Canopus

Goldmann, Titelbild, Rezension
Thomas le Blanc

In seinem Vorwort zu dritten Sternenanthologie geht Herausgeber Thomasle Blanc nicht nur auf die notwendige literarische Qualität der in Frage  kommenden Texte ein, sondern möchte das Konzept um sekundärliterarische Artikel erweitern. Im Anhang finden sich zwei entsprechende Arbeiten.  

 Ulrich Harbecke eröffnet "Canopus" mit seiner Geschichte "Love Story". Seine Gortz sind wie Roboter. Es bilden sich anscheinend Emotionen zwischen ihnen, welche die Menschen mindestens nerven, wenn nicht sogar zu Reaktionen zwingen. Leider springt er emotionale Funke nicht über und weite Abschnitte der Geschichte wirken viel zu distanziert und gleichzeitig auch zu komprimiert erzählt. 

 Der Titel von "Übermorgen bin ich Blunch" aus der Feder Eva Maria Mudrichs beginnt faszinierend. Ein Diktator möchte eine neue Superwaffe austesten, deren Zielgebiet - eines von acht möglichen - er alleine kennt. Der Widerstand versucht mittels Bewusstseinssymbiose über Telepathie hinter das Geheimnis zu kommen. Wie bei Philip K. Dick ist die Begabung gleichzeitig ein Fluch und am Ende entlässt die Autorin den Leser nicht unbedingt in einer optimistischere Zukunft. Die einzelnen Protagonisten hätten noch dreidimensionaler entwickelt werden können, aber die Grundidee des paranoiden, aber effektiv vorgehenden Diktators gleich einige strukturelle Schwächen der Story aus. 

 Zu den lustigsten Texten gehört ohne Frage "Requim für Henry" von Viktoras Pivonas.  Ein altgedienter Raumfahrer erzählt dem Leser fast direkt von seiner Begegnung mit den Fremden und dem exzentrischen Versuch, mittels Henry Kontakt mit der Erde aufzunehmen und eine entsprechende Warnung auszugeben. Der flapsige Ton des immer mehr betrunken gemachten Raumfahrers, die subjektive Erzählstruktur und schließlich die Auflösung bilden zusammen ein auch heute noch lesenswertes Raumfahrergarn, das  Münchhausen nicht besser hätte stricken können. 

 In zwei Storys steht am Anfang eine Leiche.  "Die liberaturgische Party oder Kunst ist ein Portrait der Seele" von Günter Zettl ist dabei im direkten Kontrast zu Kai Riedemanns "Nachtschicht" die absichtlich künstlerisch überzeichnete Arbeit.  Der Erzähler geht davon aus, dass nicht liberaturgische Menschen - der Begriff wird sehr verklausuliert erläutert -  ermordet werden. Auf einer dekadenten Party kommt er dem Geheimnis hinter den Anschlägen auf eine unangenehme Art und Weise näher. Auch in "Nachtschicht" stehen in diesem Fall sanktionierte Selbstmorde hinter der These, dass eine überbevölkerte Erde Ballast abwerfen muss. Während Günther Zettl zusätzlich die Idee einer zusammengebrochenen Gesellschaft mit den unter der Kuppeln lebenden Menschen und denen da draußen propagiert,  konzentriert sich Kai Riedemann eher auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und baut deutlich effektiver Spannung auf.

 Auch wenn die Pointe nicht unbedingt originell ist, ist Hans Joachim Alpers unter dem Pseudonym Jürgen Andreas verfasste Zeitreise Story "Pharao aus dem 20. Jahrhundert" sehr geradlinig zu lesen.  Die Zeitreisestory bürgt keine Überraschungen und schnell ahnt der Leser sowohl den Plotverlauf als auch die Pointe, aber Alpers ist ein erfahrener Autor, welche den Handlungsbogen vorantreibt.  Es handelt sich zusätzlich um einen Nachdruck aus den sechziger Jahren, ursprünglich im Hause Pabel/ Moewig publiziert.

 Aber es finden sich auch Storys in dieser Sammlung, die in den achtziger Jahre schon nicht mehr modern gewesen sind. Ilone Boddons "Hinterher" ist mit ihrer Post Doomsday Gesellschaft und dem Kampf ums Überleben ein klassisches, leider nicht besonders originelles Beispiel dafür. 

