Love

Stephen King

Im Original heißt der 2006 veröffentlichte Roman „Lisey´s Story“ und tritt den Inhalt des aus Stephen Kings persönlicher Sicht besten Buches aus seiner Feder deutlich besser.  Viele literarische Formen – kein Novum bei Stephen King – sind in die Geschichte eingeflossen. Horrorelemente sind nicht neu. Die Idee eines anderen Landes, aus dem die „Ideen“ kommen könnten, erinnert an die Stephen King/ Peter Straub Zusammenarbeit in „The Talisman“ und der Fortsetzung „Black House” .  In „Rose Madder“ wird sich Stephen King dem hier gezeigten Ansatz ebenfalls mit einer Frau im Mittelpunkt zum zweiten Mal nähern. In Interviews hat Stephen King mehrmals gesagt, dass er „Rose Madder“ als weniger gelungen angesehen hat. Jahre später wird der Amerikaner sich in „Fairy Tale“ diesem Sujet noch einmal aus der Perspektive der Märchenwelten nähern.

Stephen King hat „Licey`s Story“ aber mit einen persönlichen Erlebnissen und einer großen Angst kombiniert. Zu den persönlichen Erlebnissen gehört die Ausgangsprässe. Licey räumt zwei Jahre nach dem Tod ihres mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichneten Mannes sein Arbeitszimmer auf und im Grunde aus.  1999 lag Stephen King nach einem schweren Autounfall mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Seine Frau wollte die Gelegenheit nutzen, das Schreibstudio aufzuräumen. Allerdings wurde Stephen King vor Vollendung der Arbeit aus dem Krankenhaus entlassen und fand aus seiner Sicht ein völliges Durcheinander vor. Stephen King ist der Meinung, dass sein Schreibstudio so aussehen würde, wenn er bei dem Unfall gestorben wäre. Mit dieser Tatsache wird ja Licey konfrontiert.

Im Laufe des nicht chronologisch erzählten Plots kommt die Angst vor den irren Fans und ihre Gewaltbereitschaft hinzu. Auch hier war unter anderem der Mord an John Lennon ein reales Ereignis, das Stephen King nachdenklich stimmte. Während Stephen King immer Angst vor Fans mit seiner steigenden Popularität hatte, kam es tatsächlich 1991 zu einem Vorteil, der eher Vorbild für den Plotverlauf in „Lisey´s Story“ sein könnte. Ein Fan brach in Stephen Kings Haus ein und bedroht seine Frau Tabitha. Sie konnte fliehen und die Polizei benachrichtigen. Stephen King war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Haus.   

Es ist kein Zufall, dass der erste Rückblick das nicht tödliche Attentat auf Liseys Mann beschreibt. Die Erinnerungen werden durch Fotos in Zeitschriften geweckt, welche Liseys Schwester in dem Schreibstudio sortiert hat. Bei der Grundsteinlegung einer neuen Bibliothek schießt ein junger Mann auf Liseys Mann. Mit dem für den ersten Spatenstich benutzten Gartenwerkzeug kann Licey ihren Mann retten und verletzt den Attentäter schwer im Gesicht.

Der Leser beginnt sich noch mit dem Szenario auseinanderzusetzen, als Stephen King in einer frühen stark geschriebenen Sequenz – der Ablauf erinnert ein wenig an vergleichbare Szenen in „Dead Zone“, als es um den Mord an dem amerikanischen Präsidenten geht, welcher den dritten Weltkrieg auslösen könnte – gleichzeitig die engen Bande zwischen Licey und ihrem Mann, dem Schriftsteller Scott Landon, eindrucksvoll beschreibt.

Das Blättern in den alten Zeitschriften, der Aufenthalt in Landons Schreibstudie sind jeweils Katalysatoren für Erinnerungen, welche die Zeit zumindest aus Liceys Perspektive schon lange begraben hat.  

