Coming Home

Tetiana Trofusha

Die Novelle „Coming Home“ von Tetiana Trofusha erschien ursprünglich in der Anthologie “Inspiriation”, herausgegeben von Marianne Labisch. Dabei ging es um die digitalen Welten

des Andreas Schwietzkes. Jeder der Autoren und Autorinnen hat sich eines seiner Bilder als Inspiration für eine eigene Geschichte vorgenommen. In dem großformatigen Paperback standen anschließend Prosa und Bild gegenüber.

 Die 1991 in München aufgewachsene Autorin ist nach der Veröffentlichung ihrer Novelle für die beiden wichtigsten deutschen Science Fiction Preis nominiert worden. Neben einer Adaption von „Coming Home“ arbeitet die Autorin an studentischen Filmprojekten und einem Debütroman.

 Aufgrund der Nominierungen hat sich Michael Haitel entschlossen, die Novelle inklusiv des passenden Bildes Andreas Schwietzkes noch einmal zu veröffentlichen. Einzeln erscheint die Geschichte sowohl auf deutsch als auch in englisch. Dazu kommt quasi ein sprachliches Doppel mit einer deutsch- englischen Ausgabe. Ergänzt wird diese separate Veröffentlichung noch um eine Danksagung der Autorin.

 Andreas Schwietzkes Bild ist ein stimmungsvolles dunkles fast klassisch zu nennendes Science Fiction mit vertrauten Wurzeln. Ein Leichtturm, der um einen tempelartigen Anbau erweitert worden ist. Allerdings gibt es auch eine Landeplattform, auf welche ein futuristisches Objekt zuschwebt. Der ehemalige Leuchtturm befindet sich eher am Meer als an der Küste, der dunkle graue Himmel scheint das Gebäude förmlich erdrücken zu wollen. 

 Lange Zeit kann der Leser nicht glauben, dass es außer der Idee eines bizarren Heimatplatzes einen Bezug zu Andreas Schwietzkes stimmungsvollem Bild gibt. Die Ausgangslage ist zu anders. Ji hat nach einem Sturm auf dem Laufsteg panische Angst, ihre Wohnung zu verlassen.

 Ihr Ehemann ist Adan, CEO eine Neurotechnologieunternehmens und gleichzeitig auch die einzige Verbindung zur Außenwelt. Die Autorin nimmt sich lange Zeit, diese perfekte Ehe in einer perfektionierten Umgebung zu beschreiben. Die Unstimmigkeiten, die Brüche in einer kontrollierten und wahrscheinlich auch kontrollierten Umgebung schleichen sich langsam, dann aber auch konsequent in Jis Alltag ein. Die subjektive Perspektive ermöglicht es dem Leser nicht, ein abschließendes Urteil zu fällen. Wahrscheinlich orientiert man sich unbewusst an entsprechenden Beispielen entweder der Literatur oder des Kinos mit einem markanten Eckpunkt.  

 Auf den letzten Meter dreht die Autorin nicht nur den lange Zeit an Roman Polanskis „Ekel“ im positiven Sinne erinnernden Plot, sondern stellt die Schöpfung über den Schöpfer. Die Idee mag weit hergeholt sein und der technische Hintergrund ist eher vage, aber angesichts des Kammerspiels – die ganze Novelle spielt zu neunzig Prozent in wenigen Räumen – mit einem Fokus auf der emotionalen Abhängigkeit letztendlich der drei wichtigen und im Grunde auch einzigen Charaktere voneinander ist diese Oberflächlichkeit auch akzeptabel.

 Wahrscheinlich hätten tiefer gehende fiktive Erklärungen die Dynamik dieses Dramas unterminiert. Es ist schwer, eine derartig intime und fokussierte Geschichte zu einem Roman auszubauen, ohne zu viele Komponenten der letzten Seiten zu verraten.

