Das Alien tanzt Kasatschok

Das Alien tanzt Kasatschok, Titelbild, Rezension
Ellen Norten (Hrsg.)

Die Herausgeberin Ellen Norten spricht in ihrem Vorwort von Geschichten aus einem oder im Grunde sehr vielen heiteren Universen. Verlag und Herausgeberin wollten ganz bewusst einen Gegenentwurf zu den dunklen Stoffen liefern, welche das Genre nicht selten beherrschen. Im Verlauf ihres Vorworts streift sie eine Reihe von Themen, mit denen sich die Autoren in den anschließenden Geschichten auseinandersetzen. Der Titel in Kombination mit dem auffälligen Titelbild von Lothar Bauer sind auf jeden Fall Programm, wobei schon ein sehr breites Spektrum von Humor von der Parodie bis zur Farce präsentiert wird.

 Marion Jaggi eröffnet mit „In vacuum we trust“ die Anthologie. Weltraumtrüffel sind eine Delikatesse, wie nicht nur die Kommandantin des Raumschiffs feststellen muss. Aber die Trüffel haben sich bislang nur getarnt, wie eine neue Studie zeigt. Der Humor der Story ist positiv bodenständig und versucht eine absurde Idee ernsthaft und dadurch sehr unterhaltsam zu erzählen.

 Vor allem zeigen einige Autoren, wie aus Klischees originelle und vor allem innovativ erzählte Storys werden. Marianne Labisch Titel „Kontakt“ ist Programm. Aus Langeweile spielen zwei Hifis in einer der SETI Einrichtungen gute alte Rockmusik ab, welche die Aliens zur Erde lockt. Nur Bier – egal ob natürlich gebraucht oder synthetisch transportiert – und Rock helfen bei der Kontaktaufnahme, was die stupiden und dickköpfigen Militärs nicht verstehen. Neben zahlreichen Hinweisen auf unterschiedliche Platten eine vor allem auch in Bezug auf die Dialoge souverän und originell erzählte Story.

 „Protoplasma mit Hut“ von Nikolaj Kohler nimmt die Idee des auf der Erde lebenden Alien auf, das sich gemäß den Film Noir Streifen als Privatdetektiv verdingt. Der Fall hat aber indirekt mit der eigenen Vergangenheit zu tun. Spritzige Dialoge immer am Rande des Klischees und doch originell, dazu eine solide Geschichte und eine Art Happy End.

 Und schließlich hätte niemand gedacht, dass „Lord of the Dance“ eine Kommunikationsbasis wie in Ellen Nortens „Sum Sum Sum“ darstellen könnte. Bei der letzten Story wäre es fast sinnvoller gewesen, die zweite Handlungsebene bis zur obligatorischen Pointe zu streichen und sie alleine aus menschlicher Sicht erzählen zu lassen, um die genretypische Überraschung ein wenig besser zu verbergen.  Dazu gibt es noch die Variation, dass die sportlichen Missleistungen der Menschen in den Tiefen des Alls für Vergnügen sorgen. Eine intergalaktische „Verstehen Sie Spaß“ Kampagne könnte Enzo Asuis „Springer, der Rosinendieb“ fortführen.

 Monika Niehaus führt den Leser wie in Donnas Kaschemme. Viele Leser kennen ihre Miniaturen in den Anthologien des phantastischen Bibliothek Wetzlar. Dieses Mal geht es um eine besondere Mission, die ausführlich möglichst bei Freibier berichtet werden muss. Es ist weniger der mechanisch ablaufende Plot als der humorvoll satirische Stil, welche die Story neben der vertrauten beliebten Atmosphäre aus der Masse der Geschichten dieser Anthologie heraushebt.   Es ist aber nicht die einzige intergalaktische Kneipe, wie Michael Schmidt mit „Galactic Pot Healer“ beweist. Leider ist in Michael Schmidts Arbeit weder die zugrunde liegende Idee wirklich originell noch überzeugt sein viel zu sachlicher, zu steifer Stil. Dabei hat er sich bemüht, ein exzentrisches Essemble zu versammeln, dem der Autor leider kein überzeugendes Leben einhauchen kann.  Oder Angela Stolls „Überraschung für Bertha“, in welcher ein Ex seine damalige Frau jedes Jahr an ihrem Geburtstag auf unterschiedliche Art und Weise zu becircen sucht. Im direkten Vergleich zu Michael Schmidts Story gelingt es der Autorin, mit den sexistischen Bemerkungen und den einen Magen im wahrsten Sinne des Wortes umdrehenden Drinks Stimmung zu erzeugen. 

