch.  Wenn auf einer fremden Welt das Klischee aus „Stargate“ hervorgeholt wird – alle sprechen irgendwie und irgendwo eine Art Englisch -, dann ist das belustigend, aber nicht unkritisch gesprochen. Wenn verschiedene Geschichten der Strugatzkis indirekt in die laufende Handlung eingebaut werden – Frankenheim kann sich an diese Texte erinnern -, dann ist die Hommage sehr gut platziert, aber es fehlt der zweite Schritt. Vor allem wirkt das „Haus“ in der vorliegenden Form auch ein wenig wie die „Tardis“ aus Dr. Who allerdings ohne Steuermann und bislang ohne Weltenretter, der sich aber in dem Team aufhält. Die große Stärke des vorliegenden Romans ist ohne Frage, dass die Anleihen bei den verschiedenen phantastischen Büchern und Fernsehserien eher absichtlich in die laufende Handlung eingebaut worden sind. Wilko Müller versteckt sie an keiner Stelle, sondern weißt die Leser positiv durch seine ansonsten mindestens interessant exzentrisch gezeichneten Figuren immer wieder darauf hin. Diese Vorgehensweise fügt den vorliegenden Roman sehr gut in die phantastische Literatur ein und lässt gleichzeitig en eigentlichen Star des Romans „Das Haus“ geheimnisvoller erscheinen als es vielleicht ist. Mit der künstlichen Intelligenz wird dem Gebäude/ der Tür sogar eine Persönlichkeit hinzugefügt.   

Immer wieder hat der Autor auch betont, dass seine Bücher auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verbunden sind. Wer genau hinschaut, wird auch den Schlüsselroman „Die Zeitläufer“ mit seinen Figuren wiederfinden.  Hinzu kommt, das Wilko Müller vor allem viele Ideen aus „Das Haus“ dem  Genre entnommen und teilweise mit sanfter, aber gutmütiger Ironie verfeinert hat. Je weiter Frankenheim und sein Team nicht unbedingt in das Haus eindringen, sondern deren Geheimnisse zu offenbaren suchen, desto mehr ist der Autor in der Lage, neue Wege zu beschreiten und neue Rätsel aufzubauen. Erst ab dem Augenblick, in dem sich Wilko Müller auch in Hinblick auf den zweiten Teil der Geschichte mit den potentiellen Lösungen beschäftigt, geht ein wichtiger Teil der Spannung verloren, so dass zusammenfassend „Das Haus“ eine Hommage vor allem in moderner Form an die eher älteren Science Fiction Texte ist, in denen buchstäblich alles möglich gewesen ist.      

 

 

  

 

Paperback, 200 Seiten
Projekte-Verlag 2009
ISBN 978-3-86634-695-6