Türen, Tore & Portale

Susanne Frambach & Kai Focke

Sabine Frambach und Kai Focke agieren dieses Mal mit einem zweiten wieder fünfundfünfzig phantastische Miniaturen umfassenden Andro SF Band nicht als Herausgeber, sondern als Autoren. 

Dabei handelt es sich um eine Erweiterung eines Novums innerhalb der langjährigen Anthologiereihe der Phantastischen Bibliothek aus Wetzlar. Die ursprünglich 41. Ausgabe der Phantastischen Miniaturen basierte zwar wieder auf einem gemeinsamen Thema „Türen“, aber alle 28 Kürzestgeschichten stammen aus der Feder einer Autorin. Ein Novum in dieser Reihe. Wie Herausgeber Thomas le Blanc in seinem Vorwort für die Phantastische Miniatur zusammenfasst, hat Irene Frambach alle Geschichten innerhalb eines halben Jahres für die Sammlung geschrieben.

Zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten Miniatur trat die Autorin quasi in die Riege der regelmäßigen Mitarbeiter ein und hat seitdem zu fast allen Themen interessante, bizarre oder auch nur emotionale Beiträge beigesteuert. 

Anstatt auf die anscheinend imposante Anzahl von mehr als neunzig Geschichten zurückzugreifen, entschlossen sich Thomas le Blanc und Irene Frambach, „Türen“ zu einer Originalanthologie zu machen.

Neben den achtundzwanzig Kürzestgeschichten um das Thema Türen finden sich aus den Phantastischen Miniaturen 62 ”Die Klönschnacktür” - erweitert-, aber auch ein Nachdruck aus dem Geburtstagsbuch zu Ehren Thomas le Blanc sowie der Anthologie “Asphaltspuren”. Die letzten beiden Geschichten stammen aus der Feder Kai Fockes. 

Aber Sabine Frambachs/ Thomas le Blancs ursprüngliche Idee hat wie vieles bei den Phantastischen Miniaturen auch Flügel erhalten.  Alexander Roeder fügte in der Nummer 46 dem fiktiven Gebäude “Fenster” hinzu. Inzwischen ist eine dritte Miniatur zum Thema Hausbau erschienen. 

Auch wenn es sich bei der Hälfte der Miniaturen um Nachdrucke handelt, wird die erweiterte Paperbackveröffentlichung neue Ahänger finden. Schon in der Erstveröffentlichung hat Sabine Frambach darauf wert gelegt, dass einzelne Geschichte/ Miniaturen in der Sammlung inhaltlich nicht nur miteinander verbunden sind, sondern wie bei einem guten Hausbau auch aufeinander aufbauen und angerissene Themen extrapolieren. 

 „Im Eingang wartet der Troll“, „Im Durchgang lauert der Speyer“ und „Am Ausgang winken die Medusen“ fasst im Grunde auch den humorvollen Inhalt der drei Miniaturen perfekt zusammen. Zwei Freunde wollen unbedingt in den angesagtesten Club der Stadt und begegnen dabei sowohl dem Troll als Türsteher, dem Speyer und schließlich am Ende nicht bei ganz klarem Bewusstsein den Medusen. Dabei kennt nur der Leser das Geheimnis dieses besonderen Clubs.

 Bei anderen Miniaturen streift sie eine Reihe klassischer Themen. Die Angst von Jugendlichen vor diesen imaginären Türen in ihren Bildern oder das Warten auf den Vater, der schließlich wie in Im Schrank“ zu „spät“ kommt. Die Autorin konzentriert sich in diesen Texten eher auf Stimmungen als Plots. Bei „Eskapaden“ dreht die Autorin die bekannte Monster-im-Schrank Variante, in dem sie eine überforderte Mutter kurzzeitig in ein märchenhaftes Paradies entführt. Natürlich wird am Ende der Miniatur eine bittere Rechnung präsentiert.

 Die Ignoranz gegenüber Traditionen spielt in „Über die Schwelle“ eine wichtige Rolle. Der Bräutigam folgt nicht den Anweisungen eines älteren Familienmitglieds und trägt seine Braut über die Schwelle. Die Konsequenzen ahnt der Leser schneller als der Protagonist. Es ist bei manchen Plots auch schwer, die Pointen auf dem sehr kurzen Weg zu verstecken, aber die Masse der Geschichten mit sehr guten überraschenden Paukenschlägen am Ende entschädigt auch ein wenig für die ruhigeren Reisen, in denen sich der Leser weniger auf den Plot denn auf die einzelnen Protagonisten konzentrieren kann.