Alles in dieser Geschichte wird aus ihrer Perspektive erzählt. Es gibt allerdings Sequenzen, bei denen Licey auch kein Augenzeuge ist. Dadurch baut Stephen King vielleicht eine zusätzliche Distanz zwischen Lisey; dem Geschehen und schließlich auch dem Leser auf. Aber diese Vorgehensweise ist nötig, um ein Leben, das Licey mehr als fünfundzwanzig Jahre begleitet hat, in Worte zu fassen.  

Stephen King hat sich aber bemüht, Licey als eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln und nicht als „Abziehbild“ seiner Frau Tabitha King, die ihn in den ersten Jahren seiner Karriere unterstützt und später von den Drogen und dem Alkohol wegbekommen hat. Allerdings hat Tabitha King auch eine Vielzahl von Schwestern. Es ist diese für einen Außenstehenden seltsame Beziehung zwischen Schwestern, welche mehr und mehr in den Mittelpunkt der Geschichte rückt, aber auch aufzeigt, dass Schwestern noch etwas Anderes sind als Geschwister. Und damit wird die Geschichte mit einem allerdings quicklebendigen Stephen King wieder autobiographischer, als es sich der Meister des Makabren eingestehen möchte.    

In den realistischen Passagen sind die Grenzen aber eher fließend, da Licey gleich zu Beginn der Geschichte lakonisch anmerkt, dass die Frau an der Seite eines berühmten Manns für die Öffentlichkeit eher austauschbar, für den in diesem Fall Schriftsteller aber existentiell ist. 

Als Roman kommt die Handlung auf den ersten Blick schwer in Gang. Zu viele Informationen und vor allem die zu viele Handlungsebenen fließen ineinander: Das Aufräumen zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes; die selbstzerstörerischen Neigungen einer ihrer beiden Schwestern; die seltsamen Anrufe eines potentiellen Handlangers des von ihr verabscheuten literarischen Nachlassverwalter und auf den Rückblendenebene beginnend mit den angesprochenen Attentat die Beziehung zwischen Lisey und ihrem zukünftigen Mann. Sie beginnt mit einer blutenden Hand und einem Heiratsantrag mitten in der Nacht. 

Aber alle diese Ebenen sind wichtig und Stephen King ist ein zu guter Autor, als dass er sich vernachlässigt. In der Gegenwart deutet Lisey beim Ordnen der Unterlagen mehrmals an, dass ihren Mann ein Geheimnis umgibt. Stephen King hasst wie fast alle Autoren die stereotype Frage, woher haben sie ihre Ideen. In “Lisey´s Story” gibt der Autor eine natürlich phantastische Antwort. Aber hinter den Dämonen aus einer anderen Welt steckt viel mehr, wie Lisey manchmal auf eine harte Art und Weise von Beginn ihrer Beziehung an kennenlernen muss. 

Es lohnt sich bei der Betrachtung des komplexen Romans mit der emotionalen Beziehung anzufangen. In dieser Hinsicht handelt es sich um Stephen Kings persönlichster Buch und der deutsche Titel drückt es treffend aus: Love.

Stephen King macht nicht den Fehler, das Phänomen Liebe zu untersuchen oder gar zu erklären. Das würde selbst seine schriftstellerischen Fähigkeiten übersteigen. Was er eindrucksvoll, emotional und vor allem mit zwei dreidimensionalen, aber niemals perfekten Charakteren beschreibt, ist die Einzigartigkeit einer echten Langzeitbeziehung – in diesem Fall mehr als fünfundzwanzig Jahre – zweier unterschiedlicher Menschen, die aber in vielen Punkten zu Einem werden. Früh (mit dem Attentat) und spät (nach Landons Tod) ergänzt er diese Thematik um Tod und Sterblichkeit. Deren Auswirkungen auf die Lebenden, die sich nicht nur verlassen, sondern auch irgendwie betrogen fühlen. Auch wenn der Tod in diesem Buch allgegenwärtig ist, handelt es sich um keine deprimierende Lektüre. Wie eingangs erwähnt ist der Ausgangspunkt des Romans die Idee, das Stephen King beim Autounfall ums Leben  gekommen wäre. Aber Stephen King nimmt diesen roten Faden auf und entwickelt ihn für die Frau an seiner Seite. Oder deren literarisches Ego Lisey. Ganz bewusst wechselt er die Fronten, denn seiner Theorie folgend gäbe es ja keinen Autoren Stephen King mehr.  