 Nicht jeder Kontakt mit der Erde ist storytechnisch zufrieden stellend umgesetzt worden. Uwe Voehl präsentiert mit „Das Alphaweibchen“ eine seiner schwächsten Geschichten der letzten Jahre. Die Pointe bis auf die Zwischentöne ist lange im voraus erkennbar und der Leser fragt sich, wie debil eigentlich ein Protagonist sein könnte. Vielleicht hätte er den Hintergrund der Geschichte differenzierter gestalten sollen und eine Art Ablenkungstaktik hinzufügen müssen. Die wenigen brutalen Szenen wirken aufgesetzt und negieren jeglichen Spannungsaufbau bis zur Splatter Komödie in Peter Jackson Tradition. Hinzu kommt, dass keiner der wenigen Protagonisten wirklich sympathisch ist.

 „Genesis Reloaded“ von Tobias Habenicht beginnt mit einer sehr guten Idee. Die Aliens sind von der Bösartigkeit der Menschheit fasziniert und bieten an, sie quasi abzusaugen und nur noch das Gute im Menschen zurückzulassen. Warum allerdings daraus eine neue Genesis entstehen soll, obwohl der Versuch nur bedingt erfolgreich gewesen ist, erschließt sich nicht dem Leser nachhaltig genug. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, auf eine derartig konstruierte Pointe zu verzichten und auch den zweiten Teil der Story eigenständiger zu entwickeln und vielleicht eine halbgereinigte Erde der Gegenwart schlagartig zu beleuchten. Immerhin muss ja kein automatischer Rückfall in biblische Zeiten erfolgen.

 Ralf Boldt siedelt  seine „Beobachter“ Geschichte in der Heimat an. Ob es Zufall ist oder nicht, er bedient alle Klischees vom süffigen Landleben, in das ein Alien als Beobachter rutscht. Je mehr er sich in diesen immer kürzer werdenden Berichten zu verfolgen anpasst, um so mehr entfernt er sich auch von seine Heimat und verschwindet schließlich in der norddeutschen Tiefebene. Nur durch die Hinweise auf das so einzigartige Landleben im hohen Norden wirklich unterhaltsam, inhaltlich leider nicht unbedingt wirklich originell.   

 „Monster essen die Erde auf“ von Tobias Bachmann ist vom Titel an Programm. Die Grundidee mit den Materie fressenden, allgegenwärtigen und doch wieder unsichtbaren Monstren auf ihrem Vernichtungszug erinnert an eine globale Variation der „Langoliers“ aus Stephen Kings Novelle, aber Tobias Bachmann hat seinen Plot um die Tücken von Katastrophenversicherungen positiv erweitert, so dass der berichtende Erzähler irgendwo zwischen allen Stühlen sitzen bleibt, um vom Ende nicht nur aller Versicherungen, sondern der Erde an sich zu berichten. Neben den satirischen Seitenhieben auf das Vertretergewerbe eine ultimative Fortführung der angesprochenen Stephen King Novelle, erweitert um eine globale Variation sogar inklusiv eines dieser typischen Schmallspurschnüffler, die „Protoplasma mit Hut“ das erste Mal in dieser Anthologie in Form eines Außerirdischen erwähnt hat.