 Selbst die virtuelle Realität für die Eingeschlossene undurchdringbar wird von einem bekannten Lied wie „In allen Wipfeln spürest Du...“ begleitet. Aber die Technik ist immer gefährlich, wie die pointierte „Die verschlossene Tür“ (umbenannt in “Die intuitive Methode”) zeigt. Sich in einem Callcenter bei einem Notfall richtig zu legitimieren, kann abschließend auch zum Tod führen. Selbst die letzte Reise muss in „Das Bewertungsportal“ mit digitaler Hilfe angetreten werden. Die Satiren auf gegenwärtige Entwicklungen ragen aus dieser „Türen“ Sammlung positiv heraus, weil auch der Weg zur Pointe originell und dank der gut geschriebenen Dialoge entsprechend doppeldeutig ist. 

 Fortschritt – selbst auf einer eher phantastischen denn technischen Idee basierend – kann auch negativ sein, wie die urzeitliche Erfindung einer mit „Muskelkraft“ angetriebenen Drehtür in „Tür ohne Luftzug“ aufzeigt. Der exzentrische Protagonist, die seltsame Lösung und schließlich die Pointe heben die Geschichte aus der Masse der Türen positiv hervor. 

 Aber hinter den Türen lebenden auch spannernde Kobole („Im Schrank“) oder ganz einfach die hilfreichen, aber auch penetranten Heinzelmännchen („Untermieter“) . Elfen spielen in einer der wenigen längeren Arbeiten eine wichtige Rolle, wobei die Idee von „Die verschlossene Tür“ die Locked Room Mysteries als Vorlage nimmt. Ein fast perfekter Mord in einem von innen abgeschlossenen Raum. Selbst Märchen wie „Der Wolf und die sieben Geißlein“ werden als Miniatur präsentiert. „Blaubarts Frau“ stellt abschließend eine ebenbürtige Ehefrau dar. In diesen Miniaturen spielt die Autorin absichtlich bis zur Pointe mit der Erwartungshaltung der Leser, in dem sie anfänglich den entsprechenden Vorlagen folgt und abschließend abbiegt. 

 Die Besucher vor der Tür wirken in anderen Texten wie aus einer anderen Welt, wobei es nicht selten der Wahnsinn der Wohnungs- oder Hausbewohnerin ist, der wie in „Der Spion“ oder „Klingelmännchen“ die Pointe darstellt. Bei „Kreideweiß“ mit einer in Venedig einziehenden Pest sind es die Zeichen, welche die Bewohner markieren sollen. Die morbide Stimmung endet in einer allerdings erkennbaren Pointe, wobei auf dem Weg der Hintergrund der nächtlichen Begegnungen ausführlicher hätte beschrieben werden können. 

Auch „Die Gruft der Familie Bergamo“ bezieht sich auf historische Gruselvorlagen, vor allem sind die Anspielungen auf Edgar Allan Poe deutlich zu erkennen. Aber auch Sabine Frambach will ihren leidgeprüften Opfern keine abschließende Erlösung zu Teil werden lassen, wobei insbesondere bei dieser Miniatur das Ende vielleicht ein bisschen zu gut vorher zu erkennen ist. „Nach altem Brauch“ lässt auf der einen Seite die Pointe schnell erkennen, auf der anderen Seite verfügt die Miniatur nicht nur über einen sehr lebensecht gezeichneten alten Herren als Protagonisten, sondern macht den Lesern auch deutlich, wie „schnell“ Zeit vergehen kann. 

 „Die Tür zur guten alten Zeit“ ist eine melancholische Geschichte über die Tatsache, dass man im Grunde niemals wirklich zurückkehren kann. Kindheitserinnerungen oder die erste Liebe wirken aus der Gegenwart rückblickend weniger verklärt und immer wieder schleicht sich beim Protagonisten während seines Jahrmarktbesuchs und einem besonderen an Ray Bradburys Geschichten erinnernden Jahrmarktstand das unbestimmte Gefühl ein, dass es doch am schönsten zu Hause ist. 