  Ji scheint als ehemaliges Modell in einer devoten Abhängigkeit von ihrem neuen Ehemann und Herrn Adam  zu leben. Das ist nicht einmal überraschend, da insbesondere innerlich unsichere Menschen selbst in erfolgreichen Berufen sich nach „einer starken“ Hand sehnen. Interessant ist, dass Jis Welt durch einen Unfall ausgerechnet in der für sie durch ihre Schönheit noch kontrollierbaren Umgebung zerbrochen ist. Sie muss sich in ein anderes von ihrem Mann bestimmtes „Heim“ fliehen, um anfänglich ihre Unsicherheit nicht überwinden, aber zumindest ertragen zu können. 

 Lange Zeit spielt die Autorin diese entsprechenden Note inklusiv der Furcht vor Bestrafung; der Paranoia, über eine bestimmte Fliese im Flur zu treten und schließlich dem erdrückenden Bedürfnis, es dem lange Zeit tagsüber abwesenden Mann recht zu machen.

Ein Eindringling bringt dieses fragile Kartenhaus zum Einsturz. Es ist lesenswert, wie subversiv zynisch die Autorin im letzten Drittel der Geschichte die absichtlich von ihr etablierten Regeln durchbricht und immer wieder eine Idee nach der Anderen in Frage stellt.

Diese Vorgehensweise kann aber auch nur funktionieren, wenn der Leser Ji als Persönlichkeit, als Mensch akzeptiert. Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem sich die Autorin bewegt. Catherine Deneuve als Urprotagonistin dieses voyeuristischen Psychospieles hatte es ein wenig einfacher, da der Zuschauer ihre Qual auf der Leinwand erleben konnte. Tetiana Trofusha muss es auf wenigen Seiten mit Worten versuche und gleichzeitig den Plot vorantreiben. Das gelingt ihr ausgesprochen gut. 

 Hinzu kommt die finale Befreiung der Protagonisten im Grunde nicht nur von ihrem Übervater, sondern ihrer bisherigen Welt. Auch hier spielt die Wechselwirkung eine wichtige Rolle. Ganz bewusst ordnet Tetiana Trofusha ihre drei Spielsteine erst nach Klischees, um dann die Wichtigkeit zu hinterfragen und ihre bisherige Vorgehensweise auf den Kopf zu stellen. Dabei hält sie konsequent das von Beginn an etablierte Tempo und lässt die Leser an keiner Stelle zurück. Sie bleiben auf Augenhöhe, was in diesem Fall ausgesprochen wichtig ist.

 „Coming Home“  ist weniger eine klassische Science Fiction Geschichte. Sie könnte auch ohne phantastische Elemente sehr gut funktionieren. Viel mehr ist es eine psychologische Betrachtung eines möglicherweise krankhaften Zustands, die von ihren gut ausbalancierten Protagonisten lebt und deswegen den Leser weniger überrascht, als mit in den Strudel zieht.

 Die gesonderte Veröffentlichung abseits der Anthologie hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass insbesondere reine Science Fiction Leser auch auf den Text aufmerksam werden. Auf der anderen Seite gehört die Novelle zu den Herzstücken der Anthologie „Inspiration“ und hätte mit einem guten Abschneiden bei den Preisverleihungen vielleicht sowohl auf Andreas Schwietzkes Werk wie auch viele der lesenswerten Geschichte ein neues Licht gelenkt.   

 

Deutsch & Englisch | German & English
AndroSF 117
p.machinery, Winnert, Februar(y) 2020, 112 / 104 / 154 Seiten

Paperback
Deutsche Ausgabe: ISBN 978 3 95765 182 2 – EUR 11,90 (DE)
English Edition: ISBN 978 3 95765 183 9 – EUR 11,90 (DE)
Deutsch & Englisch: ISBN 978 3 95765 184 6 – EUR 12,90 (DE)

E-Book
Deutsche Ausgabe: ISBN 978 3 95765 901 9 – EUR 5,99 (DE)
English Edition: ISBN 978 3 95765 902 6 – EUR 5,99 (DE)
Deutsch & Englisch: ISBN 978 3 95765 903 3 – EUR 6,49 (DE