In den Rückblenden zeigt der Autor auf, wie zwei Menschen zusammenwachsen. Auch wenn die Öffentlichkeit Lisey nur als Beiwerk eines berühmten Autoren sieht, ist sie für ihren Mann der vertraute Anker in der stürmischen, vielleicht auch tödlichen See. Das Hier und Jetzt in dieser Realität, während es noch eine zweite gefährliche Welt gibt. Ihre Interessen sind anfänglich anders und bleiben es zumindest in literarischer Hinsicht. Aber trotzdem fühlen sie sich verbunden, wachsen zusammen. Seelenverwandte ist ein schwierig zu definierender Begriff und wird nicht selten auch falsch angewandt. Lisey und ihr Mann Scott sind es vielleicht. Sie überdeckt seine Schwächen – Erektionsstörungen, als Autor nicht selten abwesend und weltfremd; auf den Bühnen und für den Moment lebend – und ist gleichzeitig seine Stärke. Gleiche Gedanken, vielleicht auch ähnliche Träume. Der Beschützerinstinkt und schließlich auch die Wärme, die man in Gegenwart des Anderen empfindet. Die Stärken wie die Schwächen kennen. Natürlich gehört es auch dazu, unterschiedlicher Meinung zu sein und sich zu streiten. Aber der Schritt aufeinander zu, das Erkennen der Wahrheit in der Mitte zeichnet diese Beziehungen genauso aus wie die emotionale Festung, welche Langzeitpaare gegen die Welt da draußen aufbauen können und die Einsturz gefährderter als jedes erdbebensichere Gebäude der Erde ist, wenn einer der beiden Partner nicht mehr da ist. Und das ist meistens mit dem Sterben, dem Tod das Ende der Geschichte. Natürlich nicht bei Stephen King. Es ist der Anfang einer neuen, einer anderen nicht weniger herausfordernden Reise.

Nicht umsonst stellt Stephen King an den Anfang den Begriff der Ehe, der perfekten Beziehung und der Leere danach. So hat Lisey zwei Jahre nach Scotts Tod manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn ein Tag vergangen ist, an dem sie nicht an ihn dachte. Sie fragt sich, ob es ihr erlaubt wird. Ihre innere Antwort mag pragmatisch, vielleicht auch kühl erscheinen, aber sie zeigt und unterstreicht Liseys innere Stärken.

Aber der Leser lernt Lisey im Gegensatz zu Scott auch nur ab dem Abend kennen, an dem ihr zukünftiger Mann fünf Stunden zu spät zu einem Date kommt, weil sich die literarische Gruppe in Wallung über einen toten Dichter (Thomas Hardy) gebracht hat und er die Zeit vergessen hat. Es ist der Abend, an dem Lisey überlegt, die Beziehung zu ihrem Mann – bislang hat er zwei Romane veröffentlicht und gilt als literarisches Wunderkind – zu beenden und endet in den Morgenstunden mit dem angesprochenen Heiratsantrag. Es wäre Lisey gegenüber unfair, wenn man davon spricht, dass ihr Leben mit Scott erst beginnt. Sie hat eine Vergangenheit, wie das Verhältnis zu ihren beiden Schwestern zeigt. Sie wollte studieren, musste aber den ganzen Tag für die Rechnungen und die Wohnung kellern. Sie hatte auch Träume, Wünsche, Sehnsüchte. Nicht alles gibt sie auf, aber vieles wird anders. Es ist weiterhin Liseys Geschichte, aber sie beginnt mitten im Leben und reicht nicht wie bei Scott bis zu diesen Geburt – die Mutter stirbt – zurück. Das ist der große Unterschied zwischen den beiden Figuren. Scott tritt nur subjektiv in Rückblenden auf. Liseys Geschichte beginnt quasi mit dem Verlobungsantrag und geht weiter. Scotts Lebensgeschichte reicht bis in die Tage seiner Geburt zurück und endet zwei Jahre vor dem Einsetzen des Plots. Auch wenn sie die größten Teil ihres Lebens miteinander verbunden hat, hat jede dieser dreidimensionalen Figuren ihre eigene Zeit.

