George Zebrowski “Makro- Leben” wird im Münchner Apex Verlag neu aufgelegt. Der 1979 in den USA, zwei Jahre später im Moewig Verlag publizierte Roman ist stellvertretend für die philosophisch intellektuelle Ausrichtung Zebrowskis, der nicht selten mit großen Ideen spielt und sie zufriedenstellend extrapoliert, sie aber immer wieder mit einzelnen bekannten, aber nicht immer markanten Handlungsfacetten kombiniert.
Eine der interessantesten Ideen ist die Gestaltung des „Makro- Lebens“ an sich. George Zebrowski definiert es als einen kontinuierlichen, über weite Strecken vom Menschen definierten und dominierten Evolutionsprozess. Ein Mitglied der Familie Richard Bulero – ein Clan, welcher aufgrund einer wichtigen metallischen Erfindung zu einer der beherrschenden Familien des Sonnensystems wird – spricht davon, dass die Stadt als erstes unter den Begriff des Makro- Lebens fällt. Der Mensch verlässt die Sphäre der Eigenversorgung. Aus der landwirtschaftlichen Kolchose wird ein Platz zum Leben, zum Handeln, später für die Wissenschaft und Künste. Der nächste Schritt ist im Grunde die Besiedelung des Planeten, die ersten Schritte ins All, die Kolonisierung der anderen Welten und schließlich mittels gigantischer Generationenasteroiden die Odyssee in die Tiefen des Alls.
Interessant ist, dass Zebrowski sich auf der einen Seite mit seinen Protagonisten nach außen bewegt, in gigantischen sich stetig erweiternden Hohlkörpern die Grenzen des Sonnensystems überschreitet, folgerichtig diese technisch hochstehenden Kulturen sich aber auch nach „innen“ orientieren müssen, da sie auf einem natürlich gigantischen Raum wieder zu Selbstversorgen geworden sind. Erst im letzten, am ehesten interessanten, aber auch kürzesten Kapitel kommt es wieder nach dem Quid pro Quo Prinzip zu einem neuen Tauschhandel.
Fast alle diese Schritte fasst Zebrowski der Tradition Olaf Stapledons, Alexei Panshins oder H.G. Wells folgend in den ersten einhundert Seiten gut zusammen. Nicht jede der hier präsentierten Ideen ist neu. Andere Autoren wie Iain M. Banks, Octavia Butler oder Joe Haldeman, selbst Larry Niven mit seinem “Ringwelt” Epos oder Clarke mit seinen “Rama” Romanen haben sich meistens in Trilogien oder ganzen Serie mit den grundlegenden Fundamenten dieser besonderen Art des Science Fiction Genres auseinandergesetzt.
Zebrowski hat im Jahre 2000 mit „Cave of Stars“ einen weiteren Roman geschrieben, der im gleichen Universum spielt. Für die mit einem neuen Nachwort versehene Neuauflage von „Macro- Life“ in den USA hat er einen dritten Roman angekündigt, der die Fäden aus dem hier vorliegenden Debüt wieder aufnehmen soll. In den seit diesem Nachwort vergangenen zwölf Jahren hat Zebrowski allerdings kein Werk verfasst, das in diesem kühnen Universum angesiedelt worden ist.
Auf drei eng miteinander verbundene Abschnitte aufgeteilt ist es nicht nur die Geschichte der Erkundung des Universums inklusiv der entsprechenden Rückkehr zur Erde, sondern vor allem wie bei Ian MacDonalds „Luna“ Romanen gleichzeitig eine Familiengeschichte.
Die Buleros haben vor mehr als dreißig Jahren einen seltenen Stoff namens Bulerite aus der Erde gezogen. Inzwischen ist dieses ambivalente Baumaterial fast überall in den Anwendung. Reich geworden hat der Clan allerdings die Forschungen eingestellt. Als ersten auf der Familie begegnen die Leser Richard Bulero, dem es auf der Erde zu langweilig wird. Er hat allerdings seine Thesen vom „Macro- Life“ noch nicht ausformuliert. Der Leser wird diese Ideen ausführlich im zweiten Abschnitt des Buches nachlesen können.
Bulerite erweist sich als instabil. Es zerfällt nicht nur, es explodiert förmlich. In atemberaubender Geschwindigkeit zerfallen ganze Städte, sterben Millionen von Menschen. Da mittels eines gigantischen Bulerite Stabes auch die Erdwärme an die Oberfläche gebracht wird, droht ein Supergau. Plötzlich sind die Buleros geächtete Menschen. Zusammen mit tausenden anderer Menschen fliehen sie zur Asteroidenkolonie Asterome, die autark und ohne den Stoff im Grunde vorerst die letzte Hoffnung der Menschheit auf einen Neubeginn ist.
Am Ende dieses Abschnitts nach einigen Irrungen und Wirrungen, politischen Diskussionen und tiefgreifenden Zweifeln wird Asterome stellvertretend für die Menschheit – hier baut Zebrowski kurzzeitig noch eine weitere Bedrohung ein – zu den Sternen reisen.
