Heliosphere 2265- Band 14 "Das erste Ziel"

Andreas Suchanek

Wie Andreas Suchanek in seinem Nachwort präzisiert, treibt der Autor die Handlung auf mehreren Ebenen – das ist wörtlich zu nehmen, da sich die HYPERION in einer möglicherweise alternativen Zukunft bewegt, während in der Gegenwart die Rebellen gegen Sjöbergs Truppen und die Zukunftsrebellen mit unbekannter Mission zugleich kämpfen müssen – voran. Wie in der ersten Miniserie legt der Autor zu Beginn eine Reihe von Grundsteinen, die er in den folgenden Romanen abarbeitet. Neben zahlreichen Actionszenen ist es die Vermischung aus neuen Ideen und alt bekannten, manchmal ein wenig sich am Rande des Klischees bewegenden Aspekten, welche den Reiz dieses gut geschriebenen und überzeugend strukturierten Romans ausmachen.

Die Zukunftsebene mit der HYPERION wird als einzelne, aber signifikante Episode erzählt. An deren Ende wissen weder Captain Cross noch die Leser, ob sich das Schiff nicht einen teuflischen Maulwurf an Bord geholt haben. Kaum durch den Tunnel geschlüpft drohen wichtige Maschinen der HYPERION auszufallen. Im Niemandsland gefangen ist in dieser Sekunde die für die Zukunft eines Universums wichtige Mission schon gescheitert. In ihrer Not müssen sich Sarah McCall wecken, die bislang immer ihre Karten geschickt ausgespielt hat. Sie führt die HYPERION zu einer Basis der Zukunftsrebellen. Dort finden sie im Orbit eine künstliche Intelligenz an Bord einer gigantischen Rohstoffe aus den Asteroiden fördernden Anlage, die unter bestimmten Bedingungen zur Hilfe bereit ist. Sie erkennt allerdings weniger Captain Cross, sondern nur Commander Ishida als Botschafter an. Andreas Suchanek macht sich ein sichtliches Vergnügen, diese Handlungsebene noch einmal aufzuspalten. In bester „Star Trek“ Manier werden störende Elemente durch ein Versetzen auf die immer unwirtlich werdende Planetenoberfläche gegen ihren Willen versetzt, während Ishida und die künstliche Intelligenz in einer Mischung aus Carpenters „Dark Star“ und verschiedenen Charles Stross Romanen um eine Position an Bord diskutiert. Das die „Geschenke“ immer einen faden Beigeschmach haben, wird relativ schnell offensichtlich. Mit dieser Episode schlägt der Autor allerdings rückblickend auch zwei Klappen. Aus der alt gedienten HYPERION ist eines der modernsten Schiffe des Universums geworden, das bei einem Konflikt mit den in die Gegenwart eingedrungenen Zukunftsrebellen ohne Frage bestehen kann. Diese technischen Veränderungen versucht der Autor auf einer fast humorvollen Ebene – Chefingenieurin und Captain sind zumindest in dieser Serie keine innigen Freunde, wenn auch ihr gegenseitiges Verhalten von Respekt geprägt ist – zu relativieren. Im packenden, aber auch vorhersehbaren Showdown zeigt sich allerdings, dass es ein schmaler Grad zwischen einer zukünftigen „Deus Ex Machina“ Waffe und Herausforderungen ist, die intellektuell gegen alle Wahrscheinlichkeiten überwunden werden müssen. Unabhängig vom fast zu rasanten Tempo, das Andreas Suchanek in diesem Spannungsbogen anschlägt, liest sich aber die weitere Erkundung der nicht immer nur fremdartigen Zukunft ausgesprochen gut und mit Sarah McCall verfügt diese Handlungsebene wieder über eine vertraute wie geheimnisvolle Figur, welche den Figurenkanon deutlich belebt.  

Im Hintergrund bleiben die Untersuchungen von Commander Ishida und der Chefingenieurin Giulia Lorencia um den Zeitschatten zu lösen, den Ione Kartess angedeutet hat. Andreas Suchanek deutet an, dass er im nächsten Roman dieses Geheimnis auflösen will. Mit dieser Vorgehensweise gelingt es ihm wie in der ersten zwölfteiligen Miniserie innerhalb seiner Serie, das Universum konsequent zu erweitern und die einzelnen Nebenschauplätze besser in die Gesamthandlung zu integrieren. Als Figuren gewinnen Ishida und Lorencia deutlich weiter an Profil, wobei insbesondere Ishidas Gewinnskonflikt im Grunde nur vordergründig eine Rolle spielte, denn eine Alternative zum Angebot, das man nicht ablehnen kann, ist ja nicht in Sicht gewesen. Auf jeden Fall hat Andreas Suchanek mit der künstlichen Intelligenz inklusiv der verschiedenen „zwischenmenschlichen“ Konflikte einen weiteren interessanten „Charakter“ der bislang gut charakterisierten und stetig weiterentwickelten HYPERION Crew hinzugefügt.    