 In „Gravensteiner“ geht es um eine besondere Art der Flucht, während es in „Der Weg der Krieger“ die mentale Stärke ist, nicht den finalen Schritt zu gehen. Beide Miniaturen basieren auf Fantasyelementen, welche Sabine Frambach passend zum Grundthema der Anthologie umbaut. „Der Weg der Krieger“ ist eine der wenigen Miniaturen, in welcher das mögliche Nichtdurchschreiten einer Tür oder eines Tors Existenzen retten könnte.

 Manchmal handelt es sich wie bei „24 Türchen“ nicht einmal um klassische Storytexte, sondern die Ansammlung von Impressionen, die einen besonderen Adventskalender schmücken. 

Sabine Frambach hat drei neue Texte neben dem Nachdruck der “Klönschnacktür” ihrem Abschnitt hinzugefügt.  So ist “Zwischen Tür und Angel” eine Abfolge von geflügelten Worten und Sprichwörtern, an deren Ende eine passende Pointe steht. “Das Höllentor” beschreibt die Leiden des Künstlers Gerhard Rodin, der als besondere Arbeit ein Höllentor gießen soll. Er fällt vom Gerüst und gerät in seinen persönlichen Alptraum. Das Ende ist allerdings eher durchschnittlich und vorhersehbar. Vor oder besser während des Anschlags der “95 Thesen” an der entsprechenden Kirche wird Martin Luther gestört. Trotzdem lebt die Legende weiter. Und in “Die Klönschnacktür” trifft ein Trickbetrüger auf eine mindestens ebenbürtige Gegnerin. Neben den pointierten Dialogen verfügt die Geschichte über ein entsprechend subversives Ende. 

Eine echte Miniatur haben Susanne Frambach und Kai Kai Focke mit “”Eine bislang nicht überlieferte Geschichte aus dem Jahre “0”” abgeliefert. Der Titel ist dabei länger als die Pointe. 

Im Gegensatz zu den klassischen Miniaturen hat Kai Focke seinen Part - im Inhaltsverzeichnis auf die rechte Seite gedruckt - auch mit einigen Kurzgeschichten aufgefüllt. 

Die Qualität der Geschichte ist unterschiedlich. Bei “Party-Pizza Champignon für “Schlossberg 11A”” ist die Pointe sehr schnell erkennbar. Nur die ersten Momente mit dem Pizzaboten vor einer an der Wand angebrachten Feentür sind lustig. “Das Dämonensiegel” überzeugt deutlich mehr. Im Keller sollen sich hinter einem Siegel Dämonen verbergen. Der Magier scheitert und siegt bei dem Auftrag, den Keller bzw. im Grunde das ganze Haus vor diesen Plagegeistern zu schützen. Es ist eine nette Familiengeschichte, basierend auf einigen Klischees der abgenutzten Ehe mit einem geplagten Ehemann. 

In “Echte Ritter” werden gegenwärtige soziale wie bürokratische Exzesse extrapoliert, ein wenig der Lächerlichkeit Preis gegeben, aber gleichzeitig auch als aufwändiger Unsinn dargestellt. Kai Focke hat die Ausgangsbasis ins Mittelalter übertragen, was an einigen Stellen skurril wirkt. Aber der Leser kann klar die Vorbilder erkennen.   

“Der Fall Lady- Cat” beinhaltet eine Diebesserie mit einem schockierten Erfinder, aber auch einer brillanten Idee, in Häuser einzudringen. Die Dialoge sind spritzig, die Auflösung eher solide pragmatisch. Aber alleine die “moralischen” Widerstände gegen die Erfindung machen die Story sehr lesenswert.

Bei “Der letzte Überlebende” ist vielleicht der Ausgangspunkt ein wenig überraschend, aber Kai Focke kann dem Plot mit dem sich im Bunker angesichts der drohenden Atomkatastrophe einschließenden Exzentriker zu wenige wirklich neue und überraschende Wendungen abgewinnen. 

