Die Mars Verschwörung

David Macinnis Gill

Nach “Das Mars- Labyrinth” liegt der zweite Band um die Söldner Durango und Vienne auf einem von den Menschen besiedelten roten Planeten vor. In den USA ist inzwischen ein dritter Roman erschienen. Es empfiehlt sich, die Serie mit dem ersten Buch zu beginnen. In “Die Mars- Verschwörung” fügt David Macinnis Gill zwar eher in der Mitte des Buches einige Kapitel hinzu, welche insbesondere die Rolle von Durangos Vater und die Idee, aus dem inzwischen Siebzehnjährigen eine Art Prinz des Mars beleuchtet, aber da der Autor zu diesem Zeitpunkt schon eifrig seine Figuren nicht nur körperlich auseinander nimmt, ist es sinnvoller, mit dem Auftaktband zu beginnen. In diesem Buch versucht er das leider teilweise klischeehafte Verhältnis zwischen dem eher forschen, aber überambitionierten Durango und seiner Stellvertreterin/seiner Kriegskameradin und schließlich auch platonisch heimlichen Geliebten Vienne aufzudröseln.
Ein Markenzeichen Gills scheint inzwischen der actionorientierte Auftakt zu sein. Schon in “Das Mars- Labyrinth” begann der Autor mit einer Art Prologpaukenschlag, dem sich einige wenige ruhigere Kapitel anschlossen. Auch “Die Mars- Verschwörung” beginnt mit einer Mission der beiden zu erwachsen für ihr Alter erscheinenden Söldner. Da die Aufträge auf dem Mars relativ selten und die Gefahren sehr hoch sind, stehlen sie für eher im Hintergrund agierende Auftraggeber geheime Daten aus einer gut gesicherten Anstalt. Auf der Flucht in die roten Wüsten des Mars suchen sie in einer Art Kloster Zuflucht, in dem Vienne vor einigen Jahren und vor Beginn ihrer Söldnerzeit aufgewachsen ist. Nachdem im Auftaktband in erster Linie Durango mit der zwielichtigen Vergangenheit seines Vaters fertig werden musste, wäre es ein schöner Ausgleich gewesen, mehr über die dreidimensionalere gezeichnete Vienne zu erfahren. Dieses Potential verschenkt der Autor nach dem soliden ersten Drittel, da er diese Figur nicht richtig in den Griff bekommt. Vor allem wirkt die Idee übertrieben, dass auch sie eine besondere Schöpfung ist, deren Fähigkeiten eher gezüchtet als antrainiert worden sind. Sie beginnt zu sehr der exponierten Stellung Durangos zu ähneln, der in der Realität niemals die hohen Erwartungen des Autors und damit stellvertretend auch der Leser erfüllen konnte.

Im Grunde setzt nach gut der Hälfte des Romans ein zweiter Handlungsbogen ein, in dem die Söldner einer kleinen bedrohten Siedlung zu Hilfe eilen. Das derartige Aktionen eher versteckte Gefahren als Lob oder Dankbarkeit der Bewohner bringen, haben die Söldner schon im ersten Buch erfahren können bzw. erfahren müssen. Sie treffen auf eine deutlich überlegene Söldnertruppe mit einem psychopathischen Anführer, der neben dem Sturz der gegenwärtigen Kooperationen und der Etablierung eines ehemals mächtige Mafiaboss Mr. Lyme Durango gefangen nehmen möchte. Lyme und Durango verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. Allerdings wird Vienne gefangen genommen und noch tiefer in die endlos erscheinenden Wüsten des Mars entführt. Durango verfolgt die Gruppe, um nicht nur die Kameradin zu befreien, sondern anscheinend die Frau, die er von ganzen Herzen liebt. Im Gegensatz zum befürchteten Klischee präsentiert sich das Ende deutlich ambivalenter als im ersten Buch, in dem der Autor in erster Linie rote Fäden für die folgenden Romane ausgelegt hat. Der erste Band wurde von einer Reihe von Actionszenen bestimmt. Durango und seine Leute mussten auf einer Vielzahl von Situationen ausschließlich reagieren und befanden sich im Grunde vom ersten Kapitel an in der Defensive. Vorsichtig verschiebt Gill im vorliegenden zweiten Buch die Prämissen. Durango muss weiterhin reagieren, denn vom Datendiebstahl an befindet er sich entweder auf der Flucht vor den Sicherheitsorganen, denen seine spezifische Handschrift insbesondere auf einer nicht sonderlich dich besiedelten oder vor Regulatoren/ Söldnern wimmelnden Welt auffallen muss. Im zweiten Teil des vorliegenden Romans muss er den Entführern von Vienne folgen und aus einer im Kern unhaltbaren Position heraus einen taktischen Vorteil erlangen, um sie nicht nur zu befreien, sondern dem Cyberpunk folgend von den “Toten” zu erwecken.
Die Actionszenen sind weiterhin die Höhepunkte der Bücher. Gill versteht es, unterschiedliche Bodenszenarien miteinander zu kombinieren. Vor allem verzichtet er auf eine überdurchschnittliche Heroisierung seines “Thronprinzen”, welcher eher an die Traditionen des Jugendbuchs angelehnt auf emotionale Hilfe seiner gleichaltrigen, aber natürlich deutlich mehr erfahrenen Partnerin angewiesen ist. Das Band zwischen Vienne und Durango wirkte allerdings in Form einer klassischen Waffenkameradschaft mit leichtem Anhimmelungsfaktor im ersten Buch stärker. Gill balanciert wie schon angesprochen im vorliegenden Buch zu sehr am Rande des Klischees entlang. So sehr er sich bemüht, die Chemie zwischen Vienne und Durango stimmt nur bis zu einem gewissen Grad. Man kann sich die beiden nicht als typisches Liebespaar inklusiv des entsprechenden Gezänke vorstellen. Vor allem, weil Gill zum Nachteil des ganzen Romans Vienne über weite Strecken des Plots im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Spiel nimmt. Dafür liefert der Autor eine Reihe von Hintergrundinformationen über ihren Werdegang. Sie sollen die kompromislose, aber auch teamorientierte Söldnerin menschlicher machen. Im Grunde ist diese Entwicklung überflüssig, als Figur wirkte sie im Auftaktband abgerundeter. Das Aufbrechen ihrer Persönlichkeit nicht zuletzt in einer extremen Stressreaktion in der zweiten Hälfte der vorliegenden Geschichte ist ohne Frage ambitioniert und vielleicht teilweise nachvollziehbar, als Autor wirkt Gill stellenweise ein wenig zu überfordert. Dabei ist die Idee buddhistischer Kampfsportmönche auf dem Mars so bizarr und interessant, das man hier deutlich mehr erwartet.
Abgerundet oder besser ergänzt wird das Duo durch Mini, eine Art weiblicher Extrasinn. Eine künstliche Intelligenz in Durangos Gehirn, die kontinuierlich sein Ego unterminiert. Deutsche Leser werden augenblicklich an Atlan denken und die Ähnlichkeit ist stellenweise verblüffend. Mini ist für den sarkastischen Humor zuständig. Als Logikberater wirkt sie manchmal mit Durangos Hitzköpfigkeit überfordert. Gill hätte allerdings die inneren Dialoge deutlich besser von normalen „Gesprächen“ abgrenzen müssen. Nicht selten erscheinen die Übergänge zu fließend.