 

In der Gegenwart greifen die Zukunftsrebellen ihr erstes Ziel an. Technisch den Truppen Sjöbergs überlegen erleiden sie doch durch einen Zufallstreffen einen Pyrrhussieg. Mit der von ihrem älteren Ich gefangen gehaltenen Pendergast verfügt diese Handlungsebene über eine doppelte Persönlichkeit. Da die Motive der Zukunftsrebellen und des Bundes der Assassinnen noch nicht gänzlich aufgedeckt worden sind, kann Andreas Suchanek auf dieser Handlungsebene noch besser variieren. Die Konfrontation mit dem eigenen dunklen „Ich“ – auch hier greift Andreas Suchanek positiv nicht auf Klischees zurück, sondern entwickelt seine Charaktere aus ihren sehr unterschiedlichen Umfelder heraus – lässt Pendergast noch nachdenklicher werden. Vor allem, da sie im Hintergrund ahnt, das die Erfolge der Rebellen nach und nach von opportunistischen Politikern adaptiert werden. Was Andreas Suchanek im vorliegenden Roman „Das erste Ziel“ nur andeutet, hat er schon im ersten Zwölfteiler auf der Erde sehr anschaulich extrapoliert gehabt. Es bleibt zu wünschen, dass er das Schicksal des Rebellensystem noch ausführlicher beschreibt, da dort unabhängig von den militärisch politischen Entwicklungen und möglichen „Funden“ aus der tiefsten Vergangenheit, von denen es teilweise an passenden Stellen zu viele gibt, das meiste Entwicklungspotential steckt. Die Perry Rhodan Serie hat es ja – auch wenn der Vergleich hinkt – mit dem STARDUST System versucht, bevor diese Variante der Rückkehr zu den Wurzeln der Serie ohne Not frühzeitig abgebrochen worden ist. Pendergasts Flucht und die folgenden Szenen wirken angesichts der Plotdichte vielleicht zu einfach entwickelt und gehen angesichts der zahlreichen Handlungsebenen fast unter. In diesem Punkt hätte sich Andreas Suchanek noch ein wenig mehr Zeit/ Raum nehmen können.

 

Positiv ist, das der Autor mit „Das erste Ziel“ wie im ersten Zwölfteiler das Tempo gegenüber dem Auftaktband noch einmal anzieht und die verschiedenen Schauplätze noch deutlich ausbaut, bevor er laut seiner Ankündigung mit dem nächsten Roman beginnt, die einzelnen aufgeworfenen Fragen zu beantworten und die einzelnen Rätsel zu lösen. Das unterstreicht nicht nur die Komplexität des Komos, sondern zeigt überdeutlich, wie viel Mühe sich der Autor bei der Konzeption der Handlung gegeben hat. Wichtig ist es, das Gleichgewicht zwischen einzelnen Handlungsbögen – in diesem Fall dominiert der Besuch der HYPERION im verlassenen Stützpunkt der Zukunftsrebellen inklusiv einer Begegnung der besonderen Art – und dem Hintergrund in dieser Qualität zu halten. Diese Balance versucht der Autor mit zwei verschiedenen „Duos“ in den folgenden beiden Romanen noch ausbauen. Der Abwendung von Captain Cross als allgegenwärtigen, die Klischees der Serien erfüllenden Charakter kann nur positiv sein, zumal er in diesem Roman im Grunde zum „Zuschauen“ und später eifersüchtig erfüllen zum Wohle seiner Crew trotz aller „Abscheu“ verdammt worden ist. Andreas Suchanek hat in den letzten „Heliosphere 2265“ Romanen schon bewiesen, dass er Frauen über die militärisch männlichen Klischees hinaus entwickeln kann. „Das erste Ziel“ stellt vielleicht in dieser Hinsicht keinen weiteren Quantensprung dar, aber es ist schön zu lesen, dass erstens seine weiblichen Protagonisten zumindest impliziert auch teilweise ein befriedigendes, auch sexuelles Leben haben und auf der anderen Seite trotz ihrer emotionalen „Hemmnisse“ wichtige Entscheidungen treffen können. Admiral Pendergast ist neben der weiterhin sich kontinuierlich in überraschende Richtungen entwickelnden Ishida ein positiver Lichtpunkt in einem relativ umfangreichen, vom Leser aber jederzeit gut zu entscheidenden Essemble.

Auch wenn die kurze Zusammenfassung des bisherigen Plots zu Beginn des Romans Neueinsteiger über das vielschichtige Geschehen informiert, empfiehlt es sich, eher mit dem ersten Band als dem dreizehnten Roman in die Serie einzusteigen, da trotz aller Zusammenfassungen auch in Bezug auf den Jahrtausendplan so viele kleine Informationen, so viele interessante Nebenaspekte ansonsten untergehen und sich der vielschichtige „Heliosphere 2265“ Kosmos dem Leser nicht entschließt.

Stilistisch ist auch Andreas Suchaneks Weiterentwicklung nach seinen ersten „Sternenfaust“ Romanen eine positive Überraschung. Die Dialoge sind gut bis pointiert ironisch geschrieben, die Beschreibungen präzise und bei den Actionszenen variiert der Autor einzelne Plotelemente, so dass „Das erste Ziel“ insbesondere im Vergleich zum Auftaktroman der zweiten Staffel qualitativ noch einmal eine bemerkenswerte Steigerung darstellt und den Leser wie die Protagonisten mit ausreichend vielen Fragezeichen zurücklässt.     

Cover: Arndt Drechsler, Innenillustrationen: Anja Dyck)

E-Book (137 Seiten), 2,49 Euro
Taschenbuch (2 Romane) - ca. 250 Seiten