In “Der magische Apparat der Feenkönigin” spielt Kai Focke inklusive erotischer Einlage mit den entsprechenden Klischees. Aber der Funke will auch angesichts der pragmatisch gezeichneten Protagonisten nicht wirklich überspringen. So steht die Freundin mit beiden Beinen im Leben, ihr Freund ist als ewiger Student eher ein Träumer, der aber sein Wissen angesichts der Begegnung mit der Feenkönigin natürlich ausspielen kann.  Auch “Der keldoranische Gldiator” leidet unter der Vorhersehbarkeit des Plots mit dem Menschen in einer Arena gegen Außerirdische kämpfend. Aber sein Körper ist natürlich eine Waffe, wie die Pointe zeigt. 

Besser agiert Kai Focke in “Zwei stille Vereinspatrioten”. Fussball ist immer noch wichtig. Und manchmal braucht ein Verein auch eine besondere Hilfe, wie die Auflösung der seltsamen Ereignisse zeigt. 

“Time is the Key: Die letzte Fahrt der AS 42” ist eine Art Steampunkgeschichte, die ohne phantastische Elemente auskommt. Der Titel ist im Grunde schon Programm. Kai Focke benutzt einige Versatzstücke wie den letzten Flug des Zeppelins, die angeblich irgendwo versteckten Edelsteine aus einem langjährigen Schmuggel und schließlich eine Art doppelte Pointe. 

Auch in “Hardcore- Mode” nutzt er Bekanntes. Ein Escape Room Spiel der besonders harten Art, juristisch hält sich der Betreiber von allen Konsequenzen frei. Ganz bewusst, denn die Niederlage der Teilnehmer könnte sein Gewinn sein. 

“Die eitle Praktikantin oder ein Körper, der jede Tür öffnet” reiht sich in die Phalanx von irgendwie vertrauten, aber auch gut erzählten kürzeren Texten ein. Die Fantasy Hintergrund mit dem Studium irgendwo zwischen Magiern und Dämonen inklusiv der daraus abgeleiteten Pointe liest sich kurzweilig. Natürlich muss man vor allem als eitle Person mit seinen Wünschen vor allem in Form von Forderungen vorsichtig sein. 

Humorvoll geht es in “Nebenjobs” zu. Aus einem Lieferfehler wird eine kurzzeitige Berufung für einen Außerirdischen. “Die Alien- Toilette” enthüllt eines der Geheimnisse in der phantastischen Bibliothek Wetzlars und abschließend fordert Kai Focke auch zu Recht Respekt nicht nur vor der eigenen Tür.  

 Noch mehr als von dem Herausgeber der Phantastischen Miniaturen Thomas le Blanc in der ursprünglichen Ausgabe herausgestellt, ist „Türen, Tore & Portale“ ein Experiment. Ein sehr eng begrenztes Thema ist auch in den Miniaturen vorgegeben, aber Susanne Frambach und Kai Focke bauen auf den fast dreißig echten Miniaturen der ursprünglichen Ausgabe auf und erweitern sie um zwei Handvoll von Kurzgeschichten.  Die Autoren haben mehr Möglichkeiten, den jeweiligen Hintergrund ihrer Geschichten zu entwickeln.  

 Durchgehend ist die Qualität der Miniaturen und Kurzgeschichten mindestens Zufriedenstellend bis sehr gut. Nicht immer können die Texte ihre jeweiligen Pointen oder Handlungsverläufe vor den Lesern verheimlichen. Manchmal ist es auch die extra Würze, wenn der Leser mehr weiß als die Protagonisten. Das Themenspektrum von Märchen über in erster Linie gotischen Grusel zur Fantasy oder Science Fiction ist derartig breit, dass es viele Geschmäcker treffen wird. Alle Geschichten/ Miniaturen sind stilistisch ansprechend geschrieben worden und in mehrfacher Hinsicht ist “Türen, Tore & Portale” nicht nur eine kurzweilig zu lesende Sammlung, sondern ein weiterer Wink mit dem Torpfosten in Richtung der “Phantastischen Miniaturen” aus der Stadt Wetzlar. 

Sabine Frambach & Kai Focke
TÜREN, TORE & PORTALE
55 fantastische Kurzgeschichten
AndroSF 154
p.machinery, Winnert, Juni 2022, 212 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 289 8 – EUR 14,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 814 2 – EUR 3,99 (DE)