Diese Prämissen, die sich langsam aber stetig entwickelnde Handlung, muss der Leser akzeptieren, um in diese ungewöhnliche Stephen King Story einzutauchen. Wenn er nichts mit den Figuren anfangen kann, wird er die realistische Magie dieser Geschichte auch nicht spüren können.   

In diesem Roman sind “Monster” nicht gleich Monster. Stephen King differenziert sehr stark zwischen den Dreien, vielleicht auch den Vierern in dieser Geschichte. 

Das erste und offensichtlichste Monster ist der geheimnisvolle Anrufer- ein klassisches, vielleicht sogar klischeehaftes menschliches Monster, das an die unveröffentlichten Manuskripte Scott Landons herankommen möchte. Wie er auf Landon als Autor gekommen ist und dass eine zufällige Begegnung in der Kneipe den Stein ins Rollen brachte, wird im Laufe des Romans offensichtlich. Bis dahin handelt es sich um einen sadistischen Psychopathen, der keine Scheu hat, gegenüber Frauen Gewalt auszuüben und der Polizei immer wieder Schnippchen zu schlagen. Es sind die am meisten stereotypischen Abschnitte des Buches. Der Leser ahnt, wie es enden wird. Dazu hat Stephen King zu oft starke Frauen in Extremsituationen mit der Kombination von arroganten, narzisstischen Psychopathen entwickelt und zu Ende gebracht. Zusätzlich etabliert King mit dem ersten Attentat auch eine Art Muster, wie man solchen Menschen beikommen kann. Alleine der Ort der finalen Auseinandersetzung könnte kritisch gesprochen überraschend sein. Wer sich mit Stephen king auskennt, weiß, dass sich seine Heldinnen die Angreifer zurechtlegen und trotz einiger Irrungen/ Wirrungen an den Ort bringen, an dem sie einen kleinen Vorteil haben. Das ist auch bei “Lisey´s Story” der Fall. 

Neben dem angesprochenen Attentäter und dem Psychopathen gibt es aber noch weitere Monster in dieser Geschichte. Und diese stehen in einem engen Zusammenhang mit Scott Landon und seiner frühen Lebensgeschichte, welche er Lisey als Vorwarnung für eine mögliche Ehe offenbart. Diese erzählt Lisey den Lesern nicht nur in den Zwischenkapiteln, sondern im langen, emotional sehr überzeugenden Epilog. 