 Günther Luxbachers „Die Zeitblüten“ reiht sich in die kleine Reihe von First Contact Geschichten ein. Ein Forscher beschließt, bei der Erkundung einer fremden Welt nicht mit der restlichen Crew wieder an Bord des Raumschiffs zurückzukehren, sondern die seltsamen Blumen auf dem Planeten zu untersuchen, welche anscheinend zumindest im Inneren dreidimensionale Erinnerungen erwecken. Während die Pointe sehr geradlinig ist, wirkt der Stil ein wenig zu steif, zu distanziert. In einem seiner seltenen Ausflüge außerhalb der Science Fiction hat William Voltz mit „Übertriebene Zuwendungen“ aufgezeigt, wie derartige Texte entwickelt werden sollten. Im Gegensatz zu „Die Zeitblüten“ werden bei William Voltz die Erforscher fremder Welten für dreißig Tage auf dem Planeten ausgesetzt. Durch einen Zufall findet der Protagonist auf dieser unwirtlichen Welt heraus, das er nicht ganz alleine ist. Ein Wesen plündert immer die dargebotenen Speisen in der stürmischen Nacht, in welcher der Mensch seine Schutzbehausung nicht verlassen kann. William Voltz hat ein feines Gespür für dieses Subgenre. Die wechselnde Perspektive erläutert für den Leser, aber nicht die handelnden Personen eine Reihe von Missverständnissen, die sich kontinuierlich aufbauen. Hinzu kommt eine feine Zeichnung vor allem des menschlichen Forschers in einer extremen Umgebung. Eine der schönsten Geschichten der ganzen Sammlung.

„Ultima Esperenza“ von Bernd Kreimeier ist im Grunde das Expose eines ganzen Romans. Die Erde ist unbewohnbar. An Bord eines von einer künstlichen Intelligenz gesteuerten Raumschiffs verlassen insgesamt fünfzigtausend Menschen die Erde, um im Alpha Centauri eine neue Heimat zu finden. Die einzelnen Herausforderungen, Katastrophen und schließlich das fatalistisch zynische Ende kommen dem Leser aus anderen Werken irgendwie bekannt vor. Und trotzdem unterhält die Geschichte ausgesprochen gut. Die einzelnen Ereignisse werden wir bei einer Halskette aneinandergereiht aufgezählt, die Konsequenzen nur emotionslos distanziert erläutert und schließlich ein entsprechendes Fazit gezogen. Trotzdem überzeugt der Text wahrscheinlich durch die kompakte Struktur und die inhaltliche Konzentration.

Malte Heim steuert mit „Substanzverlust“ eine Art Heroic Fantasy Science Fiction Geschichte bei. Der Titelheld ist ein Auftragsmörder, ein Superschurke, ein Held und Werkzeug zugleich. Er soll die Prinzessin eines fremden Königreiches entführen, damit der Sohn seines Herrschers sie zur Frau nehmen kann. Nicht gegen ihren Willen, aber als Brüskierung ihres Vaters. Der Held lernt während seiner Mission, dass es mehr als nur Geld und blinden Pflichtgehorsam gibt. Malte Heim umschifft dabei eine Reihe von Klischees und entwickelt mit den durchaus dreidimensionalen Protagonisten eine Figur, welche der Leser gleichzeitig lieben und hassen kann. Am Ende wirkt das bedingte Happy End vielleicht ein wenig zu sehr konstruiert und einige Aspekte fallen wie Versatzstücke zu leicht zusammen, bis dahin handelt es sich aber um ein originelles wie kompaktes Abenteuergarn, in dessen Verlauf der Autor manchmal auch mit den Erwartungen seiner Leser und den Klischees des Genres spielt, um dann abschließend zu provozieren.

Zwei Texte setzen sich satirisch mit dem Genre per se auseinander. Heinz J. Galle schreibt in "Die unheimliche Verwandlung des lüsternen Faus" über die Verwandlung einer Science Fiction Kurzgeschichte  - sie spielt auf einer alternativen Erde mit Mythenfiguren - dank der anstehenden Science Fiction Film Produktion in die bekannten Bastarde voller inhaltlicher Klischees, die vor allem im Fahrwasser von "Star Wars" die Kinoleinwände und Bildschirme bepflasterten. Vor einem deutschen Ambiente mit einer illusteren Runde vom Filmproduzenten über die Mitglieder des katholischen Filmdienstes bis zu den Co  Produzenten vom ZDF; dem sich Reichtum erträumenden Kurzgeschichtenautor und seinem Amateuragenten entwickelt sich eine bissige Satire auf die Gestaltung von möglichst künstlerisch wertvollen und natürlich auch kommerziell erfolgreichen Filmproduktionen.

