Calibans Krieg

James A. Corey

Nach "Leviathan erwacht" erscheint mit "Calibans Krieg" der Mittelteil des unter dem Pseudonym James A. Corey schreibenden Autorenduos Daniel Abraham und Ty Frank. Da die Autoren auf die obligatorische Zusammenfassung des ersten Buches verzichten und ihr vielschichtiges Universum kontinuierlich weiter mit allerdings aus dem ersten Buch übernommenen Figuren ausbauen, ist es elementar, den für den HUGO nominierten Auftaktband der Serie gelesen zu haben.

Wie im ersten Band erzählen die Autoren die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei ist die Aufteilung deutlich stringenter als es auf den ersten Blick den Eindruck macht. Holden und Prax decken im Grunde die Abenteuerhandlungsebene ab. Ihre Wege kreuzen sich in der Mitte des Plots und fortan gehen sie gemeinsam gegen die außerirdische Bedrohung vor, die am Ende von "Leviathan erwacht" den Glauben der Menschen bis in die Grundfesten erschüttert hat. Avaserala und Bobbie sind für den politischen Hintergrund zuständig. Auf dieser Handlungsebene finden sich auch die meisten Hinweise für den Leser, um die den Roman wie einen roten Faden durchziehende Kriminalhandlung zu verstehen. Der Auftakt wird von Mei erzählt. Einem jungen Mädchen. Es ist die Tochter des geschiedenen Prax. Sie wird aus ihrem Habitat von einer Frau entführt. Es ist nicht das einzige Kind, das in den letzten Wochen oder Monaten verschwunden ist. Prax ist Botaniker auf dem Ganymed, einem der wichtigsten Lebensmittellieferanten des Sonnensystems. Bobbie ist dort als Marineinfanterist der Mars- Truppen stationiert. Ein unbekanntes Wesen - eine im Grunde klassisch zu nennende Hommage an die Invasionsstreifen der fünfziger Jahre - greift die Station an. Bis auf Bobbie werden alle Soldaten getötet. Ihre Vorgesetzten glauben ihr anfänglich nicht, dass eine wirklich unbekannte und von den Scannern nicht erfassbare Macht die Truppe angegriffen hat. Sie vermuten einen Zwischenfall mit den ebenfalls auf Ganymed stationierten Truppen der Erde, die aus dem bislang wieder erkalteten Konfliktzustand eine neue heiße Phase des Krieges gemacht hätte. Nur dank ihres veralteten Aufzeichnungsgeräts können die Strategen einen ersten Blick auf eine außerirdische Bedrohung werfen, die ihm Zusammenhang mit den Vorgehen in "Leviathan erwacht"  stehen muss. Bobbie wird als Augenzeugin zur Erde gebracht, wo sie auf den Politikerin Avasarala trifft. Prax dagegen sucht verzweifelt nach seiner Tochter. Er stellt fest, dass alle verschwundenen Kinder an der gleichen sehr seltenen genetischen Krankheit leiden. Als Holden - der wichtigste Protagonist des ersten Buches - mit seiner Mannschaft und seinem Schiff "Rosinante" an der Station anlegt, bittet der verzweifelte Prax ihn, zusammen mit ihm nach den Kindern auf eigene Faust zu suchen.