Stephen Kings Stärke in diesen Abschnitten ist auch zugleich eine Schwäche. Ein brutaler, vom Alkohol ausgezehrter und mit seinen Söhne überforderter Vater ist leider fast alltäglich. Ausbrüche von Gewalt können eine Kettenreaktion erzeugen. Diesen Eindruck vermittelt Lisey durch Stephen Kings Erzählart dem Leser. Eines der dunkelsten Geheimnisse Scott Landons wird dadurch relativiert, auch wenn sie nicht gänzlich entschuldbar ist. Hier greift zum ersten Mal wirklich ein übernatürliches, aber von King auch nicht weiter erklärtes Element in die Hand ein. Die Abfolge der Ereignisse - abgehoben von jedem traurig- tragischen, aber realistischen Hintergrund - ist im Grunde folgerichtig, wie in diesem besonderen Fall unvermeidbar. Auf jeden Fall ist Scott Landon für sein Leben gezeichnet und trägt den dunklen Schatten mit sich. Auf der anderen Seite wirken die Szenen so überzogen, so unrealistisch und damit wie klassischer Horrorstoff, dass sie auch ihre Wirkung verlieren. Stephen King ist nicht so konsequent, Scott Landon zu einem weiteren “Monster” zu machen und gewährt ihm aus Sicht der Leser wie auch Lisey eine Hintertür. Er sieht es natürlich anders, aber dieser Bogenschlag misslingt Stephen King durch seinen Hang zur theatralischen wie fast surrealistisch anmutenden, aber vor allem nicht hinreichend erklärten Entwicklung des Hintergrunds. Monster fallen mit dieser Konsequenz nicht vom Himmel.

Das zweite übernatürliche Elemente ist die “Quelle”. Der Trog, aus dem Autoren ihre Ideen ziehen. Aber auch der See, der eine heilende Wirkung hat. Lisey schwimmt in ihm. Und das Wasser, das eine magische Wirkung auf schwächere Geister hat und sie auf den Bänken am Ufer auf ewig verweilen lässt. Es gibt sehr viele unterschiedliche Aspekte, um sich diesem Mysterium zu nähern und Stephen King überlässt es auch Liseys subjektiver Perspektive im Grunde fast ausschließlich dem Leser. 

Wie eingangs erwähnt, greift Stephen King immer auf magische- märchenhafte Welten einen Schritt entfernt zurück. “Das Bild”, “Love”, die beiden Kooperationen mit Peter Straub und schließlich auch “Fairy Tale”.  Die Liste ist Legion. Seine Märchenwelten sind allerdings deutlich komplexer, vielleicht auch komplizierter. Auch wenn sie nur einen Schritt oder wie im vorliegenden Roman einen intensiven Gedanken weit entfernt sind, lassen sie sich von der Realität nicht gänzlich trennen. Sie machen süchtig, stellen für manchen Wesen einen perfekten Ausweg dar. Ob Scott Landon tagsüber in dieser seltsamen Welt mit einem noch bizarreren Wesen - einmal blockiert es mit fatalen Folgen den Weg zur Quelle, um später nicht mehr erwähnt zu werden - Kraft für neue Geschichten oder Romane schöpft, wird eher ambivalent ausgearbeitet. Nachts ist diese Welt lebensgefährlich, wie Scott Landon seiner Frau berichtet und wie sie selbst zu erfahren sucht. Aber es bleibt beim Hörensagen. Die beschreibungen sind eher rudimentär, wirken pragmatisch und sollen eine übersinnliche Bedrohung symbolisieren, wobei die meisten Figuren sich selbst in der Gegenwart des Lesers der größte Feind sind.   

Der See ist eine interessante Metapher für die dunklen Abgründe der Seele, aus denen die Autoren ihre Stoffe schöpfen. Der Zugang ist nicht umsonst. Stephen King impliziert, dass die Rechnung erst spät, vielleicht sogar zu spät präsentiert wird. Aber aus dem Nichts heraus erschafft der Amerikaner einen verführerisch verstörenden Ort. Es wirkt bizarr, dass es einen See voller Ideen irgendwo geben könnte, aber nach der Lektüre des Buches glaubt der Leser wie Lisey an diese Vision. Auch wenn Lisey selbst nur Scott Landons Worte als “Beweis” hat.  