 Werner Zillig geht in "Die objektive Wahrheit" noch einen Schritt weiter.  Aus der Gegenwart in die ferne Zukunft schauen und dazwischen zu den Sternen blicken. Gleich zu Beginn desorientiert der Autor den Leser, in dem er die ferne Zukunft als eine Art Agrarstaat zeichnet, der wie eine futuristische Version des Morgenthau Plans von Außerirdischen der agressiven Erde aufgedrückt erscheint. Eine Gruppe von Amateurhistorikern schwärmt von der goldenen Ära der Expansion ins All. Nur findet ein junger Forscher heraus, dass diese Geschichte so nicht stimmen kann. Wunderbar zurückhaltend mit einem selbstsicheren und doch ironischen Ton ahnt der Leser zusammen mit dem jungen Forscher die Zusammenhänge. Aus heutiger Sicht muss sich der Leser trotz der Verfremdung vor Augen halten, welcher Meilenstein zu Beginn der achtziger Jahre einen sehr langen Schatten geworfen hat. Spätestens mit diesem Querverweis ist "Die objektive Wahrheit" einer der Höhepunkt dieser Anthologie.      

Wer gerne den Ursprung der phantastischen Miniaturen finden möchte, macht den Sternenanthologien nicht viel verkehrt. Kurt Gerdaus "Ich war ein freischaffender Publizist" ist ein typisches Beispiel. Ein Journalist wird von seinem intelligenten Schreibcomputer ferngesteuert. Was damals noch wie Science Fiction klingt, ist heute dank Alice und Co inzwischen eine bittere Farce auf die Künstlerfreiheit. Aber der Text liest sich einfach auch heute noch sehr gut.  Peter Zemla mit "Was heißt hier schwanger" - das Baby wird wie im Versandhauskatalog bestellt und nach drei Monaten geliefert - oder Martin Graef mit "Urlaubserinnerungen" - die Reise ist so perfekt harmonisch organisiert, dass Individualität zum Fremdwort wird - greifen alltägliche Ideen/ Situationen auf und karikieren sie mit absichtlicher Übertreibung. Diese Minisatiren oder Grotesken wird Thomas le Blanc später mit den thematisch geordneten "Phantastischen Miniaturen" auf perfektionierte Spitzen dank seiner talentierten Autoren treiben. 

 Im Vorwort hat Herausgeber Thomas le Blanc wie ja schon erwähnt angekündigt, dass er neben Kurzgeschichten auch aktuelle Artikel einbauen möchte. Aus heutiger Sicht interessant und zeitlos ist  das  kurze Portrait von Herbert W. Franke, das ohne große Änderungen in die Gegenwart übertragen werden könnte. Ein anderes Thema ist eine Auseinandersetzung mit den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Grenzen des Wachstum. Die achtziger Jahre galten eher als kritische Relativierung der grenzenlosen Expansion auf Kosten der Umwelt. Daher ist es interessant, aus der Feder eines Forschers Krafft A. Ehrikes einen Blick im Grunde in unsere Gegenwart zu tätigen. Einige seiner Prognosen sind eingetroffen, viele andere leider oder besser Gott sei Dank nicht.  

 Die Illustrationen der Kurzgeschichten durch verschiedene Künstler sind eher statisch und treffen nicht immer genau die Intention der Autoren.  Aber sie  lockern den Text auf. Nicht nur das thematische  Spektrum der vorgestellten Kurzgeschichten ist sehr breit, auch die inhaltliche Qualität ist teilweise sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu den ersten beiden Anthologien ist "Canopus" merklich schwächer, auch wenn einzelne Texte wie William Voltzs oder Werner Zilligs  Geschichten aus der Masse deutlich herausragen.   

 


Taschenbuch
Herausgeber: Thomas Le Blanc & Peter Wilfert
Verlag/Jahr/Seiten: Goldmann / 1981 - 222 Seiten
Reihe: Goldmann Science Fiction 23391 - Sternenanthologie Band 3
ISBN: 3-442-23391-7     ISBN13: 978-3-442-23391-5