 Die Prämisse von Gabriel Maiers „Gestatten Sie, das ich rauche?“ kommt dem Leser irgendwie bekannt vor, ohne das er es wirklich zuordnen kann. Ohne zu viel von der Pointe zu verraten nimmt der Autor die Grabenkämpfe in den rücksichtslos agierenden anscheinend amerikanischen Konzern aufs Korn. Hinter der Entwicklung eines fliegenden Autos stehen die kapitalistischen und weniger die ökologischen Interessen der Großindustrie, wobei das Geldverdienen eher ein positiver Nebenerwerb ist. Nach der Aufdeckung der Hintergründe geht alles sehr schnell, wahrscheinlich sogar zu schnell und zu effektiv. Wahrscheinlich hätten dem Plot zwanzig weitere Seiten mit einer nachhaltigeren Hintergrundentwicklung sogar besser getan. Auf jeden Fall gehört die Story zu den besseren unterhaltsameren Beiträgen der ganzen Anthologie.    

 Johann Seidls „Sagen Sie okay, wenn Sie die Bedingungen akzeptieren“ ist eine dieser Geschichten, in denen die intelligente Technik den Menschen dominiert, zu seinem gesundheitlichen Wohl versklavt und sogar alles besser weiß. Die Pointe ist im Vorwege erkennbar, aber die Verzweifelung gegenüber der vorlauten künstlichen Intelligenz vor allem des Kühlschranks macht die kurze Story trotzdem lesenswert. „Der Glotzer Rudi“ von Ruth Schmiedberger mit dem besonderen Hydranten zielt in eine ähnliche Richtung, kann aber weniger überzeugen, da die Ausgangslage zu unglaubwürdig ist und sich die Autorin bei den Hintergrundbeschreibungen eher bescheiden als positiv zurückhält. Oder Andreas Fiebergs „Pfeiffkonzert“, in dem es um ein besonderes Konzert geht. Irgendwo steckt in dieser Idee ohne Frage auch eine interessante, vielleicht sogar emotional vielschichtige Story, aber vieles wird nur impliziert und zu wenig überzeugend extrapoliert. Auch „Doppelte Hochzeit“ von Hubert Katzmarz reiht sich in die Riege der wahrscheinlich nur ein sehr kleines Publikum unterhaltenden Storys ein. Exzentrik sowohl in technischer als auch inhaltlicher Basis geht nicht selten zu Lasten der Lesbarkeit der Geschichten und im Ganzen wirken viele der Texte in „Das Alien tanzt Kasatschok“ nicht aus einer Stimmung heraus dem Thema des heiteren Universums folgend verfasst, sondern mit Mühe strukturiert und komponiert, aber nicht mit vollem Herzen erzählt. 

 Andere Story wie „AL“ von Michael J. Awe überzeugen, auch wenn der aufmerksame Leser einen Teil der Pointe erahnen kann. Der Protagonist schließt auf einem bizarren Kongress das Abo über eine im Grunde perfekt auf ihn zugeschnittene Zeitschrift ab. Sechzehn Jahre später möchte er das Abo kündigen und erfährt über Umwege die süßsaure Wahrheit hinter dieser besonderen Lektüre. Ansprechend, originell mit der richtigen Mischung aus Satire und Empathie eine der unterhaltsamsten, aus sich selbst heraus strahlenden Geschichten dieser Anthologie.    

 Kaum vorhanden sich Geschichten mit fehlgeschlagenen hochwissenschaftlichen Experimenten. Regine Botts „Chicken Change“ ist Programm. Der Geist eines Wissenschaftlers landet nach einer Unvorsichtigkeit während eines Experiments direkt im Körper eines Huhns, was ihn nicht einmal sonderlich stört. Lustige Dialoge, einige Kalauer und Wortspiele, dazu eine geradlinige Handlung unterhalten gut. 