Dabei bleibt Scott Landon auch ein Phänomen. Reich geworden ist er mit seinem ersten Horrorstoff. Anschließend scheint er sich in verschiedenen Genres versucht zu haben. Als Dozent ist er in Bremen - Deutschland - gescheitert. Wie Stephen King ist er ein starker Trinker gewesen. Schon bevor er Lisey kennenlernte, hat Scott Landon die inneren Dämonen - und die gibt es in dieser Geschichte wirklich - mit Alkohol unter Kontrolle gehalten. Anfänglich hat Lisey auch ordentlich mit gebechert. Aber mehr erfährt der Leser bis auf einen praktischen Joke, den Landon der Nachwelt hinterlässt, nicht über diesen Mann, der Schnitzeljagden wie laute Musik beim Schreiben oder Andenkenläden geliebt hat. Auch wenn Scott Landon teilweise unentwickelt wird, lebt die Geschichte von der starken, aber nicht perfekten Beziehung zwischen Lisey und ihm. Das alltägliche Überwinden der kleinen Hindernisse, von denen Geld keines ist. Die Vertrautheit und damit auch die Leere nach dem Tod des Partners. Die kleinen Macken, über die sich Ehepartner aufregen und sie dann doch nicht missen wollen. Das wirkt authentisch, das wirkt realistisch und das gibt diesem Roman auch die emotionale Tiefe, die Stephen Kings beste Bücher auszeichnet.  

Stephen King hat sich immer wieder mit dem Tod auseinandergesetzt. In “Pet Sematary” ist der Tod auch nur ein neuer Anfang. Aber “Lisey´s Story” ist anders. Es geht um das, was nach dem Tod eines geliebten Menschen bleibt. Nicht materiell, sondern in Erinnerungen. Nicht umsonst beginnt der Roman zwei Jahre nach Scott Landons Tod und mit der gemeinsamen Aufräumaktion der beiden Schwestern in dessen Arbeitszimmer. Dort endet auch im metaphorischen Sinne der realistische Teil der Handlung, bevor Stephen King aus einer anderen Perspektive noch einmal auf einen Schlüsselmoment in Scott Landons Leben zurückgreift und seinem tragischen Leben die emotionale, aber auch literarisch verklärte Tiefe verleiht, welche die Figur bei einer finalen, allerdings weiterhin subjektiven Betrachtung benötigt, um aus dem langen, dreidimensionalen Schatten Liseys zu treten, welche mit ihrer Art, ihrer Entschlossenheit und vor allem auch Verletzlichkeit die Handlung dominiert. 

Das ist vielleicht auch der größte Unterschied einer kleinen Reihe von Stephen Kings Romanen. “Lisey´s Story (2006) ist der erste Band einer besonderen Trilogie. Die Fortsetzungen sind “Duma Key” (2008), in dem sich Stephen King mit dem schweren Unfall und der langen Rekonvaleszenz Zeit auseinandersetze, sich nach anschloss und “Doctor Sleep” (2013), dem Buch, in dem er seine eigenen Dämonen Alkohol und Drogen literarisch zum ersten Mal  verarbeitete. Nur der Auftaktband “Lisey´s Story” wird aus einer anderen Perspektive erzählt. In chronologischer Reihenfolge müsste die Roman anders herum - “Doctor Sleep”, dann “Duma Key” und schließlich “Lisey´s Story” - gelesen werden, um eine Buchübergreifende charakterliche Entwicklung besser verfolgen zu können.  Alle drei Romane geben den Blick in Stephen Kings Innerstes frei; die phantastischen Elemente sind eher Beiwerk und nicht kriegsentscheidend. Diese persönliche, verletzliche Note in Kings Werk durchzieht das Leben und Leiden seiner zahllosen Figuren, beginnend mit “Carrie”. In diesen drei Büchern hat sich Stephen king in “Lisey´s Story” passiv, in den beiden anderen Teil aktiv an deren Stelle gesetzt und emotionale nicht kitschige Meisterwerke erschaffen, die unterstreichen, welche Sonderstellung Stephen King in der phantastischen, nicht nur Horror Literatur einnimmt.    

 

Love – Lisey’s Story: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne TB; Erstmals im TB Edition (3. März 2008)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 752 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453432932
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453432932
  • Originaltitel ‏ : ‎ Lisey's Story
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