Schon beim ersten Roman hatte der Leser das unbestimmte Gefühl, als befände sich die eigentliche Zielgruppe dieser Reihe im Jugendbuchbereich, während die Action- und Gewaltszenen für ein älteres Publikum verfasst worden sind. Diese teilweise unbefriedigende Ambivalenz zieht in „Die Mars Verschwörung“ weitere Kreise. Bis auf Durango und Vienne sind fast alle Nebenfiguren eindimensional und funktionell charakterisiert. Hier bildet die sechsjährige Kampfmönchin Riki- Tiki mit der Lebenserfahrung einer Zwanzigjährigen – damit befindet sie sich wieder auf Augenhöhe der wichtigsten Protagonisten und eines Teils der Leserzielgruppe – eine rühmliche Ausnahme. Als neue Figur eingeführt macht sich Gill bei der Gestaltung nicht zu lächerlich und versucht kindisch/ kindliche Klischees zu bedienen. In ihr vereinigt sich aber auch die überraschende Tragik eines Teils der Geschichte. Bei den anderen Antagonisten wünscht sich der Leser deutlich mehr Tiefe, vor allem weil Gill überdimensionale Antagonisten etabliert und einer seiner beiden Hauptfiguren im wahrsten Sinne des Wortes in den Abgrund des Todes starren lässt.
Wie schon im ersten Buch entwickelt Gill seine marsianische Welt kontinuierlich weiter. Eine Anlehnung an die chinesischen Traditionen von Ehre und Pflichtbewusstsein als Kontrastpunkt zu den allgegenwärtigen, bislang aber passiv verbliebenen Konglomeraten ist interessant. Die Wurzeln der „Marsianer“ sind gut zu erkennen. Aufmerksame Leser vermissen vielleicht eine notwendige Weiterentwicklung des kulturellen Hintergrundes, aber in erster Linie geht es Gill um Wiedererkennungseffekte, die nicht selten hinter dem stringenten Plot mit nur wenigen überraschenden, dann aber auch provokanten und erst im Epilog relativierten Wendungen zurückstehen müssen.
Stilistisch agiert Gill weiterhin auf einem cineastisch lesenswerten Niveau, das als Ganzes betrachtet teilweise zu wenig emotional, zu glatt geschliffen erscheint. Die Ansätze von latent zynischem Humor gehen meistens ins Nichts. Wie andere Teile dieser Serie ist einiges noch im Fluss, als wenn der Autor erst seine Stimme finden muss. Begeisterte Fans des Auftaktbandes werden ohne Frage nicht enttäuscht werden. Für eine Jugendbuchserie mit einer älteren Zielgruppe im Blickfeld präsentiert Gill eine zufriedenstellende, manchmal sogar spannende Mischung aus klassischen Elementen – Action, ein wenig platonische Liebe und eine Mission, die im Grunde realistisch gesprochen niemals wirklich gelingen kann – sowie Ecken und Kanten.

David Macinnis Gill: "Die Mars Verschwörung"
Roman, Softcover, 336 Seiten
Bastei Verlag 2013

ISBN 9-7834-0420-6913