Zebrowski hat den ersten Handlungsbogen ausgesprochen gut aufgebaut. Bevor der Leser die Buleros als unsympathische Snobs verachten kann, bricht ihre Welt zusammen,. Vielleicht funktioniert die „Rettung“ ein wenig zu pragmatisch und der Leser erfährt zu wenig über die Welt in der näheren Zukunft, aber fast sachlich distanziert, ohne Pathos oder reiner Verzweiflung angesichts der wirklich unfassbaren, durch Leichtsinn verursachten Katastrophe spult Zebrowski sein Programm ab. Das Tempo ist enorm, die Spannungskurve zufriedenstellend und aus technisch soziologischer Sicht wird ein oligarchisches, aber friedlich expandierendes Sonnensystem beschrieben. Wie schmal der Grat zwischen Fortschritt und Katastrophe/ Paranoia ist, zeigt Zebrowski eindrucksvoll aus der hilflosen Perspektive der ehemals mächtigsten Familie in letzter Sekunde erst in die Wildnis und dann ins All geflohen.
Im zweiten in der ferneren Zukunft spielenden Abschnitt kehren Nachfahren der Buleros in die Wildnis zurück. Basierend auf dem genetischen Material folgt John Bulero seinem Vorbild. An Bord der Asterome geboren sehnt er sich als erster von wahrscheinlich zwei Handvoll Menschen – siehe auch „Cave of Stars“ – noch echter frischer Luft und dem Aufenthalt auf einem Planeten. Das ist aber eher Einbildung, denn Zebrowskis gigantische Asteroidenraumschiffe sind alle erdenklichen Welten in einem. Später deutet er an, dass die Menschen auf den einzelnen Ebenen ihrer Phantasie fast gänzlich freien Lauf gelassen haben.
Auf dem Planeten verliebt er sich, die Geschichte endet aber in einer Tragödie. Der Handlungsbogen ist deutlich intimer, die Fokussierung auf die einzelnen Figuren effektiver, aber dem Spannungsabschnitt fehlt nicht nur die Dynamik, sondern das grandiose Szenario.
Im letzten Abschnitt kehrt die Arche zur Erde zurück. Jahrtausende sind vergangen, die Spuren der damaligen Katastrophe sind zu Teilen eines Mythos geworden. Im „Makro- Leben“ selbst sind die wichtigsten Bewusstseine in einer Art Hype Intelligenz aufgegangen. Neben der Begegnung mit den Außerirdischen stellt sich George Zebrowski die Frage, ob erst das Leben oder erst das Universum in seiner bekannten Form enden könnte.
Es ist ein Ausblick, der eher Stapledon als Wells würdig ist. Obwohl der Amerikaner eine echte Vision entwickelt und aus seiner Sicht das zukünftige Leben „neu“ definiert hat, gehört „Makro- Leben“ nur zu den möglicherweise einhundert ideentechnisch interessantesten Büchern des Genres, aber nicht unbedingt zu den besten Romanen. Nicht selten sind die einzelnen Protagonisten eher eindimensional, pragmatisch gezeichnet. Ihre Handlungen entsprechen den Klischees emotional unterentwickelter Theoretiker. Nicht selten baut Zebrowski einen emotionalen Konflikt auf, den er in den nächsten Abschnitt zur Seite schiebt, um neue technologische Wunder zu beschreiben. Es ist auf der einen Seite unglaublich, was „Mensch“ erreichen kann. Auf der anderen Seite impliziert Zebrowski, das jede auf einem einzelnen Planeten beheimatete Zivilisation zum Untergang verdammt ist. Nicht selten durch die eigene Hand. Selbst Makro- Leben, das nach einer langen Reise durchs All sich niederlässt, ist vom Verfall bedroht. Die Argumentationskette ist schlüssig wie natürlich theoretisch.
Zu den Stärken gehören aber die zahllosen Ideen, das grandiose wie große Bild einer zukünftigen Menschen, das Zebrowski hier malt. Neben den Wundern des Alls sind es die gigantischen Bauwerke auf der Erde – der Leser verfolgt nur ihre Implosion – wie auch dieses gigantische, stetig von Menschen während des Flugs ausgebaute Raumschiff, auf dem Millionen von Menschen leben könnten. In einem an Gigantomanie reichen Genre wie Nivens „Ringwelt“, Bob Shaws Orbitsville oder Clarkes „Rama“ hat sich Zebrowski einen besonderen Platz erschrieben und ist gleichzeitig zumindest in dieser Hinsicht in Vergessenheit geraten.
„Makro- Leben“ ist wie Lego, ein gigantischer intelligenter Bausatz zahllosen Ideen, die der Leser den Thesen der Protagonisten folgend, aber der eigenen Phantasie gehorchend auseinanderbauen und wieder zusammensetzen kann. Trotz der Actionszenen ist es vor allem eine intellektuelle Spielerei und ein Blick in aus Zebrowskis Sicht einzige Möglichkeit, menschliches Leben zu erhalten. Auch wenn es in doppelter Hinsicht immer wieder zur eigenen Wiege zurückkehrt.
- Taschenbuch: 504 Seiten
- Verlag: Apex; Auflage: 1 (6. Februar 2019)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3748509847
- ISBN-13: 978-3748509844