Insbesondere für eine Action orientierte Space Opera überzeugt "Calibans Krieg" auf der Personenebene. Holden ist die tragisch triumphierende Figur des ersten Buches, die mit einem Pyrrhussieg die Menschheit zumindest in seinen Augen und weniger aus der Perspektive der Politiker und Militärs gerettet hat. Aus dem Dienst ausgeschlossen verdingt er sich inzwischen als eine Art freischaffender „Künstler“ für die neu gebildete OPA Organisation.  Im Gegensatz zu den sonst das Subgenre dominierenden desillusionierten und zynischen Figuren füllt sich Holden bar jegliche Verantwortung über das eigene Schiff und die ihm anvertraute Crew befreit und wohl. Die romantische Beziehung zu Naomi wird überzeugend vertieft. Die beiden Autoren suchen und finden die richtige Balance zwischen aufkeimender Liebe und sexuellem Verlangen. Vor allem räumen sie der attraktiven und verbal schlagkräftigen Naomi eine Reihe von eigenständigen Szenen ein. Während die junge Mei zu wenig beschrieben worden ist, wirkt Prax fast wie die Inkarnation eines Klischees. Er ist ein alleinstehender Vater mit einem Verantwortungsgefühl, das von den Mühlen der Justiz bis aufs Äußerste gereizt wird. Wenn Meis Mutter ihn schließlich als einen Kinderschänder und Triebtäter darstellt, ist er der Verzweifelung nahe. Auf der anderen Seite machen die beiden Autoren aus ihm nicht den übertriebenen Superhelden. Prax ist Botaniker und kennt sich mit den Naturwissenschaften sehr gut aus, während der Praktiker Holden für die rasanten Situationen des Romans verantwortlich ist. Die überlebende Soldatin Bobbie geht angesichts ihrer Partnerin fast unter. Avasarala ist eine neue Figur dieser Trilogie. Ironisch gesehen ist sie die Handlangerin des Generalbevollmächtigten der UN auf der Erde. Auf der einen Seite wirkt sie wie eine klassische Großmutter inklusiv der nur auf sie beruhigend wirkenden Teerituale, auf der anderen Seite kann sie mit ihren Flüchen jeden Raumfahrer zum Erbleichen bringen. Diese Dualität ihrer Persönlichkeit durchzieht positiv diesen lesenswerten und teilweise die wichtigere Handlungsebene ausstechenden zweiten Spannungsbogen. Als Politikerin ist sie eine exzellente Besetzung, die immer wieder alles oder nichts spielt und dabei die Risiken niemals unterschätzt. Bedenkt man zusätzlich, dass "Calibans Krieg" erste der zweite Roman des Autorenduos ist, überrascht, mit welchen effektiven Mitteln sie die einzelnen Figuren so unterscheidbar und doch akzeptierbar gemacht haben. Aus dieser kleinen Gruppe von wichtigen Protagonisten ragt rückblickend keiner wirklich handlungstechnisch heraus. Wie bei einem herausfordernden Puzzle müssen am Ende des Plots alle Teile passen, damit der Leser das Gesamtbild betrachten kann. Das ist ohne Frage der Fall.

Hinsichtlich der Actionszenen erreicht "Calibans Krieg" nicht in allen Bereichen den Vorgänger. Unabhängig vom komplex dargestellten, aber als Invasionsstory zweiter Teil relativ simpel geplanten Plot fällt auf, das die einzelnen Actionszenen teilweise hinsichtlich ihres Ablaufes und ihrer Auswirkungen vorhersehbar sind. Sie sind nicht schlecht geschrieben, es fehlt ihnen aber letzt endlich ein befriedigendes Element der Überraschung.

Hinsichtlich des übergeordneten Plots stehen die Entführungen der Kinder interessanterweise mit der außerirdischen Bedrohung in einem sehr engen Zusammenhang. Holden und Prax finden eine weitere Spur der Protomoleküle, die nach den Ereignissen des ersten Bandes nur noch auf der sich stetig verändernden Venus gefunden werden sollten. Anscheinend haben die Außerirdischen nicht nur einen künstlichen, vor einer unbekannten Zeit erbauten Mond ins Sonnensystem geschmuggelt, sondern greifen anscheinend mit dem Angreifer auf dem Ganymed auch zu anderen Mitteln. Während die außerirdische Bedrohung deutlich konkreter wird und der Showdown des Romans wie bei „Leviathan erwacht“ auch tatsächlich einen zufriedenstellend erklärten Abschluss des vorliegenden Bandes darstellt, geht der politische Konflikt zwischen dem Mars und der Erde eher im Hintergrund weiter. Diese Idee wird zu wenig in der zweiten Hälfte des Buches aufgegriffen. 

Zusammengefasst überzeugt die Arbeite der beiden Autoren auf zwei Ebenen. Von der Struktur her gehört der Roman wie der Vorgänger zu den besten Space Operas der letzten Zeit. Ohne auf künstliche Plotkonstrukte zurückzugreifen, laufen erste zwei der anfänglich vier Handlungsebenen und schließlich auch die beiden in einem fulminanten Showdown zusammen. Inhaltlich bietet er allerdings zufriedenstellende Variationen und nur auf der charakterlichen Ebene wirkliche Weiterführungen zum ersten Band an. Das Tempo ist anfänglich sehr hoch. Im Mittelteil des Buches werden eine Reihe von Vermutungen inklusiv obligatorischer falscher Spuren nachgeschoben, bevor das Plotende wie schon beschrieben zufriedenstellt. Enttäuschend mag sein, dass der Leser und die Protagonisten nur rudimentäre Informationen über die Pläne und die Herkunft der Außerirdischen erfahren. Hier wird absichtlich zu viel in den letzten, abschließenden Band verlagert. Zusammengefasst wie Fans des ersten Romans eine Pflichtlektüre, Neueinsteiger sollten wie schon angesprochen erst mit „Leviathan erwacht“ beginnen, bevor sie adäquate wie lesenswerte Kost gleichen Niveaus in „Calibans Krieg“ als Hauptgang eines schmackhaften Menüs serviert bekommen.