 Paralleluniversen - nicht selten ungeplant geöffnet - haben es in sich. Harald A. Weissen versucht es in „Weiße Flut“ mit den feuchten Träumen, die auf den Protagonisten einprasseln, während in einer der besten, ursprünglich nicht mit einer unbedingt neuartigen Idee ausgestatteten Story „Uups“ von Paul Sanker nicht nur das originelle Ende mit einer phantastischen Geschäftsidee überzeugt, sondern die Mann/ Fabelwesen Freundschaft wieder Willen immer die Gesetze de Mythologien beachtend auf eine interessante Spitze getrieben wird. Bei „Uups“ wünscht man sich eine Fortsetzung, in welcher die Protagonisten tatsächlich steinreiche Zwerge in Moira melken, während Harald A. Weissen sich nach dem erotisch feuchten Auftakt im Kreise dreht und vor allem die Pointe nicht zufrieden stellend genug auf den Boden seiner Geschichte stellen kann.  

 Joachim Pack packt alles in seinen Titel. „Die Loreley und der Zigeuner“, der auch noch Arpad heißt und viele ältere Leser an die kurzweilige Fernsehserie erinnern wird. Es gibt ausreichend Wortspiele in diesem Mischmasch aus Nibelungensaga und Posse mit einigen exzentrischen Ausläufern. Aber der Text ist derartig überladen von bemühten bis gequälten Humor, dass ein Leser diese Exzentrik wirklich lieben muss, um zufrieden stellend unterhalten zu werden. Zumindest vergeht die Zeit im Fluge, während man die einzelnen Anspielungen sucht und nicht selten auch relativ gut findet.  Auch Bernd Horwatitschs „POSIX-bug“ versucht sich erst hinter den bizarren, aber irgendwie auch abstumpfenden Nachrichten aus den Tageszeitungen zu verstecken, welche der Protagonist alltäglich heraussuchen muss. Der Plot mit dem Verschwinden und Auftauchen entwickelt sich anschließend in einer überraschende Richtung. Das große Problem dieser Kurzgeschichte ist, dass es sich um keine von der Struktur her Kurzgeschichte handelt. Zu viele Ideen strömen auf viel zu wenig Platz ineinander und werden eher zu einem Klumpen zusammengedrückt als zufrieden stellend entwickelt. Es wäre sinnvoll, noch einmal ans Reißbrett zu gehen und aus den im Grunde zwei Prämissen eine interessante Novelle zu zimmern.  

 Zusätzlich finden sich noch Fragmente wie „Elfengleich“ von Zaubi M. Saubert in der Sammlung, welche überraschend gut wie emotional ansprechend geschrieben worden sind, aber eher wie eine Momentaufnahme denn eine Story erscheinen. 

 Thomas Morawetz schließt mit „Gott gefunden“ die Anthologie ab. Es ist eine dieser absurden Facetten, von denen „Das Alien tanzt Kasatschok“ einiger mehr zwischen den guten Storys benötigt hätte, um andere schwächere, zu stark auf Struktur und zu wenig auf den angesprochenen Humor, von einem heiteren Universum ganz zu schweigen zielende Geschichten qualitativ auszugleichen.

 Die Grundidee der Herausgeberin ist lobenswert. Humor ist eine schwierig zu fassende Komponente, da er jeden Menschen anders anspricht. Trotzdem erscheinen einige der Kurzgeschichten eher bemüht und ignorieren sogar die Leitplanken des Grundthemas, während vor allem die vielen „Aliens sind unter uns“ Storys dieses Subgenre mit teilweise subtilen, manchmal ein wenig herzerfrischend albernen Humor um mehr als eine Idee oder Facette bereichern und die ganze Anthologie unabhängig von den angesprochenen Schwächen aus der Masse herausheben. Nicht umsonst sind mehrere Geschichten in die engere Wahl von Science Fiction Auszeichnungen wie den Kurd Lasswitz Preis aufgenommen worden.

SF und Fantastik aus einem heiteren Universum
AndroSF 61
p.machinery, Murnau, Juni 2017, 278 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 083 2 – EUR 11,90 (DE)
eBook-ISBN 978 3 7438 1749 4 – EUR 